Erbundwürdigkeit bei Versuch der Tötung des
Erblassers (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB); Erfordernis der Schuldfähigkeit
(Abgrenzung zu BVerfGE 112, 332); Beweislast
BGH, Urteil vom 11. März 2015 - IV ZR
400/14 - OLG Frankfurt am Main
Fundstelle:
NJW 2015, 1382
für BGHZ vorgesehen
JuS 2015, 1128 (Wellenhoger)
Amtl. Leitsatz:
1. Erbunwürdig gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist
auch der Erbe (hier: Ehegatte), der versucht, den seit Jahren nicht mehr
geschäftsfähigen Erblasser zu töten (§§ 212, 213 StGB). Das gilt jedenfalls
dann, wenn der Erblasser keine Patientenverfügung hinterlassen hat, keine
Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB vorliegt, der Erbe nicht das Verfahren
nach §§ 1901a ff. BGB eingehalten hat und sich auch sonst kein tatsächlich
geäußerter Wille des Erblassers zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
ermitteln lässt.
2. Erbunwürdigkeit setzt in den Fällen des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB
Schuldfähigkeit des Handelnden voraus.
Zentrale Probleme:
Ein furchtbar tragischer, aber dennoch lehrreicher
und grundlegender Fall zum Erbrecht. Es geht um die Erbunwürdigkeit
nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB wegen (versuchter) Tötung des Erblassers. Der
BGH legt im einzelnen dar, welche Straftatbestände hier erfasst sind. Einzig
die Tötung auf Verlangen (§ 217 StGB) nimmt er vom Anwendungsbereich aus. Er
entscheidet weiter über die strittige Frage, ob es sich bei § 2339 Abs. 1
Nr. 1 BGB um eine widerlegbare Vermutung, oder aber um eine keine Ausnahmen
zulassen der strenge Regelung handelt. Er entscheidet sich zu Recht für
Letzteres. Weiter stellt sich die Frage, ob für die Erbunwürdigkeit nach §
2339 Nr. 1 BGB Schuldfähigkeit des Erben im strafrechtlichen Sinne
erforderlich ist (die Norm spricht nur von vorsätzlicher und
widerrechtlicher Tötung). Das Bundesverfassungsgericht hatte zur ähnlichen
Problematik der Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB
entschieden, dass lediglich eine Art „natürliche Schuldfähigkeit“
erforderlich sei (BVerfGE 112, 332)
- was immer das sein mag. Das verneint der BGH mit guten Gründen für die
vorliegende Problematik.
©sl 2015
Tatbestand:
1 Der Kläger, Sohn des Beklagten,
begehrt, dass dieser als Erbe seiner Ehefrau, der am 9. März 2012
verstorbenen Erblasserin, der Mutter des Klägers, für erbunwürdig erklärt
wird. Der Beklagte und seine Ehefrau errichteten am 1. November 1991 ein
notarielles Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben sowie ihre
drei Kinder, den Kläger und seine beiden Schwestern, zu gleichberechtigten
Schlusserben einsetzten. Ferner war bestimmt, dass, sollte eines der Kinder
beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, es auch aus dem
Nachlass des Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten und jede zu seinen
Gunsten getroffene Verfügung unwirksam sein sollte. Die seit 1997 an
Alzheimer erkrankte Erblasserin wurde 2002 nach einem Krankenhausaufenthalt
in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. Im Jahr 2003 erhielt sie nach einem
epileptischen Anfall eine PEG-Sonde, über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und
Medikamente zugeführt wurden. Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit
nicht mehr. Eine verbale Kommunikation mit ihr war nicht mehr möglich. Der
als ihr Betreuer eingesetzte Beklagte besuchte sie regelmäßig.
2 Der Beklagte, der sich in einem depressiven Zustand befand und bereits
einen Selbstmordversuch unternommen hatte, durchtrennte am 9. Februar 2012
mittels einer mitgebrachten Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde
der Erblasserin und widersprach einer erneuten Verbindung, nachdem das
Pflegepersonal seine Handlung entdeckt hatte. Dem Pflegepersonal gelang es
jedoch, die Verbindung zu reparieren. Die Erblasserin verstarb einen Monat
später an einer Lungenentzündung, die in keinem ursächlichen Zusammenhang
mit der Tat des Beklagten stand. Dieser wurde wegen versuchten
Totschlags in einem minder schweren Fall (§ 213 StGB) zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der Kläger
machte nach dem Tod der Erblasserin zunächst einen Pflichtteilsanspruch
gegen den Beklagten geltend. Später erhob er Klage auf Feststellung der
Erbunwürdigkeit.
