Objektiver Fehlerbegriff
(§ 434 I S. 1 BGB) beim Gebrauchtwagenkauf
BGH, Urteil vom 10. März
2009 - VIII ZR 34/08
Fundstelle:
NJW 2009, 1588
Amtl. Leitsatz:
Für die Frage, ob ein
verkaufter älterer Gebrauchtwagen wegen einer dem Verkauf vorausgegangenen
längeren Standzeit im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB frei von
Sachmängeln ist, ist - anders als bei der Standzeit eines Jahreswagens bis
zum Zeitpunkt seiner Erstzulassung (Senatsurteil vom 7. Juni 2006 - VIII ZR
180/05, NJW 2006, 2694, Tz. 11) - grundsätzlich nicht auf die Standzeit als
solche abzustellen, sondern darauf, ob bei dem Fahrzeug keine Mängel
vorliegen, die auf die Standzeit zurückzuführen sind und die gleichartige
Fahrzeuge ohne entsprechende Standzeit üblicherweise nicht aufweisen.
Zentrale Probleme:
Eine Entscheidung zum Gewährleistungsrecht, in der es
zentral um den objektiven Fehlerbegriff beim Gebrauchtwagenkauf geht. Der
Senat legt dar, daß die bloße längere Standzeit als solche keinen Sachmangel
darstellt. Anders ist das bei einem Fahrzeug, daß als Jahreswagen verkauft
wird, weil der Verkehr damit die Tatsache verbindet, daß das Fahrzeug noch
"jung" ist. Ein Sachmangel kann also hier nur vorgelegen haben, wenn das
Fahrzeug aufgrund der Standzeit Mängel hatte, was aber nicht der Fall war.
Natürlich lag aber in der Tatsache, daß das Fahrzeug wegen der Standzeit
zunächst nicht zulassungsfähig war, ein Mangel (wobei man sich streiten
kann, ob es sich dabei um einen Rechtsmangel oder einen Sachmangel handelt,
richtigerweise dürfte es sich wohl um einen Sachmangel handeln, denn es geht
um einen Umstand, der in der Sache selbst angelegt ist und deren rechtlichen
Beziehungen zur Umwelt und nicht um Rechte Dritter i.S.v. § 435 BGB).
Jedenfalls war dieser Mangel behebbar (und ist auch behoben worden), so daß
für einen Rücktritt des Käufers grundsätzlich eine Fristsetzung (§§ 437 Nr.
2, 323 I BGB) notwendig gewesen wäre. Der BGH verweist an die
Tatsacheninstanz zurück, weil der Käufer vorgetragen hatte, es habe sich um
ein (relatives) Fixgeschäft i.S.v. § 323 II Nr. 2 BGB gehandelt. Dann wäre
eine Fristsetzung entbehrlich gewesen mit der Folge, daß der Rücktritt des
Käufers wirksam gewesen wäre. Dann hätte der Verkäufer, der hier Kläger war,
den geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen
Zahlungsverspätung (§§ 280 I, III, 281 BGB) nicht. Achtung: klausurtypische
Konstellation!
S. auch BGH v. 12.3.2008 - VIII ZR 253/05, BGH NJW 2008, 53
sowie BGH NJW 2009, 2056.
©sl 2009
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt als Verkäufer Schadensersatz nach Rücktritt des
Beklagten von einem Gebrauchtwagenkauf.
2 Der Beklagte kaufte am 14. September 2006 vom Kläger einen Chevrolet Van
20 zum Preis von 13.900 €. Das Fahrzeug war am 10. März 1996 erstzugelassen
worden. Die Kfz-Zulassungsstelle verweigerte dem Beklagten die (erneute)
Zulassung, weil das Fahrzeug in den letzten 19 Monaten vor der beantragten
Wiederzulassung stillgelegt war. Nach Einholung des für die Zulassung
erforderlichen Gutachtens stellte der Kläger das Fahrzeug am 27. September
2006 wieder bereit und forderte den Beklagten auf, es bis zum 6. Oktober
2006 abzuholen. Mit Schreiben vom 29. September 2006 erklärte der Beklagte
den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er berief sich auf das Vorliegen eines
Fixgeschäfts und focht den Vertrag wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen
an. Nach nochmaliger vergeblicher Fristsetzung erklärte der Kläger am 6.
