Voraussetzung der
Sittenwidrigkeit von Spielverträgen; Haftung aus culpa in contrahendo (§§
311 II Nr. 2, 280 I BGB) bei der Verletzung vorvertraglicher Pflichten
BGH, Urteil vom 3. April
2008 - III ZR 190/07
Fundstelle:
NJW 2008, 2026
Amtl. Leitsatz:
a) Der Verstoß gegen die mit
einer Spielbankerlaubnis für Internet-Glücksspiele verknüpfte Auflage, dass
jeder Spieler vor Spielbeginn ein Limit bestimmt, führt nicht zur
Nichtigkeit der Spielverträge nach § 134 BGB i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB.
b) Ohne vorheriges Setzen eines Limits abgeschlossene
Internet-Spielverträge sind auch nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen
Sittenwidrigkeit nichtig.
Zentrale Probleme:
Die Klägerin betreibt eine zugelassene Spielbank und bot
im Internet die Möglichkeit an, online an einem Roulette teilzunehmen. Sie
nimmt den Beklagten auf Begleichung verlorener Wetteinsätze aus einem
solchen Online-Spiel in Anspruch.
Nach der für das Internet-Spielangebot der Klägerin erteilten
Spielbankerlaubnis sind teilnahmeberechtigt innerhalb der Bundesrepublik
Deutschland nur Personen ab 21 Jahren, die ihren Hauptwohnsitz in Hessen
haben oder sich zum Zeitpunkt der Spielteilnahme in Hessen aufhalten.
Weiterhin gibt die Spielbankerlaubnis vor, dass jeder Spieler bei seiner
Registrierung ein für ihn geltendes tägliches, wöchentliches oder
monatliches Limit bestimmt, Nachträgliche Erhöhungen dieses Limits sind erst
nach einem Ablauf von 24 Stunden, Verminderungen sofort zulässig. Eine
entsprechende Regelung findet sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Klägerin. Im Rahmen der erforderlichen Registrierung auf der Webseite
der Klägerin bestimmte der Beklagte kein wirksames Limit. Zu diesem
Zeitpunkt war in der Maske des Registrierungsprogramms die Option "Ich
möchte kein Limit setzen" voreingestellt. Wenn der Nutzer kein Limit
einsetzte oder ein Limit ohne Auswahl aus den Optionen "pro Tag, pro Woche
und pro Monat" angab, konnte er die Registrierung fortsetzen und nach
Abschluss des Rahmenvertrages ohne betragsmäßige Begrenzung am Spiel
teilnehmen. Der Senat hat eine Nichtigkeit der Spielgeschäfte gemäß § 134
BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot verneint. Der Tatbestand
der unerlaubten Veranstaltung eines öffentlichen Glücksspiels im Sinne des §
284 Abs. 1 StGB ist in Anbetracht der das Internet-Spiel umfassenden
Spielbankerlaubnis nicht erfüllt. Der Umstand, dass die Klägerin abweichend
von § 5 Nr. 1 der Spielbankerlaubnis in ihrem Registrierungsprogramm eine
Teilnahme an dem Online-Glücksspiel ohne Setzen eines wirksamen Limits
ermöglichte, führt nicht zu einer Gesetzeswidrigkeit der Spielverträge. Die
Vorgabe, dass jeder Spieler bei seiner Registrierung ein Limit bestimmt,
stellt kein Verbotsgesetz dar, sondern lediglich eine mit der Zulassung des
Online-Spiels verknüpfte Auflage. Der Verstoß gegen diese Auflage macht die
Spielverträge auch nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB
nichtig. Zwar kann die Eingabe eines Limits dem Nutzer nicht freigestellt
werden kann, sondern ist zwingend vorzuschreiben. Diese Vorgabe dient dem
Spielerschutz. Indes vermag die Bestimmung eines Limits nicht wirksam vor
der jedem Glücksspiel immanenten Gefahr der Sucht zu schützen. Eine der
Spielsperre (s. dazu BGHZ 165, 276 und
BGH NJW 2008, 840) vergleichbare Schutzfunktion
kann der Voreinstellung eines Limits nicht zukommen.
