Parteifähigkeit einer nach
ausländischem Recht gegründeten juristischen Person nach Sitzverlegung ins
Inland; Sitz- und Gründungstheorie, Rechts- und Parteifähigkeit der
BGB-Gesellschaft
BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - 380/00 - OLG
München - LG München I
Amtl. Leitsatz:
Verlegt eine ausländische Gesellschaft, die entsprechend ihrem Statut nach
dem Recht des Gründungsstaates als rechtsfähige Gesellschaft ähnlich einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts zu behandeln wäre,
ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, so ist sie nach deutschem Recht
jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit vor den
deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig.
Fundstelle:
NJW 2002, 3539
Zentrale Probleme:
Zur Sitztheorie s.
EuGH Urteil v.
9.3.1999, Rs. C-212/97 "Centros", Slg. I 1999, 1459 = NJW 1999, 2027.
Zur Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft s. die Anm. zu
BGH NJW 2001, 1056 sowie
BGH v. 25.9.2006 - II ZR 218/05.
Beachte nunmehr aber EuGH, Urt. v.
5.11.2002 Rs. C-208/000 "Überseering", NJW 2002, 3614
sowie BGH NJW
2003, 1461.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaftserklärung vom
17. Juni 1993 in Anspruch. Sie hat vorgetragen, sie sei eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung ("Limited Company") nach dem Recht der Kanalinsel
J., auf der sie am 11. Oktober 1966 ordnungsgemäß gegründet worden sei und
ihren satzungsmäßigen und tatsächlichen Verwaltungssitz habe. Sie sei
daher auch in Deutschland rechts- und parteifähig. Der Beklagte ist der
Ansicht, der Klägerin fehle die Rechts- und Parteifähigkeit, weil sie
ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland habe,
ohne daß sie sich nach dem Recht dieser Staaten neu gegründet und die
Eintragung ins Handelsregister veranlaßt habe.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin
der Nachweis ihrer Parteifähigkeit nicht gelungen sei. Die gegen das
Urteil eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die
Klägerin zugleich auf die Anschlußberufung hin in Abänderung und Ergänzung
des landgerichtlichen Urteils zur Leistung von Prozeßkostensicherheit in
Höhe von 20.000,00 DM für den Beklagten verurteilt. Hiergegen und gegen
die Klageabweisung richtet sich die Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils. Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen. Im übrigen wird die
Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
I. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung in Übereinstimmung
mit dem Landgericht damit, der Klägerin obliege angesichts des Bestreitens
des Beklagten der Beweis dafür, daß sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz
auf J. befinde. Denn die Parteifähigkeit richte sich nach der
Sitztheorie und damit nach dem Personalstatut der Gesellschaft. Den
entsprechenden Beweis habe die Klägerin nicht zu führen vermocht. Dem
Beklagten stehe nach § 110 ZPO ein Anspruch auf Prozeßkostensicherheit
auch für die erste Instanz zu. Beides hält revisionsrechtlicher
Überprüfung nicht stand.
II. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht im Hinblick auf einen
möglichen Verwaltungssitz der Klägerin in Deutschland oder Portugal deren
Parteifähigkeit.
1. Der Klägerin könnte das Recht, ihre Ansprüche vor deutschen Gerichten
geltend zu machen, auch dann nicht versagt werden, wenn sie ihren
tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hätte und nach der hier
überwiegend vertretenen Sitztheorie (BGHZ 53, 181, 183; 78, 318, 334;
97, 269, 271; BGH, Urt. v. 8. Oktober 1991 - XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582;
Beschl. v. 30. März 2000 - VII ZR 370/98, DB 2000, 1114; BFH, BStBl. II
1992, 263, 720; BayObLG, NJW-RR 1993, 43; Staudinger/Großfeld,
Internationales Gesellschaftsrecht, 13. Aufl. Rdn. 24) nicht
entsprechend ihrem Gründungsstatut als Gesellschaft mit beschränkter
Haftung ("Limited Company") nach dem auf der Kanalinsel J. geltenden Recht
zu behandeln wäre. Denn dann wäre sie in Deutschland jedenfalls eine
rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor
deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig. Dies gilt nach der
neueren Rechtsprechung des Senats, die das Berufungsgericht noch nicht
berücksichtigen konnte, auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Urt.
