Bereicherungsausgleich
und § 242 BGB
BGH, Urteil vom 1. Februar
2007 - III ZR 126/06
Fundstelle:
NJW-RR 2007, 719
Amtl. Leitsatz:
Zur Frage, ob einem
Bereicherungsanspruch auf Rückerstattung von ärztlichen Honoraren für
Wahlleistungen der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegengesetzt
werden kann, wenn die zugrunde liegenden Wahlleistungsvereinbarungen zwar
wegen Verstoßes gegen die Unterrichtungspflicht nach § 22 Abs. 2 Satz 1
BPflV unwirksam gewesen waren, diese Leistungen jedoch über einen langen
Zeitraum abgerufen, beanstandungsfrei erbracht und honoriert worden sind.
Zentrale Probleme:
In mir nicht ganz verständlicher Weise verneint der Senat
einen Bereicherungsausgleich aus § 242 BGB, weil der Bereicherungsgläubiger
die Vorteile aus dem nichtigen Vertrag gezogen hat, jetzt aber seine
Leistung zurückfordert. Das löst sich wohl bereits dadurch, daß der
Schuldner seinerseits einen Bereicherungsanspruch in Bezug auf die von ihm
erbrachte Leistung hat, der im Wege der
Saldotheorie
bzw. durch Aufrechnung geltend gemacht werden kann (s. dazu auch die Anm. zu
BGH NJW 2007, 1130).
Wenn in der Rspr gelegentlich davon gesprochen wird, daß
„Bereicherungsansprüche … dem Billigkeitsrecht an(gehören) und … daher in
besonderem Maße unter den Grundsätzen von Treu und Glauben“ stehen (so BGHZ
36, 232, 235; zuletzt BGH NJW 2003, 3193, 3196), so trifft das zwar auf die
gesetzliche Intention des Bereicherungsrechts als solchen zu. Ein
besonderer, in jedem Einzelfall zu prüfender Vorbehalt des Grundsatzes von
Treu und Glauben über die sehr ausdifferenzierten Regelungen des deutschen
Bereicherungsrechts, die sich in ihrer Gesamtheit selbstverständlich als
Erfordernis der Billigkeit verstehen, ist aber schon aus
Rechtssicherheitsgründen zu verneinen. Gerade wegen der speziellen
Ausformungen des Grundsatzes von Treu und Glauben insbesondere durch §§ 814,
815, 818 Abs 3 sowie die etablierten Grundsätze des Bereicherungsausgleichs
bei gescheiterten gegenseitigen Verträgen (s dazu § 818 Rn 41 ff) ist die
praktische Bedeutung von § 242 im Bereicherungsrecht eher als gering
einzuschätzen. Lediglich im Rahmen von § 817 S 2 läßt sich uU ein besonderer
Einfluß von § 242 konstatieren ().
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Klägerin befand sich in dem Zeitraum von Dezember 1999 bis November
2001 wiederholt in ambulanter und stationärer Behandlung des
Kreiskrankenhauses W. . Der Betrieb dieses Krankenhauses wurde mit Wirkung
zum 1. Januar 2002 auf die Beklagte zu 1, eine (gemeinnützige) Gesellschaft
mit beschränkter Haftung, übertragen. Der Beklagte zu 2 ist in der Klinik
als liquidationsberechtigter Chefarzt tätig und hat die Klägerin, die
Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist und nicht über eine
private Zusatzversicherung verfügt, aufgrund von jeweils inhaltsgleichen
Wahlleistungsvereinbarungen ärztlich behandelt. Diese
Wahlleistungsvereinbarungen lauteten - soweit hier von Bedeutung - wie
folgt:
[Die Wahlleistungen erstrecken sich auf]
"die ärztlichen Leistungen aller an der Behandlung beteiligten Ärzte des
Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen
berechtigt sind (= 'Chefarztbehandlung') einschließlich der von diesen
Ärzten veranlaßten Leistungen von Ärzten oder ärztlich geleiteten
Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses, dies gilt auch soweit sie vom
Krankenhaus berechnet werden; die Liquidation erfolgt nach der GOÄ/GOZ in
der jeweils gültigen Fassung. Die GOÄ ist auszugsweise an den
Informationstafeln (gegenüber der Patientenaufnahme und im
Stationsdienstzimmer) zur Einsichtnahme."
