Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit
nach § 138 I BGB bei überhöhten Preisen (Vergleichspreis
beim "wucherähnlichen Geschäft"); (keine) Aufklärungspflicht
des Verkäufers über den Wert der Kaufsache; Vertragsaufhebung
aus c.i.c. bei schuldhaften positiven Falschangaben über den
Wert der Kaufsache (Sammlermünzen)
BGH, Urt. u 22. 12. 1999 - VIII ZR 111/99 (Braunschweig) Fundstelle: NJW 2000, 1254 Zur Frage der Sittenwidrigkeit der Preisgestaltung
beim Verkauf von Sondermünzen durch den gewerblichen Münzhandel.
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage
der Nichtigkeit eines Kaufvertrags nach § 138 I BGB in Form des sog.
"wucherähnlichen Geschäfts". "Wucher" ist nach § 138 II
BGB definiert als ein Rechtsgeschäft, bei welchem sich "jemand unter
Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen
oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem
Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder
gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis
zu der Leistung stehen." Daraus ergibt sich, daß das auffällige
Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung alleine noch nicht
für eine Nichtigkeit nach § 138 II BGB ausreicht. Auch für
eine Nichtigkeit nach § 138 I BGB genügt dies alleine noch nicht,
weil die zusätzlichen Kriterien in § 138 II BGB sonst unterlaufen
würden. Eine Nichtigkeit nach § 138 I BGB kommt dann aber in
Form des sog. "wucherähnlichen Geschäfts in Betracht. Nach der
Rspr. des BGH genügt aber für das Vorliegen eines solchen wucherähnlichen
Geschäfts nicht alleine das extreme Mißverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung, sondern es muß in subjektiver Hinsicht
eine verwerfliche Gesinnung oder das Ausnutzen einer Machtposition hinzutreten.
Regelmäßig wird ein "extremes Mißverhältnis" dann
angenommen, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt so hoch ist
wie derjenige der Gegenleistung. Die verwerfliche Gesinnung wird von der
Rechtsprechung in diesen Fällen vermutet (vgl. etwa Palandt-Heinrichs
§ 138 BGB Rn. 34a m.w.N.). In der vorliegenden Entscheidung geht es
um den konkreten Vergleichsmaßstab für die Frage des extremen
Mißverhältnisses.
Zur Problematik einer nachträglichen Vertragsänderung s.
auch BGH v. 10.2.2012 - V ZR
51/11. Zum Sachverhalt: Der Kl. erwarb - nach seiner Darstellung - von
der Bekl., einer Münzhandelsgesellschaft, in der Zeit zwischen Ende
1991 und Oktober 1995 Münzen zum Preis vön insgesamt 20564,55
DM. Mit der Behauptung, der Marktwert dieser Münzen habe zu keinem
Zeitpunkt mehr als insgesamt 2250 DM betragen, für ihn habe zum Zeitpunkt
des jeweiligen Ankaufs auch keine kalkulierbare, realistische Chance bestanden,
die erworbenen Münzen zu einem höheren Preis als dem Rücknahmepreis
des Münzhandels zu verkaufen, verlangt der Kl. von der Bekl. wegen
Sittenwidrigkeit der abgeschlossenen Kaufverträge Rückzahlung
der Kaufpreisbeträge Zug um Zug gegen Rückgabe der Münzen.
Aus den Gründen: I. Das BerGer. hat ausgeführt, dem Kl. stehe gegen die Bekl. gern. § 812 I 1 Alt. 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Kaufpreise zu, da die zwischen den Parteien geschlossenen Kaufverträge gern. § 138 I BGB sittenwidrig und daher nichtig seien. Ein Rechtsgeschäft könne nach §
138 I BGB nichtig sein, wenn das Missverhältnis zwischen Leistung
und Gegenleistung so krass sei, dass allein daraus schon auf eine verwerfliche
Gesinnung des begünstigten Vertragspartners zu schließen sei.
Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen bestehe hier
zwischen den Leistungen der Bekl. und den Gegenleistungen des Kl. ein solches
auffälliges Missverhältnis. Der Sachverständige sei zu dem
Ergebnis gelangt, dass der Gesamtwert der Sammlung, für die der Kl.
mehr als 20000 DM gezahlt habe, nach dem im Münzhandel realisierbaren
Wiederverkaufspreis bei ca. 2250 DM liege. Ein auffälliges Missverhältnis
bestehe selbst dann, wenn der Wiederverkaufswert der einzelnen Münzen
zum Zeitpunkt des jeweiligen Ankaufs durch den Kl. etwas höher gewesen
sein sollte, als von dem Sachverständigen für den Zeitpunkt seiner
Schätzung im März 1997 angenommen worden sei. Für das Vorliegen
eines auffälligen Missverhaltnisses sei es unerheblich, dass die Bekl.
ausweislich der vorgelegten jeweiligen "Wareneingangshistorie" höhere
Einkaufspreise gezahlt habe als die vom Sachverständigen angegebenen
Schätzwerte; vielmehr komme es allein auf die objektiven Werte beider
Leistungen an, mithin seien die Ankaufspreise, die der Kl. gezahlt habe,
mit den Wiederverkaufswerren zu vergleichen. An dem außergewöhnlichen
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ändere auch
der Umstand nichts, dass der Kl. aus Liebhaberinteresse bereit gewesen
sei, die geforderten Preise zu zahlen; denn es sei davon auszugehen, dass
er dies in der Erwartung getan habe, einen angemessenen Gegenwert zu erhalten.
Unstreitig sei der Kl. von der Bekl. nicht auf die niedrigen Wiederverkaufswerte
hingewiesen worden; vielmehr habe die Bekl. bei ihm den Eindruck zu erwecken
versucht, es handele sich bei den Münzen um eine gute Geldanlage.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. 1. Das BerGer. stützt sich für seine
Annahme der Sittenwidrigkeit der zwischen den Parteien geschlossenen Kaufverträge
auf die ständige Rechtsprechung des BGH, nach welcher Rechtsgeschäfte,
bei denen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der versprochenen
Vergütung und dem Wert der dafür zu erbringenden Leistung besteht,
dann nach § 138 I BGB nichtig sind, wenn weitere Umstände hinzutreten,
wie etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen
Lage oder Unerfahrenheit des Partners für das eigene unangemessene
Gewinnstreben. Liegt ein grobes, besonders krasses Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung vor, so rechtfertigt dieser Umstand
regelmäßig den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten
Vertragsteils und damit auf einen sittenwidrigen Charakter des Rechtsgeschäfts.
Ein solches auffälliges, grobes Missverhältnis wird nach dieser
Rechtsprechung bei Grundstückskaufverträgen sowie Kaufverträgen
über vergleichbar wertvolle bewegliche Sachen regelmäßig
schon dann angenommen, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt
so hoch ist wie derjenige der Gegenleistung (vgl. Senat, DtZ 1997, 66 =
LM H. 2/19 97 RpflAnpG Nr. 7 = WM 1997, 230 [unter III 1, la], und NJW-RR
1998 1065 - LM H. 5/1998 § 138 [Bb] BGB Nr. 83 = WM 1998, 932 = BGHR
BGB § 138 Abs. 1 Missverhältnis 5 u. 7 [unter IV 2 a, c]; s.
auch Palandt/ Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 138 Rdnrn. 34, 67 f., jew.
m.w. Nachw.). Für das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses
ist auf den objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses abzustellen (BGH, WM 1984, 874 [unter 2 a]; NJW-RR
1990, 950 [unter II 3]; Senat, DtZ 1997, 66 = LM H. 2/1997 RpflAnpG Nr.
7).
Auf diesem Wege könnte der Kl. nach der Bewertung des Sachverständigen, der sich das BerGer. angeschlossen hat, für seine Münzsammlung lediglich einen Preis von ca. 2250 DM erzielen, während er für den Erwerb der Münzen mehr als 20000 DM aufgewendet hat. b) Hiernach existieren für die hier in Rede
stehenden Münzen zwei Märkte, auf denen für ein und dasselbe
Produkt stark unterschiedliche Preise gezahlt werden, je nachdem, ob sich
die beiden Gruppen der Marktteilnehmer - Händler und Sammler - als
Anbieter und Nachfrager oder in umgekehrter Rolle gegenüberstehen.
Aus der Sicht der Kunden bestehen also für die Münzen deutliche
Unterschiede zwischen den - jeweils üblichen - Ankaufs- und den Wiederverkaufspreisen.
Diese Unterschiede erklären sich offenbar weitgehend daraus, dass
derartige Sonder- und Gedenkmünzen üblicherweise nicht zum Zwecke
des Weiterverkaufs, sondern zum dauernden Besitz erworben werden, etwa
weil der Erwerber von dem ästhetischen Reiz der in besonderer Weise
künstlerisch gestalteten Münzen angezogen wird oder weil er zu
dem bei der Gestaltung verwendeten Motiv eine besondere affektive Neigung
hat.
|