Gewährleistung beim Reisemangel;
Anzeigeobliegenheit des Reisenden (§ 651d II BGB)
BGH, Urteil vom 19. Juli 2016 - X ZR
123/15 - LG Düsseldorf
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Anzeige eines
Reisemangels durch den Reisenden ist nicht schon deshalb entbehrlich, weil
dem Reiseveranstalter der Mangel bereits bekannt ist.
Zentrale Probleme:
Nach § 651d II BGB findet eine Reisepreisminderung
dann nicht statt, wenn und soweit der Reisende es schuldhaft unterlässt, den
Mangel beim Reiseveranstalter anzuzeigen. Diese Regelung wird seit jeher
auch auf den Schadensersatzanspruch aus § 651f BGB angewendet. Hier geht es
um die strittige Frage, ob die Anzeigeobliegenheit entfällt, wenn dem
Reiseveranstalter der Mangel bekannt ist. Der BGH verneint das im Hinblick
auf die besondere Zielrichtung von § 651d II BGB, dem er - auch im Vergleich
mit der Anzeigepflicht des Mieters nach § 536c BGB - insbesondere die
Funktion eines Abhilfeverlangens zuspricht. Zur Entbehrlichkeit des
Abhilfeverlangens nach § 651c II BGB s. auch
BGH v. 17.4.2012 - X ZR 76/11.
©sl 2016
Tatbestand:
1 Der Kläger buchte bei der beklagten
Reiseveranstalterin eine Reise für sich und seine Ehefrau nach Teneriffa von
12. bis 25. September 2014. Vereinbart war die Unterbringung in einem Hotel
in Puerto de la Cruz. Während des gesamten Aufenthalts fanden im
Eingangsbereich des Hotels und auf einem benachbarten Grundstück Bauarbeiten
statt, die tagsüber mit erheblicher Lärmentwicklung verbunden waren. Der
Kläger und seine Ehefrau beanstandeten dies gegenüber der zuständigen
Reiseleiterin am 22. September 2014.
2 Der Kläger macht aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau
eine Minderung des Reisepreises und eine Entschädigung wegen nutzlos
aufgewendeter Urlaubszeit wegen des Baulärms und weiterer Mängel geltend.
Nachdem die Beklagte die Klageforderung in Höhe von 253 Euro anerkannt
hatte, hat das Amtsgericht diesen Betrag durch Teilanerkenntnisurteil
zugesprochen. Hinsichtlich der verbliebenen Klageforderung hat das
Amtsgericht die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das
Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger wegen des Baulärms
1.285,52 Euro nebst Zinsen abzüglich des durch Teil-Anerkenntnisurteil
zugesprochenen Betrags sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe
von 201,71 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Hinsichtlich weiterer Beanstandungen
des Klägers blieb seine Berufung erfolglos. Gegen dieses Urteil wendet sich
die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der
sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des
Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
4 I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung, soweit für den
Revisionsrechtszug von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
5 Der Reisepreis sei wegen des von den Bauarbeiten im Hotel und in der
Umgebung ausgehenden erheblichen Lärms für die gesamte dreizehntägige Reise
um 40% gemindert. Auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage,
ob die Reisenden dies schon zu Beginn ihres Aufenthalts gegenüber der
örtlichen Reiseleitung gerügt hätten, komme es nicht an. Sei dem
Reiseveranstalter - wie hier - der Mangel positiv bekannt, sei eine
Mangelanzeige entbehrlich. Liege nach den Umständen objektiv ein
Reisemangel vor, trete die Minderung des Reisepreises kraft Gesetzes ein.
Die in § 651d Abs. 2 BGB vorgesehene Mangelanzeige diene in erster Linie
dazu, den Reiseveranstalter über ihm unbekannte Mängel zu informieren, damit
er gegebenenfalls Abhilfe schaffen könne. Sei ihm der Mangel bereits
bekannt, werde das primäre Ziel der Norm auch ohne Mangelanzeige erreicht;
diese gleichwohl zu fordern sei in solchen Fällen bloße Förmelei. Bei den in
Rede stehenden Bauarbeiten handele es sich nicht um Mängel, bei denen der
Reiseveranstalter habe annehmen können, sie stellten nur für einen Teil der
Reisenden eine Beeinträchtigung dar.
