IZPR: Internationale Zuständigkeit nach Art. 22
Nr. 2 EuGVO für Anfechtungsklagen gegen Gesellschaftsbeschlüsse; IPR:
Internationales Gesellschaftsrecht: Gründungstheorie
BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - II ZR 28/10 - OLG
Frankfurt/Main
Fundstelle:
NJW 2011, 3372
Amtl. Leitsatz:
Wo sich der für die ausschließliche
internationale Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO maßgebliche Sitz der
Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union befindet,
bestimmt sich bei Klagen nach dieser Vorschrift nach der Gründungstheorie
und damit grundsätzlich nach dem Satzungssitz im Herkunftsstaat.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung referiert den gegenwärtigen Stand des
Internationalen Gesellschaftsrechts (s. dazu die Verweise in
BGH NJW 2009, 289 "Trabrennbahn")
und die Auswirkungen der Gründungstheorie auf die Internationale
Zuständigkeit für Gesellschaftsstreitigkeiten nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO.
Folge: Eine Auslandsgesellschaft mit Verwaltungssitz im Inland hat unter der
Geltung der Gründungstheorie ihren "Sitz" i.S.v. Art. 22 Nr. 2 EuGVVO
grundsätzlich im Gründungsstaat, die dortigen Gerichte sind
(ausschließlich!) für Gesellschafterstreitigkeiten zuständig. Ein weitere
Beweis dafür, dass die "Flucht" in ausländische Gesellschaftsformen auf
lange Sicht eine teure Angelegenheit sein kann ...
©sl 2011
Tatbestand:
1 Die Beklagte ist eine am 22. Januar 2007 nach
dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründete Private Limited
Company (Limited) mit eingetragenem Sitz in B. , England. Sie ist
die persönlich haftende Gesellschafterin der V. Ltd. & Co. KG, die ihren
Sitz in M. , Deutschland, hat und dort ein Sportstudio betreibt.
Hierauf beschränkt sich die Geschäftstätigkeit der Beklagten.
2 In Nr. 31 (A) des Gesellschaftsvertrags der Beklagten heißt es:
Alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern sowie der Gesellschafter mit
der Gesellschaft oder ihren Organen werden den Gerichten der Bundesrepublik
Deutschland zugewiesen, sofern die Gesellschaft ihren tatsächlichen
Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland unterhält. Örtlich
zuständig in der Bundesrepublik Deutschland ist dann das Gericht am
Verwaltungssitz der Gesellschaft.
3 Der Kläger ist mit
90 von 200 Geschäftsanteilen neben T. S. Gesellschafter der Beklagten. Am
27. März 2008 beschloss die Gesellschafterversammlung in Abwesenheit des
Klägers, dass er als Director der Beklagten ausscheidet und S. alleiniger
Director bleibt. Außerdem wurde der Beschluss gefasst, mit S. einen
Dienstvertrag über seine Unternehmensführungstätigkeit zu schließen.
4 Mit seiner Klage begehrt der Kläger, die Beschlüsse für nichtig zu
erklären, da die Gesellschafterversammlung der Beklagten, die ihren
tatsächlichen Verwaltungssitz in M. habe, nicht ordnungsgemäß einberufen
worden und nicht beschlussfähig gewesen sei. Das Landgericht hat der Klage
stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie als unzulässig abgewiesen.
Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des
Klägers.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat keinen Erfolg.
6 I. Über die Revision des Klägers ist, obwohl die Beklagte im
Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war, durch streitiges
Endurteil (unechtes Versäumnisurteil), nicht durch Versäumnisurteil, zu
entscheiden, da sich die Revision auf der Grundlage des von dem
Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (vgl.
BGH, Urteil vom 10. Februar 1993 - XII ZR 239/91, NJW 1993, 1788; Urteil vom
13. März 1997 - I ZR 215/94, NJW 1998, 156, 157; Musielak/Ball, ZPO, 8.
Aufl., § 555 Rn. 6).
