Anfechtung der "elektronischen Willenserklärung" (Eingabefehler)

OLG Hamm v. 8.1.1993


Fundstellen:

NJW 1993, 2321 f



Zentralproblem des Falles:

Bei automatisiert erstellten Willenserklärung kann es dazu kommen, daß aufgrund von Eingabefehlern im Vorfeld der Erklärung die Willenserklärung "fehlerhaft" ist. Es stellt sich hier die Frage der Charakterisierung solcher Eingabefehler als Erklärungsirrtum oder als unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. hierzu auch AG Frankfurt/Main NJW-RR 1990, 116).



Amtl. Leitsatz:

Eingabefehler in eine Datenverarbeitungsanlage unterliegen jedenfalls dann den Regeln über den Erklärungsirrtum, wenn der Irrtum bei der Dateneingabe unverändert in die an den Versicherungsnehmer gerichtete Willenserklärung eingeht.



Zum Sachverhalt:

Der Ehemann der Kl. schloß im August 1984 bei der Bekl. eine Leibrentenversicherung ab. Bei einem Jahresbeitrag von 1454,20 DM war eine Zahlungspflicht von sieben Jahren vorgesehen. Das ergab eine vereinbarte jährliche Rente von 800 DM oder eine Kapitalabfindung von 10797 DM. Fälligkeit sollte am 1. 8. 1991 eintreten. Im September 1985 starb der Ehemann der Kl., der bis dahin zwei Jahresbeiträge eingezahlt hatte. Der Vertrag wurde in der Folgezeit auf Wunsch der Kl. beitragsfrei gestellt. Unter dem 30. 9. 1986 teilte die Bekl. mit, daß wegen der Beitragsfreiheit die Mindestrente nicht erreicht sei und daß die Leibrentenversicherung daher entsprechend den vereinbarten Versicherungsbedingungen in eine beitragsfreie Erlebensfall–Versicherung umgewandelt werde. Die Erlebensfallsumme betrage 3098 DM und werde zum 1. 8. 1991 fällig. Anläßlich einer Tarifänderung erhielt die Kl. mit Anschreiben vom 14. 12. 1990 einen neuen Versicherungsschein mit Datum 31. 12. 1990, der statt 800 DM eine jährliche Rente von 3099 DM auswies. Nach Angaben der Bekl. wurden die durch die Tarifumstellung bedingten Änderungen in die Großrechenanlage über eine spezielle Anwendung eingegeben, die in 49 Bildschirmseiten ca. 240 Datenfelder aufwies. Bei der manuellen Eingabe der Einzelangaben aus den einzelnen Verträgen wurde in diesem Fall versehentlich der einmal zu zahlende Ablaufbetrag von 3098 DM in das Datenfeld für die jährlich wiederkehrenden Leibrenten eingegeben. Mit Schreiben vom 18. 7. 1991 teilte die Bekl. der Kl. mit, daß die Kapitalabfindung 47433,45 DM betrage. Tatsächlich errechnet die Bekl. aber nur eine Kapitalabfindung von 4225,54 DM, die sie auch der Kl. ausgezahlt hat. Den Rest von 43207,91 DM macht die Kl. mit der Klage geltend.Das LG hat der Klage voll stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung der Bekl., die geltend macht, es läge schon ein Erklärungsirrtum vor, jedenfalls handele es sich aber um einen relevanten Kalkulationsirrtum. Das Rechtsmittel der Bekl. war erfolgreich.

