Bedingungs- und
Befristungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten, Abgrenzung Befristung und
Bedingung
BGH, Urteil vom 22. Oktober
2003 - XII ZR 112/02 - OLG Naumburg
Fundstelle:
BGHZ 156, 328
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen
Grundfragen des Allgemeinen Teils: Die Abgrenzung von Bedingung (§§ 158 ff
BGB) und Befristung (§ 163 BGB) sowie die grundsätzliche Bedingungs- und
Befristungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten. Den z.T. lehrbuchartigen
Ausführungen (s. insbes. die fett markierten Passagen) gibt es nichts
hinzuzufügen.
Amtl. Leitsatz:
Eine unbestimmt befristete Kündigung ist regelmäßig unwirksam.
Tatbestand:
Der Kläger macht rückständige Miete und - für die Zeit nach Beendigung des
Mietverhältnisses - eine Mietdifferenz als Schadensersatz geltend.
Er vermietete mit schriftlichem Vertrag vom 1. September 1994 für die Zeit
bis 30. August 2004 an die Beklagte Gewerberäume in S.. Der Mietzins belief
sich zunächst auf monatlich 9.903,50 DM, ab 30. August 1997 auf 10.586,50 DM
und ab 30. August 2000 auf 11.269,50 DM, jeweils zuzüglich gesetzlicher
Mehrwertsteuer. Mit Nachtrag vom 5. Januar 1995 wurde der Mietvertrag um
weitere Räume erweitert. Der Mietzins hierfür betrug zunächst 330 DM, ab 1.
September 1997 354,45 DM und ab 1. September 2000 389,20 DM, jeweils
zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer.
Bei einer Besichtigung am 31. August 1999 stellte das Gewerbeaufsichtsamt
Mängel fest. Die Beklagte verlangte Beseitigung der Mängel bis spätestens
18. Oktober 1999. Am 15. November 1999 erklärte die Beklagte wegen dieser
Mängel die außerordentliche Kündigung. Absatz 3 des Kündigungsschreibens
lautet:
"Nach § 542 Abs. 1 BGB kündigen wir hiermit
den Mietvertrag außerordentlich. Die Kündigung wird nicht mit sofortiger
Wirkung ausgesprochen, sondern zu dem Zeitpunkt, an dem wir andere
Geschäftsräume beziehen können."
Mit Schreiben seiner Rechtsanwälte vom 19.
November 1999 machte der Kläger geltend, Gründe zur fristlosen Kündigung
lägen nicht vor und eine Kündigung zum Zeitpunkt der Möglichkeit, neue Räume
zu beziehen, sei ohnehin unwirksam. Er forderte die Beklagte auf, die
Kündigung bis 26. November 1999 zurückzunehmen. Nach längerem Schriftwechsel
über die Wirksamkeit der Kündigung erklärte der Kläger mit Schreiben seiner
Rechtsanwälte vom 9. Juni 2000 u.a.:
"Die Mandanten werden die aus dem Mietvertrag
resultierenden Ansprüche gerichtlich geltend machen. Da Ihre Mandantin die
Räumung zum 31.7.2000 ankündigt, behalten sich die Mandanten vor, den
Mietgegenstand - ohne Präjudiz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht –
zur Schadensminimierung und im Interesse Ihrer Mandantin anderweitig zu
nutzen bzw. zu vermieten. Der hierdurch entstehende Aufwand ist von Ihrer
Mandantin zu erstatten. Etwaige Einnahmen hieraus würden mit der Mietschuld
Ihrer Mandantin verrechnet werden."
Die Beklagte zahlte bis einschließlich Juli
2000 die volle Miete ohne Vorbehalt und räumte das Mietobjekt zum 31. Juli
2000.
Der Kläger führte Renovierungsmaßnahmen durch und vermietete Teile des
Objekts an den bisherigen Untermieter der Beklagten zu einem Mietzins, der
unter dem Mietzins des Untermietvertrages lag. Mit Schreiben vom 27. März
2001 kündigte der Kläger seinerseits den Mietvertrag zum 31. März 2001 wegen
Zahlungsverzuges.