2 Der Klägerin wurden für die Chefarztbehandlung elf Abrechnungen erteilt.
Den sich daraus ergebenden Gesamtbetrag von 24.424,06 € hat sie aus eigenen
Mitteln bezahlt.
3 Sie nimmt nunmehr beide Beklagten gesamtschuldnerisch auf Rückzahlung der
geleisteten Beträge mit der Begründung in Anspruch, die
Wahlleistungsvereinbarungen seien wegen Verstoßes gegen § 22 Abs. 2 Satz 1
der - vorliegend anwendbaren - Bundespflegesatzverordnung (BPflV) vom 24.
September 1994 (BGBl. I S. 2750) unwirksam. Das Berufungsgericht hat ihr
insoweit lediglich 5.211,37 € zugesprochen. Mit der von diesem zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihre Mehrforderung gegen beide Beklagten
weiter.
Entscheidungsgründe
4 Die Revision ist nicht begründet.
I.
5 1. Zu Unrecht macht die Revision geltend, bei den hier in Rede stehenden
Wahlleistungsvereinbarungen sei bereits die Schriftform des § 22 Abs. 2 Satz
1 BPflV nicht gewahrt worden, weil sie nur von einem Vertreter des
Rechtsvorgängers der Beklagten zu 1 und nicht auch vom Beklagten zu 2
unterschrieben worden seien. Die Wahlleistungen werden nach § 22 Abs. 1 Satz
1 BPflV mit dem "Krankenhaus" vereinbart; allein dessen Träger ist
Vertragspartner der Vereinbarung über die gesonderte Berechung (Senatsurteil
vom 22. Juli 2004 - III ZR 355/03 = VersR 2005, 120).
6 2. Jedoch sind beide Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen, dass die
vorstehend wiedergegebene Wahlleistungsvereinbarung inhaltlich nicht den
Anforderungen des § 22 Abs. 2 Satz 1 BPflV genügte.
7 a) Danach sind Wahlleistungen vor der Erbringung schriftlich zu
vereinbaren; der Patient ist vor Abschluss der Vereinbarung über die
Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im Einzelnen zu unterrichten.
Nach der Rechtsprechung des Senats, von der abzugehen kein Anlass besteht,
ist eine Wahlleistungsvereinbarung, die ohne hinreichende vorherige
Unterrichtung des Patienten abgeschlossen worden ist, unwirksam (vgl.
Senatsurteile vom 27. November 2003 - III ZR 37/03 = BGHZ 157, 87, 90 = NJW
2004, 684, vom 8. Januar 2004 - III ZR 375/02 = NJW 2004, 686 und vom 22.
Juli 2004 - III ZR 355/03 = VersR 2005, 120).
