Vorrang des
staatsvertraglichen Kollisionsrechts (dt.-iranisches Niederlassungsabkommen)
nach Art. 3 II EGBGB und regelwidriger Versorgungsausgleich nach deutschem
Recht (Art. 17 III S. 2 EGBGB); staatsvertragliches Kollisionsrecht und
deutscher ordre public
BGH, Beschluß vom 6. Juli
2005 - XII ZB 50/03
Fundstelle:
NJW-RR 2005, 1449
Amtl. Leitsatz:
Zwischen iranischen
Ehegatten findet gemäß Art. 8 III des Deutsch-Iranischen
Niederlassungsabkommens (vom 17. Februar 1929 - RGBl. 1930 II 1006) ein
Versorgungsausgleich auch dann nicht statt, wenn ein Ehegatte während der
Ehe in Deutschland Versorgungsanrechte erworben hat; Art. 17 Abs. 3 Satz 2
EGBGB findet insoweit keine Anwendung.
Zentrale Probleme:
Staatsvertragliches Kollisionsrecht (hier: das
deutsch-iranische Niederlassungsabkommen) geht nach Art. 3 II EGBGB dem
autonomen deutschen Kollisionsrecht vor. Deshalb kam hier ein
Versorgungsausgleich nach Art. 17 III 2 EGBGB nicht in Betracht. Im Rahmen
staatsvertraglichen Kollisionsrechts ist der ordre public-Vorbehalt (Art. 6
EGBGB) nur anwendbar, wenn der Staatsvertrag selbst dies zuläßt. Art. 8 III
des dt.-iran. Abkommens wird als eine solche Klausel verstanden (s. dazu
BGHZ 120,
29). Der Senat
steht aber zu recht auf dem Standpunkt, daß der Versorgungsausgleich nicht
Bestandteil des deutschen ordre public ist.
©sl 2005
Zum Sachverhalt:
Die Ehe der Antragstellerin (im folgenden: Ehefrau) mit dem Vater des
Antragsgegners (im folgenden: Ehemann) wurde durch Urteil des Amtsgerichts
Köln vom 10. November 1999 nach iranischem Recht geschieden; beide Ehegatten
waren iranische Staatsangehörige. Während der Ehezeit hatte der Ehemann
inländische Rentenanwartschaften erworben.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Ehefrau, den Versorgungsausgleich
durchzuführen, zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der
Ehefrau blieb erfolglos. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen weiteren
Beschwerde verfolgt die Ehefrau ihr Begehren auf Durchführung des
Versorgungsausgleichs weiter. Am 25. Februar 2005 - während des Verfahrens
der weiteren Beschwerde - ist der Ehemann verstorben und von dem jetzigen
Antragsgegner beerbt worden. Die Ehefrau hat beantragt, dem Verfahren
Fortgang zu geben. Der jetzige Antragsgegner hat mitgeteilt, daß er gegen
eine Durchführung des Versorgungsausgleichs zugunsten der Ehefrau - seiner
Mutter - keine Einwände erheben wolle.
Aus den Gründen:
I. ...
II. Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Das iranische Recht kennt keinen Versorgungsausgleich. Die Regelungen des
deutschen Versorgungsausgleichsrechts finden auf die Ehe der Antragstellerin
mit dem Vater des jetzigen Antragsgegners keine Anwendung.
1. Nach Art. 17 Abs. 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht des Staates,
das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags
für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Das ist nach Art. 14
Abs. 1 Nr. 1 EGBGB vorrangig das Recht, dem beide Ehegatten angehören oder
während der Ehe zuletzt angehörten - im vorliegenden Fall also iranisches
Recht. Die Voraussetzungen einer Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 bis 4 EGBGB
liegen ersichtlich nicht vor. Diesem Recht unterliegt nach Art. 17 Abs. 3
Satz 1 1. Halbs. EGBGB auch der Versorgungsausgleich. Kann der
Versorgungsausgleich danach - wie vorliegend nach iranischem Recht - nicht
stattfinden, so ist er gemäß Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB auf Antrag eines
Ehegatten gleichwohl nach deutschem Recht durchzuführen, wenn der andere
Ehegatte - wie hier der Vater des jetzigen Antragsgegners - in der Ehezeit
eine inländische Versorgungsanwartschaft erworben hat.
