Ehegattenbürgschaften: Sittenwidrigkeit und der Schutz vor Vermögensverschiebungen 

BGH, Urteil v. 8.10.1998


Amtl. Leitsätze:

1. Besteht ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Haftung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des bürgenden Ehegatten oder Lebenspartners und läßt sich der Verpflichtungsumfang weder im Hinblick auf den Schutz des Gläubigers vor Vermögensverlagerung vom Hauptschuldner auf den Bürgen noch wegen des Werts einer Erbschaft, die er zu erwarten hat, rechtfertigen, ist der Bürgschaftsvertrag in der Regel wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (Ergänzung zu Senat, BGHZ 136,347 = NJW 1997, 3372 LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117).
2. Das Interesse des Gläubigers, sich gegen Vermögensverlagerungen zu schützen oder auf vom Bürgen später erworbenes Vermögen zugreifen zu können, schließt die Sittenwidrigkeit von Bürgschaften, die finanziell kraß überforderte Lebenspartner ab 1.1.1999 erteilen, nur dann aus, wenn dieser beschränkte Haftungszweck vertraglich geregelt ist.



Fundstellen:

Vorwegabdruck auf S. XIV ff (NJW-aktuell) Heft 51/1998 der NJW
NJW 1999, 58 ff



Zentralprobleme des Falles:

Die Entscheidung setzt einen (vorläufigen) Schlußpunkt im Bereich der Nichtigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger wegen "Überforderung". Bisher hatte der IX. Senat den Schutz vor Vermögensverschiebungen als legitimes Interesse der Bank an der Bürgschaft eines vermögenslosen Angehörigen erachtet und damit insoweit Sittenwidrigkeit (§ 138 I BGB) auch dann verneint, wenn dieser (begrenzte und damit zulässige) Sicherungszweck in der Bürgschaft nicht zum Ausdruck kam. Bereits der XI. Senat des BGH hatte dies als unzulässige geltungserhaltende Reduktion der an sich nach § 138 I BGB vorliegenden Sittenwidrigkeit verneint. Er steht zwar auch auf dem Standpunkt, daß der Schutz vor Vermögensverschiebungen ein legitimes Interesse des Hauptschuldners an der Bürgschaft auch eines sonst vermögenslosen Angehörigen darstellt. Der begrenzte Sicherungszweck müsse aber ausdrücklich vereinbart werden (BGH NJW 1993, 322 [324]; NJW 1997, 257 [259]).
Der IX. Senat stellt nunmehr klar, daß seine bisherige Rechtsprechung als eine Art "Übergangsrechtsprechung" zu verstehen ist, die aus Vertrauensschutzgründen für Altfälle galt. Er kündigt an, daß er diese für Bürgschaften, die ab dem 1.1.1999 erteilt werden, nicht mehr aufrechterhalten wird (daher der eilige Vorwegabdruck auf den Informationsseiten der NJW). Damit "schwenkt" der IX. Senat (unausgesprochen) auf die bisherige Linie des XI. Senats "ein".
Im übrigen wiederholt und präzisiert die Entscheidung die bisherigen Grundsätze der Nichtigkeit von Angehörigenbürgschaften in der Folge von BVerfG NJW 1994, 36 = BVerfGE 89, 214 ff  (Bürgschaftsbeschluß).


Zum Sachverhalt:

