Persönlicher Anwendungsbereich der §§ 474 ff BGB, Begriff des Verbrauchers und Parteiwille, Beschaffenheitsvereinbarung und zwingendes Recht (§ 475 BGB); Mangel(zeitpunkt)vermutung (§ 476 BGB)


AG Zeven, Urt. v. 19.12.2002 - 3 C 242/02


Fundstelle:

ZGS 2003, 158


Zentrale Probleme:

Die sehr pragmatisch begründete Entscheidung berührt einige zentrale Probleme des Kaufrechts und insbesondere der Verbrauchsgüterkaufrechts (§§ 474 ff BGB). Zutreffend sind die Aussagen zur Frage des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Regeln, der gerade nicht zur Disposition der Parteien steht. Sehr problematisch sind die Ausführungen zur Vermutung des § 476 BGB. Dies gilt sowohl für die sehr widersprüchliche Tatsachendarstellung (einerseits wird dargelegt, daß ein Katalysator nicht verschleißen kann, sondern „entweder in Ordnung oder defekt“ ist, andererseits wird festgestellt, daß der Fehler 2 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs "auftrat") als auch für die rechtliche Wertung. Fraglich ist insbesondere, ob bei gebrauchten Sachen die Vermutung des § 476 BGB überhaupt greift und nicht „mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar“ ist (so die Begr. des Regierungsentwurfs zu § 476, BT-Drucks. 14/6040 S. 245). Wenngleich man das sicher nicht pauschal bejahen kann, ist diese Frage im vorliegenden Fall jedenfalls zu problematisieren.
Zutreffend sind hingegen die Ausführungen des Gerichts zum Problem der Beschaffenheitsvereinbarung in Konkurrenz zu § 475 I BGB, d.h. dem zwingenden Charakter der Regelungen über die verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfe des Verbrauchers: Auch im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs verbleibt die Möglichkeit einer Beschaffenheitsvereinbarung im Rahmen des subjektiven Fehlerbegriffs (§ 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1). Es ist somit ohne weiteres möglich, einen Gegenstand etwa als „nicht funktionsfähig“ zu verkaufen und auf diese Weise eine Haftung für die Funktionsfähigkeit (mittelbar) auszuschließen. Dabei ist freilich primär nicht allein auf den Wortlaut der jeweiligen Vereinbarung, sondern auf den übereinstimmenden tatsächlichen Willen der Parteien abzustellen, so daß etwa die bloße Bezeichnung eines als funktionsfähig und zum Betrieb durch den Verkäufer verkauften Gebrauchtwagens als „Bastlerfahrzeug“ oder als „Metallschrott“ als bloße „falsa demonstratio“ nicht zu einem Ausschluß der Mängelhaftung des Verkäufers führt (das Gericht spricht zutreffend von einer „nicht ernst gemeinten Vereinbarung). Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus der Auslegung der Parteivereinbarung, so daß insoweit ein Rückgriff auf das Umgehungsverbot des § 475 I 2 gar nicht erforderlich ist. Ein wichtiges Auslegungskriterium für den von den Parteien wirklich gewollten Vertragsinhalt stellen dabei die vereinbarte Gegenleistung oder – wie hier – ein Zustands- und Prüfbericht dar. Wird also etwa für ein nach dem Vertragswortlaut als „Bastlerfahrzeug“ verkauftes Kfz ein gängiger Marktpreis vereinbart, entspricht nur ein tatsächlich verkehrstaugliches Fahrzeug der tatsächlich vereinbarten Beschaffenheit.

Zu beachten ist weiter Folgendes:

- Der Verkäufer hätte hier Schadensersatzansprüche des Käufers vertraglich innerhalb der allgemeinen Grenzen der §§ 138, 305 ff BGB ausschließen oder beschränken können. Zwingend sind nur die Rechtsbehelfe nach § 437 Nr. 1 und 2 BGB.

