Nacherfüllung (§ 439
BGB) beim Stückkauf einer vertretbaren Sache durch Neulieferung
LG Ellwangen, Urteil vom 13. 12. 2002 - 3 O
219/02
Fundstelle:
NJW 2003, 517
s. dazu auch OLG Braunschweig NJW 2003, 1053
sowie Canaris JZ 2003, 831 ff und jetzt
BGH v. 7.6.2006 - VIII ZR 209/05
(Eigene) Leitsätze:
1. Beim Stückkauf einer vertretbaren
Sache ist Nacherfüllung i.S.v. § 439 I BGB auch in Form der Lieferung
einer mangelfreien (anderen) Sache möglich.
2. Der Verkäufer hat hiergegen unter den Voraussetzungen des § 439 III BGB
eine Einrede, deren Voraussetzungen er zu beweisen hat.
Zentrales Problem:
Es geht um die Frage des Nacherfüllung nach
§ 439 I BGB. Nach dieser Regelung kann der Käufer bei Vorliegen eines
Sachmangels "als Nacherfüllung" nach seiner Wahl die Beseitigung des
Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Der
Nacherfüllungsanspruch ist unabhängig von einem Verschulden des
Verkäufers. Nach § 439 I BGB kann der Käufer zwischen zwei verschiedenen
Arten der Nacherfüllung, nämlich Beseitigung des Mangels und Lieferung
einer mangelfreien (anderen) Sachen wählen. Str. ist, ob ei einem
Stückkauf Nacherfüllung nur durch Beseitigung des Mangels (etwa die
Reparatur bzw. Umgestaltung der Sache) denkbar ist. Während nach einer
Ansicht der Literatur die Lieferung einer mangelfreien (anderen) Sache
hier wegen der anfänglichen Konzentration des Schuldverhältnisses auf
einen bestimmten Gegenstand nicht möglich ist, so daß der Verkäufer
insoweit nach § 275 I von der Nacherfüllungspflicht befreit ist, geht
eine starke Literaturansicht davon aus, daß zumindest bei vertretbaren
Gegenständen eine Nacherfüllung durch Lieferung einer anderen (ähnlichen)
Sache möglich ist. Dem schließt sich das LG hier an.
S. im übrigen die Anm. zu OLG Braunschweig
NJW 2003, 1053 sowie Canaris JZ 2003, 831 ff sowie nunmehr
BGH v. 7.6.2006 - VIII ZR 209/05.
©sl 2003
Zum Sachverhalt:
Der Kl. fordert die Nachlieferung eines Neuwagens VW-Golf; widerklagend
verlangt die Bekl. Zahlung des restlichen Kaufpreises. Am 3. 4. 2002
schlossen die Parteien einen Kaufvertrag über einen Neuwagen VW-Golf zum
Kaufpreis von 16395,01 Euro. Auf den Kaufpreis leistete der Kl. eine
Anzahlung von 6000 Euro, weitere 7395 Euro wurden finanziert, so dass ein
Restbetrag von 3000 Euro noch zur Zahlung offen steht. Der Pkw wurde am 5.
4. 2002 vom Kl. abgeholt. Unter diesem Datum wurde seitens der Bekl. auch
die Rechnung erstellt und dem Kl. übergeben. Kurz darauf stellte der Kl.
fest, dass der Fensterheber an der hinteren linken Tür defekt ist und sich
im Bereich der Scharniere des Kofferraumdeckels Roststellen befinden. Die
Beseitigung dieser Mängel erfordert einen Kostenaufwand von 512,67 Euro.
Darüber hinaus stellte der Kl. fest, dass das Fahrzeug in Südafrika
produziert wurde. Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Kl. vom
10. 4. 2002 forderte dieser die Bekl. zur Neulieferung eines mangelfreien
Pkw auf. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Kl. vom 29. 4. 2002
lehnte die Bekl. die Neulieferung ab, bot jedoch Nachbesserung an. Durch
Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Kl. vom 6. 5. 2002 wurde erneut
zur Nachlieferung aufgefordert, eine Nachbesserung wurde abgelehnt. Die
Bekl. lehnte mit Schreiben vom 22. 5. 2002 die Nachlieferung endgültig ab.