Mit formularmäßiger Erklärung vom 6.12.1991 übernahm die damals 44 Jahre alte Bekl. die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrag von 1 Mio. DM für alle Verbindlichkeiten ihres Ehemanns aus der Geschäftsverbindung mit der klagenden Sparkasse. Diese hatte dem Hauptschuldner im April/Mai 1991 ein Tilgungsdarlehen in Höhe von 650 000 DM sowie einen Kredit in laufender Rechnung über 250 000 DM gewährt. Als Sicherheit waren ihr eine Grundschuld im Nennbetrag von 1 Mio. DM auf dem Hausgrundstück des Kreditnehmers bestellt sowie vier Fahrzeuge im Wert von zusammen ca. 250 000 DM übereignet worden. Am 6.12.1991 wurde der Kontokorrentkredit über 250 000 DM durch einen neuen Vertrag in Höhe von 400 000 DM ersetzt. Außerdem gewährte die Kl. dem Hauptschuldner ein weiteres Tilgungsdarlehen von 350 000 DM. Am 28.4.1993 wurde der Kontokorrentkredit auf 1 250 000 DM erhöht. Die Bekl. verfügte bei Erteilung der Bürgschaft über kein eigenes Einkommen oder Vermögen. Wie die Kl. jedoch wußte, war die Mutter der Bekl. Eigentümerin eines Hausgrundstücks in Pforzheim. Im Jahre 1993 übertrug die Mutter der Bekl. im Wege vorweggenommener Erbfolge zwei aus diesem Grundstück gebildete Eigentumswohnungen je zur Hälfte an ihre beiden Töchter. Die eine Wohnung wurde veräußert, woraus der Bekl. ein Erlös von 168 000 DM zufloß. Davon hat sie 150 000 DM auf das Kontokorrentkonto des Ehemanns bei der Kl. überwiesen. Die andere Wohnung ist mit einem lebenslänglichen dinglichen Wohnrecht zugunsten der Mutter belastet. Im November 1994 kündigte die Kl. die Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner. Sie hat die Bekl. aus der Bürgschaft in Höhe von 1 Mio. DM in Anspruch genommen. Das LG hat der Klage in vollem Umfang, das BerGer. in Höhe von 850 000 DM stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Klageabweisung.

Aus den Gründen:

