Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Versäumnisurteils bei „derzeitiger Unbegründetheit“ der Klage BGH, Urteil vom 17. Dezember 2002 - XI ZR 90/02 - LG Berlin AG Wedding Fundstelle: NJW
2003, 1044 Amtl. Leitsatz Die Rechtskraft eines klageabweisenden Versäumnisurteils macht die erneute gerichtliche Geltendmachung des Klageanspruchs in jedem Fall unzulässig, der Kläger kann sich im Zweitprozeß nicht darauf berufen, im Erstprozeß habe seinem Anspruch lediglich ein inzwischen behobenes vorübergehendes Hindernis (z.B. mangelnde Fälligkeit) entgegengestanden (Bestätigung von BGHZ 35, 338). Das gilt auch dann, wenn die rechtskräftige Klageabweisung auf einem Versäumnisurteil des Berufungsgerichts beruht, mit dem die Berufung des Klägers gegen ein kontradiktorisches klageabweisendes Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen wurde. Zentrales Problem: Im
Mittelpunkt der Entscheidung steht ein gleichermaßen für Ausbildung,
Prüfung und Praxis relevantes zivilprozessuales Problem. Es geht um die
materielle Rechtskraftwirkung einer Klageabweisung durch Versäumnisurteil.
Wenn eine Klage als unbegründet abgewiesen wird, steht bekanntlich die
materielle Rechtskraft dieses Urteils (§ 322 ZPO) einer erneuten Klage
über denselben Streitgegenstand (prozessualen Anspruch) entgegen. Die neue
Klage ist als unzulässig abzuweisen. Die materielle Rechtskraft steht aber
einer erneuten Klage nur so weit entgegen, wie sie reicht. Wird also eine
Klage als „derzeit unbegründet“ abgewiesen, weil etwa der geltend gemachte
Anspruch jedenfalls noch nicht fällig ist, kann nach dem
Fälligkeitszeitpunkt erneut Klage erhoben werden. Dabei ist es nach h.M.
ausreichend, daß sich dies aus den Gründen des Urteils ergibt. Es muß sich
also nicht unmittelbar aus dem Urteilstenor ergeben. I vorliegenden Fall
hatte die erste Instanz eine Klage in diesem Sinne als „derzeit
unbegründet“ abgewiesen. Der Kläger hatte gegen das Urteil Berufung
eingelegt. In diesem Berufungsverfahren hat er dann ein Versäumnisurteil
gegen sich ergehen lassen, durch das die Klage abgewiesen wurde (§ 330
ZPO). Ein solches ergeht allein aufgrund der Säumnis ohne jede
Sachprüfung. Nach dem von der ersten Instanz als Fälligkeitstermin
genannten Zeitpunkt erhob der Kläger erneut Klage. Um diese Klage geht es
im vorliegenden Urteil. Es stellte sich hier die Frage, ob durch das
Versäumnisurteil (das ja nicht begründet wird, sondern nur die Klage
allein aufgrund der Säumnis des Klägers abweist) eine „endgültige
Verneinung“ des Anspruchs oder bloß die von der ersten Instanz des
Vorverfahrens ausgedrückte „derzeitige Verneinung“ des Anspruchs mit
materieller Rechtskraftwirkung ausgesprochen ist. Der BGH bejaht – seine
bisherige Rechtsprechung bestätigend und verteidigend (s. dazu
insbesondere die fett wiedergegebenen Passagen) – mit Recht
ersteres. Tatbestand: Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Darlehensrückzahlungsanspruch geltend, der schon einmal Gegenstand eines Rechtsstreits der Parteien war. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger behauptet, der Beklagten ein Darlehen in Höhe von 10.000 DM gewährt zu haben. Am 1. Oktober 1995 unterzeichneten beide Parteien eine Vereinbarung, nach der die Beklagte "die von Herrn H. K. geliehenen 10.000,- DM" erst dann zurückzahlen sollte, wenn sie nach dem Auszug aus einer von ihr bewohnten Mietwohnung die mit dem Vermieter für die Zurücklassung verschiedener Gegenstände vereinbarte Zahlung erhielte. Die Beklagte behauptet, das Darlehen nicht erhalten und die Vereinbarung vom 1. Oktober 1995 ungelesen unterschrieben zu haben. Sie hat die Vereinbarung im September 1997 angefochten. Im Jahre 1997 erhob der Kläger Klage auf Rückzahlung des Darlehens. Das Amtsgericht wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Fälligkeitsvoraussetzungen der Vereinbarung vom 1. Oktober 1995 lägen noch nicht vor. Das Landgericht wies die Berufung des Klägers durch Versäumnisurteil vom 29. Juni 1998 zurück, nachdem es den Kläger darauf hingewiesen hatte, daß die Klageforderung nicht fällig sei. Seinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil nahm der Kläger am 16. November 1998 zurück. Im November 1999 erhielt die Beklagte von ihrem ehemaligen Vermieter aufgrund eines Vergleichs einen Betrag von 5.000 DM. Daraufhin erhob der Kläger erneut Klage auf