Bereicherungsrechtliche Dreipersonenverhältnisse: Bereicherungsausgleich bei Drittleistung i.S.v. § 267 BGB (Rechtsgrundlose Zahlung des Versicherers an den Geschädigten), Beweislast für das Fehlen des Rechtsgrundes

BGH, Urteil vom 29. Februar 2000 - VI ZR 47/99 - 


Fundstelle:

NJW 2000, 1718
s. dazu auch BGH NJW 2002, 3772


Zentrale Probleme:

1.) Im Mittelpunkt der Entscheidung steht das Problem der Leistungskondiktion im Falle der Leistung durch Dritte (zum Überblick vgl. Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR Rn. 425). Sofern kein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer besteht, zahlt ein Versicherer, der den Geschädigten entschädigt, als "Dritter" i.S.v. § 267 BGB auf eine fremde Verbindlichkeit. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Verbindlichkeit nicht bestand, kann der Versicherer das Gezahlte im Wege der Leistungskondiktion nach § 812 I 1 Fall 1 BGB zurückfordern, da bereicherungsrechtlich eine "Leistung" des Versicherers an den (vermeintlich) Geschädigten vorliegt. Es ist dies ein Fall, in welchem der Leistungsbegriff ("bewußte, zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens") an seine Grenzen stößt, denn der Versicherer will ja nicht nur auf die fremde Verbindlichkeit des Schädigers (=Versicherungsnehmer) leisten, sondern auch auf die (vermeintliche) Verpflichtung zu dieser Zahlung gegenüber dem Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsvertrag. Er verfolgt also einen doppelten Leistungszweck. Die wohl h.M. in der Literatur unterscheidet in diesen Fällen danach, ob die Drittleistung vom vom Schuldner (hier: Versicherungsnehmer) veranlaßt wurde oder ob sie aus eigenem Antrieb erfolgte. Im ersten Fall gibt sie wegen der Nähe zur Anweisungslage keine Direktkondiktion des Versicherers gegen den Geschädigten, sondern sieht in der Zahlung ausschließlich eine "Leistung" des Versicherungsnehmers an den Geschädigten, die durch die Versicherung als Leistungsmittler vorgenommen wird. Die Versicherung "leistet" durch diese Zahlung ihrerseits an den Versicherungsnehmer aufgrund einer Verbindlichkeit aus dem Versicherungsvertrag. Wenn tatsächlich kein Haftungsfall bestand, kann dann der Versicherungsnehmer vom Zahlungsempfänger nach § 812 I 1 BGB die Rückzahlung dessen verlangen, was die Versicherung an diesen gezahlt hatte. Diesen Betrag muß er seinerseits aus Leistungskondiktion an die Versicherung auskehren (sog. "Kondiktion über's Dreieck"). Nur im Falle nichtveranlaßter Drittzahlung bejaht die h.M. eine Direktkkondiktion des Versicherers gegen den Zahlungsempfänger, d.h. den vermeintlich Geschädigten (vgl. zum Ganzen Staudinger-W.Lorenz § 812 BGB Rn. 42 ff m.w.N.).
Der BGH sieht dies bei Leistungen eines Haftpflichtversicherers anders. Leading case ist die auch hier zitierte, heftig umstrittene Entscheidung BGHZ 113, 62 ff. Darin sieht der BGH den entscheidenden Unterschied zur Leistung auf Anweisung darin, daß der Haftpflichtversicherer eine eigene Tilgungsbestimmung gegenüber dem Gläubiger setzt und nicht lediglich eine vom anweisenden Schuldner ausgehende Tilgungsbestimmung übermittelt. Daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer von der Inanspruchnahme durch den Geschädigten Mitteilung macht und ihn um die Regulierung des Schadens ersucht, sei "nicht einmal im weiteren Sinne eine Weisung", weil eine solche dem Versicherungsnehmer gar nicht zustehe und der Haftpflichtversicherer sie auch nicht zu befolgen brauche; denn er prüfe selbständig, ob sowohl der Versicherungsvertrag (Deckungsverhältnis) als auch die Forderung des Gläubigers gegen den Versicherungsnehmer (Valutaverhältnis) die Zahlung gebieten. Canaris  (NJW 1992, 3143, 3145; vgl. auch dens. SchuldR BT II/2 § 70 V 3a) wendet dagegen ein, daß der Versicherer in eigener Verantwortung primär prüft, ob er überhaupt zahlt, d.h. ob der Versicherungsfall eingetreten ist. Davon sei aber die Frage zu trennen, an wen er zahlt - an den Versicherungsnehmer oder an dessen Gläubiger.