II. Bereits aus dem unstreitigen Vorbringen der Parteien folgt, daß der Bürgschaftsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 1 BGB nichtig ist.
1. Die Bekl. hat eine Bürgschaftsverpflichtung übernommen, deren Umfang bei Vertragsschluß in krassem Mißverhältnis zu ihrer voraussichtlichen finanziellen Leistungsfähigkeit stand. Die Parteien konnten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, die wirtschaftliche Situation der damals einkommens- und vermögenslosen Bekl. werde sich bei Eintritt des Bürgschaftsfalls nachhaltig verbessert haben. Die Aussicht, einmal Erbin nach ihrer Mutter zu werden, richtete sich auf ein ungewisses zukünftiges Ereignis, das bei Erteilung der Bürgschaft keine Rechtsposition, sondern lediglich eine tatsächliche Hoffnung begründete, deren Erfüllung zeitlich nicht bestimmbar war. Zwar ist das Bestreben des Kreditgebers, auf eventuelles zukünftiges Vermögen des Bürgen zugreifen zu können, im Ansatz rechtlich nicht zu beanstanden (BGHZ 132, 328 [333] = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108). Jedoch kann er den dem Hauptschuldner emotional eng verbundenen Bürgen, der ansonsten wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist, selbst bei Wirksamkeit des Vertrags grundsätzlich erst nach Eintritt des Erbfalls in Anspruch nehmen (BGHZ 134, 325 [331 f.] = NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114). Für die Beurteilung, ob und in welchem Maße der Bürge durch die von ihm übernommene Verpflichtung finanziell überfordert wird - also die Grundvoraussetzung dafür, daß der Vertrag nach § 138 I BGB zu beanstanden oder die Leistungspflicht des Bürgen gem. § 242 BGB einzuschränken ist -, hat somit der Vermögenserwerb durch eine spätere Erbschaft zunächst außer Betracht zu bleiben (vgl. BGHZ 134,325 [3321 = NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114).
2. Die Entscheidungsfreiheit der Bekl. ist nicht in rechtlich anstößiger Weise beeinträchtigt worden. Die insoweit von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch (§ 565 a S. 1 ZPO). Indessen kann nach der Rechtsprechung des Senats der Bürgschaftsvertrag, den der Kreditgeber mit dem Ehegatten des Hauptschuldners geschlossen hat, im Einzelfall auch ohne solche Einwirkungen auf die freie Willensbestimmung des Bürgen wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein. Sind die finanziellen Mittel des Bürgen, bezogen auf die Höhe der gesamten Hauptschuld, praktisch bedeutungslos und ist unter keinem Gesichtspunkt ein rechtlich vertretbares Interesse des Kreditgebers an einer Verpflichtung in dem vereinbarten Umfang erkennbar, so ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Bürge sich auf eine solche Verpflichtung nur aufgrund emotionaler Bindung an den Hauptschuldner infolge mangelnder Geschäftsgewandtheit und Rechtskundigkeit eingelassen und die Bank dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat (Senat, BGHZ 136, 347 NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117/2118] ). Einem solchen wirtschaftlich sinnlosen Geschäft, das nicht maßgeblich von unabhängigen, eigenverantwortlichen Erwägungen des Bürgen gesteuert wird, die ihre Ursache außerhalb der persönlichen Beziehung zum Hauptschuldner haben, versagt die Rechtsordnung durch § 138 I BGB jegliche Wirkung (vgl. BGHZ 125, 206 [211, 216 f.] = NJW 1994, 1278 = LM H. 9/1994 § 765 BGB Nr. 91; BGHZ 132, 328 [330 f.] = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108; Senat, BGHZ 136, 347 = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117 [2118]).
3. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat im Urteil vom 18.9.1997 (BGHZ 136, 347 = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117 [2118]) - das nach Erlaß der hier angefochtenen Entscheidung ergangen ist - einen Bürgschaftsvertrag als nichtig angesehen, durch den eine in krassem Mißverhältnis zur Leistungsfähigkeit des bürgenden Ehegatten stehende Verpflichtung begründet wurde, die sich weder im Hinblick auf den Schutz des Gläubigers vor Vermögensverlagerung vom Hauptschuldner auf den Bürgen noch aus sonstigen berechtigten Interessen des Kreditgebers rechtfertigen ließ. Der nunmehr zur Entscheidung stehende Fall entspricht dem Sachverhalt, der jenem Urteil zugrunde lag, in allen wesentlichen Punkten.
