Saldotheorie
bei ungleichartigen Leistungen, Beweislast bei Saldotheorie
BGH, Urt. v. 10. 2. 1999 - VIII ZR 314/9 7 (Rostock)
Fundstelle:
NJW 1999, 1181 f
vgl. dazu auch BGH NJW
1995, 454, BGHZ 126, 105, BGH
NJW 2000, 3562 und BGH v. 24.10.2003 - V ZR
24/03
Amtl. Leitsatz:
Zur Darlegungs- und Beweislast bei Anwendung
der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie.
Zentrale Probleme:
Im Zentrum der Entscheidung steht die Saldotheorie
im Bereicherungsrecht. Mit dieser Theorie werden die Härten korrigiert,
die sich bei der Anwendung von § 818 III BGB bei der Rückabwicklung
gegenseitiger Verträge ergeben. Der Gedanke des sog. funktionellen
Synallagmas, d.h. der gegenseitigen Abhängigkeit von Leistung
und Gegenleistung, wird hier in das Stadium der Rückabwicklung nichtiger
Verträge "weitergedacht": Es hat nicht jede Partei einen Bereicherungsanspruch
auf die von ihr erbrachte Leistung (so die "Zweikondiktionentheorie"),
sondern es besteht von vorneherein nur ein Anspruch in der
Höhe der Differenz von Leistung und Gegenleistung (= Saldo) in der
Person desjenigen, der den größeren Anspruch hat. Das beschränkt
die Möglichkeit der Gegenpartei, ihre Leistung zurückzufordern,
wenn sie sich hinsichtlich der empfangenen Leistung auf § 818 III
BGB berufen kann.
Beispiel: Das von K bei V rechtsgrundlos
für DM 10 000.- erworbene KfZ (Wert: 12 000.-) wird ersatzlos ohne
Verschulden des K zerstört. Nach der Zweikondiktionentheorie könnte
K DM 10000.- zurückfordern, müßte aber wegen § 818
III BGB seinerseits nichts an V zahlen. Nach der Saldotheorie schuldet
K dem V DM 2000.-, ist insoweit aber nach § 818 III BGB befreit. V
bekommt also auch hier nichts, muß aber seinerseits auch nichts bezahlen.
Bei ungleichartigen Leistungen kann man nicht saldieren,
jedoch findet die Saldotheorie dadurch Berücksichtigung, daß
der Gläubiger seine Leistung nur Zug-um-Zug gegen Erstattung der Gegenleistung
zurückfordern darf. Hierzu bedarf es nicht der Erhebung einer
Einrede (vgl. dazu auch BGH NJW 1995, 454). Verlangt allerdings der Käufer
seinerseits aktiv den Kaufpreis und/oder Aufwendungen auf den Bereicherungsgegenstand
zurück, so müssen diese Ansprüche begründet werden.
Der Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises ist
auf Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB), ein Anspruch auf Ersatz
werterhöhender Aufwendung auf (insoweit nicht wegen Subsidiarität
ausgeschlossene) Kondiktion wegen Bereicherung "in sonstiger Weise" in
Form der sog. "Verwendungskondiktion" (§ 812 I 1 Alt. 2 BGB) zu stützen
(vgl. hierzu Anm. zu BGH NJW 1999, 2890).
Die Saldotheorie begründet also als solche keinen Anspruch, sondern
dient nur als "Abwehrmittel". Diese (und andere) Schwächen der Saldotheorie
haben in der Wissenschaft in jüngerer Zeit zu alternativen Lösungsansätzen,
insbesondere zur von Canaris begründeten Lehre von der "Gegenleistungskondiktion"
geführt (vgl. zum ganzen jüngst zusammenfassend Thier JuS-Lernbogen
2/1999 Seite L 9 ff).
Die Saldotheorie findet keine Anwendung, wenn
andere, höherrangige Schutzzwecke überwiegen. Dies gilt insbesondere
im Falle arglistiger Täuschung oder gegenüber nicht voll Geschäftsfähigen.
