Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht
IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
5. Arbeitsgemeinschaft
Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung;
Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich;
Widerklage
Fall 3:
"Und Treue, sie ist doch kein leerer Wahn"
(vgl. BGH NJW 1982, 767; NJW
1982, 1598; NJW 1986, 588; NJW-RR 1988,
1151, NJW 1994, 988)
K hat den B aus München vor
dem LG Augsburg aus einer für eine Schuld des S gegebenen Höchstbetragsbürgschaft
auf Zahlung von DM 100.000 verklagt. Es stellt sich dann heraus, daß
S die Hauptforderung
-
vor Einreichung der Klage,
-
nach Einreichung aber vor Zustellung
der Klage,
-
nach Zustellung der Klage
getilgt hat.
Daraufhin erklärt K die Hauptsache
für erledigt.
Welches weitere prozessuale Verhalten ist dem B
anzuraten?
Lösung:
-
Rechtsfolge einer Zustimmung der B zur Erledigungserklärung
- Beiderseitige Erledigungserklärung, § 91 a ZPO
-
Erklären beide Parteien
übereinstimmend dem Gericht, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache
seine Erledigung gefunden hat, dann bringen sie damit ihren Willen zum
Ausdruck, das Verfahren ohne Entscheidung in der Hauptsache zu beenden.
Aus dem Dispositionsgrundsatz folgt, daß das Gericht an diese Erklärung
gebunden ist und insbesondere nicht zu prüfen hat, ob und wann das
Erledigungsereignis eingetreten ist und ob die Klage vorher zulässig
und begründet war (1).
-
Im Schrifttum besteht keine
einhellige Auffassung über ihre Rechtsnatur. Es werden mehrere Ansichten
vertreten (2). Nahe liegt es, die übereinstimmende
Erledigungserklärung als ein Rechtsinstitut eigener Art zu begreifen.
Eine praktische Bedeutung kommt dem Theorienstreit kaum zu.
-
Durch die beiderseitige Erledigungserklärung
wird die Rechtshängigkeit der Hauptsache mit allen ihren prozeßrechtlichen
und materiellrechtlichen Wirkungen beendet ohne daß es dafür
eines besonderen Ausspruchs durch das Gericht bedarf. Sind bereits zur
Hauptsache gerichtliche Entscheidungen ergangen, dann sind sie durch die
Erledigungserklärung kraft Gesetzes wirkungslos (§ 269 Abs. 3
S. 1 ZPO analog).
-
Das Gericht muß und darf
nur noch über die Kosten entscheiden. Das Gericht hat nach §
91 a Abs. 1 S. 1 ZPO bei seiner Entscheidung den bisherigen Sach- und Streitstand
zu berücksichtigen. Mit "bisherig" ist das Verfahrensstadium bei Abgabe
der übereinstimmenden Erledigungserklärung gemeint. Das Gericht
ist auch bei einer Entscheidung nach § 91a ZPO an die allgemeinen
Regeln des Kostenrechts gebunden. Daher hat nach billigem Ermessen derjenige
die Kosten zu tragen, dem sie bei Fortführung des Verfahrens nach
§§ 91 - 97, 100, 101 hätten auferlegt werden müssen;
Bei dieser Prognoseentscheidung darf sich das Gericht aus prozeßökonomischen
Gründen mit einer summarischen Prüfung begnügen. Es ist
nicht gezwungen, schwierige Rechtsfragen zu klären. In einem solchen
Fall kann es auch angemessen sein, die Kosten gegeneinander aufzuheben
oder verhältnismäßig zu teilen (3).
-
Rechtsfolge eines Widerspruch
zur Erledigungserklärung des K - Einseitige Erledigungserklärung
Nach der Rechtsprechung des BGH (4)
und der h.M. (5) im Schrifttum führt die
einseitige Erledigungserklärung zu einer Veränderung des Streitgegenstandes.
Nicht mehr der ursprüngliche Antrag des Klägers, sondern der
Feststellungsantrag ist nunmehr Gegenstand der vom Gericht zu treffenden
Entscheidung. Obwohl zur Rechtsnatur der einseitigen Erledigungserklärung
immer wieder neue Theorien und Lösungsansätze entwickelt wurden,
gehen daher Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum zutreffend von einer
Klageänderung aus, die als Beschränkung regelmäßig
nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig ist. Der Kläger begehrt nunmehr
festzustellen, daß seine ursprünglich zulässige und begründete
Klage durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet
geworden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, spricht das Gericht die
Erledigung durch Urteil aus und bestimmt, daß der Beklagte die Kosten
zu tragen hat. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, weil die Klage ohnehin
schon unzulässig oder unbegründet war, weist das Gericht die
Klage ab und legt dem Kläger die Kosten auf. Anders als bei übereinstimmender
Erledigungserklärung bleibt die Hauptsache rechtshängig; das
Gericht hat nicht nur über die Kosten zu entscheiden (6).
