IRR: Internationales Familienrecht;
Anknüpfung eines Vaterschaftswechsels im Zuge der Ehescheidung;
Vorfrage bei der Wirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung
BGH, Urteil vom 23. November 2011 -
XII ZR 78/11
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zum anwendbaren Statut im
Fall des sog. scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach § 1599 Abs. 2
BGB.
Zentrale Probleme:
Ein schöner, aber nicht ganz
unkomplizierter IPR-Fall aus dem internationalen Familienrecht. Es geht um
die Wirksamkeit eines "Wechsels" der Vaterschaft im Rahmen eines
Ehescheidungsverfahrens. § 1599 BGB sieht hier ein vereinfachtes Verfahren
vor, durch welches der Vater "ausgetauscht" wird, wenn die Ehefrau, der als
Vater geltende Ehemann und der Dritte, der die Vaterschaft anerkennt,
zustimmen. Der Senat qualifiziert dieses nicht als Begründung der
Abstammung, sondern als einen Fall der (vereinfachten) Anfechtung der
Abstammung, so dass das anwendbare Recht nach Art. 20 EGBGB zu ermitteln
ist. Danach konnte hier (auch) deutsches Recht (als Aufenthaltsrecht)
wahlweise zur Anwendung kommen, so dass der erste rechtliche Vater
"entlassen" war, auch wenn das polnische Heimatrecht der Beteiligten dies
nicht anerkennt. Für die nach Art. 19 EGBGB an das deutsche Recht
anzuknüpfende Begründung der Vaterschaft des "neuen" Vaters ist die
Beendigung der Vaterschaft des Ehemannes dann (nur) eine (selbstständig nach
Art. 20 EGBGB) anzuknüpfende Vorfrage. Da nach § 1599 II die Regelung des §
1594 II BGB nicht anzuwenden ist, war die Vaterschaft des Anerkennenden
wirksam etabliert. Zu konkurrierenden Vaterschaften s. auch
BayObLG NJW-RR 2002, 1009 = IPRax 2002, 405.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten um die
Wirksamkeit einer vom Beklagten abgegebenen Vaterschaftsanerkennung.
2 Die Klägerin ist die Mutter des am 22. Mai 2004 geborenen Kindes I. Im
Zeitpunkt der Geburt lebte sie mit ihrem früheren Ehemann in Scheidung.
Diese drei Genannten sind polnische Staatsangehörige.
3 Am 12. Juli 2004 erkannte der Beklagte, der die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt, die Vaterschaft des Kindes durch
Jugendamtsurkunde an. Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann erklärten dazu
ihre Zustimmung. Später wurde die erste Ehe geschieden. Die Parteien des
Rechtstreits heirateten 2006 und trennten sich 2008. Seither bestreitet der
Beklagte seine biologische Vaterschaft.
4 Das Standesamt hat die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung beim
Geburtseintrag des Kindes unter Hinweis auf entgegenstehendes polnisches
Abstammungsrecht abgelehnt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die
Feststellung, dass der Beklagte die Vaterschaft wirksam anerkannt habe. Die
Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte
mit der zugelassenen Revision, mit der er die Klageabweisung weiter
verfolgt.
Entscheidungsgründe:
5 Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
6 Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende
August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor
diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3.
November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).
I.
7 Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FPR 2011, 410
veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die für die
Abstammung des Kindes maßgebliche Rechtsordnung bestimme sich nach der
Kollisionsnorm des Art. 19 EGBGB. Knüpfe man gemäß Art. 19 Abs. 1
Satz 1 EGBGB an das Aufenthaltsstatut des Kindes oder gemäß Art. 19 Abs. 1
Satz 2 EGBGB an das Staatsangehörigkeitsstatut des Vaters an, komme
deutsches Recht zur Anwendung, wonach die qualifizierte
Vaterschaftsanerkennung des Beklagten gemäß § 1599 Abs. 2 BGB wirksam sei.
Knüpfe man hingegen gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 3 EGBGB an das
Ehewirkungsstatut an, komme polnisches Recht zur Anwendung, wonach die
Vaterschaftsanerkennung unwirksam sei, weil das polnische Recht eine
qualifizierte Vaterschaftsanerkennung während bestehender Ehe ohne vorherige
Vaterschaftsanfechtung nicht kenne. Unter den grundsätzlich gleichrangigen
Anknüpfungsmöglichkeiten des Art. 19 Abs. 1 EGBGB müsse die für das Kind
günstigste gewählt werden. Das sei nach dem Prioritätsprinzip grundsätzlich
diejenige Rechtsordnung, die dem Kind einen Vater frühest möglich zuordne.
Ergebe sich hierbei kein Unterschied zwischen den in Frage kommenden
Rechtsordnungen, sei nach dem Grundsatz der höchsten
Abstammungswahrscheinlichkeit diejenige Rechtsordnung vorzuziehen, deren
Regelungen dem Kind zu seinem "wirklichen" Vater verhelfe, also zu
demjenigen Vater, für dessen biologische Vaterschaft die höchste
Wahrscheinlichkeit spreche. Das sei nach einer abgegebenen
qualifizierten Vaterschaftsanerkennung, der alle Beteiligten zugestimmt
hätten, derjenige Mann, der die Vaterschaft anerkannt habe, weshalb hier das
deutsche Recht anzuwenden sei.
