Haftung einer Spielbank
bei Nichtbeachtung einer vertraglichen Selbstsperre durch den Spieler;
Haftung aus § 280 I (pVV); Vertretenmüssen und entschuldbarer Rechtsirrtum
bei nachträglicher Änderung der Rechtsprechung; partielle (sektorale)
Geschäftsunfähigkeit nach § 105 Abs. 2 BGB (Bestätigung von
BGHZ 165, 276)
BGH, Urteil vom 22.
November 2007 - III ZR 9/07
Fundstelle:
NJW 2008, 840 m. Anm. Klöhn
BGHZ 174, 255
Amtl. Leitsatz:
a) Eine Spielbank hat
auch bei Automatenspielsälen eine generelle Kontrollpflicht, die den Zutritt
von antragsgemäß gesperrten Spielern verhindern soll (Fortführung von
BGHZ 165, 276).
b) Bis zum Bekanntwerden des Senatsurteils BGHZ
165, 276 durfte die Spielbank nach dem früheren Stand der Rechtsprechung
(BGHZ 131, 136) jedoch annehmen, dass eine derartige generelle
Kontrollpflicht nicht bestehe. Sie befand sich insoweit in einem
entschuldbaren Rechtsirrtum.
Zentrale Probleme:
S. die Anm. zu
BGHZ 165, 276;
zur partiellen Geschäftsunfähigkeit s. die Anm. zu
BGH NJW-RR 2002, 1424 sowie
BayObLG
NJW 1989, 1678. Zur Haftung bei Aufhebung einer
Spielsperre s. BGH v. 20.10.2011 - III ZR
251/10.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Beklagte betreibt öffentlich-rechtlich konzessionierte Spielcasinos,
unter anderem in Bad Oeynhausen. Der Kläger, der nach eigenen Angaben
spielsüchtig ist, beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 24. April
1998, sich "unwiderruflich und auf Dauer für alle Spielcasinos sperren" zu
lassen. Die Beklagte bestätigte ihm mit Schreiben vom gleichen Tage, "dass
ab sofort eine unwiderruflich bundesweite Sperre für alle Spielcasinos"
erfolge.
2 Dennoch suchte der Kläger in der Zeit von Januar 2000 bis August 2001 die
Automatenspielsäle im Casino Bad Oeynhausen auf und verlor dort nach eigenen
Angaben Beträge in einer Größenordnung von mehr als 120.000 DM. Die
Automatenspielsäle konnten - anders als bei dem abgesperrten und
Personenkontrollen unterliegenden Bereich des "Großen Spiels" - auch ohne
Personenkontrolle betreten werden. An den Eingängen zu den Sälen waren
Schilder angebracht, wonach Minderjährigen, gesperrten oder nicht zum Spiel
zugelassenen Personen der Zutritt zum Spielsaal/Automatenspielsaal nicht
gestattet ist und im Falle eines Spielverlustes für diese Personen kein
Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze bestehe; im Falle eines
Gewinns bestehe weder ein Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze noch
ein Anspruch auf Auszahlung der Gewinne. Die für die Spieleinsätze
benötigten Geldbeträge beschaffte sich der Kläger überwiegend mittels
EC-Karte oder EURO-Card an Geldautomaten, die außerhalb der Spielbank oder
in deren Gebäude, jedoch außerhalb des Spielbereichs, aufgestellt waren.
3 Der Kläger erhebt gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der
verlorenen Einsätze. Er lastet ihr an, sie habe es versäumt, ihn durch
wirksame Kontrollen vom Automatenspiel fernzuhalten.
4 Beide Vorinstanzen haben der Klage mit geringfügigen Kürzungen zur
Anspruchshöhe stattgegeben. Die zweitinstanzliche Verurteilungssumme beläuft
sich auf 58.721,87 € nebst Zinsen. Hiergegen richtet sich die vom
Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, die ihren
Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6 Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus positiver
Vertragsverletzung lässt sich nicht feststellen. Zwar hat die Beklagte ihre
Pflichten gegenüber dem Kläger objektiv verletzt; jedoch kann sie sich
darauf berufen, sich während des fraglichen Zeitraums in einem
entschuldbaren Rechtsirrtum befunden zu haben.