Zahlung von 10.000 DM nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat diese Klage unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit ihrer - zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung. I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Klage sei zulässig, weil die Rechtskraft des Versäumnisurteils vom 29. Juni 1998 einer erneuten Klage auf Rückzahlung des Darlehens nicht entgegenstehe. Der Kläger habe nämlich mit der zwischenzeitlich eingetretenen Fälligkeit seiner Forderung eine neue Tatsache eingeführt, die geeignet sei, die rechtskräftig festgestellte Rechtslage zu seinen Gunsten zu verändern. Für kontradiktorische Urteile, in denen eine Klage wegen fehlender Fälligkeit abgewiesen worden sei, sei allgemein anerkannt, daß deren Rechtskraft einer neuen Klage nach Eintritt der Fälligkeit nicht entgegenstehe. Entgegen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 35, 338), die berechtigte Kritik erfahren habe, könne aber auch bei einem gegen den Kläger ergangenen Versäumnisurteil die Rechtskraft der Entscheidung die Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht ausschließen. Die Klage sei auch begründet, weil die von der Beklagten am 1. Oktober 1995 unterzeichnete Erklärung ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis enthalte und die Beklagte daher mit ihren Einwendungen gegen Grund und Höhe des Rückzahlungsanspruchs ausgeschlossen sei. Die Anfechtung dieser Erklärung sei wirkungslos, weil der Beklagten kein Anfechtungsgrund zur Seite stehe. Die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs ergebe sich aus der zwischenzeitlichen Zahlung des ehemaligen Vermieters der Beklagten. II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Amtsgericht darin zuzustimmen, daß die Rechtskraft des landgerichtlichen Versäumnisurteils vom 29. Juni 1998 der Zulässigkeit einer erneuten Klage auf Rückzahlung des Darlehens entgegensteht. 1. Im Vorprozeß ist der Streit der Parteien um den angeblichen Rückzahlungsanspruch des Klägers durch das genannte Versäumnisurteil beendet worden. Seit der Rechtskraft dieses Versäumnisurteils steht daher zwischen den Parteien rechtskräftig fest, daß dem Kläger der streitgegenständliche Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Beklagte nicht zusteht. 2. Eine Einschränkung dieser Rechtskraftwirkung dahin, daß mit dem Versäumnisurteil vom 29. Juni 1998 nur die Unbegründetheit der Klageforderung zum damaligen Zeitpunkt rechtskräftig feststehe und dies die Zulässigkeit einer erneuten, auf neue Tatsachen gestützten gerichtlichen Geltendmachung derselben Forderung unberührt lasse, ist nicht möglich. a)
Die Rechtskraftwirkung eines Urteils, mit dem die Klage wegen Fehlens
eines bestimmten Tatbestandsmerkmals (z.B. mangelnde Fälligkeit des
Anspruchs) als - zur Zeit - unbegründet abgewiesen wird, kann zwar dahin
eingeschränkt sein, daß sie der späteren klageweisen Geltendmachung
desselben Anspruchs mit der Begründung, daß das bisher fehlende
Tatbestandsmerkmal nunmehr gegeben sei, nicht entgegensteht. Das setzt
aber stets voraus, daß die Auslegung des Vorurteils ergibt, daß die Klage
gerade wegen des Fehlens des Tatbestandsmerkmals, dessen Vorliegen in dem
neuen Prozeß dargetan werden soll, abgewiesen worden ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BGHZ 35, 338, 340 f.; BGH, Urteil vom 28.
September 2000 - VII ZR 57/00, NJW-RR 2001, 310, jeweils m.w.Nachw.). Eine
derartige Feststellung läßt sich indes bei einem die Klage abweisenden
Versäumnisurteil nicht treffen. Bei Säumnis des
Klägers wird die Klage nicht auf Schlüssigkeit und Begründetheit geprüft,
sondern ihre Abweisung erfolgt nach der gesetzlichen Regelung des § 330
ZPO (gegebenenfalls i.V. mit § 333 ZPO) allein aufgrund der Säumnis des
Klägers mit der Wirkung, daß er mit seiner Klage schlechthin abgewiesen
wird. Auf die Gründe des Klägers, das Versäumnisurteil gegen sich ergehen
zu lassen, oder darauf, wie bei dem gegebenen Sach- und Streitstand im
Falle eines kontradiktorischen Urteils die Entscheidung hätte lauten
können oder müssen, kommt es dabei nicht an. Daher haben sowohl das
Reichsgericht (RGZ 7, 395, 397 f.) als auch der Bundesgerichtshof (BGHZ
35, 338, 340 f.) es abgelehnt, die Rechtskraft eines klageabweisenden
Versäumnisurteils in dem vom Berufungsgericht für richtig gehaltenen Sinne
einzuschränken.
|