Begründetheit der Klage nach einseitiger Erledigungserklärung: Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses

BGH, Urteil v. 06.12.1984  - VII ZR 64/84 (Celle)


Fundstellen:

NJW 1986, 588
LM § 91 a ZPO Nr. 49
MDR 1985, 570
ZIP 1985, 833
Zur Aufrechnung s. BGH v. 17.7 2003 - IX ZR 268/02



Amtl. Leitsatz:

Bei einseitiger Erledigungserklärung kommt es für den Ausspruch des Gerichts, daß die Hauptsache erledigt ist, darauf an, ob die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war (Klarstellung zu BGH, NJW 1982, 767 und BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598).


Zum Sachverhalt:

Vor dem LG hat die Kl. zwar ihre Klage mit Schriftsatz vom 4. 10. 1976 begründet. Sie hat dann aber die Sache zunächst nicht weiter betrieben, nach ihrem Vortrag wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen. Ein auf den 12. 10. 1976 anberaumter Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf ihren Antrag ohne Bestimmung eines neuen Termins aufgehoben. Im August 1980 erhoben die Bekl. ihrerseits wegen eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung Klage gegen die Kl. (Zwischenprozeß). Gegenüber dieser Forderung hat die Kl. mit Schriftsatz vom 26. 8. 1980 mit ihrer restlichen Werklohnforderung aufgerechnet. Dieser Rechtsstreit ist rechtskräftig beendet. Die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen der Kl. hat das OLG mit 10146,18 DM zugunsten der Kl. berücksichtigt und sie im übrigen für unbegründet erachtet. Inzwischen hatten die Bekl. im vorliegenden Rechtsstreit, in dem sie erstmals die Einrede der Verjährung erhoben haben, beantragt, Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen. Das LG hat darauf entsprechend einem Antrag der Kl. das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Zwischenprozesses ausgesetzt. Im Termin hat dann die Kl. die Klage in Höhe von 4090,17 DM zuzüglich Zinsen zurückgenommen und im übrigen, d. h. wegen der restlichen 10146,18 DM zuzüglich Zinsen im Hinblick auf die im Zwischenprozeß erklärte Aufrechnung für erledigt erklärt.
Das LG hat durch Urteil ausgesprochen, daß der Rechtsstreit, soweit die Klage nicht zurückgenommen worden war, in der Hauptsache erledigt ist. Die Kosten des Verfahrens hat es zu 1/4 der Kl., zu 3/4 den Bekl. auferlegt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Bekl. blieb ohne Erfolg. Das OLG hat lediglich die Kostenentscheidung des LG abgeändert. Die Revision der Bekl. hatte im wesentlichen keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Nach Auffassung des BerGer. hat das Gericht im Falle der einseitigen Erledigungserklärung zu prüfen, ob die Klageforderung bis zu dem Zeitpunkt bestanden hat, in dem das Ereignis eintrat, das nach Rechtsauffassung des Kl. zur Erledigung der Hauptsache geführt hat. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtslage sei also der Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses. Nicht von Bedeutung sei hingegen der Zeitpunkt der Zustellung der Klage, denn eine Klage könne ursprünglich, bei Klageerhebung, unzulässig oder unbegründet gewesen, aber später zulässig bzw. begründet worden sein. Ebensowenig komme es auf den Zeitpunkt der Erledigungserklärung an. Denn dann sei die Klage in aller Regel unzulässig oder unbegründet, weil sie eben durch das zur Erledigung führende Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden sei.
Im vorliegenden Fall sei die im Zwischenprozeß mit Schriftsatz vom 26. 8. 1980 erklärte Aufrechnung der tatsächliche Vorgang, der zur Erledigung der Hauptsache geführt habe, also das erledigende Ereignis. Bis zu dieser Aufrechnung sei die Klage jedenfalls in Höhe des Betrages vom 10146,18 DM begründet gewesen. Da die Bekl. vor dem erledigenden Ereignis weder die Verjährung noch ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht hätten, könne offen bleiben, ob ihnen diese Einreden zugestanden hätten.