a) Die Bekl. besaß weder Einkünfte noch Vermögen, mit denen sie die übernommene Verpflichtung bei Insolvenz des Hauptschuldners bis zum Betrag von 1 Mio. DM voraussichtlich würde decken können.
b) Trotz eines Nominalbetrags der Bürgschaftsverpflichtung, welcher jedes vernünftige Maß übersteigt, kann eine krasse Überforderung des Bürgen zu verneinen sein, sobald dieser infolge der übrigen dem Gläubiger gewährten Sicherheiten davor geschützt ist, daß er bei Fälligkeit der Hauptforderung in einem Maße in Anspruch genommen wird, das außer Verhältnis seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht. Das Risiko der Bekl. war jedoch nicht in solcher Weise begrenzt. In Zusammenhang mit der Erteilung er Bürgschaft sowie schon vorher hat die Kl. dem Hauptschuldner Kredite in Höhe von insgesamt 1,4 Mio. DM gewährt. Als Sicherheiten hatte sie eine erstrangige Grundschuld auf dem Hausgrundstück des Hauptschuldners im Nennwert von 1 Mio. DM erhalten; außerdem waren ihr vier Fahrzeuge im Gesamtwert von ca. 250 000 DM übereignet worden. Die Kl. hat jedoch in Nr. 3 der Bürgschaftsurkunde eventuelle Rechte des Bürgen aus der Aufgabe dieser Sicherheiten sowie der Art und dem Zeitpunkt ihrer Verwertung (vgl. § 776 BGB) ausgeschlossen. Nach dem Inhalt der vereinbarten Regelung stand es der Kl. auch frei, dem Hauptschuldner weitere Darlehen zu gewähren und die von ihm erhaltenen Sicherheiten zur Deckung der daraus entstehenden Forderungen zu verwenden. Schließlich wurde die Haftung der Bekl. auf alle schon bestehenden und in der Zukunft noch erwachsenden Forderungen der Kl. aus der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner erstreckt. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit diese Klauseln mit den Bestimmungen des AGB-Gesetzes zu vereinbaren sind. Für die im Rahmen des § 138 I BGB gebotene Gesamtbetrachtung ist nur von Belang, daß nach dem Vertragsinhalt eine dem Schutzbedürfnis der Bürgin Rechnung tragende Einschränkung ihres Haftungsrisikos nicht vorgesehen war (vgl. dazu ausf. Senat, BGHZ 136, 347 = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997,2 117 [2118 ff.]). Dementsprechend hat die Kl. die Bekl. in Höhe des vereinbarten Höchstbetrags klageweise in Anspruch genommen.
c) Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Senats ist das Begehren des Kreditgebers, den Lebenspartner in einem seine finanziellen Verhältnisse übersteigenden Maße in die Haftung einzubeziehen, in der Regel vertretbar, wenn der Gläubiger sich dadurch wirksam vor Vermögensverlagerung vom Hauptschuldner auf den Partner schützen kann (BGHZ 128, 230 [234] = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; BGHZ 134, 325 [327 ff.] = NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114). Hier durfte die Kl. jedoch auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bürgschaft in Höhe von 1 Mio. DM verlangen. Die Kl. hatte anderweitige Sicherheiten in Höhe von 1,25 Mio. DM erhalten. Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen der Bekl. waren diese Sicherheiten im genannten Umfang tatsächlich werthaltig. Die Kl. hat nicht behauptet, schon bei Erteilung der Bürgschaft sei eine zusätzliche Kreditgewährung über den damals festgelegten Betrag von insgesamt 1,4 Mio. DM hinaus - wie sie später im April 1993 durch Erhöhung des Kontokorrentkredits von 400 000 DM auf 1,25 Mio. DM erfolgte - in Erwägung gezogen und eine solche Absicht auch der Bürgin mitgeteilt worden. Vielmehr hat die Bekl. unwidersprochen vorgetragen, die Kl. habe die Bürgschaft damals nur deshalb gefordert, weil der Hauptschuldner das laufende Konto, auf dem zunächst ein Kredit Von 250 000 DM gewährt worden war, überzogen hatte und eine Erhöhung auf 400 000 DM erfolgen sollte. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Kl. daher lediglich in Höhe des Restrisikos von etwa 150 000 DM berechtigte Gründe, sich durch die Haftung der Bekl. auch vor Vermögensverlagerung zu schützen. Der vertraglich vereinbarte Umfang der Bürgschaft steht zu diesem Interesse ersichtlich nicht in einer vernünftigen Relation.
