Gefahrtragung im Werkvertragsrecht bei Untergang des Werks vor Abnahme; Grenzen der analogen Anwendung von § 645 I S. 1 BGB


BGH, Urteil vom 6.11.1989 - VII ZR 47/80


Fundstelle:

BGHZ 78, 352


Amtl. Leitsatz:

Zur Frage, wen die Vergütungsgefahr trifft, wenn Haupt- und Subunternehmer gleichzeitig an der Baustelle arbeiten und das unfertige Werk beider durch einen Brand untergeht, der von keinem der beiden zu verantworten ist.


Zentrale Probleme:

S. auch BGHZ 40, 71 ff sowie BGH v. 8.3.2012 - VII ZR 177/11

©sl 2012


Zum Sachverhalt:

Die Firma H. errichtete bis in das Jahr 1977 hinein einen Fabrikneubau in B. Mit den Isolierungsarbeiten für einen Frostertunnel (Auskleiden mit Isolierplatten und Verschäumen der verbleibenden Zwischenräume mit Polyurethan-Hartschaum) beauftragte sie die Beklagte. Diese wiederum beauftragte die Klägerin als ihre Subunternehmerin mit dem Verschäumen.

Die Arbeiten beider Parteien wurden abschnittsweise und gleichzeitig durchgeführt. Am 7. April 1977 waren während dieser Arbeiten und in der Nähe des Frostertunnels Leute der Firma S. mit Schweißarbeiten beschäftigt. Gegen 13.30 Uhr entstand, kurz nach einer Unterbrechung der Schweißarbeiten, in der Fabrikhalle ein größerer Brand. Dadurch wurden die bis dahin erbrachten Arbeiten beider Parteien weitgehend zerstört. Die Fabrikanlage ist später nach geänderten Plänen fertiggestellt worden. Beide Parteien haben deshalb nach dem Brand nicht mehr an dem Frostertunnel gearbeitet.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Bezahlung ihrer bis zum Brand erbrachten und mit Schlußrechnung vom 27. Dezember 1977 berechneten Werkleistungen, zuletzt in Höhe von 24 215,11 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die – zugelassene – Revision der Beklagten führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen:

I.  Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe ihre Arbeiten aufgrund eines allein nach den Vorschriften der §§ 631 ff BGB zu beurteilenden Werkvertrages mit der Beklagten ausgeführt. Der von keiner der Parteien zu vertretende Brand habe zum zufälligen Untergang der bis dahin erbrachten und noch nicht abgenommenen Werkleistungen der Klägerin geführt.

Das alles läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die Revision bringt dagegen nichts vor.

II.  1. Das Berufungsgericht nimmt einen »besonders gelagerten Fall« an und bejaht deshalb in entsprechender Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB den Klageanspruch dem Grunde nach als Anspruch auf den Teil der vertragsmäßigen Vergütung, welcher der bis zum Brand geleisteten Arbeit entspreche. Es meint, die Beklagte habe den von ihr schon mit Isolierplatten ausgekleideten Frostertunnel der Klägerin als »Stoff« im Sinne des § 645 Abs. 1 BGB zum Ausschäumen zur Verfügung gestellt. Deshalb müsse sie ohne Rücksicht auf Verschulden die Verantwortung dafür tragen, daß der Klägerin, die weiterhin zur Leistung bereit gewesen sei, wegen des zufälligen Untergangs des Tunnels die Fertigstellung ihrer Arbeiten verwehrt sei.

Das hält der Revision nicht stand:

Zur Entscheidung steht allein die Frage, ob die Klägerin eine Vergütung für ihre bis zum zufälligen Untergang durch den Brand erbrachten, nicht beendeten und nicht abgenommenen Werkleistungen verlangen kann. Die Klägerin leitet keine Ansprüche daraus her, daß es wegen der inzwischen geänderten Planung nicht mehr zur Neuaufnahme der Arbeiten, zur Wiederherstellung der untergegangenen Arbeiten und danach zur Beendigung der vereinbarten Werkleistungen gekommen ist.