Dagegen wendet sich die Revision der Bekl. - bis auf eine geringfügige Korrektur bei der Entscheidung über die Kosten des ersten Rechtszugs - ohne Erfolg.
1. Wenn ein Kl. die Hauptsache einseitig für erledigt erklärt, der Bekl. dem aber widerspricht und Klageabweisung beantragt, hat das Gericht, wie es auch hier geschehen ist, durch Urteil darüber zu entscheiden, ob die Erledigung eingetreten ist oder nicht (BGHZ 83, 12 (13) = NJW 1982, 1598 m. Nachw.). Dabei kommt es hier auf den Meinungsstreit über die Rechtsnatur der einseitigen Erledigungserklärung nicht an (vgl. zum Meinungsstand die Nachw. BGH, NJW 1982, 767 (768)).
2. Das BerGer. hat auch zu Recht die gegen den Ausspruch der Erledigung durch das LG gerichtete Berufung der Bekl. zurückgewiesen, weil die Klage bei Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und weil sie eben durch dieses Ereignis unbegründet geworden ist.
a) Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß Erledigung dann eintritt und auf einseitige Erledigungserklärung des Kl. durch Urteil auszusprechen ist, wenn eine "ursprünglich" zulässige und begründete Klage nach Rechtshängigkeit gegenstandslos wird (BGHZ 37, 137 (142) = NJW 1962, 1723; BGHZ 79, 275 (276) = NJW 1981, 990; BGH, NJW 1961, 1210 (1211); 1965, 537; 1969, 237; 1981, 686 Nr. 11; LM § 823 (Dc) BGB Nr. 106 = VersR 1976, 954; BGH, VersR 1980, 384 (385)).
b) Dabei ist dem BerGer. darin zu folgen, daß "ursprüngliche" Zulässigkeit und Begründetheit nicht als Aussage für den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zu verstehen ist. Vielmehr kann sich grundsätzlich eine zunächst unzulässige oder unbegründete Klage "erledigen", wenn sie nur später, nämlich im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses, zulässig und begründet war (Habscheid, JZ 1963, 631). Davon gehen auch mehrere Entscheidungen des BGH aus, so Senat (NJW 1969, 237), nach dem es darauf ankommt, ob die Klage "vor dem angeblich erledigenden Ereignis" schon unzulässig oder unbegründet war, und die in diesem Sinne auf die "ursprüngliche" Unbegründetheit oder Unzulässigkeit der Klage abstellt (ähnlich BGHZ 37, 137 (142) = NJW 1962, 1723; BGH, NJW 1965, 537; 1975, 539  (540); BGH, LM § 826 (Dc) BGB Nr. 106 = VersR 1976, 954 (955)). Entscheidungen des BGH, die das nicht deutlich werden lassen (z. B. LM ZPO § 91a Nr. 39 = WM 1979, 1129; BGH, NJW 1965, 1597; VersR 1980, 384 (385)) hatten nach der Fallgestaltung keinen Anlaß, auf die Fragestellung  einzugehen.
c) Nach der Rechtsprechung des BGH muß die Klage aber auch nicht länger als bis zum erledigenden Ereignis zulässig und begründet sein (BGH, NJW 1965, 537; NJW 1969, 237; BGH, LM § 826 (Dc) BGB Nr. 106 = VersR 1976, 954 (955)). In all diesen Fällen war die Klage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet und sie wurde eben durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet. Ein späterer Zeitpunkt, also z. B. der der Erledigungserklärung, kommt auch nicht in Betracht. Die materielle Erledigung der Klage, also das erledigende Ereignis, muß immer vor der Erledigungserklärung liegen. Diese betrifft also notwendig eine Klage, die zur Zeit der Abgabe der Erledigungserklärung nicht mehr zulässig oder nicht mehr begründet ist, und zwar weil sie materiell bereits erledigt ist (vgl. auch BGHZ 83, 12 (13) = NJW 1982, 1598).