IPR: Internationales
Gesellschaftsrecht, Geltung der Sitztheorie gegenüber Nicht-EU-Staaten
BGH, Beschluss vom 08. Oktober 2009 - IX ZR 227/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
(Eigener) Leitsatz:
Im Verhältnis zu nicht
EU-Staaten unterliegt eine Gesellschaft dem Recht des Staates ihres
tatsächlichen Verwaltungssitzes.
Zentrale Probleme:
S.
BGH NJW 2009, 289 "Trabrennbahn"
sowie BGH v. 12.7.2011 - II ZR 28/10.
©sl 2006
Gründe:
I.
1 Das Berufungsgericht hat das klagabweisende Teilurteil des Landgerichts gegen den Beklagten zu 2 bestätigt, ohne sich mit dem Klagegrund der mittelbaren Gesellschafterhaftung und Handelndenhaftung für Verbindlichkeiten der erstinstanzlich drittbeklagten D. Ltd., Singapur, und dem diesbezüglichen Sachvortrag auseinanderzusetzen. Die genannte Gesellschaft hat den Kläger mit ihrer anwaltlichen Vertretung beauftragt, deren Vergütung Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Das Berufungsgericht erwähnt die nach seiner Ansicht beschränkte Haftung der erstinstanzlich drittbeklagten Gesellschaft nur beiläufig im Zusammenhang mit einer möglichen Rechtsscheinhaftung des Beklagten zu 2.
II.
2 Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher nach § 544 Abs. 7 ZPO durch Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierbei macht der Senat im Hinblick auf das bisherige Berufungsverfahren von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
3 Wegen der Einzelheiten des übergangenen Sachvortrages und seine Entscheidungserheblichkeit wird im Allgemeinen auf die zutreffenden Ausführungen der Beschwerdeschrift (Seite 4 bis 6 unter IV., 1. bis 3.) Bezug genommen. Ergänzend ist zu bemerken:
4 Die Sitztheorie (vgl. BGHZ 53, 181, 183; 78, 318, 334; 178, 192, 196 ff Rn. 19 bis 22) hat der Bundesgerichtshof nur für die Bereiche aufgegeben, in denen nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften im Inland Niederlassungsfreiheit genießen (BGHZ 153, 353, 355 ff: deutsch-amerikanischer Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 29. Oktober 1954; BGHZ 154, 185, 188 ff: Art. 43, 48 EG; BGHZ 164, 148, 151 ff: Art. 31 EWR). Niederlassungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland genoss die in Singapur gegründete Drittbeklagte erster Instanz, die Auftraggeberin des Klägers, nicht. Sie mag zwar der Rechtsform nach einer britischen Ltd. gleichstehen. Völkerrechtlich bestehen jedoch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur nur für den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung (vgl. Art. 3 und Art. 4 Abs. 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 3. Oktober 1973, BGBl. II 1975, 49).
Die im internationalen Gesellschaftsrecht zur uneingeschränkten Anwendung des Gründungsstatuts unerlässliche Niederlassungsfreiheit (vgl. BGHZ 153, 353, 357 a.E.) ist vertraglich zwischen diesen Völkerrechtssubjekten nicht eingeräumt.
5 Die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen nach § 13 Abs. 2 GmbHG tritt infolgedessen ohne die Eintragung der im Ausland gegründeten Gesellschaft mit deutschem Sitz in das Handelsregister gemäß § 11 Abs. 1 GmbHG nicht ein. Die für die Gesellschaft Handelnden haften persönlich nach § 11 Abs. 2 GmbHG. Die Gesellschafterhaftung entsprechend § 128 HGB würde hier zunächst die Société Civile Particulière, gegründet in Papeete/Tahiti, treffen, deren Gesellschafter der Beklagte zu 2 ist. Insoweit kommt mittelbar seine persönliche Gesellschafterhaftung gemäß Art. 1857 bis 1859 CC in Betracht (vgl. Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht 2. Aufl. Bd. 2 Rn. 2 L 315).
6 So gesehen war das vom Berufungsgericht übergangene Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen zu einem angeblichen Sitz der Drittbeklagten erster Instanz in der Bundesrepublik Deutschland und zum Handeln des Beklagten zu 2 für diese Gesellschaft entscheidungserheblich. Die gegebenenfalls notwendigen Feststellungen zum französischen Gesellschaftsrecht wird das Berufungsgericht im zweiten Durchgang gemäß § 293 ZPO nachzuholen haben.
III.
7 Zu Unrecht beanstandet die Beschwerde, dass die Revision auch wegen unterbliebener Beweisaufnahme zuzulassen sei, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finde. Ein solcher Fall der Gehörsverletzung liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat den von der Beschwerde bezeichneten Sachvortrag des Klägers zur Mandatserteilung des Beklagten zu 2 im Ergebnis vertretbar nach materiellem Recht als unsubstantiiert gewertet.
8 Die behaupteten Bestätigungen (Genehmigung) des Beklagten zu 2 vom 10. Dezember 1997, 18. März und 10. Juni 1998 schließen auch unter Berücksichtigung von § 164 Abs. 2 BGB nicht aus, dass sie nur im Namen der urkundlich als Auftraggeberin bezeichneten Drittbeklagten erster Instanz erklärt worden sind. Die angebliche Zahlungszusage des Beklagten zu 2 konnte auch als Bürgschaftsübernahme für die Auftraggeberin oder als abstraktes Schuldanerkenntnis zu verstehen sein, die nach den §§ 766, 781 Satz 1 BGB mangels Schriftform unwirksam gewesen wären. War statt dessen nur ein deklaratori-sches Anerkenntnis gewollt, so musste die behauptete Erklärung im Zusammenhang mit der möglichen Haftung des Beklagten zu 2 als Handelnder für die erstinstanzlich drittbeklagte Gesellschaft oder als ihr mittelbarer Gesellschafter gewürdigt werden, indem sie unter Umständen Meinungsverschiedenheiten über den tatsächlichen Gesellschaftssitz und damit das anwendbare Recht den Boden entzog.
9 Die aus anderem Grunde notwendige Zurückverweisung gibt dem Kläger Gelegenheit, seinen bisherigen Sachvortrag zu diesen Punkten klarzustellen und damit auf ergänzter Grundlage eine erneute tatrichterliche Würdigung herbeizuführen. |