7 1. Der Senat hat durch Urteil vom 15. Dezember
2005 (III ZR 65/05 = BGHZ 165, 276) - in teilweiser Abkehr vom Urteil
des XI. Zivilsenats vom 31. Oktober 1995 (XI ZR 6/95 = BGHZ 131, 136) -
entschieden, dass eine wunschgemäß erteilte Spielsperre Ansprüche auf
Ersatz von Spielverlusten begründen kann, wenn die Spielbank die Sperre
nicht durch ausreichende Kontrollen durchsetzt. Eine Spielbank hat bei einer
antragsgemäß - im Gegensatz zu einer einseitig - verhängten Spielsperre
Schutzpflichten, die auf Wahrnehmung der Vermögensinteressen ihrer Gäste
gerichtet sind. Dies wird auch von der Revision der Beklagten nicht mehr
grundsätzlich in Abrede gestellt.
8 2. In jener Entscheidung war es - wie hier - um die Teilnahme am
Automatenspiel gegangen, bei dem die Spielsäle - anders als bei der
Teilnahme am "Großen Spiel", bei der eine Personenkontrolle vorgeschrieben
war und ist -ohne besondere Kontrollen betreten werden konnten. Der damalige
Sachverhalt hatte sein besonderes Gepräge dadurch erhalten, dass der
betroffene Spieler, der trotz der Sperre am Automatenspiel teilgenommen
hatte, die für die Spieleinsätze erforderlichen Geldbeträge jeweils aus den
im Automatenspielsaal vorhandenen und von Mitarbeitern der Spielbank
bedienten Telecash-Geräten entnommen hatte. Jedenfalls bei derartigen
Telecash-Abhebungen hätte für die zuständigen Mitarbeiter der Spielbank
hinreichender Anlass bestanden zu kontrollieren, ob der Spieler zu den
gesperrten Spielern zählte.
9 3. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft ebenfalls Einsätze im
Automatenspiel. Anders als bei der früheren Entscheidung waren die
verspielten Beträge hier jedoch überwiegend nicht von einem im Spielsaal
befindlichen und der Kontrolle der Mitarbeiter der Spielbank unterliegenden
Telecash-Gerät, sondern per EC-Karte oder EURO-Card von außerhalb des
Spielbereichs aufgestellten Bank-Geldautomaten abgehoben worden.
Dementsprechend ist nunmehr die in dem früheren Urteil offen gelassene
Rechtsfrage zu beantworten, ob auch beim Automatenspiel eine generelle
Kontrollpflicht besteht, die den Zutritt von gesperrten Spielern verhindern
soll. Diese Frage ist in Übereinstimmung mit beiden Vorinstanzen zu bejahen.
10 a) Wie der Senat im Urteil vom 15. Dezember 2005 (BGHZ
165, 276, 280) ausgeführt hat, besteht der Sinn einer auf eigenen Antrag
des Spielers verhängten Spielsperre im Schutz des Spielers vor sich selbst.
Der Spieler will sich selbst mit Hilfe der Spielbank den für ihn als
gefahrträchtig erkannten Zugang verstellen. Dem liegt die kritische
Selbsterkenntnis eines durch Spielsucht gefährdeten Spielers in einer Phase
zugrunde, in der er zu einer solchen Einschränkung und Selbstbeurteilung
fähig ist. Auf Seiten der Spielbank wird diese Einsicht des Spielers
akzeptiert, indem sie erklärt, ihn vom Spiel auszuschließen und keine
Spielverträge mehr abzuschließen. Die Spielbank geht mit der Annahme des
Antrags eine vertragliche Bindung gegenüber dem Antragsteller ein, die auch
und gerade dessen Vermögensinteresse schützt, ihn vor den aufgrund seiner
Spielsucht zu befürchtenden wirtschaftlichen Schäden zu bewahren.
11 b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das "Große Spiel", sondern in
gleicher Weise auch für das hier zu beurteilende Automatenspiel. Dabei
berücksichtigt der Senat auch, dass nach Angaben der Deutschen Hauptstelle
gegen Suchtgefahren über 80 % der Spielsüchtigen am Automaten spielen und
der Anteil des "Kleinen Spiels" am Gesamtertrag der Spielbanken im Jahre
2002 immerhin 73,5 % betrug (mitgeteilt von Schimmel, NJW 2006, 958, 959 Fn.
11 m.w.N. [Besprechung des Senatsurteils BGHZ 165, 276 = NJW 2006, 362]).
Dementsprechend ist es auch für den Bereich des Automatenspiels dringend
geboten, die verhängte Spielsperre effektiv durchzusetzen, damit diese ihre
Schutzfunktion entfalten kann.