Mangels anderweitiger Vereinbarungen der Parteien kommt hier allein § 644 Abs. 1 Satz 1 oder § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht.

a) Nach § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB trägt der Unternehmer die Vergütungsgefahr. Geht ein ganz oder teilweise fertiggestelltes Werk vor der Abnahme zufällig unter, so kann der Unternehmer für die bis zum Untergang erbrachten Werkleistungen keinen Werklohn verlangen.

b) Anders ist es nach § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ist das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des vom Besteler gelieferten Stoffes untergegangen, ohne daß ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat, so kann der Unternehmer einen der bis zum Untergang seines Werkes geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der vereinbarten Vergütung verlangen. Diese Ausnahmeregelung kann hier weder unmittelbar noch entsprechend angewendet werden.

aa) Es kann dahinstehen, ob der bis zum Brand von der Beklagten mit Isolierplatten ausgekleidete Teil des Frostertunnels, den die Klägerin dann ausgeschäumt hat, als von der Beklagten an die Klägerin »gelieferter Stoff« im Sinne des § 645 Abs. 1 BGB angesehen werden kann (vgl. BGHZ 60, 14, 20 ). Das Werk der Klägerin, nämlich die durch das Ausschäumen erbrachte Leistung, ist jedenfalls nicht infolge eines Mangels des schon mit Isolierplatten ausgekleideten Tunnels (des »Stoffes«) untergegangen. Unstreitig beruht der Untergang allein auf dem Brand. Dafür ist keine Partei verantwortlich, sondern wahrscheinlich die Firma S. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift scheidet damit aus.

bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist auch für eine entsprechende Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB kein Raum.

Diese Vorschrift beruht auf Billigkeit. Ihre entsprechende Anwendung ist deshalb in Fällen geboten, in denen die Leistung des Unternehmers aus Umständen untergeht oder unmöglich wird, die in der Person des Bestellers liegen (BGHZ 60, 14 ff)
oder auf Handlungen des Bestellers zurückgehen (BGHZ 40, 71 ff), auch wenn es insoweit an einem Verschulden des Bestellers fehlt. In derartigen Fällen steht der Besteller der sich aus diesen Umständen ergebenden Gefahr für das Werk näher als der Unternehmer (BGHZ 77, 320). Die entsprechende Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB führt in solchen Fällen zu einem beiden Parteien des Werkvertrages gerecht werdenden billigen Interessen ausgleich. Der Unternehmer erhält (nur) die erbrachte und untergegangene Werkleistung bezahlt. Der Besteller braucht den darüber hinausgehenden Teil der vereinbarten Vergütung nicht zu entrichten.

Im vorliegenden Fall ist die Werkleistung der Klägerin jedoch nicht aus einem der Beklagten zuzurechnenden Grunde untergegangen. Den Brand hat die Beklagte nicht verursacht. Arbeiten – wie hier – Unternehmer und Subunternehmer gleichzeitig und in naher räumlicher Beziehung an ihren Werken, die nach ihrer Fertigstellung das vom Hauptunternehmer gegenüber dessen Besteller geschuldete Werk ergeben sollen, so ist der Hauptunternehmer nicht näher als sein Subunternehmer an den Gefahren, die – unabhängig vom Verhalten beider – während der Bauzeit zum Untergang der noch in der Bearbeitung befindlichen Bauteile führen können. Der Untergang ist in solchen Fällen nicht der »Sphäre oder dem »Risikobereich« des Hauptunternehmers zuzurechnen. Auch im vorliegenden Fall kann daher offen bleiben, ob in allen Fällen, in denen der Grund für den Untergang des Werkes im Bereich (der »Sphäre«) des Bestellers zu suchen ist, der Unternehmer, abweichend von der Regel des § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB, einen Anspruch auf Vergütung hat (vgl. dazu
BGHZ 40, 71 ff, 74, 75, m. w. N.

2. Das Berufungsgericht meint, hier sei die entsprechende Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zu Gunsten der Klägerin auch aus anderem Grunde billig und geboten. Die Beklagte habe nämlich ihren Anspruch auf Vergütung ihrer Leistungen an die Firma H. nur deshalb nicht weiterverfolgt, weil sie die Geltendmachung erheblich höherer Gegenforderungen befürchtet habe. Die Beklagte möge sich an diese Firma, ihre Auftraggeberin, halten. Die Beklagte habe zumindest die Möglichkeit gehabt, im Rahmen der Vertragsgestaltung die Vereinbarungen mit der Firma H. so zu treffen, daß sie (die Beklagte) von dieser für die ihr durch den Brand und die anderweitige Neuherstellung entstandenen Nachteile Ersatz hätte verlangen können.

Auch das hält der Revision nicht stand, denn ein vertraglicher Vergütungsanspruch der Beklagten gegen die Firma H. ist nicht ersichtlich.