Auch eine (mögliche) Haftung aus culpa in contrahendo nach § 311 II Nr. 2,
280 I BGB wegen Verletzung einer Pflicht aus § 312e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB
verneint der Senat, da dem Spieler keine Eingabefehler unterlaufen seien.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Klägerin betreibt in Wiesbaden eine zugelassene Spielbank und bot im
Internet die Möglichkeit an, online an einem Roulette teilzunehmen. Sie
nimmt den Beklagten auf Begleichung verlorener Wetteinsätze aus einem
solchen Online-Spiel in Anspruch.
2 Für das Internet-Spielangebot der Klägerin wurde am 12. Juli 2004 auf der
Grundlage von § 1 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 2 Abs. 1 und 4, § 3 Abs. 2 Satz 2
des Hessischen Spielbankgesetzes vom 21. Dezember 1988 (GVBl. 1989 I S. 1),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. November 2002 (GVBl. I S. 702), eine
Spielbankerlaubnis erteilt, deren § 2 Nr. 1 lautet:
"Teilnahmeberechtigt am Internetspielangebot sind nur Personen ab 21 Jahre,
a) die ihren Hauptwohnsitz in Hessen haben oder
b) sich zum Zeitpunkt der Spielteilnahme in Hessen aufhalten …"
3 In § 5 Nr. 1 der Spielbankerlaubnis heißt es:
"Jeder Spieler bestimmt bei seiner Registrierung ein für ihn geltendes
tägliches, wöchentliches oder monatliches Limit. Nachträgliche Erhöhungen
dieses Limits sind erst nach einem Ablauf von 24 Stunden, Verminderungen
sofort zulässig."
4 Eine entsprechende Regelung enthält § 9 der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen für das Internet-Spiel der Klägerin.
5 Am 2. Oktober 2004 schloss der Beklagte mit der Klägerin einen
Rahmenvertrag ab, der Voraussetzung für die Teilnahme an dem Online-Roulette
war. Im Rahmen der außerdem erforderlichen Registrierung auf der Webseite
der Klägerin bestimmte der Beklagte kein wirksames Limit. Zu diesem
Zeitpunkt war in der Maske des Registrierungsprogramms die Option "Ich
möchte kein Limit setzen" voreingestellt. Wenn der Nutzer kein Limit
einsetzte oder ein Limit ohne Auswahl aus den Optionen "pro Tag, pro Woche
und pro Monat" angab, konnte er die Registrierung fortsetzen und nach
Abschluss des Rahmenvertrages ohne betragsmäßige Begrenzung am Spiel
teilnehmen.
6 Am 4. September 2005 meldete sich der Beklagte von seinem Wohnsitz in
Koblenz aus zur Teilnahme am Online-Spiel bei der Klägerin an, wobei er eine
Adresse in Hessen als aktuellen Aufenthaltsort angab und die zu dieser
Adresse gehörige Festnetztelefonnummer eines Bekannten nannte. Dieser gab
die ihm von der Klägerin mitgeteilten Daten zur Aufnahme des Spiels an den
Beklagten weiter. Per Kreditkarte überwies der Beklagte auf sein bei der
Klägerin geführtes Spielerdepot insgesamt 4.000 €. Die Einsätze und die
zwischenzeitlich erzielten Gewinne verspielte der Beklagte am selben Tag
aufgrund von 186 einzelnen Spielverträgen. Später ließ der Beklagte die
Belastungen seiner Kreditkarte rückgängig machen.
7 Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Bezahlung der Wetteinsätze,
Erstattung der Rücklastschriftkosten sowie vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten.
8 Der Beklagte hält die mit der Klägerin abgeschlossenen Spielverträge wegen
der Ausgestaltung der Limiteingabe für nichtig. Er hat behauptet, er habe
bei seiner Registrierung ein Limit in Höhe von 100 € oder weniger
eingegeben, das mangels Angabe des Zeitraums von dem Programm der Klägerin
nicht angenommen worden sei.