12 c) Dieser Verpflichtung ist die Beklagte hier objektiv nicht
nachgekommen. Der bloße am Eingang der Automatenspielsäle angebrachte
Hinweis, gesperrten Spielern sei der Zutritt verboten und diese hätten
keinen Anspruch auf Auszahlung der Gewinne oder Ersatz der Verluste, war
nicht geeignet, eine wirksame Schutzfunktion zu entfalten. Im Übrigen hat
der Senat in BGHZ 165, 276 darauf hingewiesen, dass eine solche Aussage
allenfalls als allgemeine Geschäftsbedingung rechtliche Verbindlichkeit
erzeugen könnte. Als solche wäre sie aber wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG
(jetzt: § 307 Abs. 1 und 2 BGB) unwirksam, da sich die Beklagte, wenn und
soweit sie ihre Kardinalpflicht, die Einhaltung der Spielsperre zu
überwachen, verletzt hat, nicht von ihrer Haftung freizeichnen kann.
13 d) Eine Einschränkung der Kontrollpflichten der Beklagten lässt sich auch
nicht daraus herleiten, dass der Kläger - so die Behauptung der Beklagten -
von Anfang an wusste, dass beim Betreten der Automatensäle keine
Personenkontrollen stattfinden. Die Spielsperre wurde, wie die
Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, umfassend und einschränkungslos
verhängt. Dass der Kläger die Beklagte bei Abschluss der Spielsperre
konkludent von der Wahrnehmung ihrer Kardinalpflichten (teilweise) befreit
haben könnte, ist nicht ersichtlich und von der Beklagten in den
Tatsacheninstanzen so auch nicht behauptet worden.
14 e) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, dass nach der vom
Innenminister des Landes Nordrhein Westfalen erlassenen Spielordnung in der
Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 1985 (Ministerialblatt NRW S. 970),
zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 25. Oktober 2001 (Ministerialblatt
NRW S. 1391), eine Personenkontrolle lediglich für das Große Spiel
angeordnet ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 und 3), während die Spielbankleitung für
den ausschließlichen Zutritt zu dem in gesonderten Räumen veranstalteten
Automatenspiel von diesen Vorschriften absehen kann (Absatz 1 Satz 4). Diese
Regelung betrifft lediglich die der Beklagten vom Konzessionsgeber
auferlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten. Sie enthebt die Beklagte
hingegen nicht derjenigen Schutzpflichten, die sich aus der Eingehung einer
privatrechtlichen vertraglichen Bindung gegenüber dem einzelnen gesperrten
Spieler ergeben.
15 f) Der Senat hat (aaO S. 280 f) hervorgehoben, die Überwachung müsse der
Spielbank "möglich und zumutbar" sein. Anhaltspunkte dafür, dass dies hier
nicht der Fall gewesen sein soll, sind nicht ersichtlich. Die Einführung
genereller Ausweis- und Personenkontrollen unter gleichzeitigem Abgleich mit
der Sperrdatei mag zwar mit zusätzlichem finanziellem Aufwand verbunden
sein. Dieser Gesichtspunkt stand aber weder der Möglichkeit noch der
Zumutbarkeit entgegen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die
Durchführung solcher Kontrollen den wirtschaftlichen Betrieb der Spielbank
in nennenswerter Weise hätte beeinträchtigen können. Für die Zumutbarkeit
einer umfassenden Ausweiskontrolle beim Zugang spricht auch, dass eine
solche in den Spielbanken Österreichs und der Schweiz schon heute üblich ist
(Schimmel aaO S. 960) und nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des
Klägers mittlerweile in Bayern durch das dortige Innenministerium angeordnet
worden ist und in Baden-Baden ebenfalls tatsächlich praktiziert wird.
16 4. Die Beklagte kann dem Kläger auch nicht entgegenhalten, dieser habe
durch den Zutritt zum Automatenspiel seinerseits gegen den Sperrvertrag
verstoßen. Aus der Natur des Selbstsperrevertrages ergibt sich nämlich,
dass die wegen Verletzung ihrer Kontrollpflichten haftbare Spielbank dem
gesperrten Spieler dessen "einfaches" Fehlverhalten nicht haftungsmindernd
(§ 254 BGB) entgegenhalten kann (Senatsurteil aaO S. 282 f). Denn der
Sinn der Kontrollpflicht besteht gerade darin, ein derartiges "einfaches"
Fehlverhalten zu verhindern. Die Frage, wie es beim Hinzutreten
qualifizierender Umstände gewesen wäre - etwa wenn der gesperrte Spieler
sich den Zugang unter Verwendung falscher Ausweispapiere erschlichen hätte
(vgl. dazu Senatsurteil aaO S. 281) -, stellt sich hier nicht.
