Internationales Gesellschaftsrecht:
Gründungstheorie vs. Sitztheorie bei Sitzverlegung innerhalb der EG
(Fortsetzung des Verfahrens "Überseering") BGH, Urteil vom 13. März 2003 - VII ZR 370/98 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf Fundstelle: NJW 2003, 1461 Amtl. Leitsatz: Eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, ist berechtigt, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedsstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer eventuellen Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedsstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist. Tatbestand: Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen behaupteter Mängel von Malerarbeiten geltend. Entscheidungsgründe: Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht rechts- und damit auch nicht parteifähig. Für die Frage der Rechtsfähigkeit einer juristischen Person sei deren Personalstatut entscheidend. Das Personalstatut knüpfe nach deutschem internationalen Privatrecht an den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung an. Das gelte auch in den Fällen, in denen eine nach dem Recht des Gründungsstaates gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlege. Diese Anknüpfungsregel (Sitztheorie) werde durch die im EG-Vertrag geregelte Niederlassungsfreiheit nicht verdrängt. II. Der Senat hat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 234 Abs. 1a, Abs. 3 EG eingeholt. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 5. November 2002 - Rs. C-208/00 (Überseering) (NJW 2002, 3614 = NZG 2002, 1164 = EuZW 2002, 754) die vorgelegten Fragen wie folgt beschieden: 1. Es verstößt gegen die Artikel 43 EG und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsgemäßen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates angenommen wird, daß sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird. 2. Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat nach den Artikeln 43 EG und 48 EG verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt. III. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist als niederländische Gesellschaft (BV) fähig, die durch den Generalübernehmervertrag mit der Beklagten erworbenen Rechte vor den deutschen Gerichten geltend zu machen. 1. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht beurteilt sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes. Das gilt auch dann, wenn eine Gesellschaft in einem anderen Staat wirksam gegründet worden ist und anschließend ihren Verwaltungssitz in die Bundesrepublik Deutschland verlegt. Daraus hat das Berufungsgericht konsequent abgeleitet, daß eine wirksam gegründete und nach niederländischem Recht fortbestehende BV nach Verlegung ihres Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland ihre vertraglichen Rechte vor deutschen Gerichten nicht durchsetzen kann, solange sie sich nicht nach den Regeln des deutschen Gesellschaftsrechts neu gegründet hat (vgl. Beschluß des Senats vom 30. März 2000 - , m.w.N., EuZW 2000, 412 = IPRax 2000, 423 = NZG 2000, 926 = BauR 2000, 1222 = ZfBR 2000, 404). 2. Dieses Ergebnis ist mit der in Art. 43 und 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß das Erfordernis, die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland neu zu gründen, der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich kommt (EuGH, aaO, Tz. 81). Es stellt eine mit den Art. 43 und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u.a. deshalb weigert, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im Anschluß an den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, daß die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig ist, ihre Ansprüche aus einem Vertrag geltend zu machen, es sei denn, daß sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu gründet (EuGH, aaO, Tz.82). 3. Diese Auslegung der Art. 43 und 48 EG ist für den Senat bindend. Sie verpflichtet zu einer Rechtsanwendung, die nicht zu der beanstandeten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt (Forsthoff, DB 2002, 2471, 2474). a) Diese Rechtsanwendung läßt sich nicht damit erreichen, daß die Klägerin nach deutschem Recht nach Verlegung des Verwaltungssitzes jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit als solche vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2000 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539). Denn die Klägerin hat nicht als Personengesellschaft ihre Rechte geltend gemacht und geklagt, sondern als niederländische BV. Sie hat damit von ihrer durch den EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht. Das zwingt dazu, die Rechtsfähigkeit der Klägerin als niederländische BV zu achten (EuGH, aaO, Tz. 80, 95). Sie kann nicht auf ihre Möglichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, wie z.B. Haftungsrisiken, gedrängt wird. Eine derartige Verweisung würde sich ebenfalls als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen, wie der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes unmißverständlich entnommen werden kann (vgl. Forsthoff, DB 2002, 2471, 2476; Leible/Hofmann, RIW 2002, 925, 929; Zimmer, BB 2003, 1, 5; Lutter, BB 2003, 7, 9; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2238; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142; Großerichter, DStR 2003, 1, 15; Wernicke, EuZW 2002, 758, 761; Buck, WuB II N. § 14 BGB 1.03). b) Die Klägerin muß in die Lage versetzt werden, nach einer Verlegung ihres Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland ihre vertraglichen Rechte als niederländische BV geltend machen zu können. Das erfordert es, die Klägerin nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit dem Recht des Staates zu unterstellen, in dem sie gegründet worden ist. Eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, ist berechtigt, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist. c) Die Parteifähigkeit der Klägerin beurteilt sich nach der lex fori, also nach deutschem Prozeßrecht. Gemäß § 50 Abs. 1 ZPO ist eine Gesellschaft parteifähig, wenn sie rechtsfähig ist. Auch insoweit ist das dargestellte Personalstatut maßgebend. 4. Im Rechtsstreit steht nicht in Zweifel, daß die Klägerin nach niederländischem Recht wirksam gegründet ist, ihren satzungsmäßigen Sitz in den Niederlanden hat und dort rechtsfähig ist. Sie ist deshalb auch befugt, ihre vertraglichen Rechte in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen. IV. Das Urteil ist demnach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zum Anspruch fehlen im angefochtenen Urteil jegliche Feststellungen. |