Verjährungsunterbrechung (bzw. Hemmung) bei "verdeckter Teilklage"

BGH, Urteil vom 2. Mai 2002 - OLG Brandenburg - LG Frankfurt/Oder


Fundstelle:

NJW 2002, 2167


Amtl. Leitsatz:

Eine bezifferte verdeckte Teilklage unterbricht die Verjährung grundsätzlich nur im beantragten Umfang. Später nachgeschobene Mehrforderungen, die nicht auf einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse beruhen, sind verjährungsrechtlich gesondert zu beurteilen.


Zentrale Probleme:

Bei einer Teilklage macht der Kläger nur einen Teil des seiner Ansicht nach bestehenden Anspruchs geltend. Legt er dies offen, spricht man von einer "offenen" Teilklage, tut er dies nicht, spricht man von einer "verdeckten" Teilklage. Beides ist zulässig und hat zur Folge, daß zumindest bei einem Erfolg der Klage nur der eingeklagte Teil in Rechtskraft erwächst. In einem Folgeprozeß über den Restbetrag muß dann über den Anspruchsgrund neu entschieden werden, was mangels Rechtskraft auch eine abweichende Entscheidung ermöglicht. Dies gilt auch bei einer "verdeckten" Teilklage (BGHZ 135, 178 ff). Eine materiell rechtskräftige Entscheidung über den ganzen Anspruch kann nur durch ein Grundurteil hinsichtlich der gesamten Summe (§ 304 ZPO) oder durch eine Zwischenfeststellungsklage nach § 256 II ZPO über den gesamten Anspruch erzielt werden, deren Streitwert sich aber dann nach dem vollen Betrag richtet. Stellt jedoch der Kläger zulässigerweise einen unbezifferten Klageantrag (etwa bei einem Antrag auf Zahlung eines "billigen" Schmerzensgeldes nach § 847 BGB oder im Falle von § 287 ZPO), dann wird davon ausgegangen, daß der gesamte Anspruch anhängig gemacht wird und deshalb Nachforderungen aufgrund des zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhaltes ausgeschlossen sind, vgl. dazu BGH NJW 1997, 3019.
Nach wohl h.M. gilt dies auch, wenn die Teilklage abgewiesen wird (sehr str., s. dazu nur die Nachweise bei Jauernig, Zivilprozeßrecht, 27. Aufl. 2002, S. 252). Der Kläger kann also nach h.M. selbst bei Unterliegen mit der Teilklage den Rest erneut einklagen, ohne daß dem die materielle Rechtskraft des klageabweisenden Urteils im Erstprozeß entgegensteht. Der Beklagte kann dem nur durch eine (negative) Zwischenfeststellungs(wider)klage (§ 256 II ZPO) im Erstprozeß entgegenwirken.

Diesen Vorteilen der (offenen oder verdeckten) Teilklage, die sich daraus ergeben, daß der nicht eingeklagte Teil nicht rechtshängig wird (z.B. auch ein vermindertes Kostenrisiko für den Kläger) steht freilich der in der vorliegenden Entscheidung zu recht dargelegte Nachteil entgegen, daß die materiellrechtlichen Wirkungen der Rechtshängigkeit in Bezug auf die Verjährung i.d.R. nicht eintreten.

Diese grundsätzliche Problematik der vorliegenden Entscheidung zu § 209 BGB a.F. stellt sich auch nach der Neuregelung der Verjährung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz. Die Klageerhebung bewirkt freilich nach § 204 I Nr. 1 BGB nurmehr eine Hemmung der Verjährung, was das Problem ein wenig entschärft. Gleichzeitig wurden aber die Hemmungsgründe erweitert auf das selbständige Beweisverfahren, den einstweiligen Rechtsschutz sowie den Prozeßkostenhilfeantrag (s. § 204 Nr. 7, 9, 14 BGB n.F.). Eine Unterbrechung (nunmehr: "Neubeginn", s. § 212 BGB n.F.) wird nach der Neuregelung erst durch die Beantragung von Vollstreckungshandlungen bewirkt (§ 212 I Nr. 2 BGB n.F.).
Zur Zulässigkeit der verdeckten Teilklage s. etwa BGH NJW 1994, 3165, zum Umfang der materiellen Rechtskraft bei verdeckter Teilklage s. BGHZ 135, 178 ff.