6 Der Reisepreis sei danach um 633,32 Euro gemindert, zudem stehe dem Kläger
eine angemessene Entschädigung wegen vertaner Urlaubszeit in gleicher Höhe
zu. Schließlich könne er anteilige Erstattung außergerichtlicher
Rechtsanwaltskosten verlangen.
7 II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand.
8 Die bislang getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schluss des
Berufungsgerichts, Ansprüche des Klägers auf Erstattung eines Teils des
Reisepreises wegen Minderung und auf Zahlung einer Entschädigung wegen
vertaner Urlaubszeit in der zuerkannten Höhe seien für die gesamte Dauer der
Reise unabhängig davon begründet, ob schon vor dem 22. September 2014 eine
Mangelanzeige erfolgte.
9 1. Nach § 651c Abs. 1 BGB ist der Reiseveranstalter verpflichtet,
die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften hat und
nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem
gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder
mindern.
Ist die Reise in diesem Sinne mangelhaft, mindert sich gemäß § 651d Abs. 1
BGB für die Dauer des Mangels der Reisepreis nach Maßgabe des § 638 Abs. 3
BGB.
10 Das Landgericht hat festgestellt, dass während ihres Aufenthalts in dem
von den Reisenden gebuchten Hotel, auch in unmittelbarer Nähe ihres Zimmers,
sowie in dessen Umgebung Bauarbeiten stattfanden, die tagsüber durchgängig
mit einem außerordentlich hohen Geräuschpegel verbunden waren. Darin liegt,
wie die Beklagte nicht in Abrede stellt, ein Reisemangel. Nach den
Feststellungen des Landgerichts war der Beklagten dieser Mangel bekannt.
11 2. Die Minderung des Reisepreises tritt nach § 651d Abs. 2 BGB
nicht ein, soweit es der Reisende schuldhaft unterlässt, den Mangel
anzuzeigen. Auch der Schadensersatzanspruch gemäß § 651f BGB setzt
grundsätzlich eine Mangelanzeige voraus (BGH, Urteil vom 20.
September 1984 - VII ZR 325/83, BGHZ 92, 177).
12 a) In Rechtsprechung (AG Neuruppin, RRa 2008, 31; LG Hannover, Urteil vom
9. September 2010 - 14 O 38/08, in Juris) und Literatur (Tamm in BeckOGK,
Stand: März 2016; § 651d BGB Rn. 69 ff.; Geib in BeckOK BGB, Stand: Mai
2016, § 651d Rn. 5; Eckert in Soergel, BGB, 12. Aufl., § 651d Rn. 7; Tonner
in MünchKomm.BGB, 6. Aufl., § 651d Rn. 12; Staudinger in Staudinger, BGB,
Bearbeitung 2016, § 651d Rn. 29; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 651d Rn.
4; Jauernig/Teichmann, BGB, 16. Aufl., § 651d Rn. 2; Keller in JurisPK-BGB,
Stand: Oktober 2014, § 651d Rn. 6; Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 8 Rn.
16; Humberg, VuR 2010, 394, 395) wird zum Teil die Auffassung
vertreten, die Minderung des Reisepreises trete unabhängig von einer
Mangelanzeige ein, wenn dem Reiseveranstalter oder der für ihn tätigen
örtlichen Reiseleitung der Mangel positiv bekannt sei. Dieser
Auffassung hat sich das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung
angeschlossen.
13 Nach der Gegenansicht ist die Mangelanzeige auch dann nicht entbehrlich,
wenn dem Reiseveranstalter der Mangel bekannt ist (LG Duisburg, RRa 2003,
114; RRa 2006, 22; RRa 2008, 171; LG Frankfurt, RRa 2008, 79; Niehuus,
Reiserecht in der anwaltlichen Praxis, 3. Aufl., S. 166; Schmid in Erman,
BGB, 14. Aufl., § 651d Rn. 11).