9 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr auf die
Berufung der Klägerin hin stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte
mit der vom Landgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
11 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die zwischen den Parteien
abgeschlossenen Spielverträge seien nicht wegen Verstoßes gegen ein
gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB nichtig. Der Tatbestand des
verbotenen Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, weil der
Klägerin eine wirksame Erlaubnis für das Internet-Spielangebot vorgelegen
habe. Eine Gesetzeswidrigkeit könne nicht daraus hergeleitet werden, dass
der Beklagte entgegen den Vorgaben der Spielbankerlaubnis an dem
Online-Spiel teilgenommen habe, obwohl er keinen Aufenthalt in Hessen gehabt
habe. Die Klägerin habe dem Beklagten nicht die Teilnahme am Internet-Spiel
bei Aufenthalt außerhalb Hessens angeboten. Dass sich der Beklagte durch
falsche Angabe eines Aufenthaltsorts in Hessen und Benutzung eines
Mittelsmannes in die Veranstaltung der Klägerin eingeschlichen habe, ändere
hieran nichts. Der Umstand, dass das Registrierungsprogramm der Klägerin
eine Teilnahme am Glücksspiel ohne Setzen eines wirksamen Limits ermöglicht
habe, verstoße zwar gegen § 5 Nr. 1 der Spielbankerlaubnis. Diese Bestimmung
sei jedoch nur eine Auflage und kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB.
12 Der Verstoß gegen diese Auflage führe auch nicht zur Nichtigkeit der
Spielverträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit. § 5 Nr. 1 der
Spielbankerlaubnis diene auch dem Spielerschutz. Durch das Voreinstellen
eines Limits solle der Spieler davor bewahrt werden, innerhalb des "Soges
des Spiels" immer höhere Geldbeträge einzusetzen. Das Registrierungsprogramm
der Klägerin habe es gerade nicht gewährleistet, dass jeder Nutzer vor der
Registrierung innehalten und sich Gedanken über das von ihm einzugehende
Risiko machen müsse. Die Klägerin habe nicht durch Umgehung der Auflage,
dass ein Limit zwingend zu setzen sei, eine mögliche Spielsucht der
Teilnehmer am Glücksspiel ausgenutzt. Das Setzen eines generellen Limits sei
als Mittel der Suchtprävention weder üblich noch geeignet. Bei Spielcasinos
gebe es eine solche Limitierung normalerweise nicht. Dem Schutz vor einer
Verschuldung infolge bestehender krankhafter Spielsucht werde üblicherweise
durch die Einrichtung einer Spielersperre Sorge getragen. Es sei bereits
fraglich, ob ein Spielsüchtiger in der Lage sei, sich ein angemessenes Limit
zu setzen. Jedenfalls könne ein einmal gesetztes Limit nach Ablauf von 24
Stunden beliebig erhöht werden. Hierdurch werde jede Schutzfunktion für
einen Spielsüchtigen ausgehöhlt. Die Eingabe eines Limits vermöge lediglich
einen nicht suchtkranken Teilnehmer am Spiel vor übereilten, zu hohen
Einsätzen zu schützen.
13 Dem Beklagten stehe kein Anspruch auf Freistellung von seinen
Spielschulden nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verschuldens beim Vertragsschluss
zu. Das Registrierungsprogramm der Klägerin habe zwar entgegen § 312e Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BGB nicht in ausreichender Weise gewährleistet, dass der Nutzer
einen Eingabefehler bei Bestimmung des Limits habe erkennen können. Es stehe
jedoch fest, dass dem Beklagten kein solcher Eingabefehler unterlaufen sei.
II.
14 Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Zu Recht hat
das Berufungsgericht der Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf
Bezahlung der verlorenen Spieleinsätze und auf Erstattung der
Rücklastschriftkosten sowie der vorgerichtlichen Anwaltskosten zuerkannt.
15 1. Das Berufungsgericht hat die zwischen den Parteien abgeschlossenen
Spielverträge sowie den zugrunde liegenden Rahmenvertrag ohne Rechtsfehler
als wirksam angesehen.
16 a) Der Wirksamkeit der Spielvereinbarungen steht nicht die Vorschrift
des § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen, wonach durch Spiel oder Wette eine
Verbindlichkeit nicht begründet wird. Diese Bestimmung findet nach § 763 BGB
keine Anwendung, weil für das Online-Roulette die zugrunde liegende
Spielbankerlaubnis für ein Internet-Spielangebot der Klägerin erteilt worden
war.
17 b) Die Spielgeschäfte sind nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen
ein gesetzliches Verbot nichtig.
