Sachmängelhaftung beim Kauf: Nacherfüllung bei durch Neulieferung beim Stückkauf, Unzumutbarkeit der Nacherfüllung


OLG Braunschweig, Beschl. v. 4.2.2003 - 8 W 83/02


Fundstelle:

NJW 2003, 1053
JZ 2003, 863
vgl. zum Problem der Nacherfüllung beim Stückkauf bereits 
LG Ellwangen NJW 2003, 517 sowie den Besprechungsaufsatz zur vorliegenden Entscheidung von Canaris JZ 2003, 831 ff sowie nunmehr BGH v. 7.6.2006 - VIII ZR 209/05.


Zentrale Probleme:

Zum Problem der Nacherfüllung durch Nachlieferung beim Stückkauf s. die Anm. zu LG Ellwangen NJW 2003, 517 und nunmehr BGH v. 7.6.2006 - VIII ZR 209/05. Im übrigen ist den Darlegungen des OLG zum Maßstab der Zumutbarkeitsprüfung uneingeschränkt zuzustimmen.

Zu den im vorliegenden Fall weiter berührten Fragen bleibt folgendes anzumerken:
Geht man von einer Nacherfüllungspflicht durch Neulieferung aus, so hätte der Käufer nach § 439 IV  BGB die mangelhafte Sache nach Rücktrittsregeln zurückzugeben. Das bedeutet, daß er für den Wertverlust, den das Fahrzeug durch die erneute Zulassung erlitten hat, nach §§ 439 IV, 346 II Nr. 3 BGB nicht haften würde. Auf eine Privilegierung nach § 346 III Nr. 3 BGB käme es insoweit gar nicht mehr an. Freilich hätte der Käufer für die zwischenzeitliche tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs, wozu nach § 100 BGB auch die Gebrauchsvorteile zählen, nach §§ 439 IV, 346 I Alt. 2, II Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten. Dies ist im "B2C"-Bereich allerdings im Hinblick auf
Art. 3 Abs. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht unbedenklich, weil danach der Verkäufer die „für die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes notwendigen Kosten“ zu tragen hat. Der Gesetzgeber war hier allerdings anderer Auffassung. Er ist der Ansicht, daß "der vertragsgemäße Zustand ... durch die Lieferung der neuen Ersatzsache hergestellt" wird. Daß der Käufer hierfür keine Kosten zu tragen hat, ergebe sich aus § 439 II BGB. Zu den Kosten könne aber nicht die Herausgabe von Nutzungen der vom Verbraucher benutzten mangelhaften Sache gezählt werden. Das rechtfertige sich auch daraus, daß der Käufer mit der Nachlieferung eine neue Sache erhalte und nicht einzusehen sei, daß er die zurückzugebende Sache in dem Zeitraum davor unentgeltlich soll nutzen können und so noch Vorteile aus der Mangelhaftigkeit soll ziehen können (Begr. des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/6040 S. 232).

©sl 2003


Amtl. Leitsatz:

1. Aus dem Umstand, daß der Verkäufer eines tageszugelassenen Pkw kein Fahrzeug mehr im Bestand hat, das den vertragsgemäßen Ausstattungsumfang aufweist, folgt noch nicht, daß ihm die Nacherfüllung durch Ersatzlieferung i.S. von § 275 I BGB unmöglich ist.
2. Die Unverhältnismäßigkeit der Kosten i.S. von § 439 III BGB bestimmt sich nicht nach denn Verhältnis der Nacherfüllungskosten zum Kaufpreis, sondern zum objektiven Wert der mangelfreien Sache.
3. Bei dem in der Differenz von Kaufpreis und Wert liegenden Nachteil eines für den Verkäufer „schlechten" Geschäfts handelt es sich um einen Verlust, welcher der vertraglich vereinbarten Äquivalenz entspringt und der deshalb bei der Zumutbarkeitsprüfung des § 439 III BGB außer Betracht zu bleiben hat.