3 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten
hat das Oberlandesgericht diese abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der
Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision ist begründet; sie führt zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.
5 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte sei nicht nach § 2339
Abs. 1 Nr. 1 BGB erbunwürdig, ohne dass es darauf ankomme, ob er im
Zeitpunkt der Tat schuldunfähig gewesen sei. Er habe zwar vorsätzlich
versucht, die Erblasserin durch das Durchtrennen des Verbindungsschlauchs
zur Magensonde zu töten und einen minder schweren Fall des versuchten
Totschlags i.S. des § 213 StGB begangen. Sein erstmals im Berufungsverfahren
gehaltener Vortrag, die Erblasserin habe früher geäußert, nicht
menschenunwürdig dahinvegetieren zu wollen, sei nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr.
3 ZPO nicht zu berücksichtigen. Die gesundheitliche Situation der
Erblasserin sei aber seit mehreren Jahren denkbar schwer und kaum erträglich
ohne Aussicht auf Besserung gewesen. Die Handlung des Beklagten sei nicht
von einer für Tötungsdelikte typischen aggressiven Motivation, sondern eher
von Verzweiflung und einer empfundenen Ausweg- und Aussichtslosigkeit
geprägt gewesen. Die versuchte Tötung in einem minder schweren Fall sei
nicht ohne weiteres dazu geeignet, eine Erbunwürdigkeit zu begründen. § 2339
Abs. 1 Nr. 1 BGB sei vielmehr als Regelvermutung zu verstehen, die eine
Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles zulasse. Zweck der
Bestimmung sei der Schutz der Würde des Erblassers in seiner Eigenschaft als
Träger von Testierfreiheit. Dieser Schutzzweck werde durch das Verhalten des
Beklagten nicht berührt. Die Erblasserin sei seit etwa zehn Jahren
krankheitsbedingt nicht mehr testierfähig gewesen. Die Frage einer Änderung
ihres den Beklagten begünstigenden Testaments habe sich nicht gestellt.
Angesichts der tragischen Besonderheiten des Falles erscheine es als nicht
angemessen, den Beklagten für erbunwürdig zu erklären.
6 II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht
stand.
7 1. Gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist unter anderem erbunwürdig,
wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten
versucht hat. Die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit erfolgt durch
Anfechtung des Erbschaftserwerbs im Wege der Anfechtungsklage gemäß §§ 2340,
2342 BGB. Entschieden wird durch Gestaltungsurteil (Senatsbeschluss
vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34 Rn. 7).
8 Anfechtungsberechtigt ist jeder, dem der Wegfall
des Erbunwürdigen zustattenkommt (§ 2341 BGB). Es muss zumindest
die Möglichkeit bestehen, dass der am Wegfall des Unwürdigen Interessierte
selbst Erbe wird (Senatsurteil vom 19. April 1989 - IVa ZR 93/88, NJW 1989,
3214 unter 1; MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2341 Rn. 2). Dies richtet sich
nach § 2344 BGB. Ist ein Erbe für erbunwürdig erklärt, so gilt der
Anfall an ihn als nicht erfolgt (Abs. 1). Die Erbschaft fällt
demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zur Zeit
des Erbfalls nicht gelebt hätte (Abs. 2). Dies ist hier der Kläger, da er im
Falle des rückwirkenden Wegfalls des Beklagten neben seinen Schwestern als
testamentarischer - jedenfalls aber als gesetzlicher - Erbe der Erblasserin
in Betracht kommt (zur Ermittlung des neuen Anfallsberechtigten vgl.
