Saldotheorie bei ungleichartigen Leistungen

BGH, Urteil v. 11.11.1994  - V ZR 116/93 (Düsseldorf) 

Fundstellen:

NJW 1995, 454
LM H. 4/1995 § 988 BGB Nr. 6
WM 1995, 159
JZ 1995, 572



Amtl. Leitsatz:

Mit dem Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Nutzungen ist beim rechtsgrundlosen Besitzerwerb der Anspruch des Besitzers auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe der gezogenen Nutzungen nach den Grundsätzen der Saldotheorie zu verrechnen.



Zentrale Probleme:

Vgl. Anmerkung zu BGH NJW 1999, 1181 f, zu BGH NJW 2000, 3562.



Zum Sachverhalt:

Mit notariellem Vertrag vom 4. 5. 1990 kauften die Bekl. ein dem früheren Kl. zu 1 - der am 1. 12. 1993 verstorben und von seiner Ehefrau und den Kindern, die das Verfahren aufgenommen haben, beerbt worden ist - gehörendes Grundstück für den beurkundeten Betrag von 200000 DM. Die Bekl. zahlten 65000 DM in bar am 4. 5. 1990 und 135000 DM mit Banküberweisung vom 25. 6. 1990. Vom 1. 8. 1990 bis 30. 4. 1991 vermieteten sie das Grundstück für 1800 DM monatlich. Im Juli 1990 verlangten die Kl. einen Restkaufpreis von 65000 DM, der als zusätzliche Zahlung vor Abschluß des notariellen Vertrages vereinbart worden sei. Auf Vollstreckungsabwehrklage der Bekl. wurde die Zwangsvollstreckung aus dem notariellen Kaufvertrag für unzulässig erklärt, weil der beurkundete Kaufpreis zu niedrig angegeben und der Vertrag daher als Scheingeschäft nichtig sei. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen die Kl. die Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Das LG hat nach Beweiserhebung die Bekl., wie von den Kl. beantragt, zur Herausgabe des Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung von 200000 DM sowie zur Zahlung von 16200 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Bekl. und die Anschlußberufung der früheren Kl., mit der sie die Löschung der für die Bekl. eingetragenen Auflassungsvormerkung verlangt haben, hat das OLG die Klage der Ehefrau des früheren Kl. zu 1 abgewiesen und ihre Anschlußberufung zurückgewiesen, weil sie nicht Eigentümerin des Grundstücks gewesen sei; im übrigen hat es die Berufung der Bekl. zurückgewiesen und der Anschlußberufung des früheren Kl. zu 1 stattgegeben. Mit der Revision wenden sich die Bekl. gegen die Verurteilung zur Herausgabe der Mieteinnahmen in Höhe von 16200 DM und streben an, auch die Löschung der Auflassungsvormerkung nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises bewilligen zu müssen. Ferner meinen sie, es könne nicht richtig sein, daß sie die gezogenen Nutzungen herausgeben müßten, während die Kl. den Kaufpreis nur zinslos zurückzuzahlen brauchten. Die Revision hatte teilweise Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat ausgeführt, die Bekl. seien verpflichtet, das Grundstück an die Eigentümer herauszugeben.
Der beurkundete Kaufvertrag sei als Scheingeschäft nichtig und das wirklich Gewollte nicht in der erforderlichen Form erklärt worden. Art und Umfang der nach dem landgerichtlichen Urteil zu leistenden Zug-um-Zug-Zahlung sei nicht angegriffen worden. Die Bekl. hätten die eingenommenen Mieten als Nutzungen des Grundstücks in der verlangten Höhe herauszugeben. Ferner seien sie verpflichtet, die Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkung zu bewilligen, weil der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Übereignung des Grundbesitzes wegen der Nichtigkeit des Kaufvertrages nicht entstanden sei.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Das BerGer. geht von der Formnichtigkeit des notariellen Vertrages aus, weil die beurkundungspflichtige Nebenabrede über den zusätzlichen Kaufpreis nicht beurkundet worden ist (§§ 313 S. 1, 125 S. 1 BGB). Die Bekl. seien deshalb zur Herausgabe verpflichtet (§ 985 BGB). Das ist rechtsfehlerfrei und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
2. Die Revision bekämpft aber die Auffassung des BerGer., die Bekl. seien verpflichtet, die Löschung der Auflassungsvormerkung zu bewilligen, ohne dies - wie bei der Herausgabeverpflichtung - von der Rückzahlung des Kaufpreises abhängig zu machen. Dieser Angriff der Revision führt nicht zum Erfolg. Vielmehr ist der vom BerGer. vertretenen Auffassung i. E. zu folgen.
a) Gegenüber dem von den Kl. ohne Beschränkung geltend gemachten Löschungsanspruch (§ 984 BGB) haben sich die Bekl. nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB berufen, sondern nur die Zurückweisung der Anschlußberufung beantragt. In dem Vorbringen der Bekl. über den Zweck der Zahlungen war entgegen der Meinung der Revision nicht die konkludente Erhebung einer Einrede zu sehen, so daß auch der Antrag der Kl. nur mit dieser Einschränkung hätte verstanden werden müssen. Für die Möglichkeit einer solchen Auslegung der Anträge durch das BerGer. fehlt im Hinblick auf ihren eindeutigen Inhalt und das Vorbringen der Bekl., das sich auf die Frage der Nichtigkeit des Kaufvertrages beschränkte, jeder Anhaltspunkt.
b) Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Rüge aus den §§ 139, 278 II BGB ist unbegründet. Auch wenn es zutreffen sollte, daß die Bekl. bei entsprechendem richterlichen Hinweis ein Zurückbehaltungsrecht auch gegenüber dem Löschungsanspruch geltend gemacht hätten, war es dem BerGer. mit Rücksicht auf die seiner Aufklärungspflicht durch den Verhandlungsgrundsatz gezogenen Grenzen verwehrt, von sich aus die Bekl. zu veranlassen, insoweit die Einrede des Zurückbehaltungsrechts zu erheben (BGH, NJW 1969, 691 (693) = LM Art. 17 WG Nr. 7).
c) Gegenüber dem dinglichen Löschungsanspruch analog § 894 BGB wären auch bereicherungsrechtliche Gegenansprüche, soweit sie solchen Ansprüchen überhaupt entgegengehalten werden können (vgl. dazu Canaris, JZ 1992, 1114 (1115f.)), nur zu berücksichtigen, wenn sie einredeweise geltend gemacht worden wären; das ist nicht geschehen.
3. Die Revision hat jedoch Erfolg, soweit das BerGer. dem Antrag der Kl. auf Zahlung von 16200 DM nebst Prozeßzinsen stattgegeben hat. Die Bekl. sind zwar als rechtsgrundlose Besitzer den Kl. nach Bereicherungsrecht zur Herausgabe der eingenommenen Mieten als Nutzungen des Grundstücks verpflichtet (§§ 988, 818 I BGB), sie müssen sich aber im Rahmen des Bereicherungsrechts nach den Grundsätzen der Saldotheorie den Anspruch der Bekl. auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 16200 DM anrechnen lassen. Im Falle der Nichtigkeit eines Vertrages wird durch Vergleich der durch den Bereicherungsvorgang hervorgerufenen Vor- und Nachteile ermittelt, für welchen Beteiligten sich ein Überschuß ergibt. Dieser Beteiligte ist dann Gläubiger eines einheitlichen, von vornherein durch Abzug der ihm zugeflossenen Vorteile beschränkten Bereicherungsanspruchs (vgl. etwa Palandt/Thomas, BGB, 53. Aufl., § 818 Rdnr. 48 m.w. Nachw.). Er darf sich nicht damit begnügen, das von ihm aufgrund des nichtigen Vertrages Geleistete zurückzuverlangen, sondern muß bei der Darlegung seines Bereicherungsanspruchs sogleich das mit berücksichtigen, was etwa der Bekl. hingegeben hat, um den Vertrag zu erfüllen (BGH, NJW 1963, 1870 = LM § 818 Abs. 3 BGB Nr. 11 m.w. Nachw.). Dies gilt sinngemäß auch dann, wenn die Leistungen ungleichartig sind. Dann hat der Bereicherungskl. die ungleichartige Gegenleistung schon im Klageantrag  derart zu berücksichtigen, daß er ihre Rückgewähr Zug um Zug anbietet (BGH, NJW 1963, 1870 = LM § 818 Abs. 3 BGB Nr. 11).
An der Verrechnung der von den Bekl. herauszugebenden Nutzungen (16200 DM) mit dem von den Kl. zurückzuzahlenden Kaufpreis (200000 DM) ändert sich auch nichts dadurch, daß das BerGer. diesen Rückzahlungsanspruch im Rahmen des Zurückbehaltungsrechts gegenüber dem Klageanspruch auf Herausgabe des Grundstücks bereits in voller Höhe berücksichtigt hat. Der Kl. hatte insoweit zu seinen Ungunsten die Saldotheorie nicht beachtet und den Herausgabeanspruch schon im Klageantrag mit dem Vorbehalt versehen, daß er nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des vollen Kaufpreises von 200000 DM (anstelle eines bereits im Wege der Saldierung um 16200 DM gekürzten Betrages) durchgesetzt werden könnte. Schon deshalb hätte das BerGer. auch bei Anwendung der Saldotheorie nicht über den Klageantrag hinausgehen und den (in der Revisionsinstanz insoweit zudem nicht angegriffenen) Zug-um-Zug-Vorbehalt von sich aus um 16200 DM kürzen dürfen (§ 308 I ZPO). Daß die Kl. deswegen bei der Vollstreckung des Anspruchs auf Herausgabe des Grundstücks den vollen Betrag von 200000 DM anstelle eines um 16200 DM gekürzten aufwenden müssen (§ 726 I ZPO), haben sie sich wegen der Fassung ihres Klageantrages selbst zuzuschreiben. Am Rande sei jedoch darauf hingewiesen, daß ihnen, wenn sie aus vollstreckungsrechtlichen Gründen an die Bekl. 16200 DM mehr zahlen als geschuldet, aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 I 1 BGB) ein Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrags zusteht.
4. Gegenüber dem Anspruch der Kl. auf Herausgabe der von den Bekl. gezogenen Nutzungen in Höhe von 16200 DM kommt eine Saldierung mit einem etwaigen Gegenanspruch der Bekl. auf Herausgabe von Kapitalnutzungen (vgl. Büttner, BB 1970, 233; Canaris, in: Festschr. f. Lorenz, 1991, S. 19 (44ff.)) hier nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht dargetan sind. Nach § 818 I BGB sind nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen herauszugeben. Die Bekl. haben zu der Frage, ob und in welchem Umfang die Kl. aus dem empfangenen Kapital Nutzungen gezogen haben, nichts vorgetragen. Auch aus dem Vortrag der Kl. ergibt sich hierzu nichts. Schon deshalb können die für erfahrungstypische Fälle einer Kapitalnutzung anerkannten Beweiserleichterungen nicht eingreifen. Damit entfällt die Möglichkeit, im Wege der Saldierung den Bereicherungsanspruch durch Abzug der den Kl. durch Kapitalnutzung etwa zugeflossenen Vorteile von vornherein zu beschränken.