§ 5 Zustandekommen des Vertrags, Teil II

Lösungen


Lösung zu Fall 1 (Vertragsschluß, Zugang der Annahme, geheimer Vorbehalt)

Ein Beförderungsvertrag (Werkvertrag nach § 631 BGB) wäre zwischen J und D zustande gekommen, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zum Abschluß eines solchen Vertrages vorliegen würden (§§ 145 ff BGB).

1.    Angebot

Ein konkludentes Angebot (§ 145 BGB) zum Abschluß eines Beförderungsvertrags kann in dem Bereitstellen der Straßenbahn durch die AVG gesehen werden. Da sich das Angebot nicht an eine bestimmte Person, sondern an "jedermann" richtet, liegt eine sog. offerte ad incertas personas vor.

2.    Annahme

Die Annahme könnte konkludent durch das Benutzen der Straßenbahn durch S erfolgt sein. Voraussetzung wäre, daß dieses Verhalten eine Willenserklärung darstellt. Objektiv müsste darin der Rechtsbindungswille zum Abschluss eines Vertrages über die Beförderung zum üblichen Fahrpreis gesehen werden können. Diese Willenserklärung muß nach § 151 S. 1 BGB nicht zugehen.. Nach h.M. ist aber auch in diesen Fällen die Annahme als solche erforderlich, d.h. ein als Willensbetätigung zu wertendes, nach außen hervortretendes Verhalten des Angebotsempfängers, aus dem sich dessen Annahmewille unzweideutig ergibt (BGH NJW-RR 1986, 415; BGHZ 111, 97 [101] = NJW 1990, 1655; BGH NJW 1990, 1656). Auslegungsmaßstab für Willenserklärungen nach § 151 S. 1 BGB ist allerdings mangels Empfangsbedürftigkeit nicht § 157 BGB, sondern § 133 BGB. Da der Gedanke des Vertrauensschutzes keine Rolle spielt, kommt es auf die objektive Erklärungsbedeutung grundsätzlich nicht an. Die Rechtsprechung objektiviert allerdings auch dies, wenn sie darlegt, daß es "vielmehr ... darauf an(komme), ob vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten aus das Verhalten des Angebotsempfängers aufgrund aller äußeren Indizien auf einen wirklichen Annahmewillen (§ 133 BGB) schließen läßt (BGHZ 111, 97 [101] = NJW 1990, 1655 = LM § 151 BGB Nr. 16; BGH, NJW 1990, 1656 [unter II 2 a]). Sofern allerdings im Fall des § 151 S. 1 BGB derjenige, der eine Leistung beansprucht, weiß, daß ihm dies nur für den Fall der Annahme eines entsprechenden Vertragsangebots gestattet ist, diese in Anspruch nimmt, ohne den Willen zu haben, eine Annahme zu erklären und diesen Willen verheimlicht, ist in Analogie zu § 116 BGB von der Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens auszugehen.
Nach diesen Maßstäben kann das Verhalten des S vom Standpunkt eines "unbeteiligten objektiven Dritten" nur so verstanden werden, dass er einen Beförderungsvertrag schließen wollte. Dies soll nach dem Willen des S - der ja nicht als Schwarzfahrer erkennt werden will - auch nach außen so verstanden werden. Der innere Wille des S, nicht bezahlen zu wollen, ist daher analog § 116 S. 1 BGB irrelevant (vgl. zum Ganzen, insbesondere zur Unterscheidung zwischen "heimlichen" und "offenen" Schwarzfahren umfassend Weth JuS 1998, 795 ff)

Eine wirksame Annahme liegt daher ebenfalls vor.

Ergebnis: Damit ist ein Beförderungsvertrag zustande gekommen.

Vertiefend zu § 116 BGB:

Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 47.
Zu den zivilrechtlichen Problemen des "Schwarzfahrens" s. umfassend Weth JuS 1998, 795 ff


Lösung Fall 2 (Widerruf nach § 355 BGB)

V könnte von K einen Anspruch auf Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von 100.- € haben, wenn zwischen ihnen ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen wäre (§ 433 Abs. 2 BGB).

I.     Anspruchsentstehung

Ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB setzt das Vorliegen zweier sich deckender Willenserklärungen, Angebot (§ 145) und Annahme (§ 147) BGB voraus.

Ein Angebot kann hier entweder schon im Vortragen des besonders günstigen Angebots durch V gesehen werden, welches K dann durch ihre Erklärung, den Eimer kaufen zu wollen, angenommen hätte. Alternativ könnte man auch erst die Erklärung der K als Angebot werten. Dann läge eine Annahme seitens des V vor. Beide Erklärungen entsprechen auch inhaltlich den Anforderungen, da sie die essentialia negotii eines Kaufvertrags enthalten und sich inhaltlich decken.

Ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB ist zunächst entstanden.

II.     Erlöschen des Anspruchs
Die Willenserklärung der K und damit auch der ganze Vertrag könnten jedoch gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 BGB durch Widerruf unwirksam und damit ex nunc erloschen sein. Zwar spricht § 355 Abs. 1 BGB lediglich davon, daß der Verbraucher nach einem Widerruf an seine Willenserklärung "nicht mehr gebunden" ist, jedoch bedeutet dies nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers eine Unwirksamkeit der Willenserklärung infolge des Widerrufs.

Ein wirksamer Widerruf setzt nach § 355 BGB voraus:

1.     Bestehen eines Widerrufsrechts

Ein Widerrufsrecht könnte sich aus § 312 I BGB ergeben.

a)    Persönlicher Anwendungsbereich

Dies setzt zunächst voraus, dass K Verbraucher ist (§ 312 Abs. 1 S. 1 BGB). Nach § 13 BGB ist das jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Als Hausfrau ist K demnach unproblematisch Verbraucher. Selbst wenn man die Tätigkeit einer Hausfrau nach ihrer Wertigkeit als "Beruf" bezeichnen kann, ist sie zumindest nach der ratio von § 312 BGB keine berufliche Tätigkeit i.S.v. § 13 BGB.
V müsste Unternehmer sein. Darunter versteht man jedenfalls jede natürliche ... Person ..., die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (§ 14 BGB). V handelt beim Abschluß des vorliegenden Vertrages unzweifelhaft als Unternehmer i.S. dieser Definition.

b)     Sachlicher Anwendungsbereich

Ein Kaufvertrag hat "eine entgeltliche Leistung" zum Gegenstand. Der sachliche Anwendungsbereich von § 312 BGB ist damit eröffnet.

c)     Situativer Anwendungsbereich

Der Vertragsschluß muß in einer der von § 312 Abs. 1 BGB genannten Situationen erfolgt sein. Vorliegend ist § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfüllt.

d)    Kein Ausschlußtatbestand (§ 312 Abs. 3 BGB)

Ein Ausschlußtatbestand ist vorliegend nicht erfüllt.

Zwischenergebnis: Ein Widerrufsrecht besteht.

2.     Widerrufserklärung

Die Widerrufserklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 357 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 349 BGB).
Inhaltlich muß eine Widerrufserklärung hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, daß vom Vertrag Abstand genommen wird. Das Wort "Widerruf" muß dabei nicht verwendet werden, ebensowenig ist eine Begründung erforderlich (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB). Aus dem Brief, in dem K mitteilt, sie wolle von dem Geschäft nichts mehr wissen, geht dies hinreichend deutlich hervor.
Die Erklärung muß weiter in Textform (§ 126b BGB) abgegeben werden. Eine schriftliche Erklärung entspricht diesem Erfordernis. Der Widerruf wurde damit formgerecht abgebeben (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB).
Er ist auch zugegangen.

3.     Widerrufsfrist

a)     Fristbeginn

Gem. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB beginnt der Lauf der Widerrufsfrist erst mit einer förmlichen Belehrung über das Widerrufsrecht (Vorschrift lesen!). Da eine solche nicht erfolgt ist, hat die Frist noch gar nicht zu laufen begonnen.

b)    Absolute Ausschlußfrist
Nach § 355 Abs. 3 BGB entfällt das Widerrufsrecht bei Belehrungsfehlern auch nicht mehr nach Ablauf einer Ausschlußfrist.

Die Erklärung wurde damit rechtzeitig abgegeben.
 

Hinweis: Bei der Frist des § 355 Abs. 2, 3 BGB handelt es sich - wie etwa auch bei der Anfechtungsfrist nach §§ 121, 124 BGB - nicht um eine Verjährungsfrist, sondern um eine sog. Ausschlußfrist. Wirknorm für die Verjährung ist § 214 BGB, ihr unterliegen nur Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB), sie ist auch nur Einrede, d. h. der Anspruch als besteht als solcher weiter, kann nur nicht mehr durchgesetzt werden. Als Einrede muss sich auch geltend gemacht werden.
Bei Gestaltungsrechten spricht man dagegen von Verfristung. Diese Verfristung ist eine Einwendung, das Recht ist erloschen. Dies ist im Prozess auch von Amts wegen zu berücksichtigen.

