BGH, Urt. v. 29.9.2000 - V ZR 305/99
(OLG Oldenburg)
Fundstelle:
NJW 2000, 3562
für LM vorgesehen
s. dazu auch Übersicht
zum Problemkreis der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gegenseitiger
Verträge ("Saldotheorie") zur Vorlesung "Höchstrichterliche
Rechtsprechung"
Amtl. Leitsatz:
Auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Vertrages, der mangels Geschäftsfähigkeit eines Vertragspartners nichtig ist, findet die Saldotheorie keine Anwendung (im Anschluß an BGHZ 126, 105 ff und unter Aufgabe von BGH, Urt. v. 11. März 1988, V ZR 27/87, NJW 1988, 3011).
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung
betrifft und präzisiert ein Alltagsproblem, nämlich die Anwendung
der sog. "Saldotheorie" auf die Rückabwicklung gescheiterter gegenseitiger
Verträge. Mit dieser Theorie werden die Härten korrigiert, die
sich bei der Anwendung von § 818 III BGB bei der Rückabwicklung
gegenseitiger Verträge ergeben. Der Gedanke des sog. funktionellen
Synallagmas, d.h. der gegenseitigen Abhängigkeit von Leistung und
Gegenleistung, wird hier in das Stadium der Rückabwicklung nichtiger
Verträge "weitergedacht": Es hat nicht jede Partei einen Bereicherungsanspruch
auf die von ihr erbrachte Leistung (so die "Zweikondiktionentheorie"),
sondern es besteht von vorneherein nur ein Anspruch in der Höhe der
Differenz von Leistung und Gegenleistung (= Saldo) in der Person desjenigen,
der den größeren "Einzelanspruch" hat. Diese jeweiligen gegenseitigen
Ansprüche sind damit bloße Rechnungsposten, nicht aber selbständige
Forderungen (vgl. zuletzt BGH NJW 2000, 3046,
für BGHZ vorgesehen). Das beschränkt die Möglichkeit der
Gegenpartei, ihre Leistung zurückzufordern, wenn sie sich hinsichtlich
der selbst empfangenen Leistung auf § 818 III BGB berufen kann (s.
dazu die Beispiele in der Anm. zu BGH NJW
1999, 1181 f sowie in der Übersicht
zur "Saldotheorie"). Liegen - wie hier
- Bereicherungsansprüche auf ungleichartige Leistungen vor (der Käufer
kann aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB Rückzahlung des Kaufpreises, der
Verkäufer aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB Zustimmung zur Grundbuchberichtigung
verlangen), kann man freilich nicht saldieren. Die Saldotheorie bzw. der
darin zum Ausdruck kommende Gedanke des "Weiterdenkens" des Synallagmas
findet dann dadurch Berücksichtigung, daß der Gläubiger
seine Leistung nur Zug-um-Zug gegen Erstattung der Gegenleistung zurückfordern
darf, ohne daß es der Erhebung eine entsprechenden Einrede durch
den anderen Teil bedarf (vgl. dazu auch BGH NJW
1995, 454). Der Bereicherungsgläubiger hat also die empfangene
Gegenleistung schon im Klageantrag derart zu berücksichtigen, daß
er ihre Rückgewähr Zug um Zug anbietet (vgl. zuletzt BGH
NJW 1999, 1181).
Die Saldotheorie
- und auch das entspricht der ganz h.M. - findet jedoch keine Anwendung,
wenn andere, höherrangige Schutzzwecke überwiegen. Dies gilt
vor allem gegenüber arglistig Getäuschten und nicht voll Geschäftsfähigen
(vgl. etwa BGHZ 126, 105).