7 II. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, ZIP 2010, 800) hat seine
Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8 Die Klage sei unzulässig, weil die deutschen Gerichte international nicht
zuständig seien. Ausschließlich zuständig seien gemäß
Art. 22 Nr. 2 der Verordnung
(EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche
Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/01 S. 1; EuGVVO = Brüssel I-VO)
die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem die
Gesellschaft ihren Sitz habe. Bei Anwendung dieser
Vorschrift sei der Sitz der Gesellschaft nach der Gründungstheorie zu
bestimmen. Ausschlaggebend sei danach, in welchem Land, das heißt nach
welchem Recht die Gesellschaft gegründet worden sei. Da sich der
Gründungssitz der Beklagten in B. /England befinde, seien für die
Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ausschließlich die englischen
Gerichte zuständig. Die im Gesellschaftsvertrag enthaltene
Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam.
9 III. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das
Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte
zu Recht verneint.
10 1. Zutreffend hält das Berufungsgericht Art. 22 Nr. 2 EuGVVO für
anwendbar. Diese Vorschrift regelt die ausschließliche Zuständigkeit für
Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer
Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse
ihrer Organe zum Gegenstand haben. Ihr Anwendungsbereich ist jedenfalls dann
eröffnet, wenn sich die Klage - wie im Streitfall - unmittelbar gegen
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung richtet und beantragt wird, diese
Beschlüsse für nichtig zu erklären (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Mai
2011 - C-144/10, ZIP 2011, 1071 Rn. 44 - BVG/JPMorgan).
11 2. Die Anwendung des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO führt, wie das Berufungsgericht
richtig gesehen hat, zur ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des
Vereinigten Königreichs, da sich der Satzungssitz der Beklagten dort
befindet.
12 a) Die Vorschrift des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO weist die ausschließliche
Zuständigkeit für die dort aufgeführten Klagen den Gerichten des
Mitgliedstaats zu, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische
Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo sich der für
die Zuständigkeit maßgebliche Sitz der Gesellschaft oder juristischen Person
befindet, hat das angerufene Gericht gemäß Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVVO die
Vorschriften seines internationalen Privatrechts anzuwenden.
Abzustellen ist damit - im Unterschied zu Art. 59 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 1
EuGVVO - auf die im Forumstaat geltenden Kollisionsnormen, aus denen
in Fällen der Auslandsberührung zu entnehmen ist, welches materielle Recht
Anwendung findet.
13 Diese Regelung dient im Wesentlichen dem Zweck, die
Zuständigkeit für die Entscheidung der genannten Rechtsstreitigkeiten an
einem Ort zu lokalisieren, um einander widersprechende Entscheidungen über
das Bestehen von Gesellschaften und die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer
Organe zu verhindern (EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - C-372/07, Slg.
2008, I-7403 = NZG 2009, 28 Rn. 20 - Hassett und Doherty; Urteil vom 12. Mai
2011 - C-144/10, ZIP 2011, 1071 Rn. 40 - BVG/JPMorgan). Zudem soll dem
Umstand Rechnung getragen werden, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in
dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, am besten in der Lage sind, über
derartige Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden (EuGH, Urteil vom 2. Oktober
2008 - C-372/07, Slg. 2008, I-7403 = NZG 2009, 28 Rn. 21 - Hassett und
Doherty; Urteil vom 12. Mai 2011 - C-144/10, ZIP 2011, 1071 Rn. 36 f. - BVG/JPMorgan).
Dementsprechend wird der Zweck des Art. 22 Abs. 2 EuGVVO auch darin
gesehen, die Entscheidung dem Gericht zuzuweisen, dessen materielles Recht
angewendet wird (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht,
8. Aufl., Art. 22 EuGVO Rn. 33; Wagner in Lutter, Europäische
Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 265 f.; Leible in Hirte/Bücker,
Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl., § 12 Rn. 7; Schlosser,
EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 16; Hess, Europäisches
Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 117; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 22
Brüssel I-VO Rn. 28; Ringe, IPRax 2007, 388, 391 f.; Schaper, IPRax 2010,
513, 514; Kindler, NZG 2010, 576, 577; s.a. OLG Wien, AG 2010, 49, 50).
14 b) In Deutschland ist das internationale Privatrecht, das bei
Klagen gegen eine Auslandsgesellschaft festlegt, welcher Rechtsordnung deren
Gesellschaftsstatut zu unterstellen ist, nicht kodifiziert. Es
ergibt sich aus den - jeweils ungeschriebenen - Regeln der
Sitztheorie, nach der auf den tatsächlichen Verwaltungssitz der
Gesellschaft abzustellen ist, oder der Gründungstheorie,
die besagt, dass das Personalstatut der Auslandsgesellschaft nach dem Recht
ihres Gründungsstaats zu beurteilen ist (vgl.