II.
8 Das hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
9 1. a) In der Ausgangslage bei der Geburt des Kindes war dieses nach beiden
hier in Frage kommenden Rechtsordnungen nicht vaterlos: Sowohl nach
deutschem Recht (§ 1592 Nr. 1 BGB) wie auch nach dem vom Berufungsgericht
festgestellten polnischen Abstammungsrecht bestand seit der Geburt die
rechtliche Vaterschaft des damaligen polnischen Ehemanns der Klägerin
aufgrund bestehender Ehelichkeitsvermutung. Wegen der insoweit
übereinstimmenden Sachnormen bedurfte es einer kollisionsrechtlichen
Festlegung des Abstammungsstatuts zu dem Zeitpunkt noch nicht.
10 b) Das Bedürfnis einer Festlegung des Abstammungsstatuts trat
erstmals mit der am 12. Juli 2004 erklärten qualifizierten
Vaterschaftsanerkennung auf. Denn ob durch diese Rechtshandlung ein
Statuswechsel eintrat und die Vaterschaft des Beklagten begründet wurde,
wird durch die in Frage kommenden Rechtsordnungen unterschiedlich
beantwortet.
11 Nach der inländischen Sachnorm des § 1599 Abs. 2 BGB, deren
gesetzliche Voraussetzungen das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei
festgestellt hat, wäre die vom Beklagten erklärte Vaterschaftsanerkennung
wirksam. Dadurch wäre der Statuswechsel eingetreten und es bestünde eine
Vaterschaft des Beklagten.
12 Nach den polnischen Sachnormen hingegen wäre die vom Beklagten
erklärte Vaterschaftsanerkennung nicht möglich, da das vom Berufungsgericht
festgestellte polnische Recht eine Vaterschaftsanerkennung eines Dritten
während bestehender Ehe und daraus folgender Ehelichkeitsvermutung, solange
diese nicht angefochten ist, nicht kennt. Somit wäre weiterhin der
frühere polnische Ehemann als Vater anzusehen.
13 Für die Wirksamkeit der qualifizierten Vaterschaftsanerkennung
kommt es somit darauf an, welche der in Frage kommenden Rechtsordnungen zur
Anwendung berufen ist.
14 2. Bei der Bestimmung des Abstammungsstatuts ist zu beachten, dass die
qualifizierte Vaterschaftsanerkennung nach § 1599 Abs. 2 BGB aus zwei
Komponenten besteht und nicht nur die Anerkennung der Vaterschaft,
sondern auch die Beseitigung der bestehenden Vaterschaft beinhaltet
(sogenannter scheidungsakzessorischer Statuswechsel).
15 Durch dieses zum 1. Juli 1998 eingeführte Verfahren eröffnet das Gesetz
einen erleichterten Wechsel der väterlichen Abstammung, der im Gegensatz zur
vorausgegangenen Rechtslage keiner Mitwirkung des (Familien-)Gerichts und
auch keiner Beteiligung des Kindes mehr bedarf. Der Statuswechsel beruht
vielmehr weitgehend auf dem entsprechenden Willen der (rechtlichen) Eltern
und eines anerkennungsbereiten Dritten. Anstelle der gerichtlichen
Überprüfung der biologischen Vaterschaft ist die vom Gesetz vorausgesetzte
hinreichende Wahrscheinlichkeit der Nichtvaterschaft des Ehemannes bei einer
Geburt des Kindes nach Anhängigkeit des Scheidungsantrags getreten. Diese
Regelung hat die nach früherer Rechtslage - nach der Scheidung -
erforderliche Anfechtung der Ehelichkeit (nunmehr: Vaterschaft) ersetzt und
fasst diese mit der anschließenden Anerkennung zusammen. Nach der früheren
Rechtslage war zur Beseitigung der bestehenden Vaterschaft ein gerichtliches
(Anfechtungs-)Verfahren erforderlich, an dem vor allem auch das von dem
Statuswechsel betroffene Kind notwendig zu beteiligen war und das eine
gerichtliche Prüfung der biologischen Vaterschaft voraussetzte (zur
Entstehung und rechtspolitischen Kritik s. Staudinger/Rauscher BGB [2011] §
1599 Rn. 4 ff.; Greßmann Neues Kindschaftsrecht Rn. 70 ff. sowie G. Wagner
FamRZ 1999, 7).