v. 29. Januar 2001 - II ZR 331/00, ZIP 2001, 330
= NJW 2001, 1056
; Beschl. v. 18. Februar 2002 - II ZR 331/00,
ZIP 2002, 614).
a) Eine Behandlung der ausländischen Gesellschaft als Gesellschaft
bürgerlichen Rechts wird in der Literatur schon seit längerem als mögliche
Alternative zur Anwendung der Sitz- oder Gründungstheorie diskutiert (vgl.
Rehbinder, IPrax 1985, 32; Zimmer, BB 2000, 1361, 1363 m.w.N.). Ihr wurde
bisher entgegengehalten, daß sie zu erheblichen Problemen im Prozeß- und
Zwangsvollstreckungsrecht führen würde, etwa weil zur Aufrechnung
gestellte Gegenansprüche sich nicht gegen die Gesellschafter in
gesamthänderischer Verbundenheit richten würden, sondern in aller Regel
gegen die ausländische Gesellschaft als - nach Gründungsrecht -
juristische Person (Rehbinder aaO). Würden nach teilweiser oder gänzlicher
Klageabweisung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die klagende
ausländische Gesellschaft notwendig, entstünde das Problem, daß ein Titel
gegen die Gesellschafter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts existieren
würde, im Zweifel aber in Vermögensgegenstände vollstreckt werden müsse,
die nominell im Eigentum der ausländischen Gesellschaft als juristischer
Person stehen oder in Konten, die auf deren Namen errichtet sind. Eine
Titelumschreibung auf die ausländische Gesellschaft nach § 727 ZPO würde
mangels Rechtsnachfolge schon begrifflich ausscheiden, aber auch deshalb,
weil die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eingetreten sein muß (Zöller-Stöber,
ZPO 21. Aufl. 1999 § 727 Rdn. 19).
b) Diese Einwände sind mit der neuen Rechtsprechung des Senats zur
Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
entfallen. Die ausländische Gesellschaft kann, ohne nach deutschem Recht
juristische Person zu sein, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts klagen,
so daß auch Gegenansprüche und Einreden oder Einwendungen unproblematisch
geltend gemacht werden können und aus einem Titel gegen sie vollstreckt
werden kann, ohne daß sich die Frage einer Umschreibung stellt. Ferner
kann sie wirksam Verträge abschließen und Eigentum erwerben.
Damit entfallen zugleich die Bedenken, daß nach ausländischem Recht
wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach
Deutschland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und
Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende Gründe des
Allgemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang
ihres rechtlichen Besitzstandes und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt
werden könnten, was angesichts der Vielzahl der von solchen Gesellschaften
tatsächlich getätigten Geschäfte, des von ihnen vollzogenen Erwerbs von
Immobilien- und Mobiliareigentums und der auch für sie bestehenden
Notwendigkeit, im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Wahrung ihrer Rechte um
gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen, weder durch die Notwendigkeit
eines wirksamen Gläubigerschutzes noch durch das Gebot der
Rechtssicherheit zur rechtfertigen wäre. Dementsprechend hat sich die
Rechtsprechung auch schon vor den Grundsatzentscheidungen des Senats vom
29. Januar 2001 und 18. Februar 2002 genötigt
gesehen, die passive Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft
anzuerkennen (OLG Nürnberg, IPrax 1985, 342; dazu Rehbinder, IPrax 1985,
324; BGHZ 97, 269, 271). Zu Recht weist die Revision aber auch auf weitere
Widersprüche der Rechtspraxis hin: So werden etwa die Bankbürgschaften,
die die Klägerin zur Abwehr der Vollstreckung und zur Stellung der
Prozeßkostensicherheit beigebracht hat, von den Instanzgerichten wie dem
Beklagten akzeptiert, obwohl die in Deutschland abgeschlossenen
Bürgschaftsverträge bei fehlender Rechtsfähigkeit der Klägerin nach der
Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes eigentlich nichtig wären.