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2344 Rn. 14). Infolge der Rückwirkung der
Erbunwürdigerklärung ist es - anders als die Revisionserwiderung meint -
unerheblich, dass der Kläger nach dem Tod der Erblasserin zunächst einen
Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten geltend gemacht hat. Die im
Testament vorgesehene Pflichtteilsstrafklausel greift hier nicht ein, da sie
lediglich den Fall betrifft, dass der überlebende Ehegatte Vollerbe des
zuerst Versterbenden geworden ist und ein Kind Pflichtteilsansprüche nach
diesem geltend macht. In einem solchen Fall soll das Kind auch nach dem
Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten und die weiter getroffene
Verfügung in Form der Schlusserbeneinsetzung unwirksam sein. Hier
geht es indessen nicht um die Erbfolge nach dem Beklagten, sondern um
diejenige nach der Mutter. Im Falle der Begründetheit der
Erbunwürdigkeitsklage hat diese zur Folge, dass der Beklagte bereits nicht
Vollerbe nach der Erblasserin geworden ist, sondern die Kinder der Eheleute
an seine Stelle einrücken. Der Sinn und Zweck einer
Pflichtteilsstrafklausel, dem überlebenden Ehegatten den Nachlass möglichst
vollständig zu erhalten und die Kinder daran zu hindern, Ansprüche bereits
nach dem Tod des Erstversterbenden geltend zu machen (vgl.
MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 2074 Rn. 45), greift in einem
solchen Fall nicht ein. Ob und inwieweit sich der Kläger erhaltene
Zahlungen im Rahmen der Erbauseinandersetzung mit seinen Geschwistern
anrechnen lassen muss, betrifft lediglich das Verhältnis dieser Miterben
untereinander, nicht dagegen die Rechtsbeziehung zum Beklagten.
9 2. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die
Erbunwürdigkeit des Beklagten gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht verneinen.
10 a) Die Vorschrift erfasst auch den Fall der versuchten vorsätzlichen
Tötung, den der Gesetzgeber - anders als noch im ursprünglichen Entwurf
vorgesehen - der vollendeten Tötung gleichgestellt hat (vgl. Protokolle Bd.
V S. 635 f.). Unter den Begriff der vorsätzlichen und
widerrechtlichen Tötung im Sinne des Strafrechts fallen Taten gemäß §§ 211,
212 StGB (vgl. MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 15;
Soer-gel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2339 Rn. 4; Staudinger/Olshausen, BGB
(2015) § 2339 Rn. 30; Müller-Christmann in Bamberger/Roth, BGB 3. Aufl. §
2339 Rn. 7). Hier ist der Beklagte wegen versuchten Totschlags in
einem minder schweren Fall gemäß §§ 212, 213, 21, 22, 23 StGB verurteilt
worden. Bei § 213 StGB handelt es sich nach herrschender strafrechtlicher
Auffassung nicht um einen eigenständigen Tatbestand, sondern lediglich um
eine Strafzumessungsregel (vgl. BGHSt 21, 14; Fischer, StGB 61.
Aufl. § 213 Rn. 1).
11 Nicht erfasst von den strafrechtlichen Tötungsdelikten i.S. des §
2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird lediglich die Tötung auf Verlangen gemäß § 216
StGB (MünchKomm-BGB/Helms aaO Rn. 13, 15; Soergel/Damrau aaO;
Staudinger/Olshausen aaO; Müller-Christmann in Bamberger/Roth aaO).
Dies rechtfertigt sich aus der Wertung des § 2343 BGB, weil eine Tötung auf
Verlangen ebenso zu behandeln ist wie die Verzeihung, die ebenfalls die
Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit ausschließt. Hier liegt nach den
bisher getroffenen Feststellungen eine Tötung auf Verlangen nicht vor. So
wird bereits im Strafurteil ausgeführt, der Beklagte habe die Sonde
durchschnitten, um sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden,
obwohl es hierfür an einem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einverständnis
seiner Ehefrau gefehlt habe. Sie habe einen diesbezüglichen Willen weder
schriftlich noch mündlich geäußert. Der Beklagte habe ihren Willen auch
nicht aus sonstigen früheren Äußerungen oder ihren ethischen oder
persönlichen Wertvorstellungen herzuleiten vermocht.
