Haftung für das Fehlen zugesicherter Eigenschaften: Maßgeblicher Zeitpunkt


BGH, Urt. v. 20. 10. 2000 - V ZR 207/99 (München)
Fundstelle:

NJW 2001, 66
JuS 2001, 294 (Emmerich)


Amtl. Leitsatz:

Fehlt der gekauften Sache bei Gefahrübergang eine zugesicherte Eigenschaft, entfällt der Anspruch des Käufers auf Minderung nicht dadurch, dass der Sache bis zum Vollzug der Minderung die zugesicherte Eigenschaft zuwächst.


Zentrale Probleme:

Die Entscheidung befaßt sich mit der in Rechtsprechung und Literatur bis heute umstrittenen Frage, auf welchen Zeitpunkt es für Gewährleistungsansprüche des Käufers bei Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft ankommt, wenn der Kaufsache die zugesicherte Eigenschaft beim Gefahrenübergang fehlt, ihr aber vor Vollzug der Gewährleistungsrechte nachträglich zuwächst. 
Der BGH stellt zunächst klar, daß die Haftung wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft vom vereinbarten Gewährleistungsausschluß nicht berührt wird. Da, wie der BGH weiter feststellt, bei einem berechtigten Minderungsverlangen auch die Zahlung des geminderten Kaufpreises den vereinbarten Besitzübergang und damit Gefahrenübergang i.S.v. § 446 Abs. 1 BGB bewirkt, fehlte somit zum nach § 459 Abs. 2 BGB maßgeblichen Zeitpunkt eine zugesicherte Eigenschaft. Damit kam es vorliegend darauf an, ob die Tatsache, daß das Grundstück nach Gefahrenübergang die zugesicherte Eigenschaft durch Erlaß des Bebauungsplans erlangte, an dem bereits bestehenden Minderungsanspruch des Beklagten etwas zu ändern vermochte. Der BGH hatte sich mit dieser Frage bisher in einem Fall eigenmächtiger Nachbesserung befaßt und sie - vorbehaltlich einer etwaigen konkludenten nachträglichen Vereinbarung eines Nachbesserungsrechts - verneint (BGH NJW 1996, 2647; 1998, 677). Nach der vorliegenden Entscheidung soll das jedenfalls auch dann gelten, wenn der Mangel weggefallen ist, ohne daß eine der Kaufvertragsparteien dazu beigetragen hat. Hierfür spreche neben dem Wortlaut von § 459 BGB die Tatsache, daß es dem Verkäufer nicht zugute kommen soll, wenn er sein Einverständnis zur Vollziehung der Wandlung oder Minderung hinauszögert, obwohl der Käufer wegen des Mangels oder des Fehlens der zugesicherten Eigenschaft berechtigt Wandlung oder Minderung verlangt. Weiter könne der Käufer andernfalls kein Deckungsgeschäft tätigen: Er liefe sonst Gefahr, bei einem Wegfall des Mangels bis zum Vollzug der Wandlung oder Minderung trotz des Fehlers der Kaufsache das Deckungsgeschäft auf eigenes Risiko zu schließen.
Praktisch wichtig ist zunächst die in der Entscheidung nicht weiter begründete Frage des Verhältnisses von Gewährleistungsausschluß und Zusicherung. Das Gesetz regelt in § 476 BGB lediglich die Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses im Falle des § 463 S. 2 BGB (arglistiges Verschweigens eines Mangels), nicht aber für den Fall des § 463 S. 1 BGB (Eigenschaftszusicherung). Hier ergibt sich der Vorrang der Eigenschaftszusicherung bereits aus ihr selbst heraus, d.h. aus dem darin zum Ausdruck kommenden Willen, verschuldensunabhängig für alle Folgen des Fehlens der Eigenschaft einstehen zu wollen. Das Vorliegen eines Gewährleistungsausschlusses ist daher kein Widerspruch zur Annahme einer Eigenschaftszusicherung, führt aber u.U. zu stärkeren Anforderungen an die Feststellung des Garantiewillens (s. dazu BGH NJW 1999, 3481; bei einem Gewährleistungsausschluß durch AGB ergibt sich die Haftung für eine Zusicherung aus § 4 AGBG bzw. § 11 Nr. 11 AGBG). Hinsichtlich des für die Gewährleistungsrechte maßgeblichen Zeitpunkts ist neben der Erwägungen des BGH in der vorliegenden Entscheidung noch auf § 242 BGB hinzuweisen: In - allerdings engen - Ausnahmefällen, kann die Berufung auf einen weggefallenen Sachmangel treuwidrig sein (vgl. BGHZ 90, 198, 204: Monatelange Nutzung ohne, daß der Sachmangel bemerkt wurde und Nachteile verursacht hat).
Rechtspolitisch steht die für das geltende Recht zweifellos richtige Lösung unter einem großen Fragezeichen. Der Sachverhalt ist nachgerade ein Plädoyer für die Einführung des lange geforderten Nachbesserungsrechts des Verkäufers. Ein solches sieht die bis zum 1.1.2002 umzusetzende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie der EG, aber auch der Entwurf zu einem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Bereich des Kaufrechts als primären Rechtsbehelf des Käufers vor. Erst bei Nichtvornahme bzw. Fehlschlagen der Nachbesserung kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis (durch einseitiges Rechtsgeschäft) mindern (s. §§ 437 - 439 des Diskussionsentwurfs zu einem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz). Das Hauptproblem der vorliegenden Entscheidung wird sich also - hoffentlich - in naher Zukunft nicht mehr stellen.