14 b) Letztere Ansicht trifft zu.
15 aa) § 651d Abs. 2 BGB begründet eine Obliegenheit des Reisenden, einen
Reisemangel anzuzeigen. Verletzt der Reisende diese Obliegenheit schuldhaft,
steht ihm regelmäßig ein Anspruch auf Minderung nicht zu. Nach
Auffassung des Gesetzgebers soll die Anzeige des Mangels dem
Reiseveranstalter Gelegenheit geben, dem Mangel abzuhelfen und für die
Zukunft eine vertragsgemäße Leistung sicherzustellen (BT-Drucks.
8/2343, S. 10). Sie liegt im berechtigten Interesse des Reiseveranstalters,
der die Möglichkeit haben soll, dem Mangel abzuhelfen und damit
Gewährleistungsansprüche zu vermeiden oder zu begrenzen. Eine Mangelanzeige
mit Abhilfeverlangen, die regelmäßig nur geringe Mühe macht, liegt aber auch
im wohlverstandenen Interesse des Reisenden an einem möglichst ungestörten
Urlaub. Mängel, die zu beheben sind, stillschweigend in Kauf zu nehmen, um
nach Beendigung der Reise daraus Ansprüche herleiten zu können, entspricht
dagegen nicht redlicher Vertragsabwicklung.
16 bb) Der Zweck einer Mangelanzeige nach § 651d Abs. 2 BGB kann
nicht erreicht werden, wenn dem Reiseveranstalter eine Abhilfe nicht möglich
war (BGHZ 92, 177 zu § 651f BGB). In diesem Fall ist eine
Mangelanzeige - entgegen einer zum Teil vertretenen Auffassung (LG
Düsseldorf, RRa 2001, 51 und 200; RRa 2005, 64; Schmid in Erman, BGB, 14.
Aufl., § 651d Rn. 12) - entbehrlich. Gleiches
gilt, wenn der Reiseveranstalter von vornherein und unmissverständlich zu
erkennen gibt, zur Abhilfe nicht bereit zu sein (BGH,
Urteil vom 17. April 2012 - X ZR 76/11, NJW 2012, 2107
Rn. 23, zu § 651 c BGB).
17 cc) Demgegenüber genügt die Kenntnis des Reiseveranstalters von
einem Reisemangel als solche nicht, um die in § 651d Abs. 2 BGB bestimmte
Folge des Unterbleibens einer Mangelanzeige auszuschließen.
18 Ein Reiseveranstalter kann bei einem ihm bekannten Mangel dem
Reisenden zwar auch ohne Anzeige Abhilfe anbieten. Der Umstand, dass dies
nicht geschieht, rechtfertigt aber nicht die Schlussfolgerung, dass der
Reiseveranstalter dazu nicht in der Lage oder nicht willens ist. Gerade in
dieser Situation ermöglicht es die im Gesetz vorgesehene Mangelanzeige, für
beide Vertragsparteien klare Verhältnisse zu schaffen. Für den
Reisenden stellt das Anzeigeerfordernis schon deshalb keine unzumutbare
Erschwernis dar, weil Mängel der Reise nach Art und Gewicht sehr
unterschiedlich sein können und von unterschiedlichen Reisenden, je nach
deren persönlichen Ansichten, Verhältnissen und Bedürfnissen häufig sehr
unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden.
19 dd) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 536c BGB,
wonach der Mieter nicht verpflichtet ist, dem Vermieter einen Mangel der
Mietsache anzuzeigen, wenn dieser bereits Kenntnis von dem Mangel hat
(BGH, Urteil vom 4. April 1977 - VIII ZR 143/75, BGHZ 68, 281, 284f.; Urteil
vom 14. November 2001 - XII ZR 142/99, NJW-RR 2002, 515, 516; Urteil vom 13.