Der Kläger hat im Urkundenprozeß die Miete für die Monate August 2000 bis
Februar 2001, abzüglich der vom bisherigen Untermieter bezahlten Beträge,
geltend gemacht. Mit Vorbehaltsurteil vom 2. Mai 2001 hat das Landgericht
der Klage in Höhe von 104.554,44 DM nebst Zinsen stattgegeben. Im
Berufungsverfahren hat der Kläger vom Urkundenprozeß Abstand genommen. Die
Berufung der Beklagten ist überwiegend ohne Erfolg geblieben. Auf die
Anschlußberufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte bis
einschließlich März 2001 zur Zahlung von Miete, von April 2001 bis August
2001 zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, jeweils unter Anrechnung der
durch die Neuvermietung erzielten Miete. Dagegen wendet sich die Beklagte
mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe für die Zeit von
August 2000 bis März 2001 Miete, ab April 2001 bis August 2001
Schadensersatz zu. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.
November 1999 sei unwirksam und habe deshalb das Mietverhältnis nicht
beendet. Die Kündigung sei befristet gewesen. Sie habe erst mit dem "Bezug
neuer Geschäftsräume" durch die Beklagte wirksam werden sollen. Auf eine
Befristung seien die Regeln über die Bedingung anzuwenden. Die befristete
Kündigung habe für den Vermieter die gleiche Wirkung wie eine bedingte
Kündigung. Der Auszugstermin sei dem Kläger nicht bekannt gewesen. Deshalb
habe er das Mietobjekt für eine Neuvermietung nicht anbieten können. Eine
solche Ungewißheit über einen längeren Zeitraum sei dem Kläger unzumutbar.
Die fehlende Angabe eines bestimmten Kündigungstermins habe das
Mietverhältnis auch nicht zum nächst zulässigen Termin beendet. Aus dem
Inhalt des Kündigungsschreibens ergebe sich, daß dies nicht dem Willen der
Beklagten entsprochen habe.
Der Beklagten sei die Berufung auf § 552 Satz 3 BGB a.F. verwehrt. Es liege
ein grober Vertragsbruch vor. Die Beklagte habe nicht davon ausgehen dürfen,
daß das Vertragsverhältnis durch ihre außerordentliche Kündigung beendet
worden sei. Sie sei auf die Problematik des für den Vermieter nicht
bestimmten Kündigungstermins hingewiesen worden. Die Mietzahlungsansprüche
des Klägers entfielen auch nicht wegen der nach dem Auszug der Beklagten vom
Kläger durchgeführten Umbau- und Renovierungsmaßnahmen. Die Beklagte habe
nicht dargelegt, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang das Mietobjekt
für sie nicht nutzbar gewesen sei. Im übrigen habe sie durch ihren
vorzeitigen Auszug zu erkennen gegeben, daß sie die Mieträume nicht weiter
nutzen wolle. Die Berufung auf eine Unmöglichkeit der Gebrauchsgewährung sei
deshalb treuwidrig. Der Kläger habe nicht gegen seine
Schadensminderungspflicht verstoßen. Er habe in einer Auflistung hinreichend
dargelegt, daß er sich in ausreichender Weise um eine Neuvermietung
gekümmert habe. Das pauschale Bestreiten der Beklagten genüge nicht. Durch
den Abschluß eines Mietvertrages mit dem bisherigen Untermieter des
Beklagten habe er erreicht, daß dieser im Mietobjekt verblieben sei und
dadurch Einnahmen gesichert gewesen seien. Mangels vertraglicher Beziehungen
habe er den Untermieter nicht zu den Bedingungen des Untermietvertrages am
Mietobjekt festhalten können.
2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.
a) Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist unwirksam.
Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen geht das Berufungsgericht
davon aus, daß die Kündigung der Beklagten vom 15. November 1999 unter einer
Befristung erfolgt ist. Die Erklärung, die Kündigung erfolge "nicht mit
sofortiger Wirkung, sondern zu dem Zeitpunkt, in dem wir andere
Geschäftsräume beziehen können", konnte das Berufungsgericht ohne
Rechtsfehler dahin auslegen, daß die Wirksamkeit der Kündigung nicht von
einem zukünftigen ungewissen Ereignis, sondern von einem gewissen,
allerdings zeitlich noch unbestimmten Ereignis abhängig war. Damit war die
Kündigung nicht unter einer Bedingung, sondern unter einer Befristung
erklärt (zur Abgrenzung vgl. Palandt/Heinrichs BGB 62. Aufl. § 163 Rdn.
