Ende der
Verjährungshemmung nach § 203 S. 1 BGB bei "Einschlafen" von Verhandlungen;
Haftung wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages (§ 280 BGB)
BGH, Urteil vom 6. 11. 2008
- IX ZR 158/07
Fundstelle:
NJW 2009, 1806
s. auch BGH v. 18.6.2009 - VII ZR 167/08
sowie BGH
v. 15.12.2016 - IX ZR 58/16.
Amtl. Leitsatz:
Eine Hemmung der Verjährung durch
Aufnahme von Verhandlungen endet auch dann, wenn die Verhandlungen der
Parteien „einschlafen“; die von der Rechtsprechung zu § 852 II BGB a.F.
entwickelten Grundsätze sind auf das neue Verjährungsrecht zu übertragen.
Tatbestand:
1 Der Kläger war Eigentümer einer Sattelzugmaschine mit Auflieger. Er führte
als selbständiger Unternehmer Transporte für verschiedene Auftraggeber
durch. Zu diesen gehörte bis Juli 2003 die A. mbH A. Transportgesellschaft
(im Folgenden ATG). Im Juli 2003 beauftragte er die Beklagte, offene
Frachtforderungen in Höhe von insgesamt 4.211,38 € gegen die ATG gerichtlich
geltend zu machen. Die ATG hatte die Frachten wegen nicht zurückgegebener
Paletten um 3.523,96 € und wegen abhanden gekommenen Transportgutes um
687,42 € gekürzt. Die Beklagte beantragte am 31. März 2004 den Erlass eines
Mahnbescheids, welcher der ATG am 10. Mai 2004 zugestellt wurde. Diese legte
am 14. Mai 2004 Widerspruch ein. Nach Einzahlung des weiteren
Gerichtskostenvorschusses am 19. Mai 2004 erörterte die Beklagte den
Anspruch des Klägers am 25. Mai 2004 mit dem Steuerbevollmächtigten B. der
ATG. Dieser nahm am 28. Mai 2004 schriftlich zu den Vertragsbedingungen der
ATG Stellung. Danach brachen die Gespräche ab. Am 30. Juni 2005 ging die von
der Beklagten gefertigte Anspruchsbegründung beim Mahngericht ein. Nach
Abgabe des Mahnverfahrens an das zuständige Amtsgericht erhob die ATG die
Einrede der Verjährung. Das Amtsgericht wies die Klage wegen Verjährung der
Fracht ab. Das Urteil wurde rechtskräftig.
2 Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der
nach Auffassung des Amtsgerichts verjährten Fracht (4.211,38 €) und der im
Vorprozess angefallenen Kosten (1.932,33 €) - insgesamt 6.143,71 € - in
Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte auf Zahlung von 5.146,54
€ verurteilt, weil sie den Anspruch auf Zahlung der Fracht in Höhe des für
die nicht zurückgegebenen Euro-Paletten einbehaltenen Betrags habe verjähren
lassen. Im Übrigen ist die Klage erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht
hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige
Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in TranspR 2008, 167
veröffentlicht ist, hat ausgeführt, das Landgericht habe die Beklagte mit
Recht gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 675 BGB verurteilt,
Schadensersatz zu leisten. Gegenansprüche wegen nicht zurückgegebener
Paletten hätten der ATG nicht zugestanden. Auf die zwischen dem Kläger und
der ATG geschlossenen Frachtverträge sei die einjährige Verjährungsfrist des
§ 439 Abs. 1 Satz 1 HGB anzuwenden gewesen. Der Auffassung des Landgerichts,
für die Beendigung der Hemmung der Verjährung nach § 203 Satz 1 BGB könne
auf die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. zurückgegriffen werden, sei
zu folgen. Für die Beendigung der Hemmung der Verjährung genüge ein "Einschlafenlassen"
der Verhandlungen. Die im Mai 2004 aufgrund der Verhandlungen mit dem
Steuerbevollmächtigten der ATG eingetretene Hemmung der Verjährung sei
deshalb sechs Monate nach Zugang des Schreibens des Steuerbevollmächtigen
vom 28. Mai 2004 am 1. Dezember 2004 beendet gewesen. Damit sei der Anspruch
Anfang April 2005 verjährt.
II.
