Arglistiges Verschweigen
eines Werkmangels durch unterlassene Überprüfung bei arbeitsteiliger
Herstellung
BGH, Urt. v. 30. November
2004 - X ZR 43/03
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Der Werkunternehmer, der das Werk arbeitsteilig
herstellen läßt, muß die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um
sachgerecht beurteilen zu können, ob das Werk bei Ablieferung mangelfrei
ist. Unterläßt er dies und wäre der Mangel bei richtiger Organisation
entdeckt worden, verjähren Gewährleistungsansprüche des Bestellers wie bei
arglistigem Verschweigen des Mangels. Das gilt unabhängig davon, ob der
Werkvertrag ein Bauwerk oder ein anderes Werk betrifft (Fortführung von BGHZ
117, 318).
Zentrale Probleme:
Es geht - im Anschluß an
den "Dachpfetten-Fall" BGHZ 117, 318 - um die Frage, wann arglistiges
Verschweigen eines Werkmangels vorliegt. Das Problem stellt sich hier im
Rahmen der Verjährung nach früheren Schuldrecht (§ 638 I BGB a.F.). Nach
neuem Recht unterläge die Haftung der zweijährigen Verjährungsfrist des §
634a I Nr. 1 BGB, die gem. § 643a II mit der Abnahme begonnen hätte. Der
Anspruch wäre also ebenfalls verjährt gewesen, wenn nicht wegen arglistigen
Verschweigens eines Mangels gem. § 634a III BGB die regelmäßige
Verjährungsfrist des § 195 BGB gegolten hätte, deren Beginn gem. § 199 I BGB
anders als die werkvertragliche Verjährung von subjektiven Kriterien
abhängt. Damit ist die hier entschiedene Frage auch im neuen Schuldrecht von
Relevanz, wenngleich durch die Verlängerung der werkvertraglichen Verjährung
wohl etwas entschärft. S. auch die Anm. zu
BGH v. 11.10.2007 - VII ZR 99/06.
©sl 2005
Tatbestand:
Der Kläger hatte aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit F. B. dessen
durch einen Unfall beschädigten Pkw zu reparieren, behindertengerecht
auszustatten und zu lackieren. Bestimmte Reparaturarbeiten, u.a. das Richten
der Fahrzeugkarosserie, übertrug der Kläger durch entgeltlichen Vertrag der
Beklagten, die ihrerseits die Autohaus Ba. GmbH beauftragte. Im Rahmen eines
von F. B. angestrengten Beweissicherungsverfahrens stellte der beauftragte
Sachverständige u.a. fest, daß trotz der von dem Autohaus durchgeführten
Reparaturarbeiten die Rahmenlängsträger einen starken Knick aufwiesen.
Der Kläger, der das Fahrzeug von der Beklagten im April 1998 zurückerhalten
hatte, wurde wegen mangelhafter Ausführung der durch das Autohaus
vorgenommenen Reparatur zur Zahlung von 5.945,81 € an F. B. verurteilt.
Diesen Betrag (nebst Zinsen) verlangt der Kläger mit seiner am 4. Juli 2002
beim Landgericht eingereichten und am 11. Juli 2002 zugestellten Klage
nunmehr von der Beklagten.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das
Oberlandesgericht hat dieses Urteil abgeändert und die Klage wegen der von
der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede abgewiesen.
Der Kläger verfolgt sein Zahlungsbegehren mit der Revision weiter. Die
Beklagte tritt diesem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Berufungsgericht
zugelassene und auch sonst zulässige Revision des Klägers führt zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht ist mangels gegenteiligen Vortrags des Klägers davon
ausgegangen, daß die Beklagte die behaupteten Mängel des Werks, das sie dem
Kläger schuldete, nicht erkannt hat. Es hat deshalb den nach § 638 Abs. 1
BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (a.F.) zu
verlängerter Verjährungsfrist führenden Ausnahmetatbestand eines arglistigen
Verschweigens eines Werkmangels durch den Unternehmer für nicht gegeben
erachtet. Daran - so führt das Berufungsgericht weiter aus - ändere auch die
höchstrichterliche Rechtsprechung nichts, wonach bei Verlagerung der
Herstellung des Werks auf einen Subunternehmer der Werkunternehmer wie ein
arglistig Handelnder zu behandeln sein könne, wenn es ihm bei richtiger
Organisation möglich gewesen wäre, den Mangel zu entdecken. Denn diese
Rechtsprechung sei bei arbeitsteiliger Herstellung eines Bauwerks
sachgerecht, weil insoweit besondere und gesteigerte Überwachungs- und
Prüfungspflichten bestünden. Im Streitfall, in dem der Subunternehmer nur
mit einer einzelnen Aufgabe betraut worden sei, sei das Bestehen einer
solchen gesteigerten Prüfungs- und Überwachungspflicht jedoch nicht zu
erkennen.