Zum -ähnlichen - Problem des maßgeblichen Zeitpunkts im Falle einer Täuschungsanfechtung s. jüngst BGH NJW 2000, 2894


Zum Sachverhalt: 

Die Parteien streiten um die Minderung des Kaufpreises für ein Grundstück. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. 7. 1993 verkaufte die Kl. der Bekl. eine Teilfläche von 4250 qm ihres Grundstücks Flurstück Nr. 187 in W.-S. (im Folgenden: Kaufgrundstück) zur Errichtung eines SB-Markts. Die Gewährleistung für Mängel wurde im Vertrag ausgeschlossen. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 637500 DM (150 DM/qm). Die Kaufpreisfälligkeit war unter anderem von der Eintragung einer Vormerkung zu Gunsten der Bekl. und der für die Teilung des Grundstücks notwendigen Genehmigung abhängig. Der Besitz sollte mit der Zahlung des Kaufpreises auf die Bekl. übergehen. Die Kl. versicherte im Vertrag, das Kaufgrundstück sei in dem von der Gemeinde beschlossenen Flächennutzungsplan als Mischgebiet ausgewiesen. Tatsächlich war das Kaufgrundstück im Flächennutzungsplan als Wohngebiet ausgewiesen. Die Gemeinde versagte ihr Einverständnis zur Teilung. Mit Bescheid vom 28. 2. 1994 lehnte der zuständige Landkreis die beantragte Genehmigung ab. Diesen Bescheid focht die Kl. an. Durch Vertrag vom 30. 3. 1994 verkaufte sie die Restfläche ihres Grundstücks für 80 DM/qm an die Gemeinde. Daraufhin erklärte der Landkreis, dass es der zur Teilung des Grundstücks notwendigen Genehmigung nicht mehr bedürfe, und erteilte einen Negativbescheid. Im Juli 1994 stellte die Gemeinde einen Bebauungsplan auf, nach welchem das Kaufgrundstück in einem Mischgebiet liegt, beschloss im Juli 1996 jedoch, dass der SB-Markt auf dem Flurstück 195 zu errichten sei, das sich im Eigentum der Gemeinde befand. Hierauf forderte die Kl. die Bekl. auf, entweder der Löschung der zwischenzeitlich eingetragenen Vormerkung zuzustimmen oder den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Die Bekl. hielt am Vertrag fest und überwies der Kl. 382 500 DM mit dem Vermerk "Quadratmeter 90 DM". Die Kl. widersprach der Minderung. Im Dezember 1996 vertauschte die Bekl. das Kaufgrundstück der Gemeinde gegen das Grundstück Flurstück 195, um auf diesem den Markt zu errichten. Im August 1997 trat der 1994 von der Gemeinde beschlossene Bebauungsplan in Kraft. Mit der Klage verlangt die Kl. die Bezahlung der Differenz zwischen dem für das Kaufgrundstück vereinbarten Preis und dem von der Bekl. auf diesen gezahlten Betrag.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufüng der Kl. ist ohne Erfolg geblieben. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: 