Zum Sachverhalt:

Die Kl. erwarb im April 2002 bei der Bekl., ­ einer gewerblichen Autohändlerin, einen am 31. 3. 2002 erstzugelassenen Pkw Seat Ibiza mit einer Laufleistung von 10 km zu einem Preis von 11390 Euro. Die Bekl. hatte das Fahrzeug im Internet und auch mit der im Fahrzeug ausliegenden Ausstattungsbeschreibung ABS, 4 Airbags" angeboten. Das Fahrzeug wies jedoch die vorstehenden Merkmale nicht auf, sondern verfügte über kein ABS und nur zwei Airbags. Die Kl. forderte die Bekl. vorgerichtlich vergeblich zur Nachlieferung in Form der Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs, d.h. eines Fahrzeugs mit den genannten Ausstattungsmerkmalen, auf. Das Angebot der Bekl., das Fahrzeug gegen Rückerstattung des Kaufpreises zurückzunehmen oder einen nachträglichen Kaufpreisnachlass von 200.- € zu gewähren, hatte die Kl. bereits abgelehnt, als sie erstmals das Fehlen der Seitenairbags und das Fehlen des ABS gerügt hatte. Gegen die von der Kl. erhobene Klage auf Nachlieferung in Form der Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs gegen Rücknahme des streitbefangenen Fahrzeugs hat sich die Bekl. unter anderem damit verteidigt, die Nachlieferung sei für sie nicht zumutbar. Hierzu hat die Bekl. behauptet, die begehrte Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung sei nicht mehr möglich, weil sie - die Bekl. - ein gleichartiges Kraftfahrzeug mit der Ausstattung „ABS, 4 Airbags" nicht in ihrem Bestand habe und dies auch nicht mehr besorgen könne. Dies wäre für sie auch unzumutbar, weil das gekaufte Fahrzeug durch die Benutzung der Kl. im Wert gesunken sei. Außerdem habe die Kl. das Fahrzeug zu einem besonders günstigen Preis erworben. Ein entsprechendes Fahrzeug sei nach der Schwacke-Liste nur zu einem Listenpreis von 14901.- € und mit den zwei weiteren Airbags und dem ABS zu einem um 750.- € höheren Preis, mithin nur für 15 651.- € zu bekommen, In der mündlichen Verhandlung vor dem LG haben sich die Parteien durch gerichtlichen Vergleich darauf verständigt, dass die Bekl. einen einmaligen Betrag von 750.- € an die Kl. zahlt, und ferner, daß das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO entscheidet.

Das LG hat daraufhin die Kasten des Rechtsstreits zu 93 % der Kl. und zu 7 % der Bekl. auferlegt.

Die sofortige Beschwerde der Kl. hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

Nach dem zum Zeitpunkt des am 30.8.2002 geschlossenen Vergleichs maßgeblichen Sach- und Streitstand sind nach billigem Ermessen die Kosten des Rechtsstreits der Bekl. aufzuerlegen, § 91a I ZPO.

Entgegen der Auffassung des LG war der von der Kl. geltend gemachte Nacherfüllungsanspruch auf Nachlieferung gem. § 439 I Alt. 2 BGB begründet.

Daß das durch die Kl. von der Bekl. erworbene Fahrzeug auf Grund des Fehlens der zwei Seitenairbags und des ABS mit Mängeln behaftet war, welche die KI. grundsätzlich zur Geltendmachung von Gewährleistungsrechten berechtigte, hat das LG zutreffend festgestellt. Da dies von den Parteien nicht mehr in Frage gestellt wird, bedarf es hierzu keiner weiteren Erörterungen.

