BGHZ 126, 105
NJW 1994, 2021
LM H. 10/1994 § 818 Abs. 3 BGB Nr. 37
JZ 1994, 1024
WM 1994, 1392
ZIP 1994, 954
FamRZ 1994, 953
Amtl. Leitsatz:
Ist ein gegenseitiger Vertrag mangels (voller)
Geschäftsfähigkeit des einen Vertragspartners unwirksam, so muß
dieser sich auf seinen Bereicherungsanspruch auf Herausgabe des zur Vertragserfüllung
Geleisteten nicht nach der sog. Saldotheorie den Wert der nicht mehr vorhandenen
Gegenleistung anrechnen lassen.
Der Kl. erwarb mit Vertrag vom 12. 2. 1990 von
den Bekl. ein Sonnenstudio nebst Inventar und Warenvorräten zum Preis
von 75000 DM. Er betrieb das Studio in den bisherigen, angemieteten Geschäftsräumen
ab April 1990. Ende Mai 1991 stellte er den Geschäftsbetrieb ein;
das Sonnenstudio existiert seither nicht mehr. Mit Beschluß vom 4.
6. 1991 wurde die Schwester des Kl. zu dessen Pflegerin mit dem Wirkungskreis
der Personen- und Vermögenssorge bestellt. Die Anordnung der Pflegschaft
stützt sich auf ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie
G vom 8. 5. 1991, das zu dem Ergebnis gelangte, der Kl. leide infolge einer
im Februar 1985 erlittenen Kohlenmonoxydvergiftung an einem hirnorganischen
Defektsyndrom und sei aus diesem Grunde seit Februar 1985 geschäftsunfähig.
Mit Rücksicht hierauf begehrt der Kl., vertreten durch seine Pflegerin
(jetzt: Betreuerin), die Rückzahlung des Nettokaufpreises in Höhe
von 65789,47 DM Zug um Zug gegen Rückgabe des Inventars und der noch
vorhandenen Warenvorräte des Sonnenstudios. Die Bekl. haben bestritten,
daß der Kl. beim Abschluß des Kaufvertrags geschäftsunfähig
gewesen sei, und Bereicherungsansprüche des Kl. im übrigen deswegen
für ausgeschlossen gehalten, weil dem Kl. die Rückgabe des Sonnenstudios
wegen der Einstellung des Geschäftsbetriebs unmöglich sei. Jedenfalls
müsse der Kl. den Erlös aus der Veräußerung von Waren
sowie den aus dem Betrieb des Sonnenstudios gezogenen Gewinn an sie herausgeben.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung
der Bekl. hatte nur insoweit Erfolg, als ihre Verurteilung um den vom Kl.
erzielten Erlös von 5908,20 DM aus dem Verkauf von Warenbeständen
auf 59881,27 DM ermäßigt worden ist. Die Revision der Bekl.
hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat ausgeführt:
Der Kaufvertrag vom 12. 2. 1990 sei nichtig, weil
der Kl. bei Vertragsschluß geschäftsunfähig gewesen sei.
Nach der übereinstimmenden Beurteilung der Gutachter sei der Kl. beim
Vertragsabschluß wegen krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit
aufgrund der Folgen der im Jahre 1985 erlittenen Kohlenmonoxydvergiftung
nicht in der Lage gewesen, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen
abhängig zu machen. Die infolge der Vergiftung erlittene Gehirnschädigung
habe zur Folge, daß der Kl. zwanghaft an einer einmal gefaßten
Idee festhalte, ohne daß ihm gegenläufige oder abwägende
Vorstellungen in den Sinn kämen und ohne daß er eigene Zweifel
zulassen oder Einwänden von außen Gehör schenken könne.
Dieser Zustand bestehe nach den Ausführungen beider Sachverständigen
auf Dauer. Der hieraus resultierende Bereicherungsanspruch des Kl. auf
Rückzahlung des Nettokaufpreises sei in Höhe von 5908,20 DM,
des Erlöses aus der Veräußerung ihm von den Bekl. überlassener
Warenbestände, durch Aufrechnung der Bekl. erloschen. Für den
Wert des nicht mehr vorhandenen Sonnenstudios brauche der Kl. dagegen keinen
Ersatz zu leisten, weil er insoweit nicht mehr bereichert sei. Auf die
Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, die wegen Geschäftsunfähigkeit
eines Partners nichtig seien, finde die Saldotheorie wegen des vorrangigen
Schutzes nicht voll Geschäftsfähiger keine Anwendung. Dem Einwand
des Wegfalls der Bereicherung stehe auch nicht § 819 I BGB entgegen.