18 aa) Der Tatbestand der unerlaubten Veranstaltung eines öffentlichen
Glücksspiels im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB ist in Anbetracht der das
InternetSpiel umfassenden Spielbankerlaubnis nicht erfüllt. Ein
Gesetzesverstoß ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte entgegen
den Vorgaben der Spielbankerlaubnis am Online-Roulette mitspielte, obwohl er
zur Zeit der Spielteilnahme weder seinen Hauptwohnsitz in Hessen hatte noch
sich dort aufhielt. Die Klägerin gestattete entsprechend der für ihr
Internet-Spielangebot erteilten Erlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland
weilenden Personen die Teilnahme an dem Online-Glücksspiel nur unter der
Voraussetzung, dass sie entweder ihren Hauptwohnsitz in Hessen hatten oder
sich dort zum Zeitpunkt der Spielteilnahme aufhielten. Die ordnungsgemäße
Zulassungspraxis der Klägerin unterlief der Beklagte, indem er sich durch
die unrichtige Angabe eines Aufenthaltsorts in Hessen und unter Einschaltung
eines Mittelsmannes die Teilnahme an dem Online-Spiel erschlich.
19 bb) Der Umstand, dass die Klägerin abweichend von § 5 Nr. 1 der
Spielbankerlaubnis in ihrem Registrierungsprogramm eine Teilnahme an dem
Online-Glücksspiel ohne Setzen eines wirksamen Limits ermöglichte, führt
nicht zu einer Gesetzeswidrigkeit der Spielverträge. Die Vorgabe, dass jeder
Spieler bei seiner Registrierung ein für ihn geltendes tägliches,
wöchentliches oder monatliches Limit bestimmt, stellt kein Verbotsgesetz
dar. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine mit der Zulassung des
Online-Spiels verknüpfte Auflage, deren Missachtung weder nach § 284 Abs. 1
StGB strafbar ist noch den Spielvertrag nach § 134 BGB i.V.m. § 284 Abs. 1
StGB nichtig macht (vgl. BGHZ 47, 393, 398).
20 c) Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Spielverträge und der
Rahmenvertrag auch nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB
nichtig.
21 aa) Als sittenwidrig im Sinne dieser Vorschrift ist ein Rechtsgeschäft
zu beurteilen, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt,
Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den grundlegenden
Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist
(Senatsurteil vom 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - NJW 2008, 982, 983 Rn.
11; BGHZ 107, 92, 97; 146, 298, 301; BGH, Urteile vom 29. Juni 2005 - VIII
ZR 299/04 - NJW 2005, 2291, 2292 unter II. B. 1. a) aa); vom 6. Februar 2007
- X ZR 117/04 - NJW 2007, 1806, 1807 Rn. 10; jew. m.w.N.). Das kann bei
Spielgeschäften angenommen werden, wenn sie unter Ausnutzung der
Unerfahrenheit, des Leichtsinns oder einer Zwangslage eines Beteiligten
zustande kommen (MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl., § 762 Rn. 17
m.w.N.; vgl. RGZ 70, 1, 3). Das mag auch für solche Spielverträge gelten,
die so konzipiert sind, dass sie der Spielsucht und problematischem
Spielverhalten in besonderem Maße Vorschub leisten. Auf eine
systematische Förderung der Spielsucht sind die zwischen den Parteien
abgeschlossenen Spielverträge aber nicht angelegt. Die Revision macht ohne
Erfolg geltend, eine Sittenwidrigkeit ergebe sich daraus, dass die Klägerin
durch bewusste Umgehung der Limit-Auflage eine mögliche Spielsucht der
Spieler ausgenutzt habe. Zwar hat die Klägerin mit der Ausgestaltung des
Registrierungsprogramms gegen § 5 Nr. 1 der Spielbankerlaubnis verstoßen.