I. Das BerGer. bejaht einen Anspruch der Bekl. auf Minderung des für das Kaufgrundstück vereinbarten Preises.
Es führt aus, die Versicherung im Kaufvertrag, das Grundstück sei im Flächennutzungsplan als Mischgebiet ausgewiesen, bedeute die Zusicherung einer Eigenschaft, an der es bei Gefahrübergang gefehlt habe. Die Gefahr sei mit der Zahlung des Betrags von 382 500 DM übergegangen. Auf diesen Betrag sei der vereinbarte Kaufpreis nach dem berechtigten Minderungsverlangen der Bekl. zurückzuführen. Dass mit dem späteren Inkrafttreten des Bebauungsplans dem Kaufgrundstück die zugesicherte Eigenschaft, in einem als Mischgebiet ausgewiesenen Baugebiet belegen zu sein, zugewachsen sei, lasse den Minderungsanspruch der Bekl. unberührt.

II. Die Revision der Kl. ist nicht begründet.
1. Die Auslegung der Versicherung der Kl. im Kaufvertrag durch das BerGer., das Grundstück sei im Flächennutzungsplan als Mischgebiet ausgewiesen, als Zusicherung einer Eigenschaft i. S. von § 459 II BGB, die von dem vereinbarten Gewährleistungsausschluss nicht berührt wird, stellt die Revision nicht in Frage. Ebenso wenig wendet sie sich gegen die weitere Auslegung des Vertrags durch das BerGer., dass die Gefahr auch dann übergehe, wenn die Zahlung auf den Kaufpreis zwar hinter dem vereinbarten Betrag zurückbleibe, der Zahlungsbetrag jedoch einem berechtigten Minderungsverlangen entspreche. Die Höhe des wegen dieses Verlangens von der Bekl. zu zahlenden Preises zieht die Revision ebenfalls nicht in Zweifel. Revisionsrechtlich beachtliche Fehler liegen auch nicht vor.
2. Die Revision wendet sich gegen die Meinung des BerGer., der Anspruch der Bekl. auf Minderung des Kaufpreises sei nicht dadurch entfallen, dass dem Kaufgrundstück bis zum Vollzug der Minderung die zugesicherte Eigenschaft zugewachsen sei. Damit kann sie nicht durchdringen. Seit In-Kraft-Treten des Bebauungsplans, in dem das Kaufgrundstück als Mischgebiet ausgewiesen ist, hat die Frage seiner Ausweisung im Flächennutzungsplan für die Bekl. an Bedeutung verloren. Planungsrechtlich ist die Situation des Grundstücks seither besser, als die Kl. zugesichert hat. Entscheidend für die Frage, ob die Bekl. von der Kl. das Einverständnis zur Minderung des Kaufpreises verlangen kann, ist jedoch nicht der Zeitpunkt des Vollzugs der Minderung, im vorliegenden Fall der Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über die Klage (vgl. BGH, NJW 1990, 2680 [2681] = LM § 465 BGB Nr. 8 m. w. Nachw., und BGH NJW 1996, 2647 [2648] = LM H. 10/1996 § 462 BGB Nr. 8), sondern der Zeitpunkt des Übergangs der Gefahr.
Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Meinung vertreten, der die Minderung rechtfertigende Mangel müsse noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegen, auf die das Urteil ergeht, in welchem über das Minderungsverlangen entschieden wird (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 265, und NJW-RR 1998, 1587 [1588]; Palandt/Putzo, BGB, 59. Aufl., § 462 Rdnr. 9). Das BerGer. und die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sind jedoch der Auffassung, maßgebend sei nach den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften lediglich, dass der Kaufgegenstand im Zeitpunkt des Gefahrübergangs einen Mangel aufweise (RGZ 55, 201 [206]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1999, 279 [280]; Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., § 459 Rdnr. 31; Jauernig/Vollkommer, BGB, 9. Aufl., § 462 Rdnr. 7; Westermann, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 459 Rdnr. 31; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 459 Rdnr. 90; Reinicke/Tiedtke, KaufR, 6. Aufl., Rdnr. 282; Vollkommer/Teske, JZ 1984, 844 [845]; Peters, JR 1997, 102 [103]). Der BGH hat die Frage bisher offen gelassen (BGHZ 90, 198