Insbesondere letztere werden nicht nur vor dem Vertrag und dem "faktischen
Synallagma", sondern auch vor den nachteiligen Folgen von Dispositionen
über das ihrerseits Erlangte geschützt (vgl. hierzu etwa BGHZ
126, 105 = NJW 1994, 2021).
Zum Sachverhalt:
Mit Kaufvertrag 12./15. 7. 1991 erwarb die Kl.
von der B-GmbH, der Rechtsvorgängerin der Bekl. zu 2, zum Preis von
85000 DM folgende Wirtschaftsgüter der unselbständigen Betriebsstätte
S.-straße:
1. Sämtliches Anlage- und Umlaufvermögen
auf dem Grundstück gem. der als Anlage 1 beigefügten Aufstellung;
2. Forderungen der Verkäuferin gem. der als
Anlage 2 beigefügten Bilanz...;
3. den Kassenbestand der Verkäuferin gem.
der als Anlage 2 beigefügten Bilanz ...
Eingangs des Vertrags, an dem neben der B-GmbH auch
deren Alleingesellschafterin, die damals noch ,,T" genannte Bekl. zu 1,
beteiligt war, heißt es: "... Grund und Boden der Betriebsstätte
S. gehören weder der Verkäuferin noch der T. Dieser Vertrag wird
unter der Bedingung getroffen, daß die Kommune die Grundstücke
in G. an die Käufer mit notariellem Kaufvertrag übereignet."
Der Erwerb der vorbezeichneten Grundstücke durch die Kl. scheiterte.
In dem vorliegenden Rechtsstreit hat die Kl. die Bekl. als Gesamtschuldner
auf Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich Zinsen in Anspruch
genommen.
Das LG hat die Bekl. zu 2 zur Zahlung von 85000
DM an die Kl., Zug um Zug gegen Übergabe sämtlichen Anlage- und
Umlaufvermögens gemäß der Anlage 1 zum Kaufvertrag sowie
Herausgabe des Kassenbestands und Rückabtretung der Forderungen gemäß
Anlage 2 zum Kaufvertrag verurteilt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Kl., mit der diese die Verurteilung der Bekl. als Gesamtschuldner
zur Zahlung von 85000 DM, hilfsweise 84000 DM, nebst Zinsen (Antrag zu
1) sowie zur Entfernung bestimmter Gegenstände von dem Grundstück
P.-straße in S. (Antrag zu 2) begehrt hat, hat das BerGer. zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Bekl. zu 2 hat es die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Revision der Kl. hat der erkennende Senat nur insoweit angenommen,
als sich diese gegen die Abweisung der Klage mit dem zuletzt gestellten
Antrag zu 1 in bezug auf die Bekl. zu 2 richtet. Im übrigen hat er
die Annahme der Revision abgelehnt.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat, soweit in der Revisionsinstanz
noch von Interesse, ausgeführt:
Der mit der Klage geltend gemachte Zahlungsanspruch
der Kl. gegen die Bekl. zu 2 ergebe sich nach dem Nichteintritt der eingangs
des Kaufvertrags vereinbarten Bedingung gem. § 158 BGB dem Grunde
nach aus den §§ 433 I, 440 I, 323 III, 812 I, 818 BGB. Die Kl.
habe jedoch ihren Bereicherungsanspruch der Höhe nach nicht dargetan.
Bei gegenseitigen Verträgen erfolge die Rückabwicklung nach den
Grundsätzen der Saldotheorie. Durch einen Vergleich der durch den
Bereicherungsvorgang hervorgerufenen Vor- und Nachteile werde ermittelt,
für welchen Beteiligten sich ein Überschuß ergebe. Dieser
sei Gläubiger eines einheitlichen, von vornherein durch Abzug der
ihm zugeflossenen Vorteile beschränkten Bereicherungsanspruchs. Das
gelte sinngemäß auch dann, wenn die Leistungen ungleichartig
seien. Dann habe der auf Herausgabe der Bereicherung Klagende die ungleichartige
Gegenleistung schon im Klageantrag derart zu berücksichtigen, daß
er ihre Rückgewähr Zug um Zug anbiete. Hier habe es die Kl. unterlassen,
Leistung und Gegenleistung im Sinne dieser Grundsätze zu saldieren.