-
Folglich ist B dann nicht zu einer Einwilligung in
die Erledigungserklärung zu raten, wenn eine Feststellungsklage des
K, daß sich die Hauptsache erledigt hat, als unbegründet abgewiesen
werden muß.
-
Der in der einseitigen Erledigungserklärung liegende
Feststellungsantrag des Klägers ist nur begründet, wenn ein erledigendes
Ereignis eingetreten ist. Ob dies der Fall ist, hat das Gericht, anders
als nach übereinstimmender Erledigungserklärung, zu prüfen.
Erledigendes Ereignis ist der objektive Lebenssachverhalt, der dazu führt,
daß die Klage unzulässig oder unbegründet geworden ist.
Mit der Zahlung durch den Hauptschuldner wird die Bürgschaftsklage
unbegründet, diese stellt daher ein erledigendes Ereignis dar.
-
Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses
-
Nach einhelliger Ansicht kann
ein vor Anhängigkeit des Rechtsstreits eingetretenes Ereignis die
Hauptsache nicht erledigen (7). Hat der Schuldner
oder ein Dritter bezahlt, bevor der Gläubiger Klage einreicht, kann
das nicht zur Erledigung einer Hauptsache führen. Die Sache war schon
erledigt, bevor sie "Hauptsache" eines Verfahrens werden konnte.
Im Fall a) ist B daher zu raten, der Erledigungserklärung
des K zu widersprechen.
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Tritt das erledigende Ereignis nach Rechtshängigkeit
des Rechtsstreits ein, ist die Feststellungsklage auf Erledigung der Hauptsache
nach einhelliger Auffassung begründet, wenn die Klage bis zu diesem
Zeitpunkt zulässig und begründet war.
Im Fall c) ist B daher zu raten, der Erledigungserklärung
des K zuzustimmen, da die Klage des K auf Feststellung der Erledigung der
Hauptsache begründet wäre und ein Kostenbeschluß nach §
91 a ZPO im Verhältnis zu den Kosten einer begründeten Feststellungsklage
günstiger ist.
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Umstritten ist allein, ob ein in den Zeitraum zwischen
Anhängigkeit und Rechtshängigkeit fallendes Ereignis die Hauptsache
erledigt, z.B. wenn der Schuldner nach Einreichung aber vor Zustellung
der Klage zahlt.
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Nach ständiger Rechtsprechung
des BGH ist dies zu verneinen (8). Danach setzt
die Feststellung, die Hauptsache sei erledigt, voraus, daß die Klage
bei ihrer Zustellung oder später zulässig und begründet
war und durch ein späteres Ereignis unzulässig oder unbegründet
wurde. Der BGH geht davon aus, daß erst die Zustellung einer Klage
das Prozeßrechtsverhältnis, die Parteien und den Streitgegenstand
bestimmt (§ 253 Abs. 2, § 261). Vorher sei ein Rechtsstreit im
Sinne der ZPO nicht vorhanden; ein eintretendes Ereignis könne ein
noch nicht bestehendes Prozeßrechtsverhältnis nicht berühren,
eine prozessual noch nicht existierende Hauptsache nicht erledigen. Ein
erledigendes Ereignis liegt danach nur dann vor, wenn eine zugestellte
Klage dadurch gegenstandslos wird; anders ausgedrückt, wenn eine im
Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässige und begründete
Klage durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet wird.
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Dieser Auffassung wird im Schrifttum
(9) und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte
(10) widersprochen und der Zeitpunkt vorverlegt,
zu dem der Antrag zulässig und begründet gewesen sein muß.
Aus Gründen der Prozeßökonomie und der Billigkeit soll
es genügen, wenn dies zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage der
Fall sei. Dabei wird auch auf §§ 207, 270 Abs. 3 ZPO verwiesen,
wonach prozessuale Wirkungen der Rechtshängigkeit auf die Anhängigkeit
zurückwirken; ebenso darauf, daß nach anderen Verfahrensordnungen
(VwGO, FGO) die Rechtshängigkeit bereits mit Klageeinreichung eintritt.