Insbesondere letztere werden nicht nur vor der vertraglichen Verpflichtung,
sondern auch vor dem durch die Saldotheorie geschaffenen "faktischen Synallagma"
der Rückabwicklung geschützt. Das führt bei noch vorhandener
ungleichartiger Gegenleistung freilich nicht zu einem Verlust des Bereicherungsanspruchs
des anderen Teils, denn die Voraussetzungen des § 818 III BGB liegen
beim Leistungsempfänger ja gerade nicht vor. Der andere Teil muß
insoweit lediglich die Einrede des Zurückbehaltungsrechts aus §
273 I BGB erheben, will er eine einschränkungslose Verurteilung zur
Rückerstattung der selbst erhaltenen Leistung vermeiden.
Die Saldotheorie
ist ein im Gesetz nirgends niedergelegter Weg zur Einschränkung des
Anwendungsbereichs von § 818 III BGB, der sich methodisch als eine
teleologische Reduktion dieser Norm rechtfertigt. Sie hat freilich vielfältige
Schwächen, die in der Literatur zu einer zunehmenden Tendenz zur Überwindung
der Saldotheorie durch eine direkt an § 818 III BGB ansetzende, auf
der Zweikondiktionentheorie aufbauenden Lösung geführt hat (vgl.
hierzu etwa Staudinger-Lorenz, 14. Bearb. 1999, § 818 BGB Rn. 42 ff;
umfassend zuletzt
Canaris FS W. Lorenz [1991] S. 19 ff; für
eine Kurzübersicht s.
hier). Diese hat freilich in der Rechtsprechung
noch keinen Widerhall gefunden. Auf der Basis der Saldotheorie ist der
vorliegenden Entscheidung ganz fraglos zuzustimmen.
Zur Vertiefung: | Larenz/Canaris Schuldrecht II/2 § 73 III; Medicus, SchuldR BT Rn. 694 ff |
Zum Überblick: | Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR I Rn. 393- 395; Thier JuS 1999, L 9 ff; Übersicht zur "Saldotheorie" |
Zur Übung: | Köhler, PdW Schuldrecht II Fälle 163, 164 |
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 15. September 1995 kaufte der Kläger von der Beklagten ein Hausgrundstück für 230.000 DM, das er mit einem grundschuldgesicherten Darlehen der Streithelferin der Beklagten vom 10. Oktober 1995 finanzierte. Der Notar war angewiesen, aus dem hinterlegten Kaufpreis 30.000 DM an den Sohn der Beklagten zu überweisen.
Der Kläger hat geltend gemacht,
er sei bei Vertragsschluß wegen einer geistigen Erkrankung geschäftsunfähig
gewesen und hat die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die
Verschaffung des Eigentums verlangt. Das Landgericht hat nach Beweiserhebung
der Klage Zug um Zug gegen die lastenfreie Eigentumsverschaffung stattgegeben.
Auf die Anschlußberufung des Klägers hat das Oberlandesgericht
diese Entscheidung nach weiterer Beweiserhebung teilweise abgeändert
und entsprechend dem letzten Antrag des Klägers der Klage ohne Einschränkung
stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Der Kläger
beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Aus den Gründen:
Die Revision hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.
