Objektiver Fehlerbegriff
im Kaufrecht (§ 434 I S. 2 Nr. 2 BGB)
BGH, Urteil vom 4. März
2009 - VIII ZR 160/08
Fundstelle:
NJW 2009, 2056
Amtl. Leitsatz:
a) Für die Beurteilung, ob ein
Kraftfahrzeug mit Dieselpartikelfilter deswegen im Sinne des § 434 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft ist, weil der Partikelfilter von Zeit zu Zeit
der Reinigung (Regenerierung) bedarf und dazu eine Abgastemperatur benötigt
wird, die im reinen Kurzstreckenbetrieb regelmäßig nicht erreicht wird, kann
nicht auf die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung, die übliche
Beschaffenheit oder die aus der Sicht des Käufers zu erwartende
Beschaffenheit von Kraftfahrzeugen ohne Dieselpartikelfilter abgestellt
werden.
b) Der Umstand, dass ein Kraftfahrzeug mit Dieselpartikelfilter für eine
Verwendung im reinen Kurzstreckenbetrieb nur eingeschränkt geeignet ist,
weil die zur Reinigung des Partikelfilters erforderliche Abgastemperatur im
reinen Kurzstreckenbetrieb regelmäßig nicht erreicht wird, so dass zur
Filterreinigung von Zeit zu Zeit Überlandfahrten unternommen werden müssen,
stellt keinen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB dar,
wenn dies nach dem Stand der Technik nicht zu vermeiden ist und aus
demselben Grund auch die Kurzstreckeneignung der Fahrzeuge anderer
Hersteller, die mit einem Dieselpartikelfilter ausgerüstet sind, in gleicher
Weise beeinträchtigt ist.
c) Eine Sache, die dem Stand der Technik vergleichbarer Sachen entspricht,
ist nicht deswegen im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft,
weil der Stand der Technik hinter der Käufererwartung zurückbleibt.
Zentrale Probleme:
Eine lehrreiche Entscheidung zum objektiven
Fehlerbegriff. Im Vordergrund steht insbesondere der Vergleichsmaßstab.
Zentrale Aussage; Ein Produkt, daß dem Stand der Technik entspricht, ist
nicht deshalb mangelhaft, weil der Stand der Technik nicht der
Käufererwartung entspricht. S. auch
BGH NJW 2007, 1351 sowie
BGH NJW 2009, 1588
und
BGH NJW 2009, 2120.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein
Neufahrzeug.
2 Der Kläger erwarb von der Beklagten einen Pkw Opel Zafira 1.9 CTDI zum
Kaufpreis von 26.470,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselpartikelfilter
ausgestattet. Da es im Kurzstreckenbetrieb mehrfach zu Störungen kam, die
überwiegend auf der Verstopfung des Partikelfilters beruhten, hat der Kläger
den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Der Kläger meint, darin sei ein
Mangel des Fahrzeugs zu sehen, während die Beklagte der Auffassung ist, das
Fahrzeug entspreche dem Stand der Technik. Da der Kläger das Fahrzeug
überwiegend im Kurzstreckenverkehr einsetze, sei keine ausreichende
Reinigung des Partikelfilters gewährleistet. Dieser müsse in bestimmten
Intervallen freigebrannt werden, was die Einhaltung einer bestimmten
Mindestgeschwindigkeit über mehrere Minuten erfordere, damit die dafür
erforderliche Temperatur erreicht werde. Die Notwendigkeit des
Reinigungsvorganges werde durch eine Kontrollleuchte angezeigt.
3 Mit der Klage hat der Kläger Zahlung von 24.739,31 € Zug um Zug gegen
Rückgabe des Fahrzeugs und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe
von 1.248,31 € jeweils nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass
sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die
Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verurteilung
zur Kaufpreisrückzahlung sich unter Berücksichtigung weiteren
Nutzungsersatzes auf den vom Kläger in zweiter Instanz ermäßigten Betrag von
23.415,81 € beschränkt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
I.