Aus den Gründen:
Der Kl. steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nicht zu, da die Bekl. ihre zum Vertragsschluß führende Willenserklärung wirksam gem. § 119 I Alt. 2 BGB angefochten hat.1. Mit ihrem Schreiben vom 14. 12. 1990 hat die Bekl. ein Vertragsangebot abgegeben, das entsprechend dem beigefügten Versicherungsschein eine jährliche Leibrente von 3099 DM beinhaltete. Eine Erklärung dieses Inhalts hat die Bekl. aber nicht abgeben wollen.a) Nach der Darstellung der Bekl., der der Senat gem. § 286 ZPO folgt, wurde bei der manuellen Eingabe der Daten und Beträge in die Großrechenanlage versehentlich der Betrag der Erlebensfallsumme in die Spalte der jährlichen Rente eingegeben. Aufgrund dieser Daten wurde dann der Versicherungsschein erstellt. Ein solcher Fehler kann nicht anders beurteilt werden, als wenn sich ein Sachbearbeiter bei Erstellung des Versicherungsscheins auf der Schreibmaschine verschrieben hätte. Ein solcher Irrtum unterliegt den Regeln über den Erklärungsirrtum (ebenso Staudinger–Dilcher, BGB, Vorb. §§ 116 ff. Rdnr. 8; Hart, in: AK–BGB, § 119 Rdnr. 13; Palandt–Heinrichs, BGB, § 119 Rdnr. 10).Entgegen der Auffassung der Kl. bezieht sich der Irrtum nicht auf eine bloße Vorbereitungshandlung für eine dann individuell angefertigte Willenserklärung. Zwar ist der Versicherungsschein gesondert, entsprechend den zuvor geänderten Daten erstellt worden. Der Irrtum bei der Dateneingabe wirkte aber bei der Erstellung des Versicherungsscheins nicht nur fort, sondern ging unverändert mit ein. Im Versicherungsschein wurde nämlich unverändert die falsche jährliche Leibrente in Höhe von 3099 DM wiedergegeben. Damit liegt der Fall nicht anders, als wenn sich der Erklärende in seinem Angebot verschreibt oder vertippt. Das aber ist ein Erklärungsirrtum (für die Fallkonstellation zust. auch Köhler, AcP 182, 126 (136)). Es handelt sich hier folglich nicht um den Fall eines internen Kalkulationsirrtums, bei dem der Erklärende intern mit falschen Daten arbeitet und dann irrtümlich ein darauf basierendes Vertragsangebot abgibt, das diese fehlerhaften Kalkulationsdaten nicht wiederholt.Entscheidend für die Beurteilung eines Irrtums sind die Vorstellungen und Absichten des Handelnden bei der letzten 'menschlichen Entscheidung'. Diese fand statt, als die manuellen Eingaben in die etwa 240 Datenfelder erfolgten. Dabei unterlief dem Sachbearbeiter ein Fehler – er verschrieb sich –, der sich dann auf den sachlich falschen Bescheid ohne weiteres menschliches Zutun auswirkte.b) Ist damit die zum Vertragsschluß führende Willenserklärung wirksam angefochten, entfällt mangels Vertrages ein Anspruch der Kl. Das Schreiben der Bekl. vom 18. 7. 1991 begründet dagegen keinen eigenen Anspruch der Kl., beinhaltet insbesondere kein Anerkenntnis. Es handelt sich lediglich um die Mitteilung der Höhe und Fälligkeit der Kapitalabfindung.In diesem Schreiben liegt auch keine Bestätigung des angefochtenen Rechtsgeschäftes (§ 144 I BGB). Das würde nämlich voraussetzen, daß dem Schreiben entnommen werden könnte, der Absender wolle trotz der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festhalten (BGH, NJW 1990, 1106). Daran fehlt es. Erkennbar basiert dieses Schreiben auf dem Versicherungsschein vom 31. 12. 1990. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die Bekl. die Fehlerhaftigkeit des zu hoch angegebenen Rentenbetrages bereits erkannt gehabt hätte.2. Da im vorliegenden Fall schon ein Erklärungsirrtum vorliegt, kann offenbleiben, ob bei anderer rechtlicher Beurteilung nicht dasselbe Ergebnis über einen erweiterten Inhaltsirrtum, über § 119 II BGB oder über § 242 BGB, erzielt werden müßte (vgl. dazu BGH, NJW 1981, 1551 (1553)).(Mitgeteilt von Vors. Richter am OLG Dr. Knappmann, Hamm)



<- Zurück