Der Wortlaut dieser Auflage ist insoweit eindeutig, als die Eingabe eines
Limits dem Nutzer nicht freigestellt werden kann, sondern zwingend
vorzuschreiben ist. Diese Vorgabe dient - was das Berufungsgericht
herausgestellt hat - dem Spielerschutz. Jeder Teilnehmer soll sich schon vor
Aufnahme des ersten Spiels überlegen, welchen Geldbetrag er maximal beim
Glücksspiel einsetzen will. Durch das vorherige Einstellen eines Limits kann
der Spieler zumindest kurzfristig für den von ihm gewählten Zeitraum davor
bewahrt werden, innerhalb des "Soges des Spiels" über den von ihm zunächst
für das Glücksspiel eingeplanten Betrag hinaus immer höhere Einsätze zu
verspielen. Allerdings ist eine solche "Sogwirkung" nicht mit einer
Spielsucht gleichzusetzen, sondern mit jedem Glücksspiel verbunden und
verleitet auch nicht spielsüchtige Spieler dazu, das Spiel fortzusetzen und
noch weitere Geldbeträge einzusetzen. Der Versuchung zur Erhöhung der
Einsätze kann und muss der nicht spielsüchtige Spieler bis zur Grenze des
von ihm wirtschaftlich Vertretbaren widerstehen. Er ist aufgrund der ihm
nach der Privatautonomie obliegenden Selbstverantwortung gehalten, selbst zu
prüfen, wo die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit liegen und welchen
Höchstbetrag er beim Glücksspiel einsetzen kann und will. Bei dieser
Einschätzung bietet die Möglichkeit, vor Spielbeginn ein Limit zu setzen,
nicht spielsüchtigen Nutzern des Online-Roulettes eine sinnvolle
Hilfestellung.
22 bb) Indes vermag die Bestimmung eines Limits nicht wirksam vor der jedem
Glücksspiel immanenten Gefahr der Sucht zu schützen. Ebenso wie bei anderen
Suchterkrankungen der kontrollierte Entzug des Suchtmittels geboten ist,
können suchtkranke oder -gefährdete Spieler anerkanntermaßen durch einen
überwachten Ausschluss vom Glücksspiel geschützt werden. Daher bieten
Spielbanken die Möglichkeit an, gegen potentielle Spieler auf Antrag eine
Spielsperre zu verhängen. Das korrespondiert mit ihrer Verpflichtung, den
Spielbetrieb aufgrund der erteilten staatlichen Konzession auch am Ziel der
Begrenzung und Bekämpfung von Spielsucht und problematischen Spielverhalten
auszurichten (vgl. zur entsprechenden Verantwortlichkeit der Anbieter von
Sportwetten: BVerfGE 115, 276, 304 ff). Nach der für das
Internet-Spielangebot der Klägerin erteilten Spielbankerlaubnis und der
entsprechenden Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin
können nicht nur Nutzer, sondern für diese auch deren Eltern, Ehepartner,
Kinder und Lebensgefährten wegen Spielsucht eine Sperre am Internetspiel
verlangen. Der Sinn einer auf eigenen Antrag des Spielers oder seiner
Angehörigen verhängten Spielsperre besteht im Schutz des Spielers vor sich
selbst. Die Spielbank ist daher verpflichtet, das Zustandekommen von
Spielverträgen mit dem gesperrten Spieler zu verhindern, um ihn vor den
aufgrund seiner Spielsucht zu befürchtenden wirtschaftlichen Schäden zu
bewahren (Senat, BGHZ 165, 276, 280;
Senatsurteil vom 22. November 2007 - III ZR 9/07 -
WM 2008, 38, 39 Rn. 10). Eine vergleichbare Schutzfunktion kann der
Voreinstellung eines Limits nicht zukommen. Bei spielsüchtigen Nutzern
erscheint es schon fraglich, ob sie vor der Spielteilnahme noch unbefangen
und realistisch einschätzen können, in welchem finanziellen Rahmen sie
vertretbar spielen können. Gegen die Effektivität eines generellen Limits -
das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beim Glücksspiel in
Spielcasinos nicht üblich ist - spricht auch, dass die Höhe des Limits vom
Nutzer frei gewählt werden kann und nicht seinen wirtschaftlichen
Verhältnissen angepasst sein muss. Die Klägerin hat keine Möglichkeit zu
überprüfen, ob das gewählte Limit angemessen ist, weil sie weder die
Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Spielers kennt noch deren
Offenbarung verlangen kann. Außerdem kann ein einmal gesetztes Limit, selbst
wenn es ursprünglich für die Dauer eines Monats gewählt wurde, schon nach
Ablauf von 24 Stunden beliebig erhöht werden. Damit kann eine zu Beginn des
Spiels noch gegebene Schutzfunktion alsbald entwertet werden. Das
obligatorische Setzen eines Limits gewährt somit noch nicht einmal einen
Mindestschutz für suchtkranke Spieler.