- Für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist zu beachten, daß in Bezug auf Pflichtverletzung/Vertretenmüssen zwischen den geltend gemachten Schadensposten zu unterscheiden ist. Der Anspruch auf Ersatz der Nacherfüllungskosten ergibt sich aus §§ 280 I, III, 281 BGB. Es handelt sich um eine Schadenersatz statt der Leistung, der auf die Nichterfüllung der Nacherfüllungspflicht aus § 439 BGB zurückzuführen ist. Hinsichtlich des (nach § 280 I 2 BGB vermuteten) Vertretenmüssens genügt es also, wenn der Verkäufer die Nichtvornahme der Nacherfüllung zu vertreten hat (was i.d.R. der Fall ist). Darauf, ob er die ursprüngliche Lieferung einer mangelhaften Sache (d.h. die Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2) selbst zu vertreten hatte (etwa, weil er den Mangel kannte oder kennen mußte), kommt es insoweit nicht an. Anders ist dies hinsichtlich des Schadens, der durch Erforderlichkeit einer erneuten Abgasuntersuchung (ASU) entstanden ist. Dieser Schaden ist Bestandteil des Schadensersatzes „neben“ der Leistung, weil er bereits endgültig durch die Lieferung der mangelhaften Sache, jedenfalls aber vor Ablauf der Nacherfüllungsfrist endgültig, d.h. irreversibel eingetreten ist. Er ist allein durch die Verletzung der Pflicht aus § 433 I 2 verursacht und setzt daher – anders als der Anspruch auf Ersatz der Nacherfüllungskosten – voraus, daß der Verkäufer den Mangel selbst i.S.v. § 276 BGB zu vertreten hat, was i.d.R. Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Mangels voraussetzt (was hier zumindest fraglich ist, freilich aber ebenfalls nach § 280 I 2 widerleglich vermutet wird).

©sl 2003


Zum Sachverhalt:

Der Kläger verlangt Schadensersatz statt der Leistung aus einem Kaufvertrag.
Die Beklagte betreibt den Handel mit Pkw. Der Kläger kaufte von der Beklagten gemäß Kaufvertrag v.12.1.2002 einen gebrauchten Pkw Opel Astra Caravan für 6.902 €. Vor Vertragsabschluss wurde durch einen Dritten ein „BVSK-Zustandsbericht Gebrauchtwagen" erstellt. Dies geschah auf Veranlassung der Beklagten. Die Kosten i.H.v. 50 € zahlte der Kläger.
Der Kläger forderte die Beklagte durch anwaltliches Schreiben v.23.4.2002 unter Fristsetzung zum 8.5.2002 auf, den defekten Katalysator am Pkw auszutauschen. Die Beklagte verweigerte dies durch anwaltliches Schreiben v. 6.5.2002.
Der Kläger tauschte den Katalysator selbst aus. Er verlangt hierfür gemäß einem Kostenvoranschlag der Firma Opel V. v. 23.4.2002 (...) 781,52 €. Ferner hat er zunächst die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zum Ersatz des weiteren Schadens verpflichtet ist. Nach dem Austausch des Katalysators beziffert der Kläger den weiteren Schaden mit 56.- € für die wiederholte Vorstellung des Fahrzeugs zur Abgassonderuntersuchung und verlangt statt der Feststellung Zahlung dieses Betrages.
Der Kläger trägt vor: Er habe den Pkw zum privaten Gebrauch gekauft. Die anders lautende Regelung in den AGB der Beklagten sei unzutreffend. Als er, der Kläger, das Fahrzeug im März 2002 zur TÜV- und Abgasuntersuchung vorgestellt habe, habe sich gezeigt, dass der Katalysator defekt sei. Der Katalysator sei auch schon zum Zeitpunkt der Übergabe defekt gewesen.
Der Zustandsbericht sage über den Zustand des Katalysators nichts aus. Die Kosten für den Austausch des Katalysators würden sich aus dem Kostenvoranschlag ergeben. Ein wirksamer Gewährleistungsausschluss sei nicht vereinbart.
Die Bekl. trägt vor, daß ihre Zielgruppe selbstständige Gewerbetreibende seien. Auf Grund ihrer Regelung in den AGB sei sie davon ausgegangen, dass der Kläger das Fahrzeug zu gewerblichen Zwecken habe erwerben wollen. Es werde bestritten, dass der Katalysator im März 2002 defekt gewesen sei. Jedenfalls habe sich zum Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger kein Mangel gezeigt. Nach dem BVSK-Zustandsbericht sei die Abgas- und Auspuffanlage in Ordnung gewesen. Im Rahmen der Unterboden-Sichtkontrolle habe der Zeuge M. auch den Katalysator überprüft und keine Beanstandung festgestellt. I.Ü. würde es sich nicht um einen Mangel i.S.d. § 434 BGB handeln, sondern um eine laufleistungs- und alterungsbedingte Verschleißerscheinung.
Gemäß dem Vertragsformular sei das Fahrzeug nicht mängelfrei gewesen. Der Kläger habe davon auf Grund der Hinweise in den AGB gewusst. Schon deswegen habe er keine Gewährleistungsrechte.