12 Zwar entfaltet das Strafurteil keine Bindungswirkung für das
Zivilverfahren (Senatsbeschluss vom 16. März 2005 -
IV ZR 140/04, ZEV 2005, 307 Rn. 2). Der Zivilrichter muss sich aber mit
den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen, die für seine eigene
Würdigung relevant sind. Hier ist nicht ersichtlich und wird auch vom
Beklagten nicht mit Substanz vorgetragen, dass ein Fall von § 216 StGB
vorliegt. Dies kam schon deshalb nicht in Frage, weil eine Kommunikation mit
der Erblasserin seit Jahren nicht mehr möglich war.
13 Aus diesem Grunde scheidet auch eine Verzeihung gemäß § 2343 BGB
aus. Diese muss ausdrücklich oder stillschweigend erklärt
werden und setzt die Kenntnis des Erbunwürdigkeitsgrundes voraus. Eine
mutmaßliche Verzeihung genügt demgegenüber nicht (OLG Stuttgart
Rpfleger 1956, 160, 161; MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2343 Rn. 1;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2343 Rn. 1). Hier steht nicht fest, dass
die Erblasserin in dem einen Monat zwischen der versuchten Tötung und ihrem
Tod Kenntnis von der Tat des Beklagten erlangt und durch eine nach außen
erkennbare Handlung eine Verzeihung zum Ausdruck gebracht hätte.
14 Die Anforderungen an einen zulässigen Abbruch der
lebenserhaltenden Maßnahmen zugunsten der Erblasserin gemäß §§ 1901a ff. BGB
sind gleichfalls nicht erfüllt. Hat ein einwilligungsfähiger
Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich
festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht
unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands,
Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt
(Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die
aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat
er dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a
Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, da die
Erblasserin keine Patientenverfügung hinterlassen hat. In dieser Lage bedarf
die vom Betreuer beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen
Ernährung des einwilligungsunfähigen Betroffenen nach § 1904 Abs. 2 BGB
grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung (vgl. BGH, Beschluss
vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 Rn. 11 f.). Hieran
fehlt es, da sich der Beklagte um eine derartige Genehmigung nicht bemüht
hat. Eine solche Genehmigung ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nur dann nicht
erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt
Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der
Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten
entspricht (BGH aaO Rn. 17). Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen
Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird mithin durch die wechselseitige
Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer Rechnung getragen. Auch eine derartige
Konstellation ist nicht gegeben, da der Beklagte ein Einvernehmen mit dem
behandelnden Arzt nicht hergestellt hat.
15 b) Eine einschränkende Auslegung von § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB -
wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat - kommt hier nicht in Betracht.
Nach dieser Regelung "ist" erbunwürdig, wer einen der im Einzelnen dort
genannten Tatbestände erfüllt. Auf dieser Grundlage ist anerkannt, dass es
auf die Motive des Erbunwürdigen nicht ankommt, er den Tatbestand des § 2339
Abs. 1 BGB mithin selbst dann erfüllt, wenn er aus anerkennenswerten Motiven
gehandelt hat (so Senatsbeschluss vom 27. Februar 2008 - IV ZR
138/07, ZEV 2008, 193 für § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB; Muscheler, Erbrecht II
2010 Rn. 3137, 3161; ders. ZEV 2009, 58, 59; ders. 101, 102; MünchKomm-BGB/Helms,
6. Aufl. § 2339 Rn. 13; Soergel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2339 Rn. 2;
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 31, 23; Palandt/Weidlich, BGB
74. Aufl. § 2339 Rn. 3). In diese Richtung weist auch die
Entstehungsgeschichte (vgl. Motive Bd. V S. 517: "Es kommt nicht in
Betracht, ob die Absicht des Handelnden auf einen Eingriff in die
Testirfreiheit gerichtet war. ..."). Daher entspricht es der
überwiegenden Auffassung zum Erbunwürdigkeitsgrund des § 2339 Abs. 1 Nr. 4
BGB, dass es nicht darauf ankommt, ob der Erbunwürdige mit der Fälschung des
Testaments möglicherweise nur den tatsächlichen oder vermuteten Willen des
Erblassers durchsetzen wollte (Senatsbeschluss vom 27. Februar 2008
- IV ZR 138/07, ZEV 2008, 193; BGH, Urteil vom 20. Oktober 1969 - III ZR
208/67, NJW 1970, 197 unter 2 b; OLG Stuttgart ZEV 1999, 187, 188; Muscheler,
Erbrecht II 2010 Rn. 3161; Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 23;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2339 Rn. 7; kritisch hierzu MünchKommBGB/Helms,