Indes hält die Auffassung des LG, die Bekl. habe die Erfüllung des von der Kl. geltend gemachten Nacherfüllungsanspruchs zu Recht gem. § 439 III 1 BGB verweigert, einer Überprüfung nicht stand. Zunächst ist hervorzuheben, daß der Bekl. nicht das Recht zustand, die Nacherfüllung in Form der Nachlieferung wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) zu verweigern. Hiervon ist offenbar auch das LG ausgegangen, ohne dies jedoch in der angefochtenen Entscheidung kenntlich zu machen. Denn die Bekl. hat nichts Substanziiertes vorgetragen, woraus sich die Unmöglichkeit der Nachlieferung ergeben könnte. Unabhängig davon hat sie für ihre entsprechende - pauschale - Behauptung trotz Bestreitens der Kl. keinen Beweis angeboten. Allein aus dem Umstand, daß die Bekl. womöglich kein Fahrzeug mehr im Bestand hat, das den vertragsgemäßen Ausstattungsumfang aufweist, folgt noch keine Unmöglichkeit i.S. von § 275 I BGB. Der teilweise vertretenen Auffassung, die Unterscheidung zwischen Gattungs- und Stückschulden sei auch nach Einführung des neuen Schuldrechts weiterhin von Bedeutung, weil die Ersatzlieferung als Form der Nacherfüllung bei einem Stückkauf von vornherein auszuscheiden habe, da die Lieferung einer anderen als der geschuldeten Sache nicht zum Pflichtenprogramm des Verkäufers gehöre (St. Lorenz, JZ 2001, 742 [743 und 744]), kann nicht gefolgt werden. Diese einschränkende Sicht entspricht nicht der Intention der Neufassung des Kaufrechts. Die Einführung der Pflicht zur mangelfreien Lieferung (§ 433 I 2 BGB) und das daran anknüpfende Nacherfüllungsrecht (§ 439 I BGB) beruhen gerade auf dem Gedanken, daß der Verkäufer das Leistungsinteresse des Käufers durch Lieferung einer (nicht: der) mangelfreien Sache zu erfüllen hat. Unmöglichkeit dieser Leistungspflicht kann daher nur eintreten, wenn der Verkäufer eine mangelfreie Sache der geschuldeten Art nicht beschaffen kann (Bitter/Meidt, ZIP 2061, 2114 [2119]: vgl. auch die Begr. zu § 275 I des RegE, BT-Dr. 14/6040, S. 129). Da es vorliegend nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, daß ein gleichartiges Fahrzeug mit Seitenairbags und ABS auf denn Markt nicht mehr zu beschaffen ist, bedurfte es für die Darlegung der Voraussetzungen der Unmöglichkeit eines entsprechenden vereinzelten Sachvortrags seitens der Bekl., welcher jedoch fehlt.

Demzufolge ist für die Beurteilung des Verweigerungsrechts der Bekl. allein entscheidend, ob die Nachlieferung mit nur unverhältnismäßigen Kosten möglich gewesen wäre (§ 439 III 1, Halbs. 2 BGB). Das ist bereits unter Zugrundelegung des tatsächlichen Sachvortrags der Bekl. nicht der Fall.

Die Bezugnahme des Gesetzes auf den „Wert der Sache in mangelfreiem Zustand" (§ 439 III 2 BGB) macht deutlich, daß sich die Unverhältnismäßigkeit der Kosten nicht etwa nach dem Verhältnis der Nacherfüllungskosten zum Kaufpreis, wie das das LG angenommen hat, sondern zum objektiven Wert der Sache bestimmt. Diese Bezugnahme auf den Wert der Sache ist deshalb gerechtfertigt, weil der Verkäufer im Falle eines so genannten Schnäppchens für den Käufer den in der Differenz von Kaufpreis und Wert liegenden Verlust bereits durch das für ihn - den Verkäufer – „schlechte Geschäft“ erlitten hat; es handelt sich also um einer_ Verlust, welcher der vertraglich vereinbarten Äquivalenz entspringt und der deshalb bei der Zumutbarkeitsprüfung des § 439 111 BGB entgegen der Auffassung des LG vollständig außer Betracht zu bleiben hat (vgl. Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2121). Die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten kann sich auch in diesen Fällen nur aus dem Vergleich zum Wert der vertraglich geschuldeten Sache ergeben (Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2121).

Unter Zugrundelegung der von der Bekl. selbst angegebenen Marktsituation bedeutet das für den vorliegenden Fall Folgendes: Die Nacherfüllungskosten betragen 750.- €. Dies ist der Betrag, der nach dem Vorbringen der Bekl. sowohl für die Nachrüstungskosten als auch für die mit der Nachlieferung und Rücknahme des klägerischen Fahrzeuges verbundenen Mehrkosten anzusetzen ist. Hinsichtlich des letztgenannten Betrags hat ein etwaiger Wertverlust des klägerischen Fahrzeugs durch Eintragung eines weiteren Halters sowie durch den zwischenzeitlichen Gebrauch außer Betracht zu bleiben. Denn es ist nichts Substanziiertes dazu vorgetragen, in welcher Höhe hier ein weitergehender Wertverlust eingetreten ist. Die damit einheitlich mit 750.- € zu veranschlagenden Nacherfüllungskosten machen in Bezug auf den Wert der mangelfreien Sache, der nach dem Vorbringen der Bekl. 15 651.- € beträgt, einen Anteil von lediglich 4,7% aus, so daß eine Unverhältnismäßigkeit i.S. von § 439 III 1 Halbs. 2 BGB nicht vorlag.

Da die Kl. demzufolge mit ihrem Hauptantrag auf Nacherfüllung in Form der Nachlieferung nach dem maßgeblichen Sach- und Streitstand obsiegt hätte, waren der Bekl. unter Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.