Wissenszurechung von Verhandlungsgehilfen und (gescheitertes) Scheingeschäft

BGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - IX ZR 330/99 - OLG Oldenburg, LG Oldenburg


Fundstelle:

NJW 2001, 1062


Zentrale Probleme:

s. Anm. zu BGH NJW 2000, 3127 und BGH NJW 2000, 951


Amtl. Leitsatz:

Zur entsprechenden Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB bei beurkundungsbedürftigen Verträgen.


Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer notariellen Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Beklagte beurkundete einen Vertrag, mit dem der Kläger von M. T. für 300.000 DM ein Grundstück mit einem vom Verkäufer zu errichtenden Wohnhaus kaufte. Ohne Wissen des Verkäufers vereinbarte der Kläger mit der Mutter des Verkäufers, G. T., die als dessen Verhandlungsführerin den Vertragsschluß vorbereitete, an diese weitere 30.000 DM zu zahlen. Der Grundstückserwerb scheiterte, weil der Verkäufer sich erfolgreich darauf berief, der Beklagte habe die Baubeschreibung bei der Beurkundung nicht verlesen.

Der Kläger hat seinen auf 87.055,47 DM bezifferten Schaden klageweise geltend gemacht. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen:

I. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist die Revision zulässig ... (wird ausgeführt)

Das Berufungsgericht hat sein Urteil auf drei Erwägungen gestützt. Es hat ausgeführt, auch bei ordnungsgemäßer Beurkundung wäre der Vertrag nicht wirksam gewesen, weil er ein Scheingeschäft im Sinne von § 117 BGB gewesen sei. Die beurkundete Erklärung, der Kaufpreis betrage 300.000 DM, habe nicht dem wahren Willen der Vertragschließenden entsprochen. Dem Kläger sei bei der Beurkundung klar gewesen, daß er weitere 30.000 DM zahlen müsse, weil anderenfalls die bei der Beurkundung anwesende Mutter des Verkäufers den Vertragsschluß verhindert hätte. Das gleiche Wissen habe auch die Verkäuferseite gehabt, weil M. T. sich das Wissen seiner Mutter in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB habe zurechnen lassen müssen.

Zum zweiten, so das Berufungsgericht weiter, wäre der Kaufvertrag, wenn es sich nicht um ein Scheingeschäft gehandelt hätte, nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig gewesen, weil ihm eine Schmiergeldabrede zwischen dem Kläger und der Mutter des Verkäufers zugrunde gelegen habe.

Zum dritten könne der Kläger von dem Beklagten auch deshalb keinen Schadensersatz verlangen, weil das treuwidrig wäre. Denn der Kläger habe vorsätzlich rechtswidrig gehandelt, indem er bewußt auf die Beurkundung eines zu niedrigen Kaufpreises angetragen habe. Demgegenüber treffe den Beklagten nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf.

Auf die beiden ersten Erwägungen ist die Revision ausdrücklich eingegangen (s.u. II 1 und 3), nicht aber auf die dritte. Das schadet nichts, weil diese Erwägung nicht unabhängig von der ersten und zweiten Erwägung ist, der Kaufvertrag sei ein Scheingeschäft oder es habe eine Schmiergeldabrede zugrunde gelegen. Greifen die dagegen geführten Angriffe der Revision durch, entfällt auch der Vorwurf, der Kläger habe bewußt auf die Beurkundung eines zu niedrigen Kaufpreises angetragen.

II. Die Revision hat auch in der Sache Erfolg.

Die Ursächlichkeit der vom Berufungsgericht angenommenen Amtspflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden kann mit keiner der vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen verneint werden.

1. Der vom Beklagten beurkundete Kaufvertrag war kein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB.

Davon hätte nur ausgegangen werden können, wenn die Zahlung der 30.000 DM an die Mutter des Verkäufers nach dem Willen der Vertragschließenden als Teil der von dem Kläger zu erbringenden Gegenleistung für die Überlassung des Grundstücks anzusehen gewesen wäre. Falls das Berufungsurteil entsprechende Feststellungen enthalten sollte - eindeutig ist dies nicht -, wären diese von der Revision erfolgreich angegriffen.

Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt (§ 286 ZPO), daß der Verkäufer von der zwischen seiner Mutter und dem Kläger getroffenen Abrede nichts wußte. Dann kann jedenfalls er (zum Käufer siehe unten 2.) nicht den Willen gehabt haben, daß die Sonderzahlung von 30.000 DM ein Teil der vom Kläger zu erbringenden Gegenleistung für die Überlassung des Grundstücks sein sollte.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts muß sich der Verkäufer den Geschäftswillen seiner Mutter auch nicht entsprechend dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Zwar wendet die Rechtsprechung diese Vorschrift entsprechend in Fällen an, in denen jemand einen anderen mit der eigenverantwortlichen Erledigung bestimmter Angelegenheiten betraut und dieser nicht als Vertreter, aber doch einem Geschäftspartner gegenüber für den Geschäftsherrn handelnd - z.B. als Verhandlungsbevollmächtigter - auftritt (BGHZ 55, 307, 311; 83, 293, 296; BGH, Urteil vom 21. Februar 1986 - V ZR 126/84, NJW-RR 1986, 1019, 1020). Indessen sind der Zurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB Grenzen gesetzt. Sie kommt bei beurkundungsbedürftigen Verträgen deshalb nicht in Betracht, weil der Wille zum Abschluß eines Scheingeschäfts bei den Vertragsparteien vorhanden sein muß. Nur aus diesem Willen ergibt sich wertungsmäßig die vom Gesetz festgelegte Nichtigkeitsfolge. Eine Erklärung, welche die Vertragsparteien nicht übereinstimmend wollen, kann keine rechtsgeschäftlichen Folgen haben. Deshalb läßt sich bei Verträgen nach § 313 BGB die notwendige Willensübereinstimmung nicht über eine Wissenszurechnung ersetzen (BGH, Urteil vom 26. Mai 2000 - V ZR 399/99, NJW 2000, 3127).

2. Auch die Vorschrift des § 118 BGB - auf die das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht eingegangen ist - trägt das Berufungsurteil nicht.

a) Zwar ist nach dieser Vorschrift ein mißlungenes Scheingeschäft nichtig, auch wenn hierüber eine notarielle Urkunde errichtet wurde (BGH, Urteil vom 26. Mai 2000 - V ZR 399/99, aaO). Von einem mißlungenen Scheingeschäft kann aber nicht ausgegangen werden. Ein solches setzt voraus, daß eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden. Das wäre hier anzunehmen, wenn der Kläger beim Vertragsschluß die Vorstellung gehabt hätte, in Wahrheit 330.000 DM für das Grundstück zu bezahlen, das entspreche auch dem Willen des Verkäufers und dieser sei sich darüber im klaren, daß der notarielle Vertrag nicht den vollständigen Kaufpreis ausweise.

b) Dazu hat das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es hat festgestellt, dem Kläger sei bei der notariellen Beurkundung klar gewesen, daß er weitere 30.000 DM, insgesamt also 330.000 DM, zahlen müsse, weil G. T. es sonst nicht zum Vertragsschluß werde kommen lassen. Die Zahlungsvereinbarung mit G. T. habe mit dem Kaufvertrag "stehen und fallen" sollen. Sie sei - anders als bei einer gewöhnlichen Maklervergütung - die Voraussetzung dafür gewesen, daß der Kläger das Grundstück habe kaufen können. Anderenfalls hätte G. T. ihren Einfluß auf ihren Sohn geltend gemacht, damit dieser nicht an den Kläger verkaufte, bzw. ihn gar nicht erst mit dem Kläger zusammengeführt. Weshalb sich das von einer "gewöhnlichen Maklervergütung" unterscheide, hat das Berufungsgericht nicht gesagt.

c) Der Kläger hat - unter Beweisantritt - vorgetragen, zwischen ihm und G. T. sei abgesprochen worden, daß diese für die erfolgreiche Vermittlung des Kaufvertrages eine Provision von 30.000 DM erhalten solle. Danach hat der Kläger nicht den Willen gehabt, den Kaufvertrag und die Vereinbarung über die Provisionszahlung zu einer rechtlichen Einheit zu verknüpfen. Nur bei einer solchen Einheit hätte auch die zuletzt genannte Vereinbarung dem Formzwang gemäß § 313 BGB unterlegen (vgl. RGZ 145, 246, 248; BGHZ 101, 393, 396 f.; BGH, Urteil vom 16. September 1988 - V ZR 77/87, NJW-RR 1989, 198, 199). Die Verpflichtung zur Zahlung der 30.000 DM wäre durch das Zustandekommen des Kaufvertrages bedingt gewesen; umgekehrt wäre das Zustandekommen des Kaufvertrages nicht von der Zahlung der 30.000 DM rechtlich abhängig gewesen. Bei einer derartigen einseitigen Abhängigkeit wird die als solche nicht beurkundungsbedürftige Vereinbarung über die Provisionszahlung nicht vom Formzwang des Grundstücksgeschäfts erfaßt (BGH, Urteil vom 26. November 1999 - V ZR 251/98, NJW 2000, 951 f.).