November 2006 seinerseits den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er verkaufte den
Van sodann zu einem Preis von 12.400 € an einen Dritten.
3 Mit der Klage fordert der Kläger die Differenz zwischen dem mit dem
Beklagten vereinbarten und dem beim Verkauf erzielten Preis (1.500 €) sowie
Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 755,80 €, jeweils
nebst Zinsen.
4 Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten
hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von
Interesse, ausgeführt:
7 Dem Kläger stehe gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz
nach § 281 Abs. 1 BGB zu. Die Standzeit und Stilllegungsdauer von 19 Monaten
stelle auch bei einem Gebrauchtwagen einen Sachmangel im Sinne von § 434
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB dar. Eine derart lange Standzeit berge die Gefahr
technischer Standschäden. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass das
Fahrzeug während der Standzeit im September 2005 dem Technischen
Überwachungsverein (TÜV) zur Durchführung der Hauptuntersuchung vorgeführt
worden sei. Die Beseitigung des Sachmangels sei unmöglich, so dass der
Beklagte ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag habe zurücktreten können.
II.
8 Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des
Klägers auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 BGB nicht
verneint werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lag bei
dem verkauften Fahrzeug kein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB vor,
so dass der Beklagte nicht gemäß § 437 Nr. 2, § 326 Abs. 5 BGB vom Vertrag
zurücktreten konnte.
9 1. Ein zum Rücktritt berechtigender Sachmangel kann im Streitfall nur
in der Standzeit von 19 Monaten liegen. Sonstige Fahrzeugmängel sind weder
festgestellt noch vom Beklagten behauptet worden. Die zunächst
fehlende Zulassungsfähigkeit ist vom Kläger durch Einholung des
erforderlichen Gutachtens spätestens am 27. September 2006 beseitigt worden.
10 Hinsichtlich der Standzeit kommt nur ein Sachmangel im Sinne des § 434
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB in Betracht. Eine Beschaffenheitsvereinbarung im
Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt insoweit nicht vor; die
Sollbeschaffenheit ergibt sich auch nicht aus der nach dem Vertrag
vorausgesetzten Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). In diesem Punkt
unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von demjenigen, der
dem Senatsurteil vom 7. Juni 2006 (VIII ZR 180/05, NJW 2006, 2694) zugrunde
lag. Dort sollte das verkaufte Fahrzeug die vereinbarte Beschaffenheit eines
"Jahreswagens" aufweisen. Der Senat hat dazu ausgeführt, dass die
Vereinbarung der Beschaffenheit eines Gebrauchtfahrzeugs als "Jahreswagen"
gemäß § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig zum Inhalt hat, dass es sich bei
dem verkauften Fahrzeug um einen "jungen" Gebrauchtwagen aus erster Hand
handelt, der sich hinsichtlich seines Alters von einem Neufahrzeug im
Wesentlichen lediglich durch die einjährige Nutzung seit der Erstzulassung
unterscheidet, mithin bis zum Zeitpunkt seiner Erstzulassung keine Standzeit
von mehr als zwölf Monaten aufweist (aaO, Tz. 11 m.w.N.).
11 2. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist eine Sache frei von
Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine
Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die
der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
12 a) Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein gebrauchter
Personenkraftwagen grundsätzlich dann, wenn er keine technischen Mängel
aufweist, die die Zulassung zum Straßenverkehr hindern oder die
Gebrauchsfähigkeit aufheben oder beeinträchtigen (Senatsurteil
vom 10. Oktober 2007 – VIII ZR 330/06, NJW 2008, 53, Tz. 18 m.w.N.). Da
technische Mängel des Fahrzeugs vom Beklagten nicht behauptet werden und
auch sonst nicht ersichtlich sind, ist diese Voraussetzung erfüllt.