2. Das Berufungsgericht ist dem unter Beweis gestellten Vortrag des
Beklagten, die Klägerin habe ihren Verwaltungssitz in Portugal oder in
Deutschland nicht nachgegangen, sondern hat die Frage offengelassen. Diese
Frage könnte jedoch nur dann offenbleiben, wenn die im Falle ihres Sitzes
in Deutschland rechts- und parteifähige Klägerin dies auch im Falle ihres
Sitzes in Portugal wäre. Insoweit hat das Berufungsgericht indes keinerlei
Feststellungen getroffen. Seiner Entscheidung ist nicht zu entnehmen, um
welche Art von Gesellschaft es sich nach portugiesischem Recht handeln
könnte und welche Konsequenzen hieraus für den vorliegenden Fall gezogen
werden müßten.
III. Mit Erfolg greift die Revision schließlich die Verurteilung zur
Zahlung von Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO an.
Hat die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Portugal oder Deutschland,
scheidet die Anwendbarkeit des § 110 ZPO ohnehin aus.
Aber auch dann, wenn sie als Gesellschaft nach dem Recht der Insel J. zu
behandeln wäre, kann von ihr Prozeßkostensicherheit nach § 110 ZPO nicht
verlangt werden. Richtig ist zwar, daß die frühere Fassung des § 110 ZPO
nur dann gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 (jetzt: Art. 12) EGV
verstieß, wenn eine inländische Prozeßpartei von der Verpflichtung zur
Leistung von Prozeßkostensicherheit frei war und die Klage eine der
Grundfreiheiten berührte (EuGH NJW 1996, 3407; 1998, 2127), so daß
angesichts der eingeschränkten Geltung der Grundfreiheiten für J. nach
Art. 299 Abs. 6 lit. c EGV i.V.m. dem Protokoll Nr. 3 zu der BeitrA 1972
(BGBl. II S. 1338) der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 110 ZPO
möglicherweise J. von der Befreiung für Mitgliedstaaten der Europäischen
Union hätte ausnehmen können. Gerade dies ist jedoch nicht erfolgt, so daß
die Begründung des Berufungsgerichtes, Art. 6 (jetzt Art. 12) EGV gelte im
Verhältnis zu J. nicht, zwar in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH
stehen mag, nicht aber mit dem klaren Wortlaut des § 110 ZPO, der ohne
Einschränkung für den Bereich der Europäischen Union eine
Prozeßkostensicherheit nicht vorsieht und damit weiter reicht als die
Vorgaben, die der EuGH gemacht hat. Da J. als Bestandteil des Vereinigten
Königreiches, wenn auch unter Beachtung seines verfassungsrechtlichen
Sonderstatus zur Europäischen Union gehört, sieht auch die
Kommentarliteratur eine nur teilweise Geltung der Befreiungsvorschrift des
§ 110 ZPO für Großbritannien nicht vor, sondern geht von einer
uneingeschränkten Geltung aus (MünchKomm./Belz, ZPO 2. Aufl. § 110 Rdn. 8;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 60. Aufl. Anh. zu § 110 Rdn. 11;
Schütze, RiW 1999, S. 10).
Die Verurteilung der Klägerin zur Leistung von Prozeßkostensicherheit
erfolgte daher unabhängig davon, wo sie ihren Verwaltungssitz hat, zu
Unrecht.
IV. Soweit die Klägerin auf die Anschlußberufung hin zur Leistung von
Prozeßkostensicherheit verurteilt wurde, konnte der Senat in der Sache
selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Im übrigen war der
Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es
Gelegenheit hat, die oben unter II. 2. erörterten, bisher fehlenden
Feststellungen nachzuholen und sich bei Bejahung der Zulässigkeit der
Klage mit deren Begründetheit - erforderlichenfalls nach weiterem
Sachvortrag der Parteien - auseinanderzusetzen.
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