5 Das rechtliche Ergebnis des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat ihre Vertragspflichten schuldhaft verletzt (§ 675 Abs. 1, §
280 Abs. 1 BGB), weil sie begründete Ansprüche des Klägers auf Fracht,
welche sie gerichtlich geltend machen sollte, hat verjähren lassen.
6 1. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass die von der Klägerin im
Ausgangsprozess beanspruchte Fracht (§ 407 Abs. 2 HGB) nicht durch
Verrechnung der ATG wegen der fehlenden Paletten erloschen und die
Verjährungsfrist für die Fracht der Vorschrift des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB
zu entnehmen ist. Gegen die Berechnung des Schadensersatzanspruchs durch das
Berufungsgericht (insoweit gekürzte Fracht zuzüglich anteiliger
Verfahrenskosten) erinnert die Revision ebenfalls nichts. Rechtsfehler sind
insoweit nicht ersichtlich.
7 2. Das Berufungsgericht ist – wie schon das Landgericht – davon
ausgegangen, dass die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1
HGB im Mai 2004 nach Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses gemäß § 203
BGB gehemmt worden, die Hemmungswirkung aber durch "Einschlafenlassen" der
Verhandlungen so frühzeitig in Wegfall geraten sei, dass Verjährung noch vor
Begründung der Klage eingetreten sei. Auch das ist richtig.
8 a) Eine Hemmung der Verjährung der Ansprüche des Klägers gegen die ATG
nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nicht eingetreten. Die Vorschrift ist auf
Ansprüche des Frachtführers nicht anzuwenden. Sie enthält eine
Sonderregelung nur für gegen diesen gerichtete Ansprüche. Eine entsprechende
Anwendung der Bestimmung auf Ansprüche des Frachtführers kommt mangels einer
Regelungslücke nicht in Betracht und wird nach Inkrafttreten des § 203 BGB
in der Fassung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch nicht mehr
vertreten (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl. § 439 HGB Rn. 32).
9 b) Trotz zeitweiser Hemmung der Verjährung gemäß § 203 Satz 1 BGB sind die
Ansprüche der Klägerin gegen die ATG nach § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjährt.
Nach § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung im Fall schwebender
Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände
gehemmt, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlung
verweigert. Eine entsprechende Formulierung fand sich bereits in § 852
Abs. 2 BGB a.F.
10 aa) Zu dieser Vorschrift hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden,
dass es für eine Beendigung der Hemmung ausreiche, wenn der
Ersatzberechtigte die Verhandlungen "einschlafen" lasse. Ein Abbruch der
Verhandlungen durch ein solches "Einschlafenlassen" ist dann anzunehmen,
wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die
letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre,
falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten
fortgesetzt werden sollen (BGHZ 152, 298, 303; BGH, Urt. v. 6. März 1990
– VI ZR 44/89, VersR 1990, 755, 756; v. 1. März 2005 – VI ZR 101/04, NJW-RR
2005, 1044, 1047).
11 bb) Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass diese Grundsätze
auch im Anwendungsbereich des § 203 Satz 1 BGB Geltung haben (BGH, Urt.
v. 30. Oktober 2007 - X ZR 101/06, WM 2008, 656, 659 Rn. 24; Beschl. v. 27.
März 2008 – IX ZR 185/05, zitiert nach juris; ebenso OLG Düsseldorf OLGR
2006, 518; KG KGR 2008, 368; LAG Rheinland-Pfalz DB 2008, 592 [LS]; Er-man/Schmidt-Räntsch,
BGB 12. Aufl. § 203 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Grothe, 5. Aufl. § 203 Rn. 8;
Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. § 203 Rn. 4; Staudinger/Frank Peters, BGB
Neubearbeitung 2004 § 203 Rn. 13; a. A. OLG Koblenz NJW 2006, 3150, 3152).