Die Regelung des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB verhilft dem
Versorgungsausgleichsbegehren der Antragstellerin hier dennoch nicht zum
Erfolg. Nach Art. 3 Abs. 2 EGBGB finden die Kollisionsnormen des EGBGB -
hier Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB - nämlich dann keine Anwendung, wenn
Regelungen in völkerrechtlichen Verträgen, die unmittelbar anwendbares
innerstaatliches Recht geworden sind, dem entgegenstehen. Das ist hier der
Fall.
2. Nach Art. 8 III Satz 1 des Deutsch-Iranischen Niederlassungsabkommens
vom 17. Februar 1929 (RGBl. 1930 II 1006; im folgenden: Abkommen; zur
Fortgeltung Senatsurteil vom 6. Oktober 2004 - XII ZR 225/01 - BGHZ 160, 332
= FamRZ 2004, 1952, 1953 f.) bleiben "in bezug auf das Personen-,
Familien- und Erbrecht ... die Angehörigen jedes der vertragschließenden
Staaten im Gebiet des anderen Staates den Vorschriften ihrer heimischen
Gesetze unterworfen". Die Anwendung dieser (heimischen) Gesetze kann nach
Art. 8 III Satz 2 des Abkommens von dem anderen Staat "nur ausnahmsweise und
nur insoweit ausgeschlossen werden, als ein solcher Ausschluß allgemein
gegenüber jedem anderen fremden Staat erfolgt". Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB
begründet keinen solchen Ausschluß der Anwendbarkeit des iranischen Rechts,
wie sie in Art. 8 III Satz 1 des Abkommens vorgeschrieben ist und vorliegend
für die Ehescheidung der Ehefrau von ihrem verstorbenen Mann gilt.
Die Frage, ob für die Scheidung iranischer Ehegatten die Regelung des
Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB durch Art. 8 III Satz 1 des Abkommens
ausgeschlossen wird (so OLG Köln FamRZ 2002, 613, 614; OLG Frankfurt
2003, 303, 304; Johannsen/Henrich Eherecht 4. Aufl., Art. 17 EGBGB Rdn. 67;
Erman/ Hohloch BGB 11. Aufl. Art. 17 EGBGB Rdn. 5; Rahm/Künkel/Paetzold
Handbuch des Familiengerichtsverfahrens Stand 2003, VIII Rdn. 873 und 918;
Klattenhoff FuR 2000, 49, 52) oder ob Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB eine
Ausnahmeregelung im Sinne des Art. 8 III Satz 2 des Abkommens darstellt
(so OLG Oldenburg FamRZ 1995, 1590; Palandt/Heldrich BGB 64. Aufl., Art. 17
EGBGB Rdn. 21; MünchKomm/Winkler von Mohrenfels BGB 3. Aufl., Art. 17 EGBGB
Rdn. 202) ist allerdings streitig.
Einigkeit besteht dabei, soweit ersichtlich, darüber, daß Art. 8 III des
Abkommens - im Gegenzug zur Unterstellung der im Iran lebenden Deutschen
unter deutsches Recht - die Behandlung von Iranern in Deutschland nach
iranischem Recht zusichert (Art. 8 III Satz 1) und ein Abgehen von dieser
Zusicherung nur dann gestattet, wenn von den Kollisionsnormen des deutschen
Ordre public die Anwendung deutschen Rechts geboten wird (Art. 8 III Satz
2). Dieser Charakter des Art. 8 III Satz 2 des Abkommens als einer
Ordre-public-Klausel folgt dabei nicht nur aus der Entstehungsgeschichte der
Norm (vgl. dazu eingehend Krüger FamRZ 1973, 6, 7 f.), sondern auch
aus deren Wortlaut (vgl. Krüger aaO 8 f.; vgl. auch Schotten/Wittkowski
FamRZ 1995, 264, 267; in diese Richtung auch Senatsbeschluß vom 14. Oktober
1992 - XII ZB 18/92 - FamRZ 1993, 316). Danach kann die grundsätzlich
vorgeschriebene Anwendung iranischen Rechts nur ausnahmsweise und [nicht:
oder !] nur insoweit ausgeschlossen werden, als ein solcher Ausschluß
allgemein gegenüber jedem fremden Staat erfolgt. Dieser auf Ausnahmefälle
beschränkten Bedeutung des Art. 8 III Satz 2 des Abkommens würde nicht
hinreichend Rechnung getragen, wenn man die Regelung nicht auf Verstöße
gegen den Ordre public begrenzte und sie vielmehr als eine generelle
Vorbehaltsnorm verstünde, die es ermöglicht, in Bezug auf iranische
Staatsangehörige personen-, familien- und erbrechtliche Fragen weitergehend
der Regelung des deutschen Rechts zu unterstellen, sofern nur für die
Angehörigen anderer fremder Staaten eine vergleichbare Kollisionsregel
besteht.