Juli 2010 - VIII ZR 129/98, WM 2011, 285 Rn. 30), ist auf die hier
in Rede stehende Konstellation nicht übertragbar.
20 Der Gesetzgeber hat dem Mieter diese Verpflichtung auferlegt, weil der
Vermieter während der Dauer der Mietzeit vom Besitz der Mietsache
ausgeschlossen und daher regelmäßig nur der Mieter in der Lage ist, etwaige
Mängel zu entdecken. Die Anzeigepflicht nach § 536c BGB ist damit
Ausfluss der allgemeinen Pflicht des Mieters zur Obhut der Mietsache
(BGHZ 68, 281, 285). Sie verfolgt den Zweck, die Mietsache vor
Schäden zu bewahren.
21 Die Zielrichtung von § 651d Abs. 2 BGB ist eine andere. Der
Reiseveranstalter hat typischerweise durch die für ihn an Ort und Stelle
tätige Reiseleitung die gleichen Möglichkeiten wie der Reisende, etwaige
Mängel zu bemerken. Der Zweck der Mangelanzeige liegt aus den bereits
genannten Gründen in erster Linie darin, dem Reiseveranstalter die
Prüfung zu ermöglichen, ob er den Mangel beheben oder auf andere Weise
Abhilfe schaffen kann.
22 3. Eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich. Das
Landgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - weder
Feststellungen dazu getroffen, ob eine Abhilfe möglich war, noch Beweis über
die Behauptung des Klägers erhoben, er habe den Mangel bereits am 15.
September 2012 angezeigt. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und
die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuweisen.
23 a) Eine Abhilfe ist hier nicht schon nach der Art des Mangels
ausgeschlossen. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass die gesamte
Anlage, in der die Reisenden untergebracht waren, durch den Baulärm
beeinträchtigt war. Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, ob bei
rechtzeitiger Mangelanzeige eine Abhilfe auf andere Weise, etwa durch die
Unterbringung der Reisenden in einem anderen Hotel, möglich gewesen wäre.
24 b) Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass § 531 Abs. 1 ZPO einer
Beweisaufnahme zu der Behauptung des Klägers, er habe den Mangel schon am
15. September 2014 mündlich angezeigt, nicht entgegensteht.
25 Das Amtsgericht hat die Vernehmung der vom Kläger hierfür benannten
Zeugin mit der Begründung abgelehnt, der zu einer früheren Mangelanzeige
gehaltene Vortrag sei zurückzuweisen, weil seine Zulassung einen weiteren
Termin zur Beweisaufnahme, in dem die Ehefrau des Klägers zu vernehmen wäre,
erforderlich gemacht und damit zu einer Verzögerung der Erledigung des
Rechtsstreits geführt hätte. Diese Begründung ist, worauf die
Revisionserwiderung zu Recht hinweist, unzutreffend, weil die Ehefrau des
Klägers, die von ihm als Zeugin benannt ist, präsent war, ihre Vernehmung
also sofort hätte erfolgen können, wodurch sich die Erledigung des
Rechtsstreits nicht verzögert hätte. Die Präklusion des Klägers im ersten
Rechtszug ist mithin nicht zu Recht erfolgt. Die Zurückweisung des
Vorbringens des Klägers wäre zwar verfahrensfehlerfrei unter Hinweis darauf
möglich gewesen, dass je nach dem Ergebnis der Vernehmung der vom Kläger
benannten Zeugin eine Vernehmung der von der Beklagten gegenbeweislich
benannten, im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht nicht
anwesenden Reiseleiterin erforderlich hätte werden können (BGH, Urteil vom
26. März 1982 - V ZR 149/81, BGHZ 83, 310, 312). Dem Berufungsgericht ist es
jedoch verwehrt, eine fehlerhafte Begründung der Verzögerung gegen eine
andere auszutauschen (BGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 - VIII ZR 204/82,
NJW 1990, 1302, 1304; Urteil vom 22. Februar 2006 - IV ZR 56/05, BGHZ 166,
227 Rn. 12).
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