1 m.w.N.). Die Befristung führt hier zur Unwirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung.
aa) Für die Kündigung von Mietverträgen ist anerkannt, daß sie nicht von
einer (echten) Bedingung abhängig gemacht werden kann, durch die der
Empfänger in eine ungewisse Lage versetzt würde. Solche Kündigungen sind
grundsätzlich unzulässig (Emmerich/Sonnenschein/Rolfs, Miete, 8. Aufl. §
542 Rdn. 28 m.N.; Blank in: Schmidt-Futterer Mietrecht 8. Aufl. § 542 Rdn.
16). Lediglich in Fällen, in denen der Geschäftsgegner keiner
Rücksichtnahme bedarf, z.B. weil er durch sie nicht in eine ungewisse Lage
versetzt wird, läßt die herrschende Meinung (BGH, Urteil vom 4. April
1973 - VIII ZR 47/72 - BB 1973, 819; weitere Nachweise bei
Staudinger/Sonnenschein BGB 13. Bearb. 1997 § 564 Rdn. 74) eine bedingte
Kündigung zu. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, daß für die Befristung
einer Kündigung nichts anderes gelten kann.
Das Gesetz geht davon aus, daß für Bedingungen und Befristungen
weitgehend übereinstimmende Regelungen gelten. Nach § 163 BGB gelten für die
Zeitbestimmung die §§ 158, 160, 161 BGB, somit Bestimmungen des Rechts der
Bedingung. Die Verweisung ist nicht vollständig. Auch andere Bestimmungen
des Bedingungsrechts können Anwendung finden (statt aller Palandt/Heinrichs
BGB 62. Aufl. § 163 Rdn. 3). Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte werden
in der Regel auch als befristungsfeindlich angesehen (Erman/ Hefermehl
BGB 10. Aufl. § 163 Rdn. 4; MünchKomm/Westermann BGB 4. Aufl. § 163 Rdn. 5;
Staudinger/Bork BGB 13. Bearb. 1996 § 163 Rdn. 9).
Bei der Kündigung handelt es sich um ein Gestaltungsrecht. Die
Besonderheit der meisten Gestaltungsrechte besteht in der einer Person
eingeräumten Rechtsmacht, einseitig in die Rechtsverhältnisse einer anderen
Person einzugreifen. Diese muß aber, wenn sie schon der fremden Gestaltung
unterworfen ist, vor Unbilligkeiten geschützt werden. Eine Unsicherheit, ob
die Ausübung der Kündigung zu einer Umgestaltung führt, kann dem Gegner
nicht zugemutet werden (Medicus Allgemeiner Teil des BGB 8. Aufl. Rdn.
89, 90). Für die Aufrechnung - ebenfalls ein Gestaltungsrecht - ordnet
das Gesetz z.B. die Bedingungs- und Befristungsfeindlichkeit ausdrücklich an
(§ 388 Satz 2 BGB). Der Aufrechnungsgegner soll nicht mit dem Schwebezustand
belastet werden, der infolge einer Bedingung oder Befristung eintreten
würde. Diese Interessenlage ist nicht nur bei der Aufrechnung, sondern auch
bei anderen fremdwirkenden Gestaltungsrechten gegeben. Deshalb ist die
Bedingungs- und Befristungsfeindlichkeit auf diese zu erweitern (Medicus
aaO Rdn. 849; Pawlowski Allgemeiner Teil des BGB 7. Aufl. § 4 Rdn. 617, 613
b).
bb) Die Revision kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Empfänger
einer befristeten Kündigungserklärung werde keinen untragbaren Ungewißheiten
über den neuen Rechtszustand ausgesetzt, da nicht die Auflösung des
Vertragsverhältnisses, sondern lediglich der Zeitpunkt der Auflösung ungewiß
sei. Für den Vermieter ist das Ende der Mietzeit von entscheidender
Bedeutung, weil davon die Möglichkeit einer Neuvermietung abhängt. Daß eine
außerordentliche Kündigung für einen späteren Zeitpunkt, also mit einer
(bestimmten) Auslauffrist wirksam ausgesprochen werden kann (MünchKomm/Voelskow
BGB 3. Aufl. § 564 Rdn. 10), spricht entgegen der Auffassung der Revision
nicht für die generelle Zulässigkeit einer Befristung. Gewährt der
Kündigende eine Auslauffrist, so steht der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der
Kündigung fest. Der Kündigende gewährt dem Vertragspartner damit die
Möglichkeit, sich auf die Auflösung des Vertrages einzustellen. Eine
Unsicherheit entsteht für ihn nicht.