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
2. Arglistig verschweigt, wer sich bewußt ist, daß ein bestimmter Umstand
für die Entschließung des Vertragsgegners von Erheblichkeit ist, und nach
Treu und Glauben verpflichtet ist, diesen Umstand mitzuteilen, ihn aber
gleichwohl nicht offenbart (BGHZ 62, 63, 66). Ist ein Werkmangel
betroffen, setzt das an sich Kenntnis vom Mangel voraus (MünchKomm./Soergel,
BGB, 3. Aufl., § 638 Rdn. 32 m.w.N.). Diese Kenntnis muß allerdings nicht
der Unternehmer selbst haben. Da er gemäß § 278 BGB für Verhalten von
Erfüllungsgehilfen einzustehen hat, reicht es aus, wenn die Kenntnis vom
Mangel bei einer der Personen vorhanden ist, derer sich der Unternehmer im
Hinblick auf seine Offenbarungspflicht bedient (BGHZ aaO). Das sind nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung, die in der Literatur weitgehend
Zustimmung gefunden hat, diejenigen Hilfspersonen, die der Unternehmer mit
der Ablieferung des Werks an den Besteller betraut hat oder die für den
Unternehmer dabei mitgewirkt haben, sowie Personen, die vom Unternehmer
(auch) mit der Prüfung des Werks auf Mangelfreiheit betraut sind, wenn
allein deren Wissen und ihre Mitteilung den Unternehmer in den Stand
versetzen, seine Offenbarungspflicht gegenüber dem Besteller zu erfüllen (BGHZ
117, 318, 320; BGHZ 62, 63, 68; BGHZ 66, 43, 45).
a) Würde man einschränkungslos auf das Erfordernis der Kenntnis des
Unternehmers oder besagter Hilfspersonen abstellen, könnte der Unternehmer
sich freilich der verlängerten Haftung entziehen, indem er die Herstellung
des Werks durch Dritte erledigen läßt, ohne deren Arbeitsleistung und deren
Ergebnis entweder selbst zu überprüfen oder sich hierzu eines anderen zu
bedienen, und indem er auch bei der Ablieferung des Werks niemand
hinzuzieht. Überträgt der Unternehmer - wie hier die Beklagte - die
Werkleistung einem Subunternehmer zur eigenverantwortlichen Ausführung, wäre
diese Möglichkeit eröffnet, wenn der Subunternehmer sich entsprechend
verhielte. Der Zeitraum, über den eine Haftung des Unternehmers wegen eines
Mangels des von ihm geschuldeten Werks in Betracht kommt, wäre also davon
abhängig, ob der Unternehmer das Werk als Alleinunternehmer herstellt oder
arbeitsteilig herstellen läßt und wie die arbeitsteilige Herstellung
unternehmerseits organisiert ist. Das ist nicht in Einklang zu bringen mit
der sonstigen Regelung der Mangelhaftung beim Werkvertrag. Denn danach kommt
es nicht darauf an, ob derjenige, der sich zur Herstellung eines Werks
verpflichtet, dieses auch selbst herstellt oder unter Hinzuziehung Dritter
herstellen läßt. Eine Verlagerung der Herstellung ändert insbesondere nichts
daran, daß dem Besteller gegenüber allein der Unternehmer für die
fehlerfreie Herstellung des Werks zu sorgen hat. Bei arbeitsteiliger
Herstellung tritt deshalb zu der Hauptpflicht aus dem Werkvertrag die
Pflicht hinzu, diesen Herstellungsprozeß angemessen zu überwachen und das
Werk vor Abnahme zu überprüfen. Mit diesem Pflichtenkatalog würde der
Unternehmer sich in Widerspruch setzen, wenn er aus der arbeitsteiligen
Herstellung und deren Organisation die oben erörterten Vorteile ziehen
könnte. Es ist deshalb eine von der Intention des Gesetzes her gebotene
Auslegung des § 638 Abs. 1 BGB a.F., den Unternehmer, der tatsächlich keine
positive Kenntnis vom Mangel seines Werks hat, wie eine Person zu behandeln,
die diese Kenntnis besitzt, wenn er die organisatorischen Voraussetzungen
nicht geschaffen hat, daß von ihm oder einem der oben genannten
Erfüllungsgehilfen sachgerecht beurteilt werden kann, ob das Werk bei
Ablieferung mangelfrei ist, und bei entsprechender Organisation der Mangel
von ihm oder einer dieser besagten Personen entdeckt worden wäre.
