NJW-RR 1994, 925
Vgl. auch BGHZ
50, 133 sowie BVerfG NJW 1971, 1645
Leitsätze:
Zur zeitlichen Dauer des postmortalen Persönlichkeitsschutzes.
1. Das LG führte aus, die Bekl. habe das postmortale
Persönlichkeitsrecht des im Jahre 1965 verstorbenen Arztes Dr. A schuldhaft
und widerrechtlich verletzt.
2. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis beizutreten.
Der BGH billigt in seiner Rechtsprechung (vgl. BGHZ 15, 249 (259) = NJW
1955, 260 = LM Art. 2 GrundG (L) Nr. 8; BGHZ 50,
133 = NJW 1968, 1773 = LM Art. 2 GrundG (L) Nr. 40) auch dem Toten
in bestimmtem Umfang ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu, soweit
es sich um grobe Entstellungen des Lebensbildes des Verstorbenen handelt.
Den Angehörigen wird ein Anspruch auf Unterlassung, nicht jedoch auf
Ersatz des Nichtvermögensschadens in Geld zugesprochen. Der Unterlassungsanspruch
wird vor allem damit begründet, daß die Menschenwürde und
die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebzeiten nur dann im Sinn
des Grundgesetzes hinreichend gewährleistet sind (Art. 1 I, 2 I GG),
wenn der einzelne auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen
grobe ehrverletzende Entstellungen nach seinem Tode vertrauen und in dieser
Erwartung leben kann. Der postmortale Persönlichkeitsschutz verliert
erst an Bedeutung, wenn das Bild des Verstorbenen verblaßt und die
Erinnerung an ihn erlischt.
Obwohl der postmortale Persönlichkeitsschutz
mit zunehmend zeitlichen Abstand Einschränkungen erfährt, ist
das Persönlichkeitsrecht nicht auf einen bestimmten Zeitraum nach
dem Tode beschränkt. Insbesondere erscheint eine entsprechende Anwendung
der Zehn-Jahresfrist des § 22 S. 3 KUG oder des §
64 UrhG, der ein Erlöschen des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tode
des Urhebers vorsieht, nicht vertretbar, weil beide Gesetze dem Schutz
anderer Rechtsgüter, die nur Ausschnitte des Persönlichkeitsrechts
betreffen, dienen. Die fehlende gesetzgeberische Befristung des postmortalen
Persönlichkeitsschutzes läßt andererseits den Schutz des
Lebensbildes nach dem Tode nicht uferlos ausarten. Denn eine gewisse zeitliche
Begrenzung liegt bereits in dem Umstand, daß die Persönlichkeitsrechte
des Verstorbenen nicht jedermann, sondern nur die engsten Angehörigen,
also ein enger Kreis von überlebenden Verwandten, geltend machen können.
Davon abgesehen setzt die Geltendmachung eines entsprechenden Unterlassungsanspruches
voraus, daß der betroffene Angehörige ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis
dartun kann. Im übrigen ist es aber auch nicht vertretbar, daß
ausschließlich international bekannte Persönlichkeiten, wie
beispielsweise Schauspieler oder Künstlerin, in den Genuß des
postmortalen Persönlichkeitsrechts gelangen können. Es kann nämlich
nur darauf ankommen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer
bestimmten Person durch ihr allgemein herausragendes Leben und Wirken oder
durch ein Einzelergebnis geweckt worden ist und zusätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis
an der Korrektur der Verunglimpfung des Charakter- und Lebensbildes
des Verstorbenen durch einen nahen Angehörigen besteht.
In Anwendung dieser Grundsätze hat das LG
eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des verstorbenen
Arztes Dr. A zu Recht bejaht. Die Frage der zwangsweisen Vornahme von Abtreibungen
an Fremdarbeiterinnen im sog. Dritten Reich hat auch fast 50 Jahre nach
Kriegsende zu erheblichem Aufsehen in der Bevölkerung, insbesondere
in P. und Umgebung, geführt. Die Witwe und die Kinder des Verstorbenen
leben weiterhin in der selben Gegend, in der der Verstorbene als Arzt gewirkt
hat. Zwei leibliche Kinder des Verstorbenen sind ebenfalls im Raume P.
als Ärzte tätig. Unter diesen Umständen ist den Angehörigen
des Verstorbenen ein besonderes Interesse, gegen grobe Entstellungen des
Lebensbildes des Verstorbenen vorzugehen, nicht abzusprechen.
3. Entgegen der Auffassung der Bekl. sind ihr
die übertreibenden und verzerrenden Veröffentlichungen in den
betreffenden Presseschriften zuzurechnen. Es ist richtig, daß beide
Veröffentlichungen nicht aus ihrer eigenen Feder stammen. Die Bekl.
hat aber als Informantin gedient; den beiden Veröffentlichungen liegen
bestimmte Äußerungen der Bekl. zugrunde. Es handelt sich im
einzelnen um eine verkürzte, aber zutreffende Wiedergabe ihrer Äußerungen.