Auch der Auffassung der Revision, der Vermieter werde nicht schlechter,
sondern besser gestellt, wenn der Mieter anstelle der zulässigen fristlosen
Kündigung nur befristet kündige, kann nicht gefolgt werden. Bei der
fristlosen Kündigung durch den Mieter kann der Vermieter das Mietobjekt
sofort weitervermieten. Der Mieter ist nämlich zum sofortigen Auszug nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Demgegenüber kennt der Vermieter
im Falle der unbestimmten Befristung - wie hier - den Auszugstermin nicht
und kann deshalb nicht verläßlich disponieren.
Sollte der Vermieter durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung
veranlaßt haben, würde das es nicht rechtfertigen, ihn im Ungewissen zu
lassen, für welchen Zeitpunkt der Mieter daraus Konsequenzen ziehen will.
Das Gesetz sieht als Sanktion für vertragswidriges Verhalten die
außerordentliche fristlose Kündigung vor. Eine weitere Sanktion ist nicht
vorgesehen und auch nicht nötig.
b) Zutreffend hat das Berufungsgericht eine Minderung der Miete abgelehnt.
Die dagegen erhobene Rüge greift nicht durch. Die Beklagte hat von den von
ihr gerügten Mängeln im September 1999 Kenntnis erhalten. Gleichwohl hat sie
bis 31. Juli 2000 den vollen Mietzins ohne Vorbehalt bezahlt. Dies bedeutet,
daß sie sich nach der Rechtsprechung des Senats nicht mehr auf eine
Minderung berufen kann (st. Rspr. des BGH, Senatsurteile vom 31. Mai 2000 -
XII ZR 41/98 - NJW 2000, 2663, 2664; vom 11. Dezember 1991 - XII ZR 63/90 -
NJW-RR 1992, 267, 269). Soweit der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
mit Urteil vom
16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02 -
anders entschieden hat, bezog sich die Entscheidung auf das seit 1.
September 2001 geltende Recht und ist deshalb nicht einschlägig.
c) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich die
Beklagte nicht auf § 552 Satz 3 BGB a.F. berufen kann. Zwar ist in der Regel
ein grober Vertragsbruch seitens des Mieters erforderlich, um ihm die
Berufung auf § 552 Satz 3 BGB a.F. zu versagen (Senatsurteil BGHZ 122, 163).
Die Rüge der Revision, von einem groben Vertragsbruch der Beklagten könne
nicht ausgegangen werden, weil diese habe annehmen dürfen, daß ihre
Kündigung wirksam sei, hat jedoch keinen Erfolg. Die Mieterin konnte nicht
ernsthaft davon ausgehen, daß das Mietverhältnis durch die von ihr
ausgesprochene Kündigung beendet war, nachdem der Vermieter sie durch ein
Schreiben seines Anwalts unter anderem darauf hingewiesen hatte, daß
Kündigungserklärungen zu einem unbestimmten Termin unwirksam seien. Auch die
Mieterin war zu diesem Zeitpunkt rechtlich beraten. Daß solche Kündigungen
wirksam sind, wird in der Literatur - soweit ersichtlich - nicht vertreten.
Soweit die Revision geltend macht, aufgrund von Umbau- und
Modernisierungsarbeiten der Klägerin sei die Mietzahlungspflicht gemäß § 552
Satz 3 BGB a.F. entfallen, gelten diese Erwägungen entsprechend. Im übrigen
haben die Beklagten nicht substantiiert dargelegt, welche Umbauarbeiten
einer Überlassung im Wege gestanden hätten.
Ohne Erfolg rügt die Revision, der Kläger habe die Räume nicht an Dr. K. ,
den bisherigen Untermieter, zu einem Mietzins vermieten dürfen, der weit
unter dem mit Dr. K. vereinbarten Untermietzins gelegen habe; wenn - nach
Auffassung des Klägers - das Mietverhältnis nicht beendet worden sei, habe
es für Dr. K. keinen wichtigen Grund zur Kündigung des
Untermietverhältnisses gegeben. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß eine
Vermietung zu einem höheren Mietzins möglich gewesen wäre. Die Vermietung an
Dr. K. zu einem niedrigeren Mietzins als im ursprünglichen Untermietvertrag
war nicht pflichtwidrig. Nach den bindenden und von der Revision nicht
angegriffenen Feststellungen hat sich der Kläger in ausreichender Weise um
eine Neuvermietung bemüht.
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