6. Aufl. § 2339 Rn. 13).
16 Im Schrifttum wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, das
Gesetz gehe bei den in § 2339 BGB genannten Verfehlungen lediglich
typisierend davon aus, dass der hypothetische Erblasserwille auf eine
Enterbung des Täters gerichtet sei. Wegen der ausdrücklich vorgesehenen
Möglichkeit der Verzeihung nach § 2343 BGB könne von einer Art widerlegbarer
gesetzlicher Vermutung gesprochen werden (vgl. MünchKomm-BGB/Helms
aaO § 2339 Rn. 2; Staudinger/Olshausen aaO § 2339 Rn. 6). Auf dieser
Grundlage wird teilweise angenommen, bei einem Totschlag in einem minder
schweren Fall sei gemäß § 213 StGB wegen der anzuwendenden Regelvermutung
nicht von Erbunwürdigkeit auszugehen (Schulz, ErbR 2012, 276, 277 f.).
17 Dem ist nicht zu folgen. Maßgebend für die Beurteilung der Frage,
ob eine teleologische Reduktion von § 2339 Abs. 1 BGB oder die Anwendung der
Vorschrift als widerlegbare gesetzliche Vermutung möglich ist, ist der
Gesetzeszweck der Erbunwürdigkeitsvorschriften. Dieser wird
unterschiedlich beurteilt (vgl. hierzu ausführlich MünchKomm -BGB/ Helms, 6.
Aufl. § 2339 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3141- 3148; ders. ZEV
2009, 58, 60 f.; ferner Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 4-6).
Nach Auffassung des Senats ist die Erbunwürdigkeit gemäß § 2339 Abs.
1 Nr. 1 BGB eine spezifisch erbrechtliche Sanktion auf schwerstes
vorsätzlich begangenes Handlungsunrecht, das es als unerträglich erscheinen
ließe, wenn der Nachlass des Opfers auf den Täter überginge (Urteil
vom 25. November 1987 - IVa ZR 160/86, BGHZ 102, 227, 231). Das rückt die
Erbunwürdigkeit in die Nähe schuldhaft begangener unerlaubter Handlungen.
Die Verwirkung des Erbrechts stellt sich insoweit ungeachtet ihres
strafähnlichen Charakters als zivilrechtliche Sanktion dar (Senat aaO).
18 Auf dieser Grundlage kommt eine allgemeine Abwägung mit einem
Regel-Ausnahme-Verhältnis, ob Erbunwürdigkeit vorliegt oder nicht,
angesichts des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und des Gesetzeszwecks
nicht in Betracht. Erst recht gilt dies für die Auffassung, die § 2339 BGB
nicht anwenden will, wenn ein Fall von § 213 StGB vorliegt (so
Schulz, ErbR 2012, 276, 278). Das Gesetz selbst enthält in § 2339
Abs. 1 Nr. 1 BGB typisierende Regelungen, bei denen unabhängig von den
Umständen des Einzelfalles von schwerem Handlungsunrecht auszugehen ist,
welches die Erbunwürdigkeit des Erben begründet. Auf die Regelung über die
Verzeihung nach § 2343 BGB kann für eine allgemeine Abwägung im Rahmen von §
2339 BGB nicht abgestellt werden. Erforderlich für eine Verzeihung ist, dass
der Erblasser selbst noch in der Lage war, auf das Verhalten des Täters zu
reagieren, was in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht der Fall ist.
Auf eine "hypothetische Verzeihung" kommt es bei §§ 2339, 2343 BGB
demgegenüber nicht an.
19 Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass es zu Tötungen oder
Tötungsversuchen an Erblassern kommt, ohne dass die Voraussetzungen einer
Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB oder diejenigen einer
Patientenverfügung gemäß § 1901a ff. BGB erfüllt sind. Dies ist der Fall,
wenn der Täter, weil er einen vermeintlichen Willen des Erblassers
vollziehen will oder die gesundheitliche Lage des Erblassers für
aussichtslos oder unwürdig hält, ohne Rücksprache mit Ärzten,
Betreuungsgericht etc. die Dinge selbst in die Hand nimmt (vgl. BGH,
Beschluss vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 Rn. 18).