16 a) Die wesentliche Besonderheit der geltenden Regelung besteht somit
darin, dass die mit der Geburt eingetretene Vaterschaft nunmehr ohne
gerichtliches Verfahren beseitigt werden kann und die Neuregelung mit dem
Statuswechsel insoweit dieselben Rechtsfolgen hat wie ein - auch nach
heutiger Rechtslage noch mögliches - Anfechtungsverfahren. Das zeigt sich
etwa, wenn der anerkennende Dritte später seine Vaterschaft anficht. In
diesem Fall lebt nicht etwa die Vaterschaft des früheren Ehemanns wieder
auf, sondern wird das Kind vaterlos (Staudinger/Rauscher BGB [2011] § 1599
Rn. 111). Es handelt sich somit um einen besonders ausgestalteten
Anfechtungstatbestand, der die Vaterschaft beseitigt (Greßmann Neues
Kindschaftsrecht Rn. 74).
17 Da die Regelung in § 1599 Abs. 2 BGB das früher erforderliche
Anfechtungsverfahren ersetzt hat und in der Sache zu ähnlichen Wirkungen wie
eine Vaterschaftsanfechtung führt, ist dementsprechend für das anwendbare
Statut auf den Rechtsgedanken des Art. 20 EGBGB zurückzugreifen, der eine
auf die Beseitigung der Abstammung zugeschnittene Regelung enthält.
Die Vorschrift bezieht sich zwar auf die Anfechtung in einem
Gerichtsverfahren und ist somit nicht unmittelbar anzuwenden. Sie
enthält aber in der Sache eine allgemeine Regelung des Problems, dass
mehrere in Betracht kommende Abstammungsstatute an die Beseitigung der
rechtlichen Abstammung unterschiedliche Anforderungen stellen.
Der in der Regelung zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke der
Wahlfreiheit (dazu Staudinger/Henrich BGB [2008] Art. 20 EGBGB Rn.
12 ff.) ist auch für die Beseitigung der Abstammung durch
übereinstimmende Erklärungen heranzuziehen. Diese ist der Sache
nach mit einer Anfechtung der Vaterschaft in vereinfachter Form vergleichbar
und ist bei der am 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Gesetzesänderung im
Hinblick auf das internationale Privatrecht nicht berücksichtigt worden.
18 Nach Art. 20 Satz 1 EGBGB kann die Abstammung nach jedem Recht
angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben.
Abzustellen ist hierbei auf die jeweilige zur Anfechtung berechtigte Person.
Da sich die Voraussetzungen der Vaterschaft des früheren Ehemannes
der Klägerin - wie oben ausgeführt - sowohl aus dem polnischen wie auch aus
dem deutschen Recht ergaben, stand es sowohl der Klägerin als auch ihrem
früheren Ehemann als Anfechtungsberechtigten offen, für die Beseitigung der
Abstammung das deutsche Recht zu wählen. Demnach hatte
insbesondere der frühere Ehemann der Klägerin die Wahl, ob er sich statt
eines nach polnischem (oder deutschem) Recht durchzuführenden
Anfechtungsverfahrens an dem im deutschen Recht erleichterten Statuswechsel
nach § 1599 Abs. 2 BGB beteiligte, indem er seine Zustimmung zur
Vaterschaftsanerkennung durch den Beklagten erteilte und damit eine
gerichtliche Vaterschaftsanfechtung entbehrlich machte.
19 Demnach ergibt sich das anwendbare Statut im Hinblick auf die in
dem Statuswechsel nach § 1599 Abs. 2 BGB enthaltene Beseitigung der
bestehenden Abstammung aus dem Rechtsgedanken des Art. 20 EGBGB.
Die Klägerin und ihr früherer Ehemann übten die ihnen offen stehende
Rechtswahl in wirksamer Weise zugunsten des deutschen Rechts aus, indem sie
durch Erklärungen vor den zuständigen Stellen das Verfahren des
scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach § 1599 Abs. 2 BGB durchgeführt
haben.
20 b) Bei der Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten und
der beseitigten Sperrwirkung der - bisherigen - Vaterschaft (§ 1594 Abs. 2
BGB) handelt es sich schließlich um nachgelagerte Fragen, die sich nach der
Beseitigung der Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin ergeben. Das
auf die Anerkennung anwendbare Statut ergibt sich insoweit aus Art. 19
EGBGB. Die in Frage kommenden Anknüpfungen, als
Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatut das deutsche Recht sowie als
Ehewirkungsstatut das polnische Recht, führen insoweit mit der wirksamen
Anerkennung zum selben Ergebnis. Ob die Beseitigung der
Vaterschaft des früheren Ehemannes der Klägerin im Verfahren nach § 1599
Abs. 2 BGB vom polnischen Recht anerkannt wird, ist nach dem anwendbaren
deutschen Internationalen Privatrecht gemäß Art. 20 EGBGB nicht
ausschlaggebend. Denn insofern stellt die Beseitigung der früheren
Vaterschaft lediglich eine Vorfrage dar, die selbstständig anzuknüpfen ist.
Dass dadurch die Gefahr eines hinkenden
Verwandtschaftsverhältnisses entsteht, ergibt sich schon aus der Konzeption
der Anknüpfungen in Art. 20 EGBGB und wird vom Gesetz bewusst in Kauf
genommen.
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