Versteht man Art. 8 III Satz 2 des Abkommens danach als eine
Öffnungsklausel, die es lediglich gestattet, bei Verstößen gegen den Ordre
public anstelle des von Art. 8 III Satz 1 des Abkommens berufenen iranischen
Rechts deutsches Recht anzuwenden, kommt eine Anwendung des Art. 17 Abs. 3
Satz 2 EGBGB auf die Scheidung iranischer Staatsangehöriger nur in Betracht,
wenn man auch diese Regelung als einen speziellen Ordre-public-Vorbehalt
ansieht. Eine solche Einordnung des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB wird von
Teilen der Rechtsprechung (OLG Oldenburg aaO) und Literatur (Münch-Komm/Winkler
von Mohrenfels aaO; MünchKomm/Blumenwitz BGB 3. Aufl., Art. 6 EGBGB Rdn. 4;
Schotten/Wittkowski aaO) in der Tat vertreten. Der Senat folgt
dieser Auffassung indes nicht (ebenso OLG Köln aaO; OLG Frankfurt aaO;
OLG Düsseldorf FamRZ 2003, 380, 381; Staudinger/Mankowsi 13. Bearb. Art. 17
Rdn. 355; Johannsen/Henrich aaO; Rahm/Künkel/Paetzold aaO VIII Rdn. 873).
Ein Verstoß gegen den Ordre public liegt nur vor, wenn die Anwendung der
Rechtsnormen eines anderen Staates zu einem Ergebnis führt, das mit
wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist
(vgl. Art. 6 Satz 1 EGBGB). Das ist nicht immer schon dann der Fall, wenn
nach dem auf die Scheidung anwendbaren ausländischen Recht ein
Versorgungsausgleich nicht stattfindet, ein Ehegatte aber in der Ehezeit
inländische Versorgungsanrechte erworben hat (vgl. Art. 17 Abs. 3 Satz 2 Nr.
1 EGBGB) oder wenn die Ehewirkungen zumindest für einen Teil der Ehezeit
einem Recht unterlagen, das den Versorgungsausgleich kennt. Art. 17 Abs. 3
Satz 2 letzter Halbs. EGBGB läßt es deshalb auch für die Anwendung des
deutschen Versorgungsausgleichsrechts genügen, daß die Durchführung des
Versorgungsausgleichs "der Billigkeit nicht widerspricht"; daß dessen
Unterbleiben aus der Sicht des deutschen Rechts zu untragbaren und deshalb
mit dem Ordre public unvereinbaren Ergebnissen führen würde, wird von der
Vorschrift also gerade nicht verlangt. Die Gegenansicht, die in Art. 17 Abs.
3 Satz 2 EGBGB eine besondere Ausprägung des Ordre-public-Grundsatzes sieht,
überhöht demgegenüber das Gewicht des Versorgungsausgleichs (vgl.
Staudinger/Mankowski aaO), der weltweit zudem bisher ohnehin wenig
verbreitet ist (Rahm/Künkel/Paetzold aaO). Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB ist
vielmehr wesentlich Ausdruck der Verflechtung mit dem
Sozialversicherungsrecht oder dient dem Schutz berechtigter Erwartungen
(Staudinger/Mankowski aaO). Hinter dem von Art. 8 III des Abkommens - auch
als Versorgungsausgleichsstatut -vorgegebenen Heimatrecht tritt er zurück. |