BGH, Urteil vom 14. März 2005 - II ZR
5/03, ZIP 2005, 805 f.; Urteil vom 11. Januar 2011
- II ZR 157/09, ZIP 2011, 328 Rn. 16).
15 aa) Im Streitfall ist die Gründungstheorie anwendbar, da die
beklagte Gesellschaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
gegründet wurde.
16 (1) Der Senat folgt zwar im Grundsatz weiterhin der Sitztheorie
(BGH, Urteil vom 27. Oktober
2008 - II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 Rn. 21 f. - Trabrennbahn;
Urteil vom 15. März 2010 - II ZR 27/09, ZIP 2010, 1003 Rn. 15).
17 Er hat sich aber - wie zuvor schon der VII. Zivilsenat (Urteil vom 13.
März 2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185, 190) - aufgrund der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Entscheidungen „Centros" (Urteil
vom 9. März 1999 - C-212/97, Slg. 1999, I-1459 = ZIP 1999, 438),
„Überseering" (Urteil vom 5.
November 2002 - C-208/00, Slg. 2002, I-9919 = ZIP 2002, 2037)
und „Inspire Art" (Urteil
vom 30. September 2003 - C-167/01, Slg. 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885)
für diejenigen Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums oder in einem mit
diesen aufgrund eines Staatsvertrages in Bezug auf die
Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, der
Gründungstheorie angeschlossen (BGH,
Urteil vom 14. März 2005 - II ZR 5/03, ZIP 2005, 805 f.;
Urteil vom 19. September
2005 - II ZR 372/03, BGHZ 164, 148, 151;
Urteil vom 27. Oktober 2008 - II ZR
158/06, BGHZ 178, 192 Rn. 19 - Trabrennbahn;
Urteil vom 11. Januar 2011 - II ZR 157/09, ZIP 2011, 328 Rn. 16).
18 Hieran ist auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Union „Cartesio" (Urteil vom 16. Dezember 2008 - C-210/06, Slg. 2008, I-9641
= ZIP 2009, 24) festzuhalten. In dieser Entscheidung hat der
Gerichtshof, anknüpfend an die Entscheidung „Daily Mail" (Urteil vom 27.
September 1988 - C-81/87, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186), das Recht des
Herkunftsstaates bekräftigt, die Voraussetzungen festzulegen, die eine
Gesellschaft erfüllen muss, um als eine nach seinem Recht gegründete
Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit zu erlangen und zu erhalten
(EuGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - C-210/06, Slg. 2008, I-9641 = ZIP
2009, 24 Rn. 99 ff., 110 - Cartesio; siehe dazu auch MünchKommGmbHG/Weller,
Einl. Rn. 361; Goette, DStR 2009, 128; Kindler, NZG 2009, 130). Für den
Aufnahmestaat ergibt sich daraus keine Relativierung der auf die
unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV - früher Art. 43,
48 EGV) gestützten Vorgaben, die in der Gründungstheorie ihren Ausdruck
gefunden haben.
19 (2) Die Anwendung der Gründungstheorie auf
Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
gegründet wurden, hängt nicht davon ab, ob ein über den reinen
Registertatbestand hinausgehender realwirtschaftlicher Bezug zum
Gründungsstaat („genuine link") gegeben ist (vgl.
BGH, Urteil vom 14. März 2005 - II ZR
5/03, ZIP 2005, 805, 806; Paefgen in Westermann,
Handbuch der Personengesellschaften [bei juris], § 60 Internationales
Privatrecht Rn. 4118a; Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,
IntGesR Rn. 27; aA Roth in Altmeppen/Roth, GmbHG, 6. Aufl., § 4a Rn. 43 f.;
Kindler, NZG 2010, 576, 578).