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BGH, NJW 1982, 767 (= VersR 1982, 295). Auch in diesem Fall hatte bereits das erledigende Ereignis (die Entfernung eines Anschlags am schwarzen Brett) und nicht erst die Erledigungserklärung die Klage unzulässig bzw. unbegründet gemacht. Im Zusammenhang der Entscheidungsgründe kann dieses Urteil also nicht anders verstanden werden als die - auch dort - zitierte sonstige Rechtsprechung des BGH. Der angeführte Zeitpunkt "bis zur Erledigungserklärung" bezieht sich ersichtlich nur auf die prozessuale Lage und nicht auf die Frage der materiellen Erledigung.
d) Die in diesem Sinne zu verstehende ständige Rechtsprechung des BGH entspricht auch den Interessen beider Parteien. Der Kl. soll sich nicht den Folgen einer unzulässigen oder unbegründeten Klage, etwa nachdem sich ihre Aussichtslosigkeit herausgestellt hat, zu Lasten des Bekl. durch einseitige Erledigungserklärung entziehen dürfen. Dem Bekl. andererseits sollen zu Lasten des Kl. keine prozessualen Vorteile daraus erwachsen, daß die Klage nachträglich unzulässig oder unbegründet wird, sei es durch ein Verhalten des Bekl., sei es durch ein sonstiges Ereignis, das das in diesem Zeitpunkt noch berechtigte Klagebegehren gegenstandslos macht (zur Interessenlage ähnlich Habscheid, JZ 1963, 629 f.). Gerade um diesen Interessen beider Parteien gerecht zu werden, kann jede Partei einen streitigen Ausspruch über die Erledigung oder Nichterledigung erzwingen, ohne daß hierfür ein besonderes und weiteres Rechtsschutzbedürfnis erforderlich wäre (BGHZ 83, 12 = NJW 1982, 1598; BGH, NJW 1982, 767 m. w. Nachw.). Auch aus dieser, dem Rechtsinstitut zugrunde liegenden Interessenlage folgt im übrigen, daß als maßgeblicher Zeitpunkt nur der des erledigenden Ereignisses gesehen werden kann.
3. Danach hat das BerGer. die Klage zutreffend als erledigt angesehen. Die Erledigung ist materiell eingetreten durch die begründete Aufrechnung der streitgegenständlichen Werklohnforderung mit ebenfalls begründeten Gegenforderungen der Bekl. ("erledigendes Ereignis"). Daß die Erledigung durch die Kl. selbst herbeigeführt wurde, ist dabei nicht schädlich, denn die Aufrechnung ist einer Zahlung durch die Bekl. gleich zu erachten. Sie stellt sachlich nichts anderes als eine Zwangserfüllung durch Verrechnung dar. Da die Klage bis zu diesem Zeitpunkt zulässig und begründet war, ist somit Erledigung eingetreten, ohne daß es auf die Frage der Verjährung oder eines Zurückbehaltungsrechts ankäme, denn entsprechende Einreden waren im Prozeß jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt nicht erhoben.
Zu Unrecht meint die Revision, das BerGer. habe die Erledigungserklärung der Kl. im Sinne eines Klageverzichts oder einer Klagerücknahme umdeuten müssen. Es besteht keinerlei Anlaß, der Prozeßhandlung einer anwaltschaftlich vertretenen Partei, die sich ausdrücklich auf ein nicht verwechselbares prozeßrechtliches Rechtsinstitut bezieht, einen anderen Sinn beizumessen, als sie nach ihrem Wortlaut hat.
... Lediglich die vom BerGer. vorgenommene Korrektur der Entscheidung über die Kosten des ersten Rechtszuges ist rückgängig zu machen. Sie beruht darauf, daß das BerGer. die Auffassung vertritt, bei einseitiger Erledigungserklärung verringere sich der Streitwert nicht. Der Senat hält demgegenüber an der gefestigten Rechtsprechung des BGH fest, wonach in diesem Falle der Streitwert regelmäßig in der Höhe der bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten besteht (BGH, NJW 1961, 1210 Nr. 10; 1982, 768 Nr. 13 m. w. Nachw.). Eine vom Regelfall abweichende Beurteilung ist hier nicht geboten.


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