Gefahrtragung beim Werkvertrag; Untergang des
Werkes vor der Abnahme durch gefahrenerhöhendes Verhalten des Bestellers
("Sphärentheorie?")
BGH, Urt. vom 11. Juli 1963
Fundstelle:
BGHZ 40,71
Amtl. Leitsatz:
Geht ein Werk vor der Abnahme unter und hat eine
Handlung des Bestellers, die eine Gefährdung des Werks mit sich gebracht
hat, zu dem Untergang geführt, so kann der Unternehmer einen der geleisteten
Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung beanspruchen.
Zentrale Probleme:
Zur Abgrenzung s. BGHZ 78, 352;
s. weiter die Anm. zu
BGH v. 8.3.2012 - VII ZR
177/11
Zum Sachverhalt:
Der Beklagte wollte im Jahre 1959 auf seinem Marschhof eine »Nebenscheune«
errichten. Er gab dem Kläger, der Bauunternehmer ist, den Auftrag, den Bau
herzustellen. Dieser begann im Juli 1959 mit den Arbeiten. Der Bau wurde
jedoch nicht fertiggestellt.
Der Beklagte brachte Heu in die unfertige Scheune ein. Die Scheune brannte
am 2. September 1961 ab.
Mit der Klage beansprucht der Kläger die Zahlung restlichen Werklohns.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie
abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
I. ...
II. Das Berufungsgericht weist die Klage auf Grund des § 644 Abs. 1 Satz 1
BGB ab. Nach dieser Bestimmung trägt der Unternehmer die Gefahr bis zur
Abnahme des Werks; das bedeutet, daß er keine Vergütung beanspruchen kann,
wenn das Werk vor der Abnahme durch einen von keiner Partei zu vertretenden
Umstand untergeht.
Ein Verschulden des Beklagten an der Entstehung des Brandes verneint das
Berufungsgericht ohne Rechtsfehler. Insoweit greift die Revision das Urteil
auch nicht an.
Das Berufungsgericht stellt fest, das Werk sei nicht abgenommen worden. Eine
Abnahme sei auch nicht darin zu sehen, daß der Beklagte Heu in die Scheune
eingefahren und sie damit in Benutzung genommen habe.
Mangels einer Abnahme vor der Zerstörung durch den Brand stehe dem Kläger,
so führt das Oberlandesgericht aus, ein Vergütungsanspruch nicht zu. Daran
ändere sich nichts deshalb, weil die durch das Einfahren feuchten Heus
begründete Brandgefahr »zur Sphäre des Beklagten gehöre«. Der im Schrifttum
vertretenen »Sphärentheorie« könne nicht gefolgt werden. Das Gesetz habe die
Fälle, in denen der Besteller, abweichend von der Regel des § 644 Abs. 1
Satz 1 BGB, die Gefahr trage, in den Bestimmungen der §§ 644 Abs. 1 Satz 2
und Abs. 2, 645 BGB besonders geregelt. Die Frage, ob die Regelung des § 644
Abs. 1 Satz 1 BGB billig sei oder für den Unternehmer Härten mit sich
bringe, stelle sich angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift nicht.
III. 1 Die Revision ist der Ansicht, daß der Beklagte das Werk abgenommen
habe. Auf die Verfahrensrügen, die sie insoweit erhebt, braucht indes nicht
eingegangen zu werden. Auch dann, wenn eine Abnahme vor dem Brand nicht
stattgefunden hat, kann dem Berufungsgericht nicht darin gefolgt werden, daß
dem Kläger überhaupt keine Vergütung zusteht.
2. Der Wortlaut des Gesetzes mag für die Ansicht des Berufungsgerichts
sprechen. Das Gesetz berücksichtigt es nur in beschränktem Umfange zugunsten
des Unternehmers, wenn die Gründe, die zum Untergang des Werks geführt
haben, aus dem Einflußbereich des Bestellers stammen: Nach § 644 Abs. 2 in
Verbindung mit § 447 BGB geht die Gefahr schon vor der Abnahme auf den
Besteller über, wenn auf sein Verlangen der Unternehmer ein Werk nach einem
anderen Orte als dem Erfüllungsorte versendet. Ferner gewährt § 645 BGB dem
Unternehmer in zwei Fällen einen Anspruch auf einen der geleisteten Arbeit
entsprechenden Teil der Vergütung und auf Ersatz von Auslagen, nämlich dann,
wenn das Werk infolge eines von dem Besteller gelieferten Stoffes oder
infolge einer von ihm für die Ausführung erteilten Anweisung untergeht.
