Bereicherungsausgleich in
Mehrpersonenverhältnissen ("Doppelmangel in der Bereicherungskette") bei
Leistungen eines Versicherers; subjektive Voraussetzungen und
Wissenszurechnung im Rahmen von § 814 BGB
BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - III ZR
58/02 - OLG Düsseldorf, LG Duisburg
Fundstelle:
NJW 2002, 3772
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt steht die "klassische" und
hochumstrittene Problematik, von wem ein Versicherer kondiziert, wenn er
auf eine nicht bestehende Hauptschuld seines Versicherungsnehmers gezahlt
hat (s. dazu nur die Anm. zu BGHZ 113, 62,
BGH
NJW 2000, 1718 sowie die ausführliche
Anmerkung zu
BGH NJW 2001, 2880). Der BGH konnte
hier (leider!) freilich sämtliche Probleme offenlassen, da jedenfalls eine
Abtretung der Ansprüche des Versicherungsnehmers vorlag. Offenlassen
konnte er weiter, ob es für die Frage des Kondiktionsausschlusses nach §
814 BGB (Kenntnis der Nichtschuld) auf die Kenntnis des
Versicherungsnehmers oder diejenige des Versicherers ankommt.
Amtl. Leitsatz:
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1, § 814; BPflV § 22 Abs. 2
Zur Rückforderung von Wahlleistungsentgelten, die ein Krankenversicherer
an den seinen Versicherungsnehmer behandelnden liquidationsberechtigten
Krankenhausarzt gezahlt hat, wenn die zwischen dem Krankenhausträger und
dem Patienten/ Versicherungsnehmer geschlossene Wahlleistungsvereinbarung
wegen Nichteinhaltung der Schriftform nichtig ist.
Tatbestand
Der Beklagte ist Chefarzt einer Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie. In dieser Klinik befand sich von Juli bis
September 1995 H. P., der bei der Klägerin eine
Krankheitskostenversicherung unterhielt, in stationärer Behandlung. Die
formularmäßige Wahlleistungsvereinbarung, in der als gesondert
berechenbare Wahlleistungen die ärztlichen Leistungen aller an der
Behandlung beteiligten und liquidationsberechtigten Ärzte des
Krankenhauses und die Unterbringung in einem Zweibettzimmer angekreuzt
sind, trägt nur die Unterschrift von H. P.
Der Beklagte stellte im Januar 1996 für seine ärztlichen Leistungen
insgesamt 44.049,28 DM in Rechnung. Die Klägerin überwies dem Beklagten
unter Abzug einzelner Rechnungsposten 30.236,74 DM.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung dieses Betrags.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage bis auf einen Teil der
geltend gemachten Zinsen stattgegeben. Mit der - zugelassenen - Revision
verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Abweisung der Klage
weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Zahlung der
30.236,74 DM ohne Rechtsgrund erfolgte.
a) Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz der Bundespflegesatzverordnung (BPflV)
vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750) sind Wahlleistungen vor der
Erbringung schriftlich zu vereinbaren. Demgemäß ist nach § 126 Abs. 2 Satz
1 BGB die Form grundsätzlich nur gewahrt, wenn alle die Wahlleistungen
betreffenden Erklärungen in derselben Urkunde niedergelegt und von beiden
Parteien unterzeichnet sind. Trägt das Wahlleistungsformular - wie hier -
nur die Unterschrift des Patienten und nicht (auch) die Unterschrift eines
Vertreters des Krankenhauses, so ist die Wahlleistungsvereinbarung gemäß §
125 Satz 1 BGB nichtig (Senatsurteil BGHZ 138, 91, 92 f).
b) Fehlt es an einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung, so steht dem
behandelnden liquidationsberechtigten Krankenhausarzt wegen § 139 BGB auch
dann kein (besonderer) Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 2 BGB in
Verbindung mit der Gebührenordnung für Ärzte zu, wenn zwischen ihm und dem
Patienten mündlich ein Arztzusatzvertrag geschlossen worden sein sollte
(Senatsurteil aaO S. 95 ff). Auch ein Anspruch aus ungerechtfertigter
Bereicherung besteht nicht. Die erbrachten ärztlichen Leistungen sind in
einem solchen Falle nur als Leistung des Krankenhauses im Rahmen des -
wirksamen - Krankenhausbehandlungsvertrags zwischen dem Träger des
Krankenhauses und dem Patienten anzusehen. Dies ist unter Berücksichtigung
des Schutzzwecks des § 22 BPflV auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn
sich feststellen ließe, daß der Patient aufgrund der vermeintlich
geschlossenen Wahlleistungsabrede in den Genuß einer über das medizinisch
Notwendige hinausgehenden ärztlichen Versorgung gekommen wäre, die er in
diesem Umfang als bloßer Regelleistungspatient nicht erhalten hätte
(Senatsurteil aaO S. 99).
c) Somit bestand wegen der Nichtigkeit der Wahlleistungsvereinbarung weder
ein Vergütungsanspruch des Beklagten gegen den von ihm behandelten
Patienten noch ein Erstattungsanspruch des Patienten gegen die Klägerin
aus dem bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrag (s. hierzu BGH,
Urteil vom 14. Januar 1998 - IV ZR 61/97 - NJW 1998, 1790, 1791 f.).
2. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Zwischen ihr und der Erbin des
mittlerweile verstorbenen Versicherungsnehmers ist entgegen der Auffassung
der Revision ein wirksamer Abtretungsvertrag über etwaige dem Patienten
gegenüber dem rechnungstellenden beklagten Arzt zustehende
Rückforderungsansprüche zustande gekommen (vgl. BGH, Urteil vom 14. April
1999 - VIII ZR 370/97 - NJW 1999, 2179 f). Es kann daher offenbleiben,
ob der Klägerin ungeachtet dessen, daß mit ihrer Zahlung (auch) eine
(vermeintliche) Verbindlichkeit des Patienten gegenüber dem behandelnden
Arzt aus § 612 Abs. 2 BGB getilgt werden sollte, ein Kondiktionsanspruch
nicht aus fremdem, sondern aus eigenem Recht zusteht, sei es, weil für die
bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von einer Drittzahlung des
Krankenversicherers nach § 267 BGB auszugehen ist (wie die
Rechtsprechung für den Fall der Zahlung des Haftpflichtversicherers an den
Gläubiger des bei ihm versicherten Haftpflichtschuldners annimmt, vgl.
BGHZ 113, 62,
68 ff;
BGH, Urteil vom 29.
Februar 2000 - VI ZR 47/99 - NJW 2000, 1718, 1719),
sei es, weil unter dem Gesichtspunkt des "Doppelmangels in der
Bereicherungskette" ausnahmsweise ein Durchgriff der Klägerin gegen den
Beklagten zulässig ist (vgl.
BGH, Urteil vom 24. April 2001 - VI ZR 36/00 -
NJW 2001, 2880, 2881).
3. Vergeblich beruft sich die Revision darauf, ein Bereicherungsanspruch
scheitere an § 814 BGB, wonach das zum Zwecke der Erfüllung einer
Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der
Leistende gewußt hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet war.
Dieser Kondiktionsausschluß greift nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs erst ein, wenn der Leistende nicht nur die
Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, daß er nicht verpflichtet ist,
sondern auch weiß, daß er nach der Rechtslage nichts schuldet (vgl.
nur BGHZ 113,
62, 70; BGH, Urteil vom 7. Mai 1997
- IV ZR 35/96 - NJW 1997, 2381, 2382 m.w.N.). Zweifel daran, daß diese
Voraussetzungen vorliegen, gehen zu Lasten des darlegungs- und
beweispflichtigen Leistungsempfängers (Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., §
814 Rn. 11). Gemessen daran hat das Berufungsgericht zu Recht den Einwand
aus § 814 BGB nicht durchgreifen lassen.
Ob im Rahmen des § 814 BGB dann, wenn - wie hier - ein behandelter
Patient bei der Begleichung einer Arztrechnung seinen Krankenversicherer
einschaltet, (allein) auf das Wissen des Versicherungsnehmers oder (auch)
auf das Wissen des Krankenversicherers abzustellen ist - sei es, weil er
als der Leistende im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB
anzusehen ist, sei es, weil dem Versicherungsnehmer das Wissen des
Versicherers zuzurechnen ist -, kann dahinstehen.
Daß der Versicherungsnehmer der Klägerin selbst wußte, daß die
Wahlleistungsvereinbarung unwirksam ist, ist weder ersichtlich noch
vorgetragen.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, (auch) die Klägerin selbst habe
nicht die erforderliche Kenntnis der Nichtschuld gehabt, ist
rechtsfehlerfrei getroffen worden.
Der Umstand, daß die Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Reihe von
Beanstandungen hinsichtlich einzelner berechneter "GOÄ-Ziffern" erhoben
hat, macht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, deutlich,
daß die Klägerin ihre Einstandspflicht dem Grunde nach nicht in Zweifel
gezogen hat. In diesem Zusammenhang konnte, entgegen der Auffassung der
Revision, das Berufungsgericht offenlassen, ob den Behandlungsunterlagen,
die die Klägerin bei der Beklagten im Rahmen der Prüfung ihrer
Einstandspflicht angefordert hatte, die Wahlleistungsvereinbarung
beigefügt war. Bejahendenfalls bedeutete dies noch nicht, daß der
zuständige Sachbearbeiter der Klägerin die Vereinbarung in Augenschein
genommen, das Fehlen der Unterschrift eines Vertreters des Krankenhauses
bemerkt und hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen hat.
4. Dem Berufungsgericht ist weiter darin zuzustimmen, daß auch im übrigen
die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs durch die Klägerin nicht
treuwidrig ist. Vergeblich macht die Revision geltend, der Beklagte habe
aufgrund des mit der Klägerin geführten Schriftwechsels darauf vertrauen
dürfen, daß "die Angelegenheit abschließend geregelt" sei. Ein
dahingehendes Vertrauen konnte allenfalls bezüglich der Rechnungshöhe
entstanden sein mit der Folge, daß die Klägerin möglicherweise eine
Rückzahlung nicht mehr mit der Begründung verlangen könnte, sie habe
einzelne Gebührenpositionen zu Unrecht als "GOÄ-mäßig" erachtet und
bezahlt. Ein schützenswertes Vertrauen des Beklagten darauf, er könne die
empfangenen Zahlungen auch für den Fall behalten, daß im nachhinein die
Unwirksamkeit der Wahlleistungsvereinbarung entdeckt wird, ist nicht
anzuerkennen. |