Aus den Gründen:

1. ...
2 .... Der Kläger kann Zahlung von 837,52 € verlangen. Anspruchsgrundlage sind §§ 437 Nr. 3 1. Alt., 280, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Es findet das neue Kaufrecht Anwendung, da der Vertragsabschluss nach dem 31.12.2001 erfolgte.
b) Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag zu Stande gekommen.
Die Kaufsache weist einen Sachmangel gem. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB auf. Danach liegt ein Sachmangel vor, wenn sich die Kaufsache nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Wer einen Pkw kauft, will damit fahren. Das ist die zumindest stillschweigend vertraglich vorausgesetzte Verwendung. Wer mit einem Pkw fahren will, muss nach den maßgeblichen Vorschriften einen intakten Katalysator haben. Mit einem defekten Katalysator darf man nicht fahren. Hier ist der Katalysator defekt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus der Aussage des Zeugen S. Dieser konnte bei der Vorführung des Wagens bereits anhand des Geräuschpegels einen Defekt am Katalysator bemerken. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass der auf Grund seines Berufs sach- und fachkundige Zeuge die Wahrheit gesagt hat. Der Katalysator war somit defekt.
Bei dem Defekt am Katalysator handelt es sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht um einen normalen Verschleiß, sondern um einen technischen Fehler. Ein Verschleiß kann an einem Katalysator nicht eintreten. Ein Katalysator ist kein Verschleißgegenstand wie z.B. die Reifen an einem Fahrzeug, die einer dauerhaften Abnutzung unterliegen. Ein Katalysator dagegen ist entweder in Ordnung oder er ist defekt. Ein Verschleiß kann nicht eintreten. Ein Verschleiß ist auch deswegen nicht anzunehmen, weil vermutlich der Keramikkörper des Katalysators defekt war.
Darauf deutet jedenfalls das von dem Zeugen S. bekundete Geräusch hin.
Nach allem liegt somit ein Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB vor.
c) Gewährleistungsansprüche bestehen nur, wenn der Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorhanden war, vgl. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB.
aa) Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte am 12.1. 2002. Bereits zu diesem Zeitpunkt lag der Defekt am Katalysator vor. Davon ist auf Grund einer unwiderlegten Vermutung auszugehen.
bb) Gem. § 476 BGB wird bei einem Verbrauchsgüterkauf vermutet, dass ein Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorliegt, wenn sich der Mangel binnen 6 Monaten nach Gefahrübergang zeigt. Hier steht fest, dass der Fehler am Katalysator bereits im März, also 2 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs, auftrat.
Die Vermutung aus § 476 BGB gilt aber nur bei einem Verbrauchsgüterkauf. Von einem Verbrauchsgüterkauf ist auszugehen, wenn ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft. Die Beklagte ist Unternehmer i.S.d. Vorschrift. Der Kläger ist Verbraucher. Dass der Kläger Verbraucher und nicht Unternehmer ist, ist unstreitig. Er wird auch nicht dadurch zum Unternehmer, dass die Beklagte in ihren AGB schreibt: „Die Verkäuferin geht davon aus, dass der Käufer das o.g. Fahrzeug ebenfalls zu gewerblichen Zwecken nutzen will und als Gewerbetreibender zu diesem Zweck kauft" (...). Zum einen handelt es sich um eine bloße Annahme der Beklagten. Zum anderen kann der Unternehmerstatus einer Person nicht durch Vereinbarung geregelt werden.