17 5. Bei der Unterlassung allgemeiner Zugangskontrollen für das
Automatenspiel hat sich die Beklagte jedoch zumindest während des hier in
Rede stehenden Zeitraums (Januar 2000 bis August 2001) in einem
entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Sie durfte nach dem damaligen
Stand der Rechtsprechung, insbesondere dem ebenfalls den
Automatenspielbetrieb betreffenden Urteil des XI. Zivilsenats vom 31.
Oktober 1995 (BGHZ 131, 136), davon ausgehen, dass sie auch bei einer
antragsgemäß verhängten Spielsperre keine Schutzpflichten habe, die auf
Wahrnehmung der Vermögensinteressen ihrer Gäste gerichtet waren. Der XI.
Zivilsenat hat dort ausgeführt, dem Betroffenen erwüchsen aus einer auf
Antrag oder auf ausdrücklichen Wunsch verhängten Spielsperre keinerlei
Rechte. In einem solchen Fall nehme die Spielbank die Anregung, der
grundsätzlich keine rechtsgeschäftliche Bedeutung zukomme, zum Anlass, eine
Spielsperre zu erteilen, die sie ohne diesen Wunsch nicht ausgesprochen
hätte. Die Spielbank mache lediglich wunschgemäß von ihrem Hausrecht
Gebrauch und baue zur Motivation des Betroffenen strafbewehrte Hürden gegen
dessen Verweilen in den Spielsälen auf. Sie übernehme keinerlei Pflicht zur
Betreuung des Vermögens des Betroffenen und keinerlei
Schadensersatzverpflichtung für den Fall, dass der Betroffene sich trotz
Spielsperre Zugang zu den Spielsälen verschaffe und beim Spiel Verluste
erleide, zumal es der Spielbank freistehe, jederzeit und ohne Grund die
Spielsperre wieder aufzuheben. Aus dieser - inzwischen durch das
Senatsurteil vom 15. Dezember 2005 (aaO) überholten -Betrachtungsweise
durfte die Beklagte folgern, dass ihr jedenfalls beim Kleinen Spiel
gegenüber den gesperrten Spielern - insoweit auch in Einklang mit der
Spielordnung - keine allgemeinen Kontrollpflichten oblagen, die über die
deutlichen Hinweise darauf hinausgingen, dass gesperrten Spielern der
Zutritt zum Spielsaal/Automatenspielsaal nicht gestattet sei und weder
Ansprüche auf Auszahlung etwaiger Gewinne noch auf Rückerstattung von
Spielverlusten beständen. Weitergehende Kontrollen waren nur bei
besonderen hinzutretenden Umständen erforderlich, etwa wenn der betreffende
Spieler sich die für die Einsätze notwendigen Geldbeträge aus den
unmittelbar dem Einflussbereich der Spielbank unterliegenden
Telecash-Geräten besorgte. Dies war hier jedoch zumindest weit überwiegend
nicht der Fall. Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger
auch zwei Telecash-Geräte der Beklagten benutzt hat. Der Senat vermag jedoch
nicht festzustellen, welche Abhebungen diesen Automaten zuzuordnen sind. Die
Zurückverweisung gibt dem Kläger Gelegenheit, insoweit ergänzend
vorzutragen.
18 6. Eine abschließende klageabweisende Entscheidung ist dem Senat auch aus
einem weiteren Grunde nicht möglich. Denn der Kläger hatte bereits in der
Klageschrift vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass bei ihm aufgrund
einer Spielsuchterkrankung eine partielle Geschäftsunfähigkeit
vorgelegen habe. Aufgrund seiner massiven Spielsuchterkrankung habe er sich
in Betreuung einer Beratungsstelle für Glücksspielabhängige befunden; eine
stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei bewilligt worden. War der Kläger
tatsächlich partiell geschäftsunfähig, so waren die abgeschlossenen
Spielverträge nach § 105 Abs. 2 BGB nichtig. Dementsprechend kommt insoweit
ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Spieleinsätze unter dem
Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht. |