Für die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Unternehmer, von den eben
genannten Ausnahmen abgesehen, die Gefahr des noch nicht abgenommenen Werks
trägt, spricht auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. In den
Beratungen über den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist beantragt
worden, in den § 577 des Entwurfs, der dem § 645 des Gesetzes entspricht,
die Bestimmung aufzunehmen, daß der Unternehmer den dort eingeräumten
Anspruch auch haben solle, wenn das Werk »infolge eines bei dem Besteller
eingetretenen Umstandes, untergehe (Protokolle Bd. II S. 332). Der Antrag
wurde abgelehnt aus den Erwägungen, eine Verallgemeinerung der im Entwurf
vorgesehenen Ausnahmen sei nicht zu rechtfertigen, der Begriff des »bei dem
Besteller eingetretenen Umstandes« entbehre der notwendigen Bestimmtheit und
sei nicht praktikabel (aaO S. 334). Gleichfalls wurde ein Antrag abgelehnt,
dem Unternehmer bei Untergang des Werks »infolge höherer Gewalt« einen
Vergütungsanspruch zuzubilligen (aaO S. 335).
Gleichwohl ist in der Rechtslehre schon früh die Regelung, daß der
Unternehmer auch in den Fällen, wo das Werk aus einem im Bereich des
Bestellers liegenden Grunde untergeht, jedes Anspruchs auf die Vergütung
beraubt wird, als unbillige Härte und als nicht im Willen des Gesetzes
liegend angesehen worden (vgl. u. a. Crome, System des deutschen
bürgerlichen Rechts Bd. 2 Seite 700; Rümelin, Dienstvertrag und Werkvertrag,
1905, S. 128 ff). Das ältere Schrifttum lehnte es aber zum größeren Teil ab,
zwischen Mängeln aus dem Kreis des Unternehmers und des Bestellers zu
unterscheiden (vgl. die Nachweise bei Staudinger, BGB, 11. Aufl. , § 644 Rz
8).
Im Laufe der Zeit hat aber die »Sphärentheorie« an Boden gewonnen. Der wohl
überwiegende Teil des neueren Schrifttums billigt dem Unternehmer einen
Anspruch zu, sei es denjenigen auf die vereinbarte Vergütung oder doch einen
solchen auf einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung
(wie in § 645 BGB), wenn das Werk infolge eines Umstands untergeht, der der
»Sphäre«, dem »Risikobereich« des Bestellers zuzurechnen ist (Esser,
Schuldrecht, 2. Aufl. , § 579 c; Enneccerus/Lehmann, Recht der
Schuldverhältnisse, 15. Bearb. , § 153 II 1 a; Palandt, BGB, 22. Aufl. , §
644 Anm. 1; Soergel, BGB, 9. Aufl. , § 644 Rz. 2, allerdings in gewissem
Widerspruch zu § 645 Rz. 1; dagegen Staudinger aaO; bei Erman, BGB, 3. Aufl.
, § 644 Anm. 1 wird die Sphärentheorie als »nicht unbedenklich« bezeichnet).
3. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob in allen Fällen, in denen
der Grund für den Untergang des Werks im Bereich des Bestellers zu suchen
ist, der Unternehmer, abweichend von der Regel des § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB,
einen Anspruch auf Vergütung hat. Ihm einen solchen Anspruch zuzubilligen,
ist aber dann gerechtfertigt, wenn eine Handlung des Bestellers das Werk in
einen Zustand oder in eine Lage versetzt hat, die eine Gefährdung des Werks
mit sich gebracht hat und ursächlich für seinen schließlichen Untergang
geworden ist. Dieser Fall steht den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen,
bei denen der Untergang auf dem Mangel eines vom Besteller gelieferten
Stoffes oder auf einer von ihm erteilten Anweisung beruht, darin nahe, daß
der Besteller selbst die Gefahr für den Untergang des Werkes erhöht hat und
daß ohne diese Erhöhung der Gefahr das Werk nicht untergegangen wäre. In
einem solchen Falle ist eine entsprechende Anwendung des § 645 BGB geboten,
zumal es auch bei einer solchen gefahrerhöhenden, den Untergang des Werks
verursachenden Handlung des Bestellers ebenso unbillig wäre, den Unternehmer
leer ausgehen zu lassen, wie bei den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen.
Ein Fall der beschriebenen Art ist hier gegeben. Der Brand ist durch
Selbstentzündung des Heus entstanden, das der Beklagte in die Scheune
eingefahren hat.
Die entsprechende Anwendung des § 645 BGB bedeutet, daß der Kläger zwar
nicht die volle vertragliche Vergütung, aber eine solche verlangen kann, die
seiner bereits geleisteten Arbeit entspricht.
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