20 Aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union „Cadbury
Schweppes" (Urteil vom 12. September 2006 - C-196/04, Slg. 2006, I-7995 =
ZIP 2006, 1817) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dieser Entscheidung
kann eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsstaat
gerechtfertigt sein, wenn die Beschränkung darauf abzielt, Verhaltensweisen
zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen
Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu
entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne
geschuldet wird (EuGH, Urteil vom 12. September 2006 - C-196/04, Slg. 2006,
I-7995 = ZIP 2006, 1817 Rn. 51 ff., 55 - Cadbury Schweppes). In diesem
Zusammenhang hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Niederlassungsfreiheit
die Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat ermöglichen solle, nämlich
eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im
Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen
Tätigkeit in diesem (aaO Rn. 54).
21 Demgegenüber betrifft die Forderung nach einem „genuine link" nicht die
wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat, sondern eine (zusätzliche)
realwirtschaftliche Präsenz im Herkunftsstaat. Außerdem ist sie auf eine
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Aufnahmestaat gerichtet,
nicht durch den Herkunftsstaat, der hierzu in weiterem Umfang befugt wäre
(vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - C-210/06, Slg. 2008, I-9641 = ZIP
2009, 24 Rn. 99 ff., 110 - Cartesio).
22 (3) Danach bestimmt sich der aus der Niederlassungsfreiheit folgende
Schutz einer Auslandsgesellschaft vor Beschränkungen durch den Aufnahmestaat
weiterhin nach den Entscheidungen „Centros" und „Inspire Art" des
Gerichtshofs der Europäischen Union. Der Umstand, dass eine
Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur gegründet wurde, um in den Genuss
vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, stellt keinen Missbrauch der
vom Aufnahmestaat zu beachtenden Niederlassungsfreiheit dar, und zwar auch
dann nicht, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Tätigkeiten hauptsächlich
oder ausschließlich im Aufnahmemitgliedstaat ausübt (EuGH,
Urteil vom 9. März 1999 - C-212/97, Slg. 1999, I-1459 = ZIP 1999, 438 Rn.
18, 29 - Centros;
Urteil vom 30. September 2003 -
C-167/01, Slg. 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885 Rn.
96,137 ff. - Inspire Art).
23 bb) Da sich das im Streitfall anwendbare internationale
Privatrecht aus den Regeln der Gründungstheorie ergibt, sind sie maßgebend
für die Entscheidung darüber, wo sich der gemäß Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVVO
zuständigkeitsbegründende Sitz der Beklagten befindet. Dies dient
auch dem im Interesse einer sachkundigen Entscheidung wünschenswerten
Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem materiellen
Recht (vgl. Mankowski, ZIP 2010, 802, 803).
24 Auf die weitere Frage, ob eine Anwendung der Sitztheorie in Fällen wie
dem vorliegenden zu einer (eigenständigen) Beeinträchtigung der
unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit führen würde (vgl. dazu Rehm in
Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 5 Rn.
120; Zimmer, ZHR 168 [2004], 355, 360 f.; Schillig, IPRax 2005, 208, 217;
Ringe, IPRax 2007, 388, 392; Schaper, IPRax 2010, 513, 515) kommt es danach
nicht an (vgl. Leible in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften,
2. Aufl., § 12 Rn. 9; Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter
europäischem Einfluss, 2. Aufl. [2010], Kap. 27 Rn. 104; Geimer in
Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO
Rn. 213; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 118;
Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 30; Kindler, NZG
2010, 576, 577; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803).
25 cc) Der nach der Gründungstheorie anzunehmende Sitz der
Gesellschaft ist grundsätzlich der im Herkunftsstaat bestehende
Satzungssitz.
26 Nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum führt der Rückgriff
auf die Gründungstheorie zur Bestimmung des Sitzes gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz
2 EuGVVO ohne weiteres zur Zuständigkeit der Gerichte des Gründungsstaates,
in dem sich typischerweise zugleich der Satzungssitz befindet (vgl.
Leible in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl., § 12
Rn. 9; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 118;
Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 30; Servatius in
Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, IntGesR Rn. 208; Kindler, NZG 2010,
576, 577 f.; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803; s.a. Schlosser,
EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 16 und Altmeppen/Wilhelm,
DB 2004, 1083, 1087; für eine Verweisung auf das Recht des Herkunftsstaates
hingegen Schillig, IPRax 2005, 208, 218).