Es fehle an Anhaltspunkten dafür, daß der Kl. von seiner Geschäftsunfähigkeit
gewußt habe. Eine etwaige Kenntnis könnte ihm zudem wegen seiner
Erkrankung nicht zugerechnet werden. Ob der Schwester des Kl. dessen
Geschäftsunfähigkeit im Frühjahr 1990 bekannt gewesen sei,
könne dahinstehen, da sie erst Anfang Juni 1991 zur Pflegerin bestellt
worden sei. Schließlich stehe den Bekl. auch kein Gegenanspruch auf
Herausgabe des vom Kl. aus dem Betrieb des Sonnenstudios gezogenen Gewinns
zu. Der Überschuß von 10000 DM, den der Kl. nach den Angaben
der Bekl. während des über 14 Monate andauernden Betriebs des
Sonnenstudios erwirtschaftet habe, gehe nicht über ein Tätigkeitsentgelt
für den Einsatz der Arbeitskraft des Kl. hinaus.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen
der Revision stand.
1. Vergeblich wendet sich die Revision mit Verfahrensrügen
gegen die Feststellung des BerGer., der Kl. sei bei Abschluß des
Kaufvertrags im Februar 1990 geschäftsunfähig gewesen. Hierfür
fehlt es, anders als die Revision meint, weder an festgestellten Anknüpfungstatsachen
noch an gutachterlichen Wertungen, die auf eine dauerhafte krankhafte Störung
der Geistestätigkeit des Kl. schließen lassen.
Das BerGer. stützt seine Feststellung in
erster Linie auf das im Berufungsrechtszug eingeholte Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. P vom 7. 7. 1993. Die Revision bemängelt, der Gutachter
nenne keine Anknüpfungstatsachen, die den Schluß rechtfertigen,
daß der Kl. sich seit der Kohlenmonoxydvergiftung ständig und
ohne Schwankungen in einem die freie Willensbildung ausschließenden
Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe.
Anhaltspunkte für eine Störung im kognitiven Bereich für
die Zeit vor Abschluß des Kaufvertrags ergäben sich auch nicht
aus den von dem Gutachter mitverwerteten Klinikunterlagen und früheren
Untersuchungsbefunden. Schließlich habe der Gutachter Gesichtspunkte
unberücksichtigt gelassen, die dafür sprächen, daß
der Kl. bei Abschluß des Kaufvertrags geschäftsfähig gewesen
sei. Nach einer Lehrmeinung, die der Gutachter zwar referiert, mit der
er sich aber nicht auseinandergesetzt habe, verlaufe die Krankheit in Phasen
und sei Geschäftsunfähigkeit nur in ausgeprägter melancholischer
oder manischer Phase anzunehmen. Das spreche gegen eine dauerhafte Störung
im kognitiven Bereich. Der Sachverständige habe sich weiter nicht
damit auseinandergesetzt, daß dem Kl. unstreitig im Februar 1990
im Zusammenhang mit der Anpachtung eines Biergartens ein Gesundheitszeugnis
ausgestellt worden sei, was dafür spreche, daß er sich zumindest
zeitweise unauffällig habe verhalten können. Da das Gutachten
allenfalls den Schluß auf einen schwankenden Geisteszustand des Kl.
zulasse, könne nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden,
daß der von dem Gutachter beschriebene Zustand gestörter Geistestätigkeit,
der die freie Willensbildung ausschließe, gerade auch zum Zeitpunkt
des Vertragsschlusses vorgelegen habe.
Mit diesen Rügen dringt die Revision nicht
durch. Das BerGer. hat den Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr. P und den hiermit inhaltlich übereinstimmenden Ausführungen
des Sachverständigen G rechtsfehlerfrei entnommen, daß der Zustand
krankhafter Störung der Geistestätigkeit des Kl. als Dauerzustand
anzusehen ist. Der Sachverständige G, mit dem der Gutachter Prof.
Dr. P bis auf terminologische Unterschiede übereinstimmt, hat den
Zustand des Kl. ausdrücklich als einen dauerhaften, nämlich seit
der im Februar 1985
Seite 2022
erlittenen Kohlenmonoxydvergiftung bestehenden
Zustand bezeichnet. Den Ausführungen des Sachverständigen Prof.