I.Ü.wäre von einer überraschenden Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB auszugehen, die unwirksam ist. Die Unwirksamkeit der Klausel ergebe sich darüber hinaus aus § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Der Kläger ist somit Verbraucher. Die Vermutung aus § 476 BGB greift ein.
cc) Die Beklagte hat die Vermutung aus § 476 BGB nicht widerlegt.
Der Zustandsbericht (...) sagt nichts über den Zustand des Katalysators aus. Der Katalysator ist dort ausdrücklich nicht erwähnt.
Auch auf Grund der Aussage des Zeugen M. ist die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt. Der Zeuge hatte - verständlicher Weise - an die Untersuchung des Fahrzeugs keine konkrete Erinnerung mehr. An Geräusche, die auf einen defekten Katalysator hindeuten, konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Er räumte aber auch ein, dass er die Geräusche nicht hätte hören können, da er selber das Fahrzeug in die Untersuchungsgrube gefahren hat.
Darüber hinaus können die auf einen defekten Katalysator hinweisenden Geräusche, die der Zeuge S. bekundet hat, gemäß der Aussage des Zeugen M. im Laufe der Zeit in der Lautstärke zunehmen. Es ist daher möglich, dass die Geräusche bei der Untersuchung durch den Zeugen M. noch gar nicht zu hören waren. I.Ü. hat der Zeuge M. die Aussage des Zeugen S. z.T. bestätigt. Er hat angegeben, dass es bei einem Defekt am Keramikkörper des Katalysators zu einem typischen Geräusch kommt. Ein Solches hat der Zeuge S. gehört.
Die gesetzliche Vermutung ist von der Beklagten somit nicht widerlegt worden. Es bleibt bei der Vermutung, dass der defekte Katalysator bereits bei Gefahrübergang vorhanden war.
d) Das Verschulden der Beklagten bzgl. der Pflichtverletzung (vgl. § 280 BGB) wird vermutet und ist nicht widerlegt worden.
f) Gewährleistungsansprüche des Klägers sind auch nicht gem. § 442 BGB ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss besteht, wenn der Käufer den Mangel bei Vertragsabschluss kennt. Von einer solchen Kenntnis des Klägers ist nicht auszugehen.
Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang auf ihre AGB im Kaufvertrag hin. Inhaltlich besagt die betreffende Passage in kurzer Zusammenfassung, dass es sich bei dem verkauften Fahrzeug um ein Schrottauto handelt, dessen sämtliche Einzelteile nicht mangelfrei sind. Dieser Hinweis ist offensichtlich nicht ernst gemeint, weil sich aus dem Zustandsbericht, der auf Veranlassung der Beklagten eingeholt worden ist, das genaue Gegenteil ergibt.
Die AGB der Klägerin sind insoweit offensichtlich im Hinblick auf einen Gewährleistungsausschluss gem. § 442 BGB formuliert worden. Da der Hinweis nicht ernst gemeint sein kann, entfaltet er auch keine Rechtswirkung. I.Ü. wäre von einer überraschenden Klausel gem. § 305c BGB auszugehen.
Die Gewährleistungsansprüche des Klägers sind somit nicht gem. § 442 BGB ausgeschlossen.
g) Die Rechtsfolge des Anspruchs besteht darin, dass der Kläger Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann. Leistung ist hier die eigentlich von der Beklagten geschuldete Nachbesserung. Maßgeblich ist somit, welcher Betrag zur Reparatur des Katalysators erforderlich ist.
Der Kläger hat dazu den Kostenvoranschlag der Firma V. v. 23.4.2002 vorgelegt. Das pauschale Bestreiten durch die Beklagte ist unzulässig (...). Es ist somit der Betrag aus dem Kostenvoranschlag der Firma V. zu Grunde zu legen.
e) Der Kläger hat der Beklagten eine Frist zur Nacherfüllung gem. § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB gesetzt.

Zusätzlich kann der Kläger die Kosten für die zweite Abgasuntersuchung i.H.v. 56.- € verlangen.