d) Gleichwohl könnte der Bürgschaftsvertrag wirksam sein, wenn die Parteien bei Übernahme der Haftung davon ausgehen durften, die Bekl. werde ihre Mutter beerben und dann möglicherweise in der Lage sein, eine Forderung in dem hier geltend gemachten Umfang zu tilgen. In einem solchen Falle würde der rechtliche gebotene Schutz des Bürgen schon dadurch bewirkt, daß seine Verpflichtung erst mit Eintritt des Erbfalls bzw. dem Erhalt der Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge fällig würde (vgl. BGHZ 134, 325 [331 f.] =NJW 1997,1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114). Die Kl. durfte jedoch von Anfang an nicht damit rechnen, daß der Bekl. auch nur entfernt Vermögen im Umfang ihrer Verpflichtung zuwachsen werde.
aa) Die Mutter der Bekl. hat ihr Grundvermögen im Jahre 1993 auf die Bekl. und der Schwester übertragen; es bestand aus zwei Eigentumswohnungen. Unstreitig wurde eine Wohnung veräußert; auf den hälftigen Miteigentumsanteil der Bekl. entfielen als Erlös 168 000 DM. Die Bekl. hat vorgetragen, sie habe mit der Zahlung von 150 000 DM an die Kl. fast die Hälfte des ihr zugeflossenen Vermögens zur Schuldentilgung eingesetzt. Sie geht folglich davon aus, daß die zweite Wohnung, an der der Mutter ein dinglich gesichertes Wohnrecht zusteht, der veräußerten Wohnung wertmäßig etwa gleichzusetzen ist. Das Vermögen, das die Bekl. im Wege vorweggenommener Erbfolge erhalten hat, hatte somit im Zeitpunkt der Übertragung ungefähr einen Wert von 336 000 DM, machte also nur rd. ein Drittel der vereinbarten Haftungssumme aus. Zwar ist die Schätzung von Grundvermögen mit Unsicherheitsfaktoren belastet. Bei Vertragsschluß durfte auch eine den Erfahrungswerten der Vergangenheit entsprechende Wertsteigerung bis zum Erbfall erwartet werden. Gleichwohl war ohne weiteres abzusehen, daß eine dem vereinbarten Höchstbetrag entsprechende Schuld nicht einmal annähernd mit dem Erlös aus der Veräußerung der hälftigen Miteigentumsanteile an den in Rede stehenden Wohnungen getilgt werden konnte.
bb) Die Kl. hat allerdings behauptet, der Hauptschuldner habe ihr vor Vertragsschluß erklärt, die Bekl. sei das einzige Kind ihrer Mutter und könne folglich damit rechnen, Alleinerbin zu werden. Auf diese Aussage durfte sich die Kl. nicht verlassen; denn die Bekl. hat für diese Erklärung nicht einzustehen. Es entspricht banküblicher Gepflogenheit, die Werthaltigkeit einer Sicherung zu überprüfen. Hat die Bank von entsprechenden Nachforschungen abgesehen, insbesondere den Bürgen nicht zu dessen finanzieller Leistungsfähigkeit befragt, muß sie sich die objektiven Tatsachen als bekannt entgegenhalten lassen, weil ihre unzureichenden Kenntnisse allein auf der Verletzung eigener Obliegenheiten beruhen (BGHZ 125, 209 [212 f.] = NJW 1994, 1278 LM H. 9/1994 765 BGB Nr. 91; BGH, NJW 1994, 1341 [1343] = LM H. 9/1994 § 765 BGB Nr. 90 = WM 1994,680 [683]; NJW 1997, 52 [54] = LM H. 2/1997 § 765 BGB Nr. 110 = WM 1996,2194 [2196] ). Die Kl. hat sich nicht bei der Bekl. selbst nach den Erbaussichten erkundigt. Der Hauptschuldner, der im Auftrag des Gläubigers Verhandlungen mit dem Bürgen führt, ist grundsätzlich nicht Vertrauensperson des Kreditgebers, sondern Dritter i. S. des § 123 II BGB (Senat, NJW-RR 1992, 1005 = LM H. 10/1992 § 123 BGB Nr. 75 = ZIP 1992, 755 [756] ). Verhandelt der Hauptschuldner mit dem Gläubiger, gilt nichts anderes im Verhältnis zum Bürgen, weil der Hauptschuldner eigene, von denen des Bürgen unabhängige Interessen verfolgt. Das trifft regelmäßig auch dann zu, wenn Hauptschuldner und Bürge durch Ehe oder aus sonstigen vergleichbaren Gründen einander emotional eng verbunden sind. Grundsätzlich muß sich eine Partei das eigenmächtige Verhalten eines andern im Rahmen der Anbahnung des Vertragsschlusses nicht zurechnen lassen, wenn sie ihn nicht zum Verhandlungsführer bestellt oder als Verhandlungsgehilfen hinzugezogen hat (vgl. BGH, NJW 1996, 1051 = LM H. 4/1996 § 123 BGB Nr. 78). Die Kl. hat nicht behauptet, die Bekl. habe ihren Ehemann beauftragt, in entsprechender Weise für sie tätig zu werden.