Dr. P ist nichts anderes zu entnehmen. Auch Prof. Dr. P gelangt zu dem
Ergebnis, daß die Störung der Geistestätigkeit des Kl.
die Folge einer Gehirnschädigung ist, die der Kl. als Folge der Kohlenmonoxydvergiftung
erlitten hat. Diesen Ursachenzusammenhang zieht auch die Revision nicht
in Zweifel. Steht aber eine - dauerhafte - organische Gehirnschädigung
als Ursache der Störung der Geistestätigkeit fest, so spricht
alles dafür, daß auch die durch die Gehirnschädigung hervorgerufene
Störung der Geistestätigkeit von dauerhafter Natur ist. Dieser
Wertung steht nicht entgegen, daß es Erscheinungsformen melancholischer
und manischer Erkrankungen geben mag, die in Phasen verlaufen und nicht
zur dauerhaften Geschäftsunfähigkeit führen, wie die Revision
unter Hinweis auf den Sachvortrag der Bekl. im Berufungsrechtszug geltend
macht. Dem von der Revision aufgezeigten Beklagtenvortrag ist nicht zu
entnehmen, daß ein solcher Krankheitsverlauf auch bei Geistesstörungen
auftritt, die auf einer organischen Schädigung des Gehirns beruhen.
Ebensowenig steht der Annahme dauernder Geschäftsunfähigkeit
des Kl. entgegen, daß ihm zeitnah zum Abschluß des Kaufvertrags
mit den Bekl. ein Gesundheitszeugnis erteilt worden ist. Daß der
Kl. sich zeitweilig unauffällig verhalten kann, ergibt sich auch aus
dem Untersuchungsbefund des Sachverständigen Prof. Dr. P. Gleichwohl
ist der Gutachter für den Zeitpunkt seiner Untersuchung zu dem Ergebnis
gelangt, daß der Kl. geschäftsunfähig ist. Für den
Zeitpunkt der Untersuchung Ende Juni 1993 zieht die Revision dieses Ergebnis
nicht in Zweifel. Daraus wird deutlich, daß ein äußerlich
unauffälliges Verhalten keine sicheren Rückschlüsse auf
den für die Frage der Geschäftsfähigkeit maßgeblichen
Geisteszustand zuläßt.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen
die Auffassung des BerGer., auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung
eines gegenseitigen Vertrags, der wie hier wegen Geschäftsunfähigkeit
eines Vertragspartners nichtig ist, finde die Saldotheorie keine Anwendung.
Mit dieser Auffassung befindet sich das BerGer. im Einklang mit der einhelligen,
zumindest ganz überwiegenden Meinung des Schrifttums (Erman/H. P.
Westermann, BGB, 9. Aufl., § 818 Rdnr. 43; Gitter, in: MünchKomm,
3. Aufl., Vorb. § 104 Rdnr. 51; Lieb, in: MünchKomm, 2. Aufl.,
§ 818 Rdnr. 91; Palandt/Thomas, BGB, 53. Aufl., § 818 Rdnr. 49;
Heimann-Trosien, in: RGRK, 12. Aufl., § 812 Rdnr. 64; Soergel/Mühl,
BGB, 11. Aufl., § 818 Rdnr. 87; Staudinger/Lorenz, BGB, 12. Aufl.,
§ 818 Rdnr. 42; Esser/Weyers, SchuldR II, 7. Aufl., § 51 II 3b;
Fikentscher, SchuldR, 8. Aufl., Rdnr. 1173; Larenz, SchuldR II, 11. Aufl.,
§ 70 III; Medicus, Bürgerliches Recht, 16. Aufl., Rdnr. 231;
Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl., §
16 V 5; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 17 III
3c bb; Flume, in: Festschr. f. Niedermeyer, 1953, S. 101 ff., 174; ders.,
NJW 1970, 1161 (1164); v. Caemmerer, in: Festschr. f. Larenz, 1973, S.
621 ff.; 636; Bremecer, Die Bereicherungsbeschränkung des § 818
III BGB, 1982, S. 45 f.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger
Willenserklärungen, 1966, S. 51 ff.; Honsell, MDR 1970, 717 (718);
Kohler, NJW 1989, 1849 (1850)).