8 b) Der Senat hat in seinen vorgenannten Urteilen die Anforderungen
präzisiert, die an eine ausreichende Unterrichtung zu stellen sind. Danach
reicht es einerseits nicht aus, wenn der Patient lediglich darauf
hingewiesen wird, dass die Abrechnung des selbst liquidierenden Chefarztes
nach der Gebührenordnung für Ärzte erfolge; andererseits ist es nicht
erforderlich, dass dem Patienten unter Hinweis auf die mutmaßlich in Ansatz
zu bringenden Nummern des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für
Ärzte detailliert und auf den Einzelfall abgestellt die Höhe der
voraussichtlich entstehenden Arztkosten - in Form eines im Wesentlichen
zutreffenden Kostenanschlags - mitgeteilt wird. Der Senat hat vielmehr
Kriterien aufgestellt, an denen sich die Unterrichtung des Patienten zu
orientieren hat. Ausreichend ist danach in jedem Falle:
- eine kurze Charakterisierung der Inhalts wahlärztlicher Leistungen, wobei
zum Ausdruck kommt, dass hierdurch ohne Rücksicht auf Art und Schwere der
Erkrankung die persönliche Behandlung durch die liquidationsberechtigten
Ärzte sichergestellt werden soll, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass der
Patient auch ohne Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung die medizinisch
notwendige Versorgung durch hinreichend qualifizierte Ärzte erhält;
- eine kurze Erläuterung der Preisermittlung für ärztliche Leistungen nach
der Gebührenordnung für Ärzte bzw. für Zahnärzte (Leistungsbeschreibung
anhand der Nummern des Gebührenverzeichnisses; Bedeutung von Punktzahl und
Punktwert; Möglichkeit, den Gebührensatz je nach Schwierigkeit und
Zeitaufwand zu erhöhen); Hinweis auf Gebührenminderung nach § 6a der
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ); -
ein Hinweis darauf, dass die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen eine
erhebliche finanzielle Mehrbelastung zur Folge haben kann;
- ein Hinweis darauf, dass sich bei der Inanspruchnahme wahlärztlicher
Leistungen die Vereinbarung zwingend auf alle an der Behandlung des
Patienten beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte erstreckt (vgl. § 22
Abs. 3 Satz 1 BPflV);
- und ein Hinweis darauf, dass die Gebührenordnung für Ärzte/Gebührenordnung
für Zahnärzte auf Wunsch eingesehen werden kann; die ungefragte Vorlage
dieser Gesetzestexte erscheint demgegenüber entbehrlich, da diesen für sich
genommen kein besonderer Informationswert zukommt. Der durchschnittliche
Wahlleistungspatient ist auch nicht annähernd in der Lage, sich selbst
anhand des Studiums dieser umfänglichen komplizierten Regelungswerke einen
Überblick über die Höhe der auf ihn zukommenden Arztkosten zu verschaffen.
9 c) Die hier in Rede stehende Wahlleistungsvereinbarung enthielt weder den
Hinweis, dass der Patient auch ohne Abschluss einer solchen die medizinisch
notwendige Versorgung durch hinreichend qualifizierte Ärzte erhielt, noch
eine kurze Erläuterung der Preisermittlung für die ärztlichen Leistungen.
Ebenso fehlte eine Belehrung darüber, dass die Vereinbarung wahlärztlicher
Leistungen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung zur Folge haben konnte.
10 3. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen wurden diese Hinweise bei den
späteren Wahlleistungsvereinbarungen nicht dadurch entbehrlich, dass die
Klägerin die ersten Rechnungen beanstandungsfrei bezahlt hatte. Die
Anforderungen des § 22 Abs. 2 BPflV beziehen sich nach Wortlaut und Sinn
dieser Bestimmung auf die jeweilige einzelne Vereinbarung. Ein Fortwirken
früherer Hinweise oder sonstiger Informationen enthebt den Krankenhausträger
als den Vertragspartner der Wahlleistungsvereinbarung daher nicht der
Obliegenheit, diese Anforderungen einzuhalten.
II.
11 Gleichwohl hält die Abweisung der Klage im noch anhängigen Umfang im
Ergebnis der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand. Die Beklagten können
nämlich, wie das Berufungsgericht in seiner Hilfsbegründung in
rechtsfehlerfreier tatrichterliche Würdigung ausführt, dem
Bereicherungsanspruch der Klägerin den Einwand unzulässiger Rechtsausübung
entgegensetzen.