[204] = NJW 1984, 2287 = LM § 242 [Cd] BGB Nr. 257; BGH NJW 1996, 2647 [2648] = LM H. 10/1996 § 462 BGB
Nr. 8).
Zumindest für die vorliegende Fallkonstellation, in welcher der Mangel weggefallen ist, ohne dass eine der Kaufvertragsparteien dazu beigetragen hat, ist der letztgenannten Auffassung zu folgen. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut von § 459 BGB. Sowohl nach Absatz 1 als auch nach Absatz 2 der Vorschrift hat der Verkäufer Gewähr dafür zu leisten, dass die Sache im Zeitpunkt des Gefahr-übergangs mangelfrei ist bzw. die zugesicherte Eigenschaft hat und nicht erst bis zum Vollzug der Wandlung oder Minderung fehlerfrei wird. Weiterhin kann es dem Verkäufer nicht zugute kommen, dass er sein Einverständnis zur Vollziehung der Wandlung oder Minderung hinauszögert, obwohl der Käufer wegen des Mangels oder‘ des Fehlens der zugesicherten Eigenschaft berechtigt Wandlung oder Minderung verlangt (Soergel/Huber, § 459 Rdnr. 90). Die gegenteilige Auffassung schränkt zudem den Käufer bis zum Vollzug der Wandlung oder Minderung in seiner Dispositionsbefugnis ein. Tätigt der Käufer vor dem Vollzug der Wandlung oder Minderung ein Deckungsgeschäft, wie es wirtschaftlich im vorliegenden Fall durch den Tausch zwischen der Bekl. und der Gemeinde geschehen ist, liefe der Käufer bei einem Wegfall des Mangels bis zum Vollzug der Wandlung oder Minderung Gefahr, trotz des Fehlers der Kaufsache das Deckungsgeschäft auf eigenes Risiko zu schließen (Reinicke/Tiedtke, § 459 Rdnr. 282; Vollkommer/ Teske, JZ 1984, 844 [845]).
3. Die Revision hat auch insoweit keinen Erfolg, als sie geltend macht, das Minderungsverlangen der Bekl. bedeute einen Verstoß gegen Treu und Glauben und sei als unzulässige Rechtsausübung zurückzuweisen (§ 242 BGB). Eine solche Ausnahme kommt nach der Rechtsprechung in Betracht, wenn der Mangel der Kaufsache für den Käufer tatsächlich keine nachteiligen Auswirkungen hat und er die Sache zunächst in Betrieb genommen sowie einige Zeit genutzt hat
(BGHZ 90, 198 [204] = NJW 1984, 2287 = LM 242 [Cd] BGB Nr. 257; BGH, NJW 1984, 1525 [15261 = LM § 477 BGB Nr. 40).
So liegt der Fall hier nicht. Auf Grund der Ausweisung des Grundstücks im Flächennutzungsplan als Wohngebiet war die Bekl. bis zum In-Kraft-Treten des, wenn auch schon in Rede stehenden, Bebauungsplans an der vertraglich vorgesehenen Nutzung des Grundstücks gehindert. Für die Bekl. war nicht nur der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Bebauungsplans unsicher, sondern auch, ob angesichts der im Flächennutzungsplan vorgesehenen andersartigen Nutzung der Bebauungsplan überhaupt rechtswirksam werden würde. Denn ein Bebauungsplan, der nicht aus einem entsprechenden Flächennutzungsplan entwickelt ist, kann ungültig sein, sofern durch ihn die aus dem Flächennutzungsplan folgende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt wird (BVerwGE 48, 70 [72]; Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, 7. Aufl., § 8 Rdnr. 6). Angesichts dessen entsprach das Minderungsverlangen der Bekl. jedenfalls nach der Aufforderung der Kl., sich zwischen der Löschung der Auflassungsvormerkung und der Zahlung des Kaufpreises zu entscheiden, einer sachgerechten Interessenwahrnehmung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem zwischen der Gemeinde und der Bekl. vorgenommenen Grundstückstausch. Dieser diente letztlich nur dazu, den Markt auf einem Grundstück errichten zu können, das planungsrechtlich die Qualität hatte, die von der Kl. für das Kaufgrundstück zugesichert war.