Das LG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben.
Aus den Gründen:
I. 1. Dem Kl. steht gegen die Bekl. kein Anspruch auf Lieferung einer
mangelfreien Sache nach §§ 439 I , 437 Nr. 1, 434 , 433 BGB zu.
a) Der streitgegenständliche Pkw weist - zumindest - zwei Sachmängel i.S.
des § 434 I BGB auf, wobei nach neuem Schuldrecht auf die vereinbarten
subjektiven Beschaffenheitsvereinbarungen abzustellen ist (vgl. Palandt/Putzo,
BGB, 62. Aufl., § 434 Rdnr. 1). Eine ausdrückliche
Beschaffenheitsvereinbarung ist nicht vorgetragen, so dass auf § 434 I 2
Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB abzustellen ist. Zwischen den Parteien ist
unstreitig, dass am Pkw VW-Golf der linke hintere Fensterheber nicht
funktioniert und an den Kofferraumscharnieren Roststellen vorhanden sind.
Ein Käufer kann selbstverständlich erwarten, dass solche negativen
Eigenschaften an einem neu angeschafften Pkw nicht vorhanden sind.
b) Der Kl. hat als weitere Anspruchsvoraussetzungen (§ 437 Nr. 1 BGB) auch
Nacherfüllung in Form der Lieferung einer mangelfreien Sache verlangt.
Nachlieferung ist die vom Verkäufer veranlasste oder vorgenommene
unentgeltliche Lieferung einer anderen Sache, die der verkauften Sache
gleich, aber mangelfrei ist (Palandt/Putzo, § 437 Rdnr. 7).
c) Dem Anspruch stünde auch nicht die - bestrittene - Behauptung der Bekl.
entgegen, es habe sich beim Kauf um einen „Stückkauf“ gehandelt, da ein
konkretes Fahrzeug ausgewählt worden sei, das bereits auf dem Hof der Bekl.
gestanden habe. Das Gericht ist der Ansicht, dass auch im Falle des
Stückkaufs die Nacherfüllung durch Ersatzlieferung grundsätzlich möglich
ist, sofern es sich um Sachen handelt, die einer vertretbaren Sache
wirtschaftlich entsprechen und das Leistungsinteresse des Käufers
zufrieden stellen (Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114 [2116]; Palandt/Putzo, §
439 Rdnr. 15; Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland-Haas, Das neue
SchuldR, S. 184). Eine Unterscheidung ist deshalb nicht mehr erforderlich,
da das neue Schuldrecht bezüglich der Rechte des Käufers bei mangelhafter
Lieferung nicht zwischen Stück- und Gattungsschuld differenziert (a.A.
Huber, NJW 2002, 1004 [1006]). Teilweise wird sogar die Möglichkeit der
Nachlieferung eines gebrauchten Vorführwagens bejaht (Canaris,
Schuldrechtsmodernisierung 2002, zitiert nach Palandt/Putzo, § 439 Rdnr.
15).
d) Die Bekl. konnte jedoch den ihr obliegenden Nachweis führen, die
Nachlieferung sei ihr im Verhältnis zur Nachbesserung unzumutbar. § 439
III BGB ist als Einrede ausgestaltet (BT-Dr 14/6040, S. 232; Huber, NJW
2002, 1007; Henssler/Graf v. Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, §
439 Rdnr. 17). Nach allgemeinen Regeln der Beweislast hat somit die Bekl.
die tatsächlichen Voraussetzungen darzutun.
aa) Bei der Bestimmung der Unzumutbarkeit sind insbesondere der Wert der
Sache im mangelfreien Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu
berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche
Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte (§ 439 III 2 BGB).
bb) Das Gericht ist der Ansicht, dass im konkreten Fall die Nachlieferung
jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn der Kostenaufwand hierfür 30%
über dem Kostenaufwand für die Nachbesserung liegt (sog. „interner
Kostenvergleich“, vgl. hierzu Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2120 [2122f.];
Schubel, JZ 2001, 1113 [1116]), wenn man die - bestrittene - Behauptung
unterstellt, dem Kl. sei bei Vertragsschluss erklärt worden, der Pkw sei
in Deutschland bzw. einem anderen EU-Land hergestellt worden.