Dazu ausführlich § 22 f. „Verjährungsrecht".

Ergebnis: Aufgrund des Widerrufs liegt kein wirksamer mehr Kaufvertrag vor, V hat keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung.
 

Zur Übersicht:

Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 169 (§ 312 BGB); 168 (§ 355 BGB)
Lorenz JuS 2000, 833 ff (zu § 361a BGB a.F. = § 355 BGB)


Lösung zu Fall 3 (Unbestellte Waren)

V könnte einen Anspruch auf  Zahlung der 20 € aus Kaufvertrag haben (§ 433 Abs. 2 BGB).
Voraussetzung ist zunächst, daß zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Dies wiederum setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) voraus.

1.) Angebot

Ein Angebot des V liegt vor. Dieses ist auch zugegangen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB).

2.) Annahme

Fraglich ist jedoch, ob K dieses Angebot auch angenommen hat.

a) Schweigen

Eine auf Annahme gerichtete Willenserklärung könnte in dem Schweigen des K gesehen werden. Für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung ist jedoch zunächst das Vorliegen einer Verlautbarung des Willens nach außen. Gerade dies fehlt jedoch i.d.R. beim Schweigen. Möglich ist jedoch daß die Parteien durch eine Vereinbarung dem Schweigen eine bestimmte Bedeutung zumessen. Im vorliegenden Fall hat der V dem K jedoch nur mitgeteilt, daß er davon ausgehe, daß K das Angebot annehme, wenn dieser 3 Wochen lang „schweigt“.
 

Übersicht zum Problemkreis "Schweigen als Willenserklärung":
Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 10

b) Konkludente Annahme durch Versenden der Weihnachtskarten

Eine Annahme gem. § 151 S. 1 BGB durch K könnte allerdings in dem Verschicken der Weihnachtspostkarten gesehen werden.
Eine Annahme nach § 151 S. 1 BGB unter Verzicht des Zugangs der Annahmeerklärung setzt eine nach außen erkennbare Betätigung eines tatsächlich vorhandenen Annahmewillens voraus. Fehlt dieser innere Annahmewille, so kann auch ein objektiv als Betätigung eines solchen Annahmewillens zu wertendes Verhalten nicht als Annahme beurteilt werden, sofern nicht ein analog § 116 BGB zu wertender Fall vorliegt (s. dazu Fall 1: Schwarzfahrer).
Im vorliegenden Fall hatte K keinen solchen Annahmewillen, da er davon ausging , daß er die Karten behalten könne, ohne dafür zu bezahlen. Diese Annahme war auch zutreffend: § 241a Abs. 1 BGB schließt für den Unternehmer bei Versendung unbestellter Ware an einen Verbraucher jegliche gesetzliche Ansprüche und damit auch Herausgabeansprüche vollständig aus. V ist gemäß § 14 BGB auch Unternehmer, da er die Postkarten in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit verschickt. K ist Verbraucher i.S.v. § 13 BGB, da er die Postkarten nicht im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit entgegennimmt.
Damit hat K grundsätzlich keine gesetzlichen Herausgabeansprüche gegen K. Da K somit die Karten tatsächlich "wie geschenkt" behalten und benutzen durfte, kann sein Verhalten bereits objektiv nicht als eine Betätigung eines Annahmewillens betrachtet werden, zumindest aber ist das Fehlen eines Annahmewillens nicht analog § 116 BGB unbeachtlich, weil dem K durch § 241a I BGB die Inanspruchnahme der Leistung (gesetzlich) auch ohne Annahme des Vertragsangebots gestattet ist (zu dieser Argumentation s. Fall 1: Schwarzfahrer).
Damit liegt eine konkludent erklärte Annahme nicht vor.

Ergebnis: V kann von K keine Bezahlung verlangen.
 
 

Beachte:
§ 241a BGB schließt nur gesetzliche Ansprüche aus, das Zustandekommen eines Vertrages ist daher auch bei Zusendung unbestellter Waren weiter möglich. Vor dem Hintergrund der Existenz der Norm darf aber i.d.R. das bloße Benutzen der Ware ohne tatsächlichen Annahmewillen nicht als konkldente Annahme ausgelegt werden: Derjenige, der etwas kostenlos behalten darf, wird - zumindest wenn er dies weiß - i.d.R. nicht den Willen zum Vertraggsschluß haben, wenn er die Sache benutzt.
Zur Vertiefung: 
Lorenz/Riehm, JuS Lern-CD Zivilrecht I  Rn. 35; S. Lorenz JuS 2000, 833, 841