b) Diese Konsequenz ist vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der
Entscheidung vom 12. März 1992 (BGHZ 117, 318), auf die sich der Kläger
gegenüber der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede gestützt und
deren Heranziehung das Berufungsgericht auch erwogen hat, zwar in einem Fall
herausgearbeitet worden, in dem der Unternehmer ein Bauwerk arbeitsteilig
hatte herstellen lassen. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, hat diese
Rechtsprechung Berechtigung jedoch nicht nur bei Verträgen aus diesem
Bereich. Es geht entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht um eine
gesteigerte Prüfungs- und Überwachungspflicht, wie sie bei arbeitsteiliger
Herstellung gerade das Baurecht kennzeichnet, sondern darum, es nicht
unternehmerischer Gestaltung zu überlassen, innerhalb welcher der im Gesetz
genannten Fristen der Besteller wegen etwaiger Mängel des Werks
Gewährleistungsansprüche geltend machen kann, ohne sich der
Verjährungseinrede auszusetzen. Eine derartige Gestaltung kommt unabhängig
vom Gegenstand des Werkvertrags in Betracht. Die erörterte Auslegung von §
638 Abs. 1 BGB a.F. muß daher bei allen Werkverträgen die Anwendung dieser
Vorschrift bestimmen.
c) Erst bei der Anwendung von § 638 Abs. 1 BGB a.F. nach Maßgabe der
erörterten Auslegung können sich Unterschiede ergeben. Denn die Frage nach
der richtigen Organisation beim Unternehmer kann unterschiedlich zu
beantworten sein, je nach dem welches Werk hergestellt werden sollte.
Insoweit ist eine fallbezogene Prüfung notwendig. So wird der Unternehmer,
der ein schwierig herzustellendes Werk abzuliefern hat, für andere Maßnahmen
der Überwachung und Prüfung zu sorgen haben als der Unternehmer, der ein
einfaches Produkt, dieses aber massenweise herzustellen hat. Angesichts der
Bindung der Vertragsparteien an Treu und Glauben ist Maßstab für die
insoweit anzustellende fallbezogene Prüfung, welche organisatorischen
Vorkehrungen von einem sich seiner Verpflichtung zur Ablieferung des Werks
in mangelfreiem Zustand bewußten und hierauf bedachten Unternehmer unter den
Umständen des konkreten Falls erwartet werden können und ihm zuzumuten sind,
um, obwohl er das Werk nicht allein hergestellt hat, beurteilen zu können,
ob es bei Ablieferung mangelfrei ist. Das ist eine Frage der Abwägung; sie
läßt sich deshalb im Streitfall nicht mit dem bloßen Hinweis des
Berufungsgerichts beantworten, die Beklagte habe keine komplette
Fahrzeugvermessung geschuldet. Das angefochtene Urteil kann mithin keinen
Bestand haben.
3. Entgegen der Meinung der Revision kann der Senat nicht zugunsten des
Klägers in der Sache durchentscheiden. Eine Verurteilung der Beklagten kommt
- wie ausgeführt - nur unter zwei Voraussetzungen in Betracht: Die Beklagte
muß die zu erwartende und zumutbare Organisation des Herstellungsprozesses
und der Überprüfung unterlassen haben. Es muß ferner davon ausgegangen
werden können, daß die Mängel, deretwegen der Kläger Gewährleistung begehrt,
bei richtiger Organisation von der Beklagten oder einer der insoweit als
deren Erfüllungsgehilfen in Betracht kommenden Person entdeckt worden wären.
Für beide Voraussetzungen ist der Kläger darlegungs- und im Bestreitensfalle
beweispflichtig, weil er sich darauf beruft, daß die im Gesetz geregelte
Ausnahme von der normalen gesetzlichen Verjährungsfrist eingreift ("sofern
nicht ..."). Gegebenenfalls streiten für den Kläger jedoch dargelegte oder
unstreitige Indizien. So hat der Bundesgerichtshof anerkannt, daß aus einem
gravierenden Mangel an besonders wichtigen Gewerken oder aus einem besonders
auffälligen Mangel an weniger wichtigen Bauteilen der Schluß auf eine
mangelhafte Organisation von Überwachung und Überprüfung gerechtfertigt sein
kann (BGHZ 117, 318, 322). Für die weitere Voraussetzung voraussichtlicher
Kenntniserlangung auf seiten des Unternehmers gilt insoweit nichts anderes.
Hinsichtlich der danach sich auch im Streitfall stellenden Fragen fehlen
bislang jedoch ausreichende tatrichterliche Feststellungen. Das
Berufungsgericht mußte sich von seinem Rechtsstandpunkt aus gesehen nicht
damit befassen, was sich im Hinblick auf die beiden genannten
Voraussetzungen aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem Vorbringen des
Klägers ergibt; in dem angefochtenen Urteil fehlen deshalb insoweit auch
jegliche Feststellungen. Das Landgericht hat zwar angenommen, die Beklagte
sei der Pflicht zur Überprüfung der Arbeiten ihres Subunternehmers nicht
nachgekommen, hat aber nicht ausgeführt, aufgrund welcher festgestellten
Tatsachen es zu dieser Annahme gekommen ist. Mangels tatrichterlicher
Aufklärung entscheidungserheblicher Fragen muß der Rechtsstreit deshalb an
das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. |