Ausgangspunkt der Überlegungen zur Unzumutbarkeit muss § 251 BGB n.F.
sein, der unverändert § 251 BGB a.F. übernommen hat. § 251 II BGB spricht
von „unverhältnismäßigen Aufwendungen“, § 439 III BGB von
„unverhältnismäßigen Kosten“, weshalb schon nach dem Wortlaut davon
auszugehen ist, dass der grundsätzliche Maßstab der Gleiche sein dürfte.
Für § 251 II BGB a.F. hatte sich in der Rechtsprechung grundsätzlich -
vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalls - eine „Faustformel“ von
30% entwickelt (Palandt/Heinrichs, § 251 Rdnr. 7). Im Hinblick darauf,
dass insoweit eine Änderung des Schuldrechts nicht erfolgt ist, gibt es
keine Anhaltspunkte dafür, dass von der „Faustformel“ Abstriche zu machen
sind. Es ist jedoch bei allgemeiner Betrachtung zu sehen, dass bei der
Bestimmung dieser Faustformel es regelmäßig um unfallbedingt beschädigte
Kraftfahrzeuge ging und man deshalb das „Affektionsinteresse“ des
Eigentümers der verunfallten Pkws berücksichtigt hat. Im vorliegenden Fall
ist ein solches Affektionsinteresse gerade nicht gegeben, da eine
gegenteilige Interessenlage vorliegt. Der Kl. möchte gerade nicht seinen
Pkw behalten, zu dem er im Laufe der Zeit eine „Beziehung“ aufgebaut hat,
sondern vielmehr einen Neuwagen im Austausch gegen sein Fahrzeug erhalten.
Das Gericht übersieht hierbei nicht, dass der Gesetzgeber im Rahmen der
amtlichen Begründung (BT-Dr 14/6040, S. 232) ein Extrembeispiel der
Unzumutbarkeit gegeben hat („Waschmaschinenbeispiel“). Es ist in diesem
Zusammenhang nämlich auch zu sehen, dass der Gesetzgeber sich bei der
Ausgestaltung des § 439 III BGB an der bisherigen werkvertraglichen
Vorschrift des § 633 III 3 BGB a.F. orientiert hat (Huber, NJW 2002,
1007), so dass - unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Unterschiede
zwischen Werkvertrags- und Kaufrecht - die Rechtsprechung des BGH zu § 633
II 3 BGB a.F. in die Überlegungen einbezogen werden kann (Huber, NJW 2002,
1007; Henssler/Graf v. Westphalen, Rdnrn. 18f.).
Das Gericht ist vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass als Faustformel
für den „internen Vergleich“ in Fällen völliger Beseitigung der Sachmängel
durch Nachbesserung eine Grenze von 20% anzusetzen ist (Bitter/Meidt, ZIP
2001, 2122, schlagen sogar eine solche von nur 10% vor).
Bei der konkreten, fallbezogenen Bestimmung der Unzumutbarkeit war also zu
sehen, dass die - unstreitig - vorhandenen Mängel durch
Nachbesserungsarbeiten vollumfänglich beseitigt werden, dem Kl. allerdings
im Verhältnis zur Nachlieferung der Nachteil verbleibt, einen - wenn auch
fachgerecht - reparierten Wagen zu haben. Hierbei ist zu sehen, dass es
sich um kleine Mängel handelt, so dass das Gericht einen Wertverlust, der
mit diesen Reparaturarbeiten einhergeht, nicht erkennen kann. Des Weiteren
ist einzustellen, dass nach durchgeführter Nachbesserung die Tatsache
verbleibt, dass der Pkw entgegen der klägerseits behaupteten Zusage nicht
in einem EU-Land, sondern in Südafrika hergestellt wurde. Das Gericht geht
davon aus, dass es sich hierbei um einen Mangel i.S. des § 434 BGB
handelt, nachdem, wie oben ausgeführt, der Sachmängelbegriff an die
konkrete Beschaffenheitsvereinbarung anknüpft. Im Hinblick auf den nunmehr
unstreitig vorhandenen subjektiven Fehlerbegriff (vgl. u.a. BT-Dr 14/6040,
S. 211) kann in dieser Konstellation nicht darauf zurückgegriffen werden,
dass beispielsweise eine Herkunft aus Lagerbestand beim Neuwagenkauf
keinen Sachmangel i.S. des § 459 BGB a.F. darstellte (BGH, NJW 2000,
2018). Zu einer erheblichen Änderung der Zumutbarkeitsgrenze führt dies
jedoch nicht, da aus dem sonstigen Vortrag des Kl. nicht ersichtlich wird,
dass er auf diesen Umstand gesteigerten Wert gelegt hat. Dies zeigt sich
nicht zuletzt darin, dass im Klageantrag nicht die Neulieferung eines Pkw
verlangt wird, der in der EU hergestellt wurde.