3. Die erste Hilfserwägung des Berufungsgerichts - falls das Verhalten der Verhandlungsbevollmächtigten dem Verkäufer nicht zuzurechnen sei, habe der Kläger mit ihr zum Schaden des Verkäufers eine Schmiergeldabrede getroffen, deren Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB auch das Hauptgeschäft erfasse - trägt das Berufungsurteil ebensowenig.

Mit Recht rügt die Revision insoweit das vom Berufungsgericht eingeschlagene Verfahren (§ 278 Abs. 3 ZPO). Sie macht geltend, die Parteien hätten die Frage der Sittenwidrigkeit der Provisionsvereinbarung in dem Rechtsstreit zu keinem Zeitpunkt erörtert. Gegenteiliges läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Wurde dieser Punkt von den Parteien aber nicht behandelt, hätte das Berufungsgericht dem Kläger Gelegenheit geben müssen, zum Vorliegen einer Schmiergeldvereinbarung Stellung zu nehmen, ehe es sein Urteil darauf stützte.

Dazu macht die Revision weiter geltend, im Falle eines gerichtlichen Hinweises hätte der Kläger vorgetragen, G. T. habe die Vermittlungsprovision mit der Begründung verlangt, sie habe mit dem Objekt viel Arbeit gehabt und müsse auch dem Makler etwas abgeben. Der Kläger sei nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Mutter den Sohn hintergehen könnte, und habe darauf vertraut, daß dieser mit der Honorierung der von der Mutter entfalteten Verkaufsbemühungen einverstanden sei.

Auf der Grundlage dieses Vorbringens, von dem für die Revisionsinstanz auszugehen ist, liegt keine sittenwidrige Schmiergeldabrede vor. Eine Provisionszusage ist unter diesem Gesichtspunkt nur dann nichtig, wenn der Versprechende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der Sachwalter diese Vereinbarung seinem Auftraggeber verschweigen will (BGHZ 78, 263, 268; 114, 87, 91, 92; BGH, Urteil vom 5. Dezember 1990 - IV ZR 187/89, WM 1991, 645, 646).

4. Die zweite Hilfserwägung des Berufungsgerichts - der selbst vorsätzlich rechtswidrig handelnde Kläger verhalte sich treuwidrig, wenn er den nur fahrlässig handelnden Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch nehme - ist hinfällig, weil nach den Ausführungen oben zu 1. und 3. nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Kläger "bewußt auf eine zu niedrige Kaufpreisbeurkundung antrug".

III. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).

Die Revisionserwiderung macht geltend, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei nicht rechtskräftig festgestellt, daß der Kaufvertrag unwirksam beurkundet worden sei. Falls die Revisionserwiderung damit die Pflichtverletzung des Beklagten in Frage stellen will, kann ihr nicht gefolgt werden.

In dem Verfahren 9 O 3741/96 vor dem Landgericht Oldenburg nahm der Kläger den Verkäufer auf Erfüllung des Kaufvertrages in Anspruch. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen, weil der Vertrag nicht wirksam beurkundet worden sei. Da dem Beklagten in jenem Verfahren der Streit verkündet war, kann er mit der Behauptung, es habe doch eine wirksame Beurkundung vorgelegen, jetzt nicht mehr gehört werden (§ 74 Abs. 3 ZPO).

IV. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zunächst wird das Berufungsgericht festzustellen haben, ob der Betrag in Höhe von 30.000 DM von dem Kläger als Teil des Kaufpreises oder als Provision für G. T. gedacht war und ob im erstgenannten Fall die weiteren Voraussetzungen des § 118 BGB vorliegen. Auch zu einer Schmiergeldabrede stehen Feststellungen aus. Falls das Berufungsgericht danach eine Haftung des Beklagten grundsätzlich bejahen sollte, wird es sich mit dessen Einwänden befassen müssen, der Kläger habe eine anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO) und er habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Schließlich wird das Berufungsgericht auch der vom Beklagten bestrittenen Höhe des Schadens nachgehen müssen.