Sie habe weder die übernommenen Gegenstände noch die gezogenen
Nutzungen berücksichtigt, die sich nach Darstellung der Bekl. zu 2
auf mindestens 85000 DM beliefen.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen
Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
1. Zu Recht hat das BerGer. allerdings angenommen,
daß der Kl. gegen die Bekl. zu 2 (im folgenden nur noch Bekl.) wegen
Nichteintritts der eingangs des Kaufvertrages vereinbarten Bedingung der
näher bezeichnete Bereicherungsanspruch dem Grunde nach zusteht. Auch
die Revision und die Revisionserwiderung erheben insoweit keine Einwendungen.
2. Zu Unrecht hat das BerGer. dagegen angenommen,
daß die Kl. den Bereicherungsanspruch der Höhe nach nicht dargetan
habe.
a) Insoweit ist das BerGer. allerdings wiederum
zutreffend davon ausgegangen, daß die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung
von gegenseitigen Verträgen nach den Grundsätzen der sogenannten
Saldotheorie zu erfolgen hat. Durch Vergleich der durch den Bereicherungsvorgang
hervorgerufenen Vor- und Nachteile wird ermittelt, für welchen Beteiligten
sich ein Überschuß (Saldo) ergibt. Dieser Beteiligte ist Gläubiger
eines einheitlichen, von vornherein durch Abzug der ihm zugeflossenen Vorteile
beschränkten Bereicherungsanspruchs. Er darf sich nicht damit begnügen,
das von ihm aufgrund des unwirksamen Vertrages Geleistete zurückzuverlangen,
sondern muß bei der Darlegung seines Bereicherungsanspruchs sogleich
das mit berücksichtigen, was die andere Partei hingegeben hat, um
den Vertrag zu erfüllen. Das gilt - entgegen der Ansicht der Revision
- sinngemäß auch dann, wenn die Leistungen ungleichartig sind.
Dann hat der Bereicherungsgläubiger die ungleichartige Gegenleistung
schon im Klageantrag derart zu berücksichtigen, daß er ihre
Rückgewähr Zug um Zug anbietet (BGH, NJW 1995, 454 = LM H. 4/1995
§ 988 BGB Nr. 6 = WM 1995, 159 [unter II 3] m.w. Nachw.). Daraus kann
entgegen der Ansicht des BerGer. jedoch nicht gefolgert werden, der Bereicherungsgläubiger
müsse die Berechtigung des geforderten Saldos unter Darlegung nicht
nur der positiven, sondern auch denkbarer negativer Rechnungsposten darlegen
und beweisen. Denn die Saldotheorie ist nur die folgerichtige Anwendung
des in § 818 III BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens auf gegenseitige
Verträge. Für die Voraussetzungen einer Entreicherung trägt
jedoch derjenige die Beweislast, der sie geltend macht. Deshalb besteht
kein Anlaß, dem Bereicherungsschuldner die Beweislast für eine
von ihm geltend gemachte Minderung des Saldos abzunehmen (Senatsurteil
BGHZ 109, 139 [1481 = NJW 1990, 314 = LM § 535 BGB Nr. 123 m. w. Nachw.;
das vom BerGer. zitierte Urteil des Senats, NJW 1997, 933 = WM 1997, 418
= LM H. 5/1997 § 139 BGB Nr. 85 [unter II B 2], besagt nichts anderes).
b) Danach muß hier nicht die Kl., sondern
die Bekl. zum Zwecke der Saldierung mit dem von ihr zu erstattenden Kaufpreis
darlegen und beweisen, ob und gegebenenfalls welche Nutzungen die Kl. aus
den erlangten Vermögenswerten gezogen hat. Die Kl. darf sich ihrerseits
darauf beschränken, die erlangten Vermögenswerte selbst zu saldieren.