-
Stellungnahme
Für die Auffassung
des BGH spricht lediglich die begriffliche Argumentation. Diese ist aber
nicht zwingend (11). Sie führt vielmehr
zu erheblichen prozessualen Schwierigkeiten und benachteiligt den Kläger,
der sich völlig verfahrensgerecht verhalten hat. Da dem - dem Kläger
i.d.R. entzogenen - Zustellungszeitpunkt maßgebliche Bedeutung zukommt,
hängt der Inhalt der Entscheidung weitgehend vom Zufall ab. Dies verstößt
auch gegen den Rechtsgedanken der Rückwirkung der Zustellung auf den
Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift bzw, des Mahnantrags (vgl. §3
207 270 Abs. 3, 693 Abs. 2 ZPO) Schutzwürdige Belange des Beklagten
werden nicht berührt. Fehlt es an einer Erledigung, ist der Beklagte
durch § 91 ZPO geschützt; ist aber das Erledigungsereignis eingetreten,
so kann sich der Beklagte der Erledigungserklärung anschließen
mit der Folge, daß im Rahmen der Entscheidung gem. § 91a ZPO
auch die Frage der Kostenveranlassung berücksichtigt wird. Schließlich
wird mit der Maßgeblichkeit des Einreichungszeitpunkt für die
Erledigung der Gleichlauf mit den a nderen Verfahrensordnungen hergestellt,
in denen ein Auseinanderfallen von Anhängigkeit und Rechtshängigkeit
unbekannt ist (12). Das Argument, der Kläger
brauche ja lediglich seine Klage zu ändern und anstelle des bisher
geltend gemachten Anspruchs Ersatz der ihm entstandenen und noch entstehenden
Prozeßkosten als Schadensersatz wegen Verzugs des Beklagten verlangen
(13), überzeugt nicht, da er die prozessuale
Lage unnötig kompliziert und zudem mit der Verzugsvoraussetzung auch
materiell zu unbefriedigenden Ergebnissen führen kann.
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Im Fall b) ist B daher zu raten, der Erledigungserklärung
des K zuzustimmen, da nach richtiger Auffassung eine Feststellungsklage
des K auf Erledigung der Hauptsache begründet wäre. Aber selbst
wenn man dem nicht folgt, empfiehlt sich der Rat zur Einwilligung in die
Erledigungserklärung des K doch aufgrund der unsicheren Rechtslage.
FN 1: BGH
NJW 1956, 1517; BGH NJW 1982, 1598; Stein-Jonas/Bork,
§ 91 a Rdnr. 10; Musielak, Grundkurs ZPO, Rdnr. 252; Bergerfurth,
NJW 1992, 1655
(zurück).
FN 2: Vgl.
Musielak, Grundkurs ZPO, Rdnr. 254
(zurück).
FN 3: Vgl.
Musielak/Wolst, § 91a Rdnr. 11 ff
(zurück).
FN 4: BGH
NJW 1994, 2363 m.w.N.
(zurück).
FN 5: Bergerfurth,
NJW 1992, 1655, 1658 m.w.N.
(zurück).
FN 6: Vgl.
Musielak/Wolst, § 91a Rdnr. 28 ff m. zahlreichen weiteren Nachweisen
(zurück).
FN 7: vgl
Musielak/Wolst, § 91a Rdnr. 37
(zurück).
FN 8: BGH
NJW 1982, 1598; NJW 1994, 988; NJW 1994,
3332
(zurück).
FN 9: Zöller/Vollkommer,
§ 91a Rdnr. 42; MünchKomm/Lindacher, § 91a Rdnr. 75 jew.
m.w.N.
(zurück).
FN 10:
OLG München NJW 1979, 274; KG OLGZ 1986, 241; OLG Frankfurt/M GRUR
1987, 650
(zurück).
FN 11:
A.A. Musielak/Wolst, § 91a Rdnr. 37
(zurück).
FN 12:
ZöllerVollkommer, § 91a Rdnr. 42 m.w.N.
(zurück).
FN 13:
BGH NJW 1982, 1598; nach der neueren Rechtsprechung
des BGH (NJW 1994, 988) kann sogar in dem
unbegründeten Antrag des Klägers, die Erledigung der Hauptsache
festzustellen, zugleich das Begehren liegen, die Ersatzpflicht des Beklagten
für die nutzlos aufgewendeten Kosten festzustellen
(zurück). |