Der erkennende Senat teilt diese Auffassung. Die
Anwendung der Saldotheorie bewirkt, daß der von den Vertragsparteien
bei Vertragsabschluß gewollte Zusammenhang zwischen Leistung und
Gegenleistung auch bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung
unwirksamer gegenseitiger Verträge erhalten bleibt. Wollte man sie
auch auf gegenseitige Verträge mit nicht oder nicht voll Geschäftsfähigen
anwenden, so hätte dies zur Folge, daß die synallagmatische
Bindung, die der beabsichtigte Vertrag wegen seiner auf § 105 BGB
beruhenden Unwirksamkeit nicht zu erzeugen vermochte, bei dessen Rückabwicklung
einträte. Ein solches Ergebnis wäre mit dem vorrangigen Schutz
Minderjähriger oder sonst nicht (voll) Geschäftsfähiger
nicht zu vereinbaren. Denn dieser Personenkreis darf nach der Wertung des
Gesetzgebers auch nicht faktisch an dem nichtigen Vertrag festgehalten
werden. Das aber wäre der Fall, wenn der geschäftsunfähige
Vertragspartner sich auf den eigenen Bereicherungsanspruch den Wert der
(untergegangenen) Gegenleistung anrechnen lassen, diese mithin "bezahlen"
müßte.
Findet die Saldotheorie auf die Rückabwicklung
des klagegegenständlichen Vertrags keine Anwendung, so kann der Kl.
die von ihm erbrachte Leistung zurückfordern, ohne für den von
ihm verursachten Untergang des Sonnenstudios Wertersatz leisten zu müssen
(§ 818 III BGB). Zu Unrecht will die Revision hierin eine vom Gesetz
nicht gedeckte und auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes Geschäftsunfähiger
nicht gerechtfertigte doppelte Bevorzugung des Geschäftsunfähigen
zu Lasten seines Vertragspartners erblicken. Richtig ist allerdings, daß
der Ausschluß der Saldotheorie im Ergebnis dazu führen kann,
daß der Bereicherungsschuldner und vermeintliche Vertragspartner
des Geschäftsunfähigen die nachteiligen Folgen zu tragen hat,
die sich aus dessen Dispositionen über das ihm Geleistete ergeben.
Auch davor - und nicht allein vor der vertraglichen Bindung - gilt es indessen
den nicht (voll) geschäftsfähigen Partner eines gegenseitigen
Vertrags zu schützen. Denn dieser Personenkreis übernimmt wegen
des Mangels voller Geschäftsfähigkeit eben auch nicht wirksam
das Risiko für den Untergang des ihm rechtsgrundlos geleisteten Gegenstands
im eigenen Vermögen (Erman/H. P. Westermann, § 818 Rdnrn. 43;
Lieb, in: MünchKomm, § 818 Rdnr. 106).
Aus der Entscheidung des BGH vom 11. 3. 1988 (NJW
1988, 3011) ergibt sich, wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, nichts
anderes. Zwar hat der BGH dort für den Fall eines wegen Geschäftsunfähigkeit
nichtigen Vertrags ausgesprochen, Leistung und Gegenleistung, die sich
bei einem unwirksamen Geschäft gegenüberstünden, seien grundsätzlich
zu saldieren (NJW 1988, 3011 unter II 3). In jener Entscheidung ging es
indessen nicht um die hier entscheidende Frage, ob der geschäftsunfähige
Vertragspartner sich den Wert der empfangenen, aber nicht mehr vorhandenen
Gegenleistung anrechnen lassen muß.
Der Berufung des Kl. auf den Wegfall der Bereicherung
steht weder die etwaige eigene noch die Kenntnis seiner Schwester von der
Geschäftsunfähigkeit entgegen, wie das BerGer. zutreffend und
ohne Angriff der Revision angenommen hat.
3. Ohne Rechtsfehler hat das BerGer. schließlich
auch einen Anspruch der Bekl. auf Herausgabe des Gewinns von 10000 DM verneint,
den der Kl. nach der Behauptung der Bekl. in 14 Monaten aus dem Betrieb
des Sonnenstudios gezogen hat. Der sich hieraus errechnende monatliche
Überschuß von rund 700 DM geht, wie auch die Revision nicht
bezweifelt, nicht über ein - bescheidenes - Entgelt für die eigene
Tätigkeit des Kl. hinaus und ist deshalb nicht auf die Leistung der
Bekl. zurückzuführen (vgl. BGHZ 7, 208 (217 f.) = NJW 1952, 1410
= LM § 987 BGB Nr. 2). Die gegenteilige Annahme der Revision findet
keine Stütze in der Tatsache, daß der Kl. eher einen geringeren
als den gewöhnlichen oder den von den Bekl. zuvor erzielten Gewinn
erwirtschaftet hat.