1. Die Auffassung der Revision, der Sachverständige habe einen falschen Ansatzpunkt gewählt und den Rechtsbegriff der Geschäftsunfähigkeit verkannt, trifft nicht zu. Richtig ist zwar, daß der Sachverständige in seinem ersten Gutachten, das sich im wesentlichen nur auf die schriftlichen Krankenberichte der behandelnden Ärzte stützte, eine Formulierung verwendet hat, die auf die Annahme einer auf "größere geschäftliche Vorgänge" beschränkte "wahrscheinliche" Geschäftsunfähigkeit hindeutet. Dies gilt aber nicht für die abschließende Beurteilung vom 19. Juli 1999, die sich auf den gesamten Inhalt der Beweisaufnahme vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht gestützt hat. Der Einwand der Revision, Psychopathien seien in der Regel keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu, da diese Frage nur im Einzelfall nach Art und Umfang der festgestellten Symptome sachverständig zu bewerten ist. Die in der Beweisaufnahme festgestellten Wahnvorstellungen des Klägers über seinen Arbeitsplatz und die norddeutsche Werftindustrie, seine Vorstellungen über die Verfolgung durch internationale Geheimdienste und die Veränderung seiner medizinischen Betreuung und Versorgung vor dem Vertragsabschluß führten zu der Feststellung des Sachverständigen, daß der Kläger sich in dieser Zeit im Zustand eines systematisierten Wahns mit erheblicher Dynamik befunden habe, bei dem eine freie Willensbestimmung nicht mehr möglich gewesen sei. Daraus ergab sich für ihn der Schluß, daß der Kläger bei Vertragsabschluß zu einem realitätsbezogenen und vernunftgeprägten Handeln mit Sicherheit nicht in der Lage gewesen sei. Entgegen der Meinung der Revision geht es insoweit nicht darum, ob diese Wahnvorstellungen sich gerade auf den konkreten Grundstückskauf bezogen haben, sondern nur darum, ob sie Merkmale eines krankhaften Zustands sind, der als Geistesstörung zu bewerten ist. Dies aber hat der Sachverständige eindeutig festgestellt.
2. Zu Unrecht vermißt die Revision eine Prüfung der Prozeßfähigkeit im vorliegenden Verfahren. Dafür gab es keinen Anhaltspunkt, weil der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen seit 1996 wieder sachgerecht medikamentös behandelt wird, dadurch sein Zustand stabilisiert ist und er auch wieder seinen Beruf als Schiffbauingenieur ausüben kann. Die Revision macht auch nicht geltend, daß sich daran wieder etwas geändert habe.
3. Entgegen der Meinung der Revision mindert sich der Rückzahlungsbetrag nicht um 30.000 DM. Die Vereinbarung über die Weiterleitung dieses Betrages betraf Einrichtungsgegenstände, die der Sohn der Beklagten und seine Lebensgefährtin in dem Kaufobjekt zurücklassen wollten. Insoweit war in der Treuhandvereinbarung festgelegt, daß der Notar diese Summe aus dem hinterlegten Kaufpreis an den Sohn auszahlen sollte. Dies führte aber entgegen der Meinung der Revision nicht dazu, daß der Kläger seine Leistung teilweise an den Sohn zu erbringen hatte. Er schuldete und bezahlte den gesamten Kaufpreis von 230.000 DM nur an seine Vertragspartnerin, deren Absprachen mit ihrem Sohn ihn nicht betrafen.
4. Zu Recht rügt die Revision
aber, daß das Berufungsgericht die Beklagte zur uneingeschränkten
Zurückzahlung des Kaufpreises verurteilt hat. Nicht zu beanstanden
ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt, daß auf die bereicherungsrechtliche
Rückabwicklung eines Vertrages, der mangels Geschäftsfähigkeit
eines Vertragspartners nichtig ist, die Saldotheorie keine Anwendung findet
(BGHZ 126, 105, 108). Soweit das Urteil des Senats vom 11. März 1988
(V ZR 27/87, NJW 1988, 3011) dem entgegensteht, wird daran nicht festgehalten,
weil die die Saldierung rechtfertigende Verknüpfung der beiderseitigen
Leistungen durch den Austauschzweck bei fehlender Geschäftsfähigkeit
von vornherein nicht eintreten konnte und deswegen auch nicht die Rückabwicklung
bestimmen kann. Dies führt aber nicht dazu, daß die geschäftsunfähige
Partei die von ihr empfangene und noch vorhandene Leistung (hier die grundbuchmäßige
Eigentümerposition) behalten dürfte. Sie muß sie nur nicht
von sich aus anbieten, sondern kann abwarten, ob der Vertragspartner insoweit
ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht (§ 273 BGB). Dies hat
die Beklagte getan, wie die Revision zutreffend rügt. Das hat das
Berufungsgericht übersehen.
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