Es läßt sich zwar heute nicht mehr feststellen, ob es sich bei
den beiden Berichten um eine exakte Wiedergabe der Angaben der Bekl. handelt.
Daß die Angaben der Bekl. aber zumindest dem Sinne nach richtig wiedergegeben
sind, läßt sich aus den unabhängig voneinander zustandegekommenen
Presseveröffentlichungen, denen jeweils ein eigenes Interview der
Bekl. zugrunde liegt, schließen. Es deutet nichts darauf hin, daß
eine Presseveröffentlichung auch nur auszugsweise von der anderen
angeschrieben ist. Hinzu kommt, daß die Bekl. selbst in erster Instanz
eingeräumt hat, daß ihre Äußerungen dem Sinne nach
richtig wiedergegeben sind. Für eine etwaige Abweichung wäre
aber die Bekl. aufgrund ihres bisherigen prozessualen Verhaltens darlegungs-
und Beweispflichtig.
4. Daß die Vorwürfe der Bekl., der
verstorbene Arzt Dr. A habe bei den Zwangsabtreibungen eine besonders verwerfliche
sadistische Methode entwickelt, indem er die Operationen ohne Narkose und
erst im achten oder neunten Schwangerschaftsmonat durchgeführt hat,
nicht glaubhaft gemacht wird, hat das LG zutreffend festgestellt. Die vorgelegten
Urkunden und Erklärungen von Zeugen ergeben gerade nicht das Bild,
das die Bekl. von dem verstorbenen Arzt entworfen hat. Es kann insbesondere
nicht festgestellt werden, daß Dr. A in allen 200 Fällen aus
sadistischen Motiven heraus ohne Narkose operiert hat, wenn auch die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Jahre 1945 aus Mangel an
Betäubungsmitteln in Einzelfällen ohne Narkose operiert worden
ist. Es ergibt sich aus den Unterlagen auch nicht, daß Dr. A im Operationssaal
gegenüber den Fremdarbeiterinnen Zwang ausgeübt hat. Aus den
Unterlagen ist vielmehr zu entnehmen, daß die Drohung mit Zwang offensichtlich
bereits im Vorfeld vom Arbeitsamt ausgeübt wurde, indem die Arbeiterinnen
vor die Wahl gestellt wurden, entweder in eine Abtreibung einzuwilligen
oder ins KZ verbracht zu werden.
5. Das Recht der Bekl., die es sich zur Aufgabe
gemacht hat, als Historikerin nationalsozialistisches Verbrechen im Raum
P. aufzuklären, das Verhalten und das Lebensbild einer bestimmten
Persönlichkeit kritisch zu beurteilen, findet nach der ausdrücklichen
Regelung in Art. 5 II GG seine Schranke in dem Recht der persönlichen
Ehre. Es ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, das Leitbild des verstorbenen
Arztes, auf den sie bei ihren Forschungen gestoßen ist, grob zu entstellen.
Die verzerrende Darstellung der Bekl. mittels einseitig ausgelegter historischer
Urkunden, die eine Deutung i. S. der Bekl. als unzutreffend erscheinen
lassen, ist durch die verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte
der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft und Lehre nicht
gedeckt (Art. 5 GG). Obwohl zugunsten der Bekl. zu berücksichtigen
ist, daß es sich bei dem verstorbenen Arzt entsprechend seinem Lebensweg
offenbar um einen überzeugten Nationalsozialisten gehandelt hat, der
sich nicht geweigert hat, in etwa 200 Fällen Abtreibungen vorzunehmen,
sind die von der Bekl. zu vertretenden Entstellungen derartig schwerwiegend,
daß der Durchschnittsleser nur zu dem Schluß gelangen kann,
es habe sich bei Dr. A nicht nur um einen im Dienst des damaligen Regimes
tätigen Arzt, sondern um einen ungewöhnlich niederträchtigen
Menschen und Kriegsverbrecher gehandelt, der seine Opfer sadistisch gequält
hat. Gerade die verkürzte Darstellung des Sachverhalts führt
zu einer nicht zu vertretenden Entstellung der Persönlichkeit des
Arztes, die die Kl. in Wahrnehmung der Rechte des Verstorbenen nicht hinzunehmen
brauchen.
6. Da ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
durch die Presseveröffentlichungen bereits stattgefunden hat, ist
die Wiederholungsgefahr zu vermuten. Der Annahme der Wiederholungsgefahr
steht auch nicht entgegen, daß das Buch der Bekl. das nach übereinstimmender
Erledigungserklärung in der Hauptsache nicht Gegenstand dieser Entscheidung
ist, die in den verkürzenden Presseinterviews gemachten Behauptungen
in dieser Form nicht enthält. Die Berufung war deshalb als unbegründet
zurückzuweisen. Daß die Kl. keinen eigenen Unterlassungsanspruch
haben hat das LG zutreffend festgestellt. Insoweit hat jedoch eine gesonderte
Klageabweisung zu erfolgen, zumal an diesen Unterlassungsanspruch andere
Rechtsfolgen geknüpft sind.