5 Das Berufungsgericht (OLG Stuttgart, NJW-RR 2008, 1077) hat zur Begründung
seiner Entscheidung ausgeführt:
6 Der vom Kläger erworbene Pkw sei mangelhaft im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz
2 Nr. 2 BGB. Nach den Ausführungen des Sachverständigen seien Fahrzeuge, die
mit einem Dieselpartikelfilter ausgestattet seien, nach dem derzeitigen
Stand der Technik für einen überwiegenden Kurzstreckeneinsatz nicht
geeignet, weil für die Regeneration des Partikelfilters eine erhöhte
Abgastemperatur erforderlich sei, die im reinen Kurzstreckenbetrieb nicht
erreicht werde. Diese Technik komme auch bei Fahrzeugen anderer Hersteller
zum Einsatz. Danach entspreche der erworbene Pkw zwar dem Stand der Technik,
wenn als Vergleichsmaßstab lediglich Fahrzeuge mit Partikelfilter
herangezogen würden. Für die Beurteilung, ob ein Sachmangel anzunehmen sei,
sei jedoch darauf abzustellen, inwieweit Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor
generell für den überwiegenden Kurzstreckenbetrieb geeignet seien. Ein
durchschnittlicher Verbraucher könne mangels entsprechender Hinweise seitens
der Kraftfahrzeughersteller oder Händler davon ausgehen, dass ein Fahrzeug
mit Dieselmotor - ebenso wie ein solches mit Benzinmotor - grundsätzlich
ohne technische Probleme im Kurzstreckenbetrieb uneingeschränkt verwendbar
sei.
II.
7 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der
vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Rücktrittsrecht des
Klägers wegen Mangelhaftigkeit des ihm von der Beklagten verkauften
Fahrzeugs nicht bejaht werden. Damit ist zugleich der Entscheidung des
Berufungsgerichts über die vom Kläger geltend gemachten Nebenforderungen und
den Feststellungsantrag die Grundlage entzogen.
8 Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass
zur Feststellung der Mangelfreiheit bzw. Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs
gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB darauf abzustellen ist, ob es sich
für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die
bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der
Sache erwarten kann. Eine Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien in
Bezug auf die Eignung des Fahrzeugs zum ausschließlichen oder überwiegenden
Kurzstreckenbetrieb, die gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB vorrangig zu
berücksichtigen wäre, hat das Berufungsgericht ebenso wenig festgestellt wie
eine nach dem Vertrag vorausgesetzte, von der gewöhnlichen Verwendung
abweichende Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). Übergangenen
Sachvortrag hierzu zeigt die Revisionserwiderung nicht auf.
9 Von Rechtsfehlern beeinflusst ist hingegen die Auffassung des
Berufungsgerichts, dass als Vergleichsmaßstab nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
BGB nicht Fahrzeuge des Herstellers Opel oder anderer Hersteller
heranzuziehen seien, die gleichfalls mit einem Dieselpartikelfilter
ausgestattet sind, sondern darauf abzustellen sei, inwieweit Kraftfahrzeuge
mit Dieselmotor generell für den überwiegenden Kurzstreckenbetrieb geeignet
seien. Damit setzt sich das Berufungsgericht über den Wortlaut des Gesetzes
hinweg, das in § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB als Vergleichsmaßstab
ausdrücklich die Beschaffenheit bezeichnet, die bei "Sachen der gleichen
Art" üblich ist und die der Käufer "nach der Art der Sache" erwarten
kann. Wenn Ursache des geltend gemachten Mangels der fehlenden Eignung für
einen überwiegenden Kurzstreckenbetrieb - wie im vorliegenden Fall - gerade
der Dieselpartikelfilter ist, so können als "Sachen der gleichen Art" nicht
Dieselfahrzeuge herangezogen werden, die nicht mit einem Partikelfilter
ausgestattet sind und bei denen die hier in Rede stehende Störungsursache
daher von vornherein nicht vorliegen kann. Sollbeschaffenheit nach § 434
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist vielmehr nur die Beschaffenheit, die bei "Sachen
der gleichen Art", das heißt bei Personenkraftwagen mit Dieselmotor und
Partikelfilter üblich ist und die der Käufer "nach der Art der (gekauften)
Sache" - nämlich eines Dieselfahrzeugs mit Partikelfilter - erwarten kann.
10 Hieran gemessen ist das vom Kläger gekaufte Fahrzeug mangelfrei. Denn
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich auf ein von ihm
eingeholtes Sachverständigengutachten stützen und die von der
Revisionserwiderung nicht angegriffen werden, sind Fahrzeuge aller
Hersteller, die mit einem Dieselpartikelfilter ausgestattet sind, nach dem
derzeitigen Stand der Technik für einen überwiegenden Kurzstreckeneinsatz
nicht geeignet, weil für die Regeneration (Reinigung) des Partikelfilters
eine erhöhte Abgastemperatur erforderlich ist, die im reinen
Kurzstreckenbetrieb gewöhnlich nicht erreicht wird. Das Fahrzeug des Klägers
weist somit in dieser Hinsicht eine Beschaffenheit auf, die bei allen
Dieselfahrzeugen mit Partikelfilter ("Sachen der gleichen Art") üblich ist
und die der Käufer eines derartigen Fahrzeugs "nach der Art der Sache"
erwarten kann.