Dem Beklagten ist zuzubilligen, dass er sich in einer persönlich
äußerst schwierigen Situation befand. Gleichwohl gab ihm das nicht das
Recht, einseitig die Behandlung der Erblasserin abzubrechen mit dem Ziel,
ihren Tod herbeizuführen. Allein auf die tragischen Umstände des Falles
abzustellen, um eine Erbunwürdigkeit zu verneinen, begründet der Gefahr,
dass die Konturen der §§ 2339, 2343 BGB verwischt werden. Ob
ausnahmsweise unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 2343 BGB keine
Erbunwürdigkeit in Betracht kommt, wenn ein in der Vergangenheit - auch
formlos - geäußerter Wille des Erblassers ermittelt werden kann, im Falle
bestimmter Krankheitsverläufe lebenserhaltende Maßnahmen nicht durchführen
zu lassen oder abzubrechen, muss hier nicht entschieden werden. Hierzu fehlt
es bislang an Feststellungen des Berufungsgerichts.
20 3. Auf dieser Grundlage wird das Berufungsgericht die weitere Frage der
Schuldfähigkeit des Beklagten, die es von seinem Standpunkt aus folgerichtig
offengelassen hat, zu klären haben.
21 a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, für den
Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB komme es nicht auf
Schuldfähigkeit an, sondern es genüge, dass der Täter "jedenfalls in einem
natürlichen Sinne vorsätzlich gehandelt" habe (BVerfGE
112, 332, 359 f.). Ausdrücklich offen gelassen hat es, ob bei §
2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB aus verfassungsrechtlichen Gründen eine entsprechende
Auslegung geboten ist (aaO 361 f.). Auch der Senat hat diese Frage
bisher nicht entscheiden müssen (Beschluss vom 13. April 2011 - IV ZR
102/09, ZEV 2011, 370
Rn. 2).
22 Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auf § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB
zu übertragen (so etwa Holtmeyer, ZErb 2010, 6, 7). Dem
folgt die überwiegende Meinung nicht und hält daran fest, dass bei § 2339
Abs. 1 Nr. 1 BGB Schuldfähigkeit zu fordern sei (so etwa MünchKomm
-BGB/ Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 11; Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339
Rn. 25; Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3159; ders. ZEV 101, 102;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2339 Rn. 3). Die letztgenannte
Ansicht trifft zu. Für sie spricht, dass die Pflichtteilsentziehung und die
Erbunwürdigkeit verschiedene Zielsetzungen haben. Bei der
Pflichtteilsentziehung geht es um die Realisierung eines tatsächlich
geäußerten Erblasserwillens im Sinne einer Ausdehnung seiner ursprünglich
eingeschränkten Testierfreiheit. Unter Berücksichtigung von
Art. 14 Abs. 1 GG spricht dies dafür, an die Gründe der
Pflichtteilsentziehung keine zu hohen Anforderungen zu stellen.
Bei der Erbunwürdigkeit ist demgegenüber ein bloß hypothetischer
Erblasserwille zu beurteilen. Hier lässt sich bei schuldlosen Verfehlungen
nicht ohne weiteres sagen, dass ein vollständiger Ausschluss naher
Angehöriger oder testamentarisch Bedachter von der Erbschaft typischerweise
gewollt ist (so zu Recht MünchKomm -BGB/Helms, Staudinger/Olshausen,
je aaO).
23 b) Ist mithin am Erfordernis der Schuldfähigkeit festzuhalten, so
muss hierüber Beweis erhoben werden. Darlegungs- und beweispflichtig für die
Schuldunfähigkeit im Rahmen von § 2339 Abs. 1 BGB ist in entsprechender
Anwendung von § 827 BGB derjenige, der sich auf seine Unzurechnungsfähigkeit
beruft (Senatsurteil vom 25. November 1987 - IVa ZR 160/86, BGHZ
102, 227, 230 f.). Der Beklagte hat ausdrücklich seine
Unzurechnungsfähigkeit geltend gemacht Die hierzu erforderlichen
Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuholen haben. Außerdem gibt
die Aufhebung und Zurückverweisung Gelegenheit, gegebenenfalls noch
Feststellungen zu der Frage eines Patientenwillens der Erblasserin zu
treffen.
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