Anders wäre übrigens der Fall zu beurteilen, wenn die Haftungsverbindlichkeit besteht, die Versicherung an den Geschädigten zahlt, der Geschädigte aber gar nicht versichert war bzw. ein anderer Mangel im Verhältnis Schädiger/Versicherer vorliegt, der dazu geführt hat, daß die Versicherung leistungsfrei gewesen wäre. In diesem Fall hat der Versicherer als Dritter auf eine bestehende Schuld und damit mit Rechtsgrund geleistet und kann nur beim vermeintlichen Versicherungsnehmer kondizieren (bloßer Mangel im Deckungsverhältnis, vgl. etwa LG Zweibrücken NJW-RR 1995, 917 f).

2.) Hinsichtlich der Beweislast ist der Entscheidung voll beizupflichten: Normalerweise trägt derjenige, der einen Bereicherungsanspruch geltend macht, die Beweislast bezgl. aller anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. auch bzgl. der Rechtsgrundlosigkeit. Im vorliegenden Fall wurde aber "als Vorschuß" unter Vorbehalt der Rückforderung gezahlt, worin eine (vertragliche) Umkehr der Beweislast liegt. Ein solcher Vorbehalt ist dann nämlich dahin zu verstehen, daß der Schuldner die Leistung ohne Veränderung der den Gläubiger treffenden Beweislast  erbringen will (vgl. BGHZ 86, 267 (269) = NJW 1983, 1111). Der Gläubiger braucht die Leistung dann nicht anzunehmen (d.h. er kommt bei Nichtannahme auch nicht in Annahmeverzug, weil die Leistung nicht i.S.v. § 294 BGB so angeboten wird, wie sie zu bewirken ist - nämlich endültig), unterwirft sich aber dem Vorbehalt, wenn er sie gleichwohl annimmt (vgl. BGH NJW 1989, 161, 162).
 

Zur Übung: Köhler, PdW SchuldR II Fall 138.
Zum Überblick: Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR I Rn. 421 ff, insbes. Rn. 425 (Drittleistung).
Kurzübersicht zu den bereicherungsrechtlichen Mehrpersonenverhältnissen im pdf-Format
Zur Vertiefung: Staudinger-W.Lorenz § 812 BGB Rn. 41

 

(c) sl 2000

Amtl. Leitsätze:

a) Wird ein als Vorschuß auf eine etwaige Leistungspflicht gezahlter Geldbetrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung des Empfängers (Leistungskondiktion) zurückverlangt, so hat dieser zu beweisen, daß ihm ein Anspruch auf das Geleistete zusteht.
b) Hat der Haftpflichtversicherer des vermeintlich Leistungspflichtigen die Zahlung erbracht, so entsteht der Bereicherungsanspruch nicht in der Person des Versicherungsnehmers, sondern beim Versicherer.



Tatbestand:

Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in einem Haus in B., in dem die Vermieter umfangreiche Renovierungs- und Bauarbeiten durchführen ließen. Der Beklagte zu 3 war einer der in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossenen Vermieter dieser Wohnungen.
Wegen Verletzungen, die sie beim Betreten von Holzplatten erlitten hat, die im Keller des Hauses über einem Rohrgraben verlegt waren, hat die Klägerin von dem Beklagten zu 3 als Gesamtschuldner neben dem Beklagten zu 1 (Bauleiter) und der Beklagten zu 2 (Bauunternehmen) Zahlung von Schadensersatz verlangt. Der Beklagte zu 3 hat Widerklage erhoben, mit der er von der Klägerin die Rückzahlung an sie durch den Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 3 geleisteter 5.000 DM begehrt.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im übrigen sowie die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage zur Zahlung von 5.000 DM an den Beklagten zu 3 verurteilt. Der Senat hat die Revision der Klägerin angenommen, soweit sie auf die Widerklage zur Zahlung verurteilt worden ist. Im übrigen hat er die Revision nicht angenommen.