23 cc) Erfolglos wendet die Revision weiterhin ein, das Berufungsgericht
habe den mit dem Online-Spiel verbundenen Gefahren nicht das nötige Gewicht
beigemessen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass das
Internet-Spiel eine deutlich niedrigere Zugangsschwelle für den potentiellen
Teilnehmer aufweist als ein Glücksspiel in der Spielbank. Das
Online-Roulette kann ohne die Notwendigkeit örtlicher Veränderung vom
heimischen Computer aus zu jeder Tages- und Nachtzeit gespielt werden. Der
Teilnehmer wird beim Spiel nicht von anderen Personen, insbesondere
Croupiers, Aufsichtspersonal und Mietspielern, wahrgenommen und muss sich
nicht - etwa durch angemessene Kleidung - in das für ein Spielcasino
typische Umfeld einfügen. Dass beim Online-Spiel ein derartiger äußerer
Rahmen fehlt, bedeutet aber nicht, dass der Spieler eines erhöhten Schutzes
bedarf. Es mag sein, dass er sich die Höhe seiner Einsätze weniger bewusst
macht als derjenige, der in einer Spielbank vor Ort zunächst Jetons erwirbt.
Allerdings muss auch bei dem von der Klägerin veranstalteten Online-Spiel
der Einsatz vor Beginn des Spiels geleistet werden, indem ein Betrag auf das
sogenannte Spielerdepot überwiesen wird. Daher muss sich auch der Spieler,
der kein Limit gesetzt hat, Gedanken darüber machen, welchen Betrag er
riskieren kann und möchte. Diese Entscheidung kann dem Nutzer durch die
Eingabe eines Limits erleichtert, aber nicht abgenommen werden. Selbst wenn
der Reiz des Spiels ohne Anwesenheit von Croupiers und Mitspielern zu einer
Erhöhung der Einsätze verleiten mag, ist der nicht spielsüchtige Nutzer in
der Lage, die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit eigenverantwortlich
einzuschätzen. Der suchtgefährdete oder -kranke Nutzer wird, wie bereits
ausgeführt, durch das Setzen eines Limits nicht wirksam von einem ruinösen
Spiel abgehalten.
24 2. Der Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf
Freistellung von seinen Spielschulden wegen Verschuldens beim
Vertragsschluss nach § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die
Klägerin verletzte zwar ihre vorvertraglichen Sorgfaltspflichten, indem sie
ohne die in § 5 Nr. 1 der Spielbankerlaubnis und § 9 ihrer Allgemeinen
Geschäftsbedingungen vorgeschriebene Eingabe eines Limits den Beklagten zum
Online-Spiel zuließ. Diese Pflichtwidrigkeit ist aber nicht für den Verlust
der Spieleinsätze kausal geworden. Denn nach den von der Revision nicht
angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts kann schon nicht davon
ausgegangen werden, dass der Beklagte ein Limit gesetzt hätte, das ihn vor
dem Verlust der eingesetzten 4.000 € bewahrt hätte.
25 3. Gegenüber dem Zahlungsanspruch der Klägerin kann sich der Beklagte
auch nicht auf einen Verstoß gegen § 312e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB berufen.
Nach dieser Vorschrift hat ein Unternehmer bei Verträgen über die Erbringung
von Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr dem Kunden
angemessene, wirksame und zugängliche technische Mittel zur Erkennung und
Berichtigung von Eingabefehlern zur Verfügung zu stellen. Es bedarf hier
keiner Entscheidung, ob zu den Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung
in Anlehnung an § 312d Abs. 4 Nr. 4 BGB auch Wett- und
Lotterie-Dienstleistungen zählen, wie das Berufungsgericht meint.
Dahinstehen kann auch, ob die nach dem Registrierungsprogramm der Klägerin
gegebene Möglichkeit einer Registrierung ohne Bestimmung eines Limits als
Eingabefehler zu qualifizieren ist. Jedenfalls steht ein Verstoß gegen diese
Norm der Wirksamkeit der Spielverträge nicht entgegen (Palandt/Grüneberg,
BGB, 67. Aufl., § 312e Rn. 11 m.w.N.). Dem Beklagten steht auch insoweit
kein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens beim Vertragsschluss nach §
280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu. Einen Eingabefehler des
Beklagten dergestalt, dass ein von ihm eingegebenes Limit von dem
Registrierungsprogramm der Beklagten nicht angenommen wurde, hat das
Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Hiergegen wendet sich die
Revision nicht.
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