12 (1) Dies entspricht dem im Gesetzgebungsverfahren verlautbarten
Verständnis der Norm (vgl. BT-Drucks. 14/6857 S. 43). Auf die Prüfbitte
des Bundesrats, ob nicht durch eine besondere Formulierung in § 203 BGB
sicherzustellen sei, die Verjährung von Ansprüchen nicht auf unabsehbare
Zeit dadurch zu hemmen, dass Verhandlungen nicht weiterbetrieben werden
(vgl. BT-Drucks. aaO S. 7), hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass dem
berechtigten Anliegen des Bundesrates durch den Entwurf sogar besser
Rechnung getragen werde als durch die vorgeschlagene Ergänzung. Beim
"Einschlafen" von Verhandlungen werde die Verjährungsfrist nicht auf
unbestimmte Zeit gehemmt, weil für die Auslegung der (später beschlossenen)
Entwurfsfassung auf die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB zurückgegriffen
werden könne, in der diese Frage bereits geklärt sei. Danach war nicht
beabsichtigt, dass von einer Verweigerung des Schuldners nur im Fall einer
ausdrücklichen Ablehnung der Fortsetzung der Verhandlungen auszugehen sei.
Hierfür ist auch kein berechtigtes Bedürfnis erkennbar. Anderenfalls könnte
die Frage der Begründetheit des Anspruchs auf unabsehbare Zeit in der
Schwebe gelassen werden, indem die Verhandlungen nicht weitergeführt werden.
Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften, innerhalb
angemessener Fristen für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu sorgen (BGHZ
59, 72, 74; Palandt/Heinrichs, aaO Überblick vor § 194 Rn. 9), nicht zu
vereinbaren.
13 (2) Eine andere Sichtweise ist - entgegen der Auffassung der Revision
-auch nicht wegen der Besonderheit der Ansprüche des Klägers, die der kurzen
Verjährung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB unterliegen, geboten. Für die Frage,
unter welchen Voraussetzungen von einer Verweigerung der Fortsetzung von
Vergleichsverhandlungen und damit der Beendigung der Hemmung der Verjährung
nach § 203 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegangen werden muss, bedeutet es keinen
Unterschied, ob der Anspruch einer kurzen - einjährigen - Verjährung
unterliegt oder ob er innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195
BGB oder einer anderen Frist geltend zu machen ist. In allen Fällen ist das
Ende der Hemmung der Verjährung durch Vergleichsverhandlungen einheitlich zu
bestimmen. Eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs der "Verweigerung"
in § 203 Satz 1 BGB im Blick auf die jeweilige Verjährungsfrist führt zu
Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit. Die Regelung könnte ihren
Zweck, die verjährungsrechtlichen Folgen der Aufnahme von Verhandlungen über
den Anspruch zu regeln, dann nicht mehr erfüllen.
14 3. Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag schuldhaft
verletzt. Ein Anwalt, der von seinem Mandanten beauftragt wird, dessen
Rechte gegenüber einem säumigen Schuldner wahrzunehmen, ist vertraglich
verpflichtet, Vorkehrungen schon gegen eine drohende Verjährung zu treffen.
Diese Pflicht setzt wesentlich früher ein als der Eintritt der Verjährung
selbst. Sie entsteht in der Regel spätestens dann, wenn ein Rechtsanwalt
Dispositionen trifft, die das Risiko der Verjährung erhöhen (BGH, Urt.
v. 18. März 1993 – IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1377; v. 28. November 1996 –
IX ZR 39/96, WM 1997, 321 f). Sie kann auch nach risikoerhöhenden
Unterlassungen eingreifen (BGH, Urt. v. 28. November 1996 aaO S. 322).
Nach dem Gebot des "sichersten Weges" hätte die Beklagte zum einen
berücksichtigen müssen, dass auf die Ansprüche des Klägers die kurze
Verjährung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB anzuwenden war. Zum anderen durfte
sie nicht auf die Anwendung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB vertrauen.
Unmittelbar lagen die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Norm nicht
vor. Eine entsprechende Anwendung auf Ansprüche des Frachtführers wurde nach
Inkrafttreten des neu gefassten § 203 Satz 1 BGB nicht mehr ernsthaft
vertreten. Die Beklagte hätte deshalb mit der Anwendung des § 203 BGB
rechnen müssen. Nach dieser Regelung war sie verpflichtet, im Fall des
Einschlafens der Verhandlungen das Ende der Verjährungshemmung entsprechend
der zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung in Erwägung zu
ziehen. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 203 Satz 1 BGB n.F.
war aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sehr nahe liegend.
Hätte die Beklagte dies beachtet, hätte sie den Anspruch des Klägers nicht
erst nach Eintritt der Verjährung begründet. Die ATG wäre verurteilt worden,
die noch offene Fracht zu bezahlen. |