Dem genügt ihr Vortrag.
aa) Bezüglich des Anlage- und Umlaufvermögens
gemäß Anlage 1 zum Kaufvertrag scheidet eine Saldierung mit
dem von der Kl. zurückverlangten Kaufpreis mangels Gleichartigkeit
der beiderseitigen Leistungen aus. Vielmehr kommt insoweit lediglich eine
Einschränkung der Verurteilung der Bekl. zur Erstattung des Kaufpreises
Zug um Zug gegen Rückübertragung der in der Anlage 1 aufgeführten
Sachen in Betracht. Diese Einschränkung ist als Minus in dem Zahlungsantrag
der Kl. enthalten. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob
sich die Bekl. deshalb im Annahmeverzug befindet, weil sie von der Kl.
jedenfalls mit dem Klageantrag zu 2 in der Berufungsbegründung vom
15. 10. 1996 vergeblich aufgefordert worden ist, die nach dem Vortrag der
Kl. noch auf dem Betriebsgrundstück in S. vorhandenen Gegenstände
in Besitz zu nehmen. Ein etwaiger Annahmeverzug der Bekl. könnte ihre
einschränkungslose Verurteilung nach dem Rechtsgedanken des §
274 II BGB nicht rechtfertigen (vgl. BGHZ 90, 354 [358] = NJW 1984, 1679
= LM § 273 BGB Nr. 37; BGHZ 116, 245 = NJW 1992, 556 = LM H. 7/1992
§ 273 BGB Nr. 49 = WM 1992, 496 [unter 111]).
bb) Hinsichtlich der nach dem Kaufvertrag übernommenen
Forderungen weist die Revision zutreffend darauf hin, daß ausweislich
der Bilanz nebst Anhang in Anlage 2 zum Kaufvertrag nur eine Forderung
von etwas über 40000 DM bestand, die sich jedoch gegen die Bekl. richtete
und angesichts dessen, daß es sich bei der veräußerten
Betriebsstätte S. lediglich um einen unselbständigen Teil der
Rechtsvorgängerin der Bekl. gehandelt hat, rechtlich gar nicht existent
sein konnte. Selbst wenn diese "Forderung" mit der Veräußerung
der Betriebsstätte S. an die Kl. entstanden wäre, käme bislang
auch insoweit lediglich eine Einschränkung der Verurteilung der Bekl.
zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückabtretung
der genannten Forderung in Betracht, die wiederum als Minus in dem Zahlungsantrag
der Kl. enthalten ist. Denn mangels gegenteiliger Feststellungen des BerGer.
ist gemäß dem unter Beweis gestellten Vortrag der Kl. davon
auszugehen, daß die Bekl. die Forderung nicht ausgeglichen hat.
cc) Ein Kassenbestand war ausweislich der Bilanz
nebst Anhang in Anlage 2 zum Kaufvertrag nicht vorhanden. Gleichwohl setzt
die Kl. insoweit selbst 1000 DM an. Dem trägt sie mit ihrem Hilfsantrag
zum Zahlungsantrag zu 1 Rechnung.
III. Nach alledem kann das Berufungsurteil insoweit,
als die Klage mit dem Klageantrag zu 1 bezüglich der Bekl. zu 2 abgewiesen
worden ist, keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung
reif, da es noch tatsächlicher Feststellungen insbesondere dazu bedarf,
ob und gegebenenfalls welche Nutzungen die Kl. aus den von der Bekl. erlangten
Vermögenswerten gezogen hat. Um der insoweit entgegen der Ansicht
des BerGer. darlegungs- und beweispflichtigen Bekl. (vgl. oben unter 112
a und b) Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu ergänzen, war in dem
oben genannten Umfang das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache
an das BerGer. zurückzuverweisen.
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