12 1. Die Klägerin hat über einen langen Zeitraum die Wahlleistungen
entgegengenommen und Vorteile aus ihnen gezogen. Sie war durch die
schriftliche Wahlleistungsvereinbarung - wenn auch inhaltlich unzureichend -
zumindest ansatzweise über die Tragweite der eingegangenen Verpflichtungen
informiert worden. Durch die ersten Abrechnungen der Beklagten (die nicht
mehr Gegenstand des jetzigen Revisionsverfahrens sind) war ihr auch die
Technik der Preisermittlung für ärztliche Leistungen nach der
Gebührenordnung für Ärzte vor Augen geführt worden. Sie hat über Jahre
hinweg die in Rechnung gestellten Entgelte anstandslos bezahlt. Da sie über
keine private Zusatzversicherung verfügte, war ihr bewusst, dass sie diese
Geldleistungen aus ihrem eigenen Vermögen zu erbringen hatte. Auf diese
Weise hatte sie zumindest daran mitgewirkt, dass bei der Rechtsvorgängerin
der Beklagten zu 1 und bei dem Beklagten zu 2 der Eindruck entstehen musste,
die Klägerin werde sich im Nachhinein nicht darauf berufen, dass den
gegenseitigen Leistungen eine rechtliche Grundlage gefehlt habe.
13 2. Zwar gibt es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass
derjenige, der die Vorteile eines unwirksamen Rechtsgeschäfts endgültig
genossen hat, die von ihm erbrachten Gegenleistungen nicht zurückfordern
kann. Indessen hat die Rechtsprechung schon mehrfach gegen einen
Bereicherungsanspruch dieses Inhalts den Einwand unzulässiger Rechtsausübung
durchgreifen lassen (vgl. z.B. RGZ 135, 374; BGH, Urteil vom 23. Januar 1981
- I ZR 40/79 = NJW 1981, 1439, 1440; s. auch Senatsurteile vom 1. Februar
2007 - III ZR 281/05 und 282/05; zum Ganzen Staudinger/Sack [2003] § 134 Rn.
187 bis 189). Insoweit bedarf es einer einzelfallbezogenen tatrichterlichen
Würdigung. Bei dieser kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die
vorstehend wiedergegebenen Grundsätze über die Anforderungen einer
ausreichenden Unterrichtung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BPflV in der
Rechtsprechung des Senats erst geraume Zeit nach den hier in Rede stehenden
Vorgängen präzisiert worden sind. Dies lässt den - objektiv vorliegenden -
Verstoß der Beklagten zu 1 gegen die Unterrichtungspflicht in einem milderen
Licht erscheinen (vgl. zu einer ähnlichen Problematik bei einem Verstoß
gegen Art. 1 § 1 RBerG auch die Senatsurteile vom 1. Februar 2007 aaO). Im
Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 17. Oktober 2002 (III
ZR 58/02 = NJW 2002, 3772) zugrunde gelegen hatte, handelte es sich hier
nicht um eine einmalige Behandlung aufgrund einer Wahlleistungsvereinbarung,
bei der zudem nicht einmal die Schriftform gewahrt gewesen war; vielmehr
hatte die Klägerin immer wieder die Wahlleistungen beider Beklagten
abgerufen und in Anspruch genommen. Unter diesen Umständen ist es bei
wertender Gesamtschau nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht
insbesondere in der problemlosen Aufrechterhaltung und Abwicklung der
vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien über einen Zeitraum von
mehreren Jahren hinweg einen besonderen Umstand erblickt hat, der der
Rückforderung der von der Klägerin erbrachten Gegenleistungen entgegensteht.
III.
14 1. Die Verfahrensrügen, mit denen die Revision im Wesentlichen geltend
macht, das Berufungsurteil enthalte keine Wiedergabe der Berufungsanträge
der Klägerin, greifen ebenfalls nicht durch. Vielmehr werden sowohl das von
der Klägerin im Berufungsrechtszug verfolgte Rechtsschutzziel als auch der
Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entscheiden wollte und
tatsächlich entschieden hat, aus den Gründen des Berufungsurteils
hinreichend deutlich. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß §
564 Satz 1 ZPO ab.
15 2. Die Revision war daher, obwohl die Beklagten im Revisionsrechtszug
nicht anwaltlich vertreten waren, durch unechtes Versäumnisurteil
zurückzuweisen.
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