Entscheidungsgründe:

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten nicht zu, weil sie nicht nachgewiesen habe, daß ihre bei dem Sturz erlittenen Verletzungen auf einer mangelnden Sicherung des Rohrgrabens beruhten.
Die Widerklage hält das Berufungsgericht dagegen für begründet. Der Beklagte zu 3 könne Rückzahlung der von der Haftpflichtversicherung für ihn geleisteten 5.000 DM verlangen, weil die Klägerin diesen Betrag ohne rechtlichen Grund erlangt habe. Bei der Zahlung habe es sich um einen Vorschuß der Versicherung auf eine etwaige Leistungspflicht des Beklagten zu 3 und der weiteren Vermieter gehandelt.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei verpflichtet, die empfangenen 5.000 DM aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten. Infolge der die Klage betreffenden Nichtannahmeentscheidung des erkennenden Senats steht nunmehr fest, daß der Klägerin aus dem Unfall vom 6. Juli 1993 kein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 3 und die weiteren Vermieter erwachsen war. Die Klägerin hat daher den vom Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 3 vorschußweise auf einen solchen eventuellen Anspruch entrichteten Betrag ohne rechtlichen Grund erlangt. Zwar hat das Berufungsgericht den Mangel des rechtlichen Grundes für die Zahlung nicht festzustellen vermocht. Es hat vielmehr lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Verstoß der Beklagten gegen ihre Verkehrssicherungspflicht für nicht bewiesen erachtet. Das hat jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Folge, daß das Geleistete hier mit Begründung, der Beklagte zu 3 habe den Beweis für das Fehlen einer Leistungspflicht nicht erbracht, nicht zurückgefordert werden könnte. Denn nach der unangegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts sind die 5.000 DM an die Klägerin als Vorschuß auf eine etwaige Leistungspflicht des Beklagten zu 3 gezahlt worden. In einem solchen Fall hat der Vorschußempfänger, hier also die Klägerin, zu beweisen, daß er das Geld zu beanspruchen hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 51/87 - NJW 1989, 161, 162; vom 9. März 1989 - IX ZR 64/88 - NJW 1989, 1606, 1607). Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht.

2. Das Berufungsgericht hat dagegen auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zu Unrecht angenommen, der Beklagte zu 3 könne Rückerstattung an sich selbst beanspruchen.

a) Der gegen die Klägerin gerichtete Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 BGB (Leistungskondiktion) ist nicht in der Person des Beklagten zu 3, sondern in der seines Haftpflichtversicherers entstanden. Dieser hat als Dritter (§ 267 BGB) auf eine fremde Verbindlichkeit in Erfüllung seiner Freistellungspflicht gegenüber dem Beklagten zu 3 geleistet. Im Falle einer derartigen Drittzahlung durch einen Haftpflichtversicherer erwirbt, wenn - wie hier - die zu tilgende Schuld nicht bestand, der zahlende Versicherer und nicht sein Versicherungsnehmer den Anspruch auf Bereicherungsausgleich gegen den Scheingläubiger (BGHZ 113, 62, 69).
b) Zwar wäre der Beklagte zu 3 gleichwohl zur Geltendmachung des fremden Rechts befugt, wenn er entweder seitens seines Haftpflichtversicherers zur Prozeßführung ermächtigt worden wäre und ein eigenes rechtschutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung der Widerklageforderung hätte oder wenn ihm diese entsprechend seiner - bestrittenen - erstinstanzlichen Behauptung vom Versicherer abgetreten worden wäre. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Zu ersterem hat der Beklagte zu 3 nichts vorgetragen, und zu der behaupteten Abtretung hat das Berufungsgericht bisher keine Feststellungen getroffen.

III. Das angefochtene Urteil ist daher in dem sich aus der Urteilsformel ergebenden Umfang aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit die notwendigen Feststellungen getroffen werden können.