27 Vereinzelt wird aber bezweifelt, ob die Gründungstheorie in dem
Sinn an einen in bestimmter Weise definierten Gesellschaftssitz anknüpft,
dass sie eine unmittelbare Aussage darüber trifft, wo sich nach ihren Regeln
„der Sitz" der Gesellschaft befindet (vgl. Hoffmann, Das
Anknüpfungsmoment der Gründungstheorie, ZVglRWiss 101 [2002], 283, 307 f.;
siehe dazu auch Zimmer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., Int.GesR Rn. 8;
MünchKommGmbHG/Weller, Einl. Rn. 333, jeweils m.w.N.).
28 Dem ist entgegenzuhalten, dass das auf die Niederlassungsfreiheit
gestützte Recht einer Gesellschaft, nach dem Recht des Gründungsstaates in
einem anderen Mitgliedstaat (ausschließlich) tätig zu werden, voraussetzt,
dass die Gesellschaft im Gründungsstaat einen Sitz im Sinne von Art. 54 AEUV
(früher Art. 48 EGV) hat, durch den ihre Zugehörigkeit zur
Rechtsordnung des Gründungsstaates festgelegt wird (EuGH, Urteil
vom 9. März 1999 - C-212/97, Slg. 1999, I-1459 = ZIP 1999, 438 Rn. 20 -
Centros; Urteil vom 5. November 2002 - C-208/00, Slg. 2002, I-9919 = ZIP
2002, 2037 Rn. 57 - Überseering; Urteil vom 30. September 2003 - C-167/01,
Slg. 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885 Rn. 97 - Inspire Art). Insofern
ist der im Gründungsstaat bestehende Sitz einer Gesellschaft wesentlich für
die Anwendung der auf der Niederlassungsfreiheit beruhenden
Gründungstheorie. Dies rechtfertigt es, den im Gründungsstaat bestehenden
Sitz als den für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO bei
Anwendung der Gründungstheorie maßgebenden Sitz anzusehen.
29 dd) Nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO sind danach grundsätzlich die
Gerichte des Herkunftsstaates zuständig. Eine Ausnahme von diesem
Grundsatz ist allerdings dann in Betracht zu ziehen, wenn nach dem
internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates ein dortiger Sitz der
Gesellschaft im Sinne von Art. 22 Nr. 2 EuGVVO zu verneinen ist.
30 Dieser Fall kann eintreten, wenn der Herkunftsstaat der
Sitztheorie folgt und auf den tatsächlichen Verwaltungssitz im Aufnahmestaat
abstellt oder wenn er den nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften eine
Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter
Beibehaltung ihres Gesellschaftsstatuts untersagt und deren Satzungssitz im
Falle eines Wegzugs aufgehoben wird.
31 Im Streitfall trifft aber beides nicht zu. Das Vereinigte
Königreich folgt der Gründungstheorie. Überdies enthält das Recht
des Vereinigten Königreichs, wie der Senat selbst feststellen kann (vgl.
BGH, Urteil vom 5. Juli 2004 - II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549, 1550; Urteil
vom 12. November 2009 - Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 Rn. 20 ff.), zu
Art. 22 Nr. 2 EuGVVO eine Regelung, die im vorliegenden Fall zur
Zuständigkeit der dortigen Gerichte führt (vgl. Schillig, IPRax
2005, 208, 218; s.a. Wedemann, AG 2011, 282, 283 bei Fn. 2). Nach
Schedule 1 paragraph 10 der Civil Jurisdiction and Judgments Order 2001 hat
eine Gesellschaft, die nach dem in einem Teil des Vereinigten Königreichs
geltenden Recht gegründet wurde, ihren Sitz im Vereinigten Königreich (par.
10 [2 a]). Auf einen in einem anderen Mitgliedstaat bestehenden
Verwaltungssitz (vgl. par. 10 [3 b]) kommt es neben dem Gründungssitz im
Vereinigten Königreich nicht an (par. 10 [4 a]).
32 3. Die im Gesellschaftsvertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung hat
das Berufungsgericht zu Recht als unwirksam angesehen, da die nach Art. 22
Nr. 2 EuGVVO zu bestimmende Zuständigkeit
eine ausschließliche ist (Art. 23 Abs. 5 EuGVVO).
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