13 b) Das Fahrzeug wies auch die Beschaffenheit auf, die bei einem
Gebrauchtwagen üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Bei einem
Gebrauchtwagen ist, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind,
jedenfalls der normale alters- und gebrauchsbedingte Verschleiß üblich und
hinzunehmen. Welche Beschaffenheit üblich ist, hängt im Übrigen von den
Umständen des Einzelfalles ab, wie beispielsweise dem Alter und der
Laufleistung des Fahrzeugs, der Anzahl der Vorbesitzer und der Art der
Vorbenutzung (Senatsurteil vom 10. Oktober 2007,
aaO, Tz. 19 m.w.N.).
14 aa) Anders als das Berufungsgericht meint, lässt sich keine Aussage dahin
treffen, dass eine Standzeit und Stilllegungsdauer von 19 Monaten bei einem
Gebrauchtfahrzeug eine Beschaffenheit darstellt, die nicht mehr üblich ist
und die der Käufer nicht erwarten musste. Eine allgemeingültige Antwort auf
die Frage, welche Standzeit üblich ist und ab welcher Zeitspanne diese
Grenze überschritten wird, ist schon deshalb nicht möglich, weil die
Standzeit eines Gebrauchtwagens stark von der jeweiligen Marktlage abhängt.
Aber selbst wenn feststünde, dass ein beträchtlicher Teil von
Gebrauchtwagen, die hinsichtlich Fahrzeugtyp, Alter und Laufleistung mit dem
verkauften Fahrzeug vergleichbar sind, ohne längere Standzeiten verkauft
wird, führte eine solche, rein statistische Betrachtung nicht weiter.
Jedenfalls kommt eine Orientierung an Durchschnittswerten nicht in Betracht,
denn diese schließen nicht aus, dass es dennoch eine nicht unerhebliche
Anzahl vergleichbarer Fahrzeuge gibt, die eine ähnlich lange Standzeit wie
das verkaufte Fahrzeug aufweisen.
15 Außerdem lässt sich allein auf statistischer Grundlage keine Aussage
dazu treffen, welche Käufererwartung hinsichtlich der Standzeit objektiv
berechtigt ist (vgl. Senatsurteil vom 7.
Februar 2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351, Tz. 21 m.w.N.). Dabei ist
zu berücksichtigen, dass die Standzeit des Fahrzeugs für den
Gebrauchtwagenkäufer nicht als solche, sondern allein im Hinblick auf
mögliche standzeitbedingte Schäden (vgl. dazu AG Rottweil, DAR 1999, 369,
370; OLG Düsseldorf, DAR 2003, 318; ferner Reinking/Eggert, Der Autokauf,
10. Aufl., Rdnr. 2141) von Interesse ist. Ob, an welchen Teilen, in welchem
Umfang und nach welcher Standzeit sich derartige Mängel einstellen, hängt
indessen von vielen Faktoren, insbesondere davon ab, unter welchen
Bedingungen und mit welchen Vorsorgemaßnahmen ein stillgelegtes Fahrzeug
abgestellt wird. Geschieht dies unter ungünstigen Bedingungen und/oder ohne
fachmännische Vorbereitung, können schon nach kurzer Standzeit Korrosions-
und andere Schäden auftreten. Umgekehrt kann bei fachmännischem Vorgehen der
Zustand eines auch längere Zeit stillgelegten Fahrzeugs besser sein als der
gleichaltriger Fahrzeuge ohne Standzeit.
16 bb) Deshalb ist hinsichtlich der Standzeit eines älteren
Gebrauchtwagens (nicht eines Jahreswagens; siehe dazu oben unter 1)
bei der Prüfung, ob das Fahrzeug im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB
frei von Sachmängeln ist, grundsätzlich nicht auf die Standzeit als solche
abzustellen, sondern darauf, ob bei dem Fahrzeug keine Mängel vorliegen, die
auf die Standzeit zurückzuführen sind und die gleichartige Fahrzeuge ohne
entsprechende Standzeit üblicherweise nicht aufweisen. Diese
Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Standzeitbedingte Mängel sind vom
Beklagten nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
III.
17 Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§
563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), denn das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob das
Amtsgericht bei seiner Entscheidung, es habe kein Fixgeschäft im Sinne des §
323 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorgelegen, den Sachvortrag des Beklagten ausreichend
erschöpft und die dazu angebotenen Beweise zu Recht nicht erhoben habe. Die
insoweit gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen werden nunmehr
nachzuholen sein.
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