e) Nach dem Parteivorbringen in den Tatsacheninstanzen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Bekl. die Bürgschaft aus anderen als den in solchen Fällen üblichen Motiven erteilt hat. Ihre Entschließung war also wesentlich von persönlicher Verbundenheit mit dem Haupt-schuldner sowie von der Hoffnung geprägt, auf diese Weise den Erhalt des Betriebs zu sichern, der die Grundlage für die gemeinsame Lebensgestaltung der Bekl. mit dem Hauptschuldner bildete. Darüber hinausgehende eigenverantwortliche Erwägungen oder selbständige unternehmerische Absichten waren bei dieser Entscheidung nicht im Spiel. Daher ist es gerechtfertigt, den Vertrag als wirtschaftlich sinnlos, seinem Inhalt nach nur aufgrund einer ausgeprägten Vertragsunterlegenheit der Bekl. zustandegekommen und deshalb sittenwidrig anzusehen (vgl. BVerfGE 89, 214 [232 ff.] = NJW 1994, 36; Senat, BGHZ 136, 347 = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117 [2119]).
4. Da weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO) und die Klage, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen, abzuweisen. Darüber hinaus ist auf folgendes hinzuweisen: Die Rechtsprechung des Senats, wonach Bürgschaftsverträge mit wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Ehegatten oder Lehenspartnern nicht gegen die guten Sitten verstoßen, sofern der Gläubiger ein berechtigtes Interesse hat, sich vor Vermögensverlagerungen zu schützen oder auf Vermögen zuzugreifen, das dem Bürgen voraussichtlich aufgrund einer näher bestimmten Erbschaft zuwachsen wird (BGHZ 128,230 [233 ff.] = NJW 1995,592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; BGHZ 132,328 [330 ff.] = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108; BGHZ 134, 325 [327 ff. =NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114; BGH, NJW 1997, 1005 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr.113 = WM 1997,465 [466 f.]; BGHZ 136,347 NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120 = WM 1997, 2117 [2119]), hat sich im Anschluß an die Entscheidung des BVerfG vom 19.10.1993 (BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36) entwickelt. Dabei wurden erst im Laufe der Zeit die Gesichtspunkte herausgearbeitet, die für die Beurteilung von Bürgschaften naher Angehöriger nach § 138 BGB maßgebend sind. Der Senat hat dabei berücksichtigt, daß die von ihm zu beurteilenden Bürgschaftsverträge zu einer Zeit geschlossen wurden, in der rechtlich noch unsicher war, unter welchen Voraussetzungen Bürgschaften naher Angehöriger gegen die guten Sitten verstoßen. Er hat im Rahmen von Billigkeitserwägungen unter Anwendung von Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung und des Maßstabs von Treu und Glauben Bürgschaften wirtschaftlich nicht leistungsfähiger Angehöriger in Fällen, in denen keine sonstigen erschwerenden Umstände hinzutraten, von der Nichtigkeitsfolge des §138 BGB ausgenommen, soweit aus den genannten Gründen dem Kreditgeber ein berechtigtes Interesse an der Einbeziehung des nahen Angehörigen in die Haftung nicht abgesprochen werden konnte; denn wegen der damals unsicheren Rechtslage war es für die Kreditgeber unklar inwieweit sie die Wahrung jenes Interesses über die bloße Hereinnahme der Bürgschaft hinaus durch geeignete vertragliche Regelungen absichern mußten. Diese Rechtsunsicherheit ist durch die inzwischen ergangenen Entscheidungen des BGH beseitigt worden. Sie haben klargestellt, daß Bürgschaften von Personen, die dem Kreditgeber emotional nahestehen, grundsätzlich sittenwidrig sind, wenn sie wegen deren krasser finanzieller Überforderung als reines Sicherungsmittel für den Kreditgeber keinen wirtschaftlichen Wert besitzen. Soll eine solche Verpflichtung jedoch dazu dienen, zukünftige Vermögensverlagerungen oder bestimmte Arten eines sonstigen späteren Vermögenserwerbs, insbesondere Erbschaften des Bürgen, zu erfassen, so mag dieser beschränkte Haftungszweck vertraglich geregelt werden (vgl. BGHZ 134,42 [49] = NJW 1997, 257 = LM H. 2/1997 § 5 AGBG Nr. 25). Bürgschaftsverträge, die zukünftig entsprechende inhaltliche Einschränkungen nicht enthalten, werden nicht mehr allein unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Vermögensverlagerung oder des Zugriffs auf zukünftiges Vermögen des Bürgen als wirksam angesehen werden können. Diese neuen Grundsätze wird der Senat auf Bürgschaftsverträge anwenden, die ab dem 1.1.1999 geschlossen werden.



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