Die Parteien haben über den Inhalt des Vertrages der Beklagten mit der Firma H. nichts vorgetragen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, die Beklagte habe mit der Firma H. eine günstigere Regelung der Vergütungsgefahr, etwa eine Haftung der Firma H. für zufälligen Untergang des Werkes, vereinbart oder vereinbaren können.

a) Ein Ausnahmefall im Sinne des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt auch im Verhältnis der Beklagten zur Firma H. nicht vor. Geht eine Bauleistung vor ihrer Abnahme aufgrund eines an der Baustelle entstandenen Brandes unter und trifft den Bauherrn daran kein Verschulden, so ist der zufällige Untergang dem Bauherrn nur dann im Sinne des § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB anzulasten, wenn der Brand auf Umstände in seiner Person oder auf seine Handlung zurückgeht. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn ein anderer Handwerker in eigener Verantwortung den Brand ausgelöst hat oder eine solche Möglichkeit nicht ausgeräumt werden kann.
Bei Bauvorhaben werden häufig verschiedene Handwerker im Auftrage des Bauherrn gleichzeitig auf der Baustelle tätig. Die gleichzeitige Beauftragung verschiedener Bauhandwerker kann für sich allein im Regelfall die Verschiebung der Vergütungsgefahr auf den Bauherrn nicht rechtfertigen. Daß die Firma H. darüber hinaus irgend etwas Risikoerhöhendes getan hätte, hat keine der Parteien behauptet. Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln OLGZ 1975,323 ff betrifft einen anders gelagerten Fall. Dort waren beim Umbau eines Jahrhunderte alten Bauwerkes vor der Abnahme Werkleistungen eines Bauhandwerkers durch einen Brand untergegangen, der auf vom Bauherrn veranlaßten Schweißarbeiten eines anderen Handwerkers beruhte. In jenem Fall hat das Oberlandesgericht den Auftrag des Bauherrn an den anderen Handwerker als eine Handlung angesehen, die eine Ursachenkette begründete, an deren Ende der Brand stand. Das hat das Oberlandesgericht dem Bauherrn als Handlung im Sinne von
BGHZ 40, 71 ff angelastet und deshalb den Vergütungsanspruch des Bauhandwerkers für die untergegangene Werkleistung bejaht.
Ob in diesem besonderen Fall, der den Umbau eines sehr alten und daher wohl besonders feuergefährdeten Hauses betraf, das Oberlandesgericht die Beauftragung eines weiteren Handwerkers mit Schweißarbeiten als eine die Verschiebung der Vergütungsgefahr rechtfertigende Handlung des Bauherrn bewerten durfte, kann hier offen bleiben. Der vorliegende Fall betrifft einen großen Fabrikneubau und liegt damit ganz anders.

b) Auch wenn die Beklagte und die Firma H. die Geltung der Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil B, vereinbart haben sollten, wäre es im Ergebnis nicht anders. Nach § 7 VOB/B (1973) geht bei zufälligem Untergang der noch nicht abgenommenen Werkleistung die Vergütungsgefahr auf den Bauherrn als Auftraggeber (abweichend von §§ 644,645 BGB) dann über, wenn die Bauleistung »durch höhere Gewalt, Krieg, Aufruhr oder andere unabwendbare vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände beschädigt oder zerstört wird«. Dem Auftragnehmer verbleiben dann die Ansprüche nach § 6 Nr. 5 VOB/B. Der Untergang der von den Parteien erbrachten Teilleistungen ist hier aber nicht durch einen der genannten Umstände verursacht. Die Parteien haben ausreichende Tatsachen nicht vorgetragen, welche die Annahme rechtfertigen könnten, der Brand sei ein unabwendbares Ereignis gewesen. Ein solches Ereignis ist gegeben, wenn nach menschlicher Einsicht und Erfahrung das Ereignis oder seine Auswirkungen trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste Sorgfalt nicht verhütbar oder in seinen Wirkungen bis auf ein erträgliches Maß unschädlich zu machen sind (Senatsurteile vom 23. November 1961 – VII ZR 141/60 = Schäfer/Finnern, Rechtsprechung der Bauausführung FSZ 2.413 Bl. 18, sowie vom 24. Juni 1968 – VII ZR 43/66 = LM VOB Nr. 31). Daß die Bauleistungen gerade durch ein solches Ereignis zerstört worden seien, hätten die Parteien darlegen müssen (vgl. das letztgenannte Senatsurteil). Daran fehlt es.

Der Brand ist entstanden, während die Leute der Beklagten und die der Klägerin an ihren Werken arbeiteten. Es würde also der Darlegung bedurft haben, aus welchen Gründen der Brand unabwendbar gewesen sein sollte. Es liegt nahe, daß die Schweißarbeiten der Firma S. die Brandursache gewesen sind. Auch dann braucht der Brand für die Parteien nicht unabwendbar gewesen zu sein.

c) Nach alledem durfte das Berufungsgericht weder werkvertragliche Vergütungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte noch solche der Beklagten gegen die Firma H. bejahen.