cc) Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Kosten der Nachlieferung 565%
über den Kosten der Nachbesserung liegen. Als Kosten der Nachlieferung
ergeben sich folgende Posten:
- Listenpreis für einen neuen Golf der gleichen Baureihe 18653 Euro
- Aufpreis für Extras, dass dieser bezüglich der Ausstattung einem
Sondermodell „Spezial“ gleichkommt 1200 Euro
- Abzüglich 15,2% Händlerrabatt - 3017,66 Euro
- Neupreis des streitgegenständlichen Golfs - 16395,01 Euro
- 15% Wertverlust dieses Modells 2459,25 Euro
- Gesamtkosten der Nachlieferung 2899,58 Euro
Die festgestellten Werte ergeben sich aus den glaubhaften, in sich
schlüssigen, nachvollziehbaren und von schriftlichen Unterlagen
unterstützten Angaben des Zeugen K, bei dessen Aussageverhalten auch zu
sehen war, dass er keinerlei Belastungs- bzw. Entlastungstendenzen zeigte
und zudem tatsächlich nicht mehr bei der Bekl. beschäftigt ist. Der Zeuge
K führte zum einen nachvollziehbar aus, dass die Kosten einer Neulieferung
eines Golfs der fraglichen Baureihe den oben aufgezeigten Betrag
ausmachen, der Händlerrabatt insbesondere nicht verhandelbar sei und eine
Ersatzbeschaffung aus dem Kontingent des Sondermodells zum fraglichen
Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Die Angaben des Zeugen zur Höhe der
Anschaffungskosten und des Händlerrabatts decken sich auch mit den
vorgelegten Unterlagen. Des Weiteren führte er überzeugend aus, dass der
Wertverlust durch die Zulassung bei einem VW-Golf ca. 15% betrage. Dies
deckt sich im Übrigen mit dem gerichtsbekannten Wertverlust von Pkws
dieser Klasse durch die Zulassung. Des Weiteren ist insoweit zu sehen,
dass es sich hierbei auch um einen Betrag handelt, der sich in der
juristischen Literatur in Beispielsfällen zum neuen Kaufrecht findet (vgl.
Heinrich, Die Schuldrechtsreform, S. 57, aus www.schuldrechtsreform.com).
2. Nachdem ein Anspruch schon nicht besteht, liegt zwingend auch kein
Annahmeverzug vor.
II. Die Widerklage ist zulässig und begründet. Gegen die Zulässigkeit
bestehen keine Bedenken. Wie unter I ausgeführt, ist bezüglich der
Feststellung des Annahmeverzugs ein Feststellungsinteresse gegeben.
1. Die Bekl. hat gegen den Kl. Anspruch auf Zahlung restlichen Kaufpreises
in Höhe von 3000 Euro aus § 433 II BGB.
a) Zwischen den Parteien besteht unstreitig ein Restzahlungsanspruch in
Höhe von 3000 Euro auf Grund Kaufvertrags vom 3. 4. 2002.
b) Wie oben ausgeführt, sind am vorhandenen Kaufobjekt Mängel vorhanden,
die dem Kl. aus §§ 439 , 437 Nr. 1, 434 BGB ein Recht auf Nachbesserung
geben, welches dem Käufer die Möglichkeit der Erhebung der Einrede des
nichterfüllten Vertrags (§§ 320 , 433 BGB) ermöglicht. In einem solchen
Fall ist nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung möglich. Nachdem eine solche
beantragt wurde, steht dem Klageanspruch nichts entgegen.
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