11 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch nicht deswegen
auf die Kurzstreckeneignung von Dieselfahrzeugen ohne Partikelfilter
abgestellt werden, weil ein durchschnittlich informierter Käufer ohne
weitere Aufklärung nicht zu der Erkenntnis gelangen könne, dass ein mit
Dieselpartikelfilter ausgestattetes Neufahrzeug anders als Dieselfahrzeuge
ohne Partikelfilter oder Fahrzeuge mit Benzinmotor für einen überwiegenden
Einsatz im Kurzstreckenverkehr nicht geeignet seien. Für die
Sollbeschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB kommt es weder auf die
konkret vorhandene Vorstellung des jeweiligen Käufers noch auf einen
durchschnittlichen technischen Informationsstand - sofern ein solcher
überhaupt feststellbar sein sollte - der Käuferseite, sondern allein darauf
an, welche Beschaffenheit der Käufer "nach der Art der Sache" erwarten kann.
Maßstab ist danach die objektiv berechtigte Käufererwartung, die sich in
Ermangelung abweichender Anhaltspunkte an der üblichen Beschaffenheit
gleichartiger Sachen orientiert (Senatsurteil vom
7. Februar 2007 - VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351, Tz. 21). Als
übliche Beschaffenheit kann der Käufer in technischer Hinsicht aber
grundsätzlich nicht mehr erwarten, als dass die Kaufsache dem jeweiligen
Stand der Technik entspricht. Ist nach dem Stand der Technik die Eignung von
Dieselfahrzeugen mit Partikelfilter zum Kurzstreckenbetrieb im Vergleich zu
Dieselfahrzeugen ohne Partikelfilter eingeschränkt, so kann der Käufer eines
Dieselfahrzeugs mit Partikelfilter objektiv keine uneingeschränkte Eignung
zum Kurzstreckenbetrieb erwarten. Dass dem durchschnittlichen Autokäufer
die Einschränkung nicht bekannt sein wird, wie das Berufungsgericht annimmt,
ist für die objektiv berechtigte Käufererwartung irrelevant. Eine
Kaufsache, die dem Stand der Technik gleichartiger Sachen entspricht, ist
nicht deswegen nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, weil der Stand
der Technik hinter der tatsächlichen oder durchschnittlichen Käufererwartung
zurückbleibt.
12 Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung lässt sich ein Mangel des
dem Kläger verkauften Fahrzeugs auch nicht damit begründen, dass es sich
nicht für die gewöhnliche Verwendung eigne, weil es im Kurzstreckenbetrieb
nicht, zumindest nicht störungsfrei eingesetzt werden könne. Dabei kann
dahingestellt bleiben, ob unter der gewöhnlichen Verwendung eines
Personenkraftwagens mit Dieselmotor auch ein reiner oder überwiegender
Kurzstreckenbetrieb zu verstehen sein kann, wie die Revisionserwiderung
meint. Denn auch dafür eignet sich das verkaufte Fahrzeug, sofern der
Dieselpartikelfilter nach den Vorgaben der Bedienungsanleitung bei Bedarf
gereinigt wird. Dass die Durchführung dieser Filterreinigung für den Käufer
unter Umständen mit gewissen Unannehmlichkeiten verbunden sein mag, berührt
die Eignung des Fahrzeugs für die gewöhnliche Verwendung nicht. Dieses
Ergebnis wird auch durch die von der Revisionserwiderung angeführten
Gebrauchsbeeinträchtigungen nicht in Frage gestellt, die sich daraus
ergeben, dass der Partikelfilter in bestimmten Abständen bei einer
Abgastemperatur freigebrannt werden muss, die im reinen Kurzstreckenbetrieb
gewöhnlich nicht erreicht wird, und dass deshalb regelmäßig allein zum Zweck
der Filterreinigung unter Umständen längere Überlandfahrten erforderlich
werden. Denn dabei handelt es sich lediglich um die praktischen Auswirkungen
des gegenwärtigen Stands einer Filtertechnik, die man als unbefriedigend
empfinden mag, die aber bei allen Fahrzeugen mit Dieselpartikelfilter
auftreten und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beim derzeitigen
Stand der Technik nicht zu vermeiden sind.
III.
13 Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1
ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der
Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht -
nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen zu dem
weiteren Vorbringen des Klägers getroffen hat, dass jedenfalls das in sein
Fahrzeug eingebaute System mangelhaft sei (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). |