©sl 2002


 Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Amtspflichtverletzung ihrer Bürgermeisterin in Anspruch, da diese ihm eine unzutreffende Auskunft über die Baulandqualität eines von ihm erworbenen Grundstücks erteilt habe. Er macht geltend, im Vertrauen auf jene Erklärung habe er einen weit überhöhten Kaufpreis für das Grundstück gezahlt, das in Wirklichkeit wertloses Acker- und Ödland gewesen sei. Seinen Schaden hat er nach der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis von 155.400 DM und dem von ihm geschätzten Restwert des Grundstücks von höchstens 36.564 DM auf 118.836 DM beziffert. Diesen Betrag nebst Zinsen hat er mit der am 24. Dezember 1997 eingegangenen und am 9. März 1998 zugestellten Klage verlangt.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Im Berufungsrechtszug hat das Oberlandesgericht über die Behauptung des Klägers, das von ihm erworbene Grundstück habe einen derzeitigen Wert von 36.564 DM, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben. Nachdem die Begutachtung zu dem Ergebnis geführt hatte, daß das Grundstück lediglich einen Wert von 23.000 DM habe, hat der Kläger im Wege der Anschlußberufung, die am 23. August 2000 bei Gericht eingegangen ist und der Beklagten am 28. August 2000 zugestellt worden ist, sein Schadensersatzbegehren um den Minderbetrag von 13.564 DM nebst Zinsen erweitert. Die Beklagte ist der Klageerweiterung mit der Verjährungseinrede entgegengetreten. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und der Anschlußberufung des Klägers stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf volle Klageabweisung weiterverfolgt. Der Senat hat durch Beschluß vom 31. Januar 2002 die Revision der Beklagten angenommen, soweit dem klageerweiternden Anschlußberufungsantrag (13.564,00 DM nebst Zinsen) stattgegeben worden ist. Im übrigen hat er die Revision nicht angenommen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Umfang der Teilannahme begründet. Sie führt zur Zurückweisung der Anschlußberufung. Gegen die mit dieser geltend gemachte Mehrforderung greift die Verjährungseinrede durch.

1. Unter den Parteien steht inzwischen außer Streit, daß die für den Amtshaftungsanspruch maßgebliche Verjährungsfrist des § 852 BGB a.F. hier mit dem 6. Juni 1996 begonnen hat. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend festgestellt und wird auch von der Revision hingenommen. Hinsichtlich der Ursprungsforderung ist die Verjährung daher nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. rechtzeitig unterbrochen worden.

2. Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Ursprungsklage beschränkte sich indessen auf die mit ihr geltend gemachte bezifferte Forderung von 118.836 DM nebst Zinsen. Sie umfaßte nicht die Mehrforderung, die erst durch die Anschlußberufung in den Rechtsstreit eingeführt worden ist.

a) Schon in den Motiven zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird hervorgehoben, daß die Klageerhebung die Verjährung insoweit unterbricht, als der Anspruch durch sie der richterlichen Entscheidung unterstellt ist. Nur in diesem Umfang kann das Urteil Rechtskraft und damit Rechtsgewißheit schaffen (Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I, 1899, S. 532, § 170). Die Grenzen der Verjährungsunterbrechung sind mit denen der Rechtskraft kongruent. Dem entspricht es, daß bei einer "verdeckten Teilklage", d.h. einer solchen, bei der es - wie hier - weder für den Beklagten noch für das Gericht erkennbar ist, daß die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt, die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift (BGHZ 135, 178). Dies hat bei einer zusprechenden Entscheidung die Konsequenz, daß der Kläger nicht gehindert ist, nachträglich Mehrforderungen geltend zu machen, auch wenn er sich solche im Vorprozeß nicht ausdrücklich vorbehalten hatte (BGHZ aaO). Jedoch muß der Kläger es in solchen Fällen hinnehmen, daß die Verjährung des nachgeschobenen Anspruchsteils selbständig beurteilt wird (Staudinger/Peters, BGB, 13. Bearb. 1995 § 209 Rn. 17).

b) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß ausnahmsweise etwas anderes gelten kann. So kann ein bezifferter Klageantrag auf den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Satz 2 BGB dahingehend ausgelegt werden, daß in Wahrheit der gesamte Geldbetrag gefordert werde, der entsprechend einem Sachverständigengutachten zur Wiederherstellung des beschädigten Grundstücks notwendig sei (RGZ 102, 143/144). In solchen Fällen ist dem Gegner von vornherein erkennbar, daß die bezifferte Forderung "gegriffen" ist, also lediglich vorläufigen Charakter hat. Dementsprechend grenzt das Reichsgericht (aaO) den dort in Rede stehenden Anspruch nach § 249 Satz 2 BGB auch ausdrücklich von der "Geldentschädigung schlechthin", etwa gemäß §§ 251, 252 BGB, ab, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht. In ähnlichem Sinne unterbricht die Klage auf Zahlung eines bestimmten Betrages als Vorschuß zur Behebung eines Mangels wegen der für solche Vorschüsse geltenden rechtlichen Besonderheiten auch die Verjährung des späteren (mit zwischenzeitlichen Kostensteigerungen begründeten) Anspruchs auf Zahlung eines höheren Vorschusses zur Behebung desselben Mangels (BGHZ 66, 138). In Abgrenzung dazu unterbricht die Klage auf Ersatz von Kosten, die der Bauherr für eine erfolgreiche Teil-Nachbesserung aufgewendet hat, nicht - über den eingeklagten Betrag hinaus - die Verjährung eines Anspruchs von Aufwendungen für weitere Maßnahmen zur Behebung desselben Mangels (BGHZ 66, 142). Allgemein hat sich die Rechtsprechung bei der Anwendung des § 209 Abs. 1 BGB auf den Schadensersatzanspruch dann nicht an die durch den prozessualen Leistungsantrag gezogenen Grenzen gehalten, wenn mit der Klage von Anfang an ein bestimmter materiellrechtlicher Anspruch in vollem Umfang geltend gemacht wird und sich Umfang und Ausprägung des Klageanspruchs ändern, nicht aber der Anspruchsgrund. Danach bewirkt die Schadensersatzklage die Unterbrechung der Verjährung auch für den erst im Laufe des Rechtsstreits infolge Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse erwachsenden Mehrschadensbetrag (RGZ 102, 143, 144; 106, 184, 185; 108, 38, 40; BGH, Urteil vom 26. Juni 1984 - VI ZR 232/82 = WM 1984, 1131, 1133; vom 19. Februar 1982 - V ZR 215/80 = NJW 1982, 1809 f; vom 17. September 1979 - VIII ZR 193/78 = JR 1980, 105 f m. Anm. Haase; vom 30. Juni 1970 - VI ZR 242/68 = NJW 1970, 1682). In einem solchen Fall bleibt der Anspruch seinem Grund und seiner Rechtsnatur nach wesensgleich. Der Schadensersatzkläger klagt nicht eine Geldsumme, sondern den Schaden ein und unterbricht damit die Verjährung der Ersatzforderung in ihrem betragsmäßig wechselnden Bestand. Für die endgültige Bemessung des Schadens ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, aufgrund derer das Urteil ergeht.

c) Um eine solche Anpassung an eine nach Klageerhebung eingetretene Werterhöhung geht es im Streitfall nicht. Insbesondere ist auch dem Sachverständigengutachten nicht zu entnehmen, daß die für die Wertermittlung maßgeblichen Faktoren sich in dem Zeitraum zwischen der Erhebung der Ursprungsklage und der Einlegung der Anschlußberufung geändert haben könnten. Die Einholung des Sachverständigengutachtens im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme hatte nicht den Zweck gehabt, es dem Kläger zu ermöglichen, seinen Schaden abschließend zu beziffern, sondern beruhte darauf, daß die Beklagte die Schadenshöhe bestritten hatte. Beweisfrage war daher die Behauptung des Klägers gewesen, daß das Grundstück einen derzeitigen Wert von 36.564 DM habe. Dementsprechend hätte die verjährungsunterbrechende Wirkung der Ursprungsklage hier dem Kläger allenfalls das natürliche Risiko von Zukunftsprognosen abnehmen können. Andererseits geht es zu seinen Lasten, wenn - wie hier - seine Forderung insgesamt feststeht und er sie nur betragsmäßig nicht hinreichend überschaut (vgl. Staudinger/Peters aaO Rn. 18; s. auch BGHZ 66, 142, 147, betreffend die Kosten einer bereits durchgeführten eigenen Mängelbeseitigung).

3. Bei Eingang der Anschlußberufungsschrift (23. August 2000) war somit die für den Amtshaftungsanspruch maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB a.F., die am 6. Juni 1996 begonnen hatte (s. oben Ziffer 1), bereits abgelaufen. Gleiches gilt für die einjährige Verjährungsfrist des § 4 Abs. 1 StHG-DDR.