Verletzung des
Allgemeinen Persönlichkeitsrechts beim Mithören eines Telefonats (Recht am
gesprochenen Wort) Beweisverwertungsverbot im Zivilprozeß
BGH, Urteil vom 18. Februar 2003 - XI ZR
165/02 -
OLG Koblenz - LG Koblenz
Fundstelle:
NJW 2003, 1727
s. auch BGH v. 12.1.2005 - XII
ZR 227/03
(Beweisverwertungsverbot bei DNA-Tests) sowie
BGH v. 1.3.2006 - XII ZR 210/04 (Fernwirkung).
Amtl. Leitsätze:
a) Zu dem von Art. 2 Abs. 1 i.V. mit
Art. 1 Abs. 1 GG - u.a. - geschützten Recht am gesprochenen Wort gehört
auch die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig
dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der
Öffentlichkeit zugänglich sein soll.
b) Der Schutz des Rechts am
gesprochenen Wort hängt weder davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten
Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar um besonders
persönlichkeitssensible Daten handelt, noch kommt es auf die Vereinbarung
einer besonderen Vertraulichkeit des Gesprächs an.
c) Allein das Interesse, sich ein
Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht nicht aus,
um die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der anderen Prozeßpartei zu
rechtfertigen.
d) Stellt die Vernehmung eines
Zeugen über ein von ihm belauschtes Telefonat einen Eingriff in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Gesprächspartners dar, kommt eine
Verwertung der Aussage als Beweismittel im zivilgerichtlichen Verfahren
nicht in Betracht.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf
Rückzahlung von fünf Darlehen über insgesamt 180.000 DM in Anspruch, die
er ihr in den Jahren 1993 bis 1995 ohne Belege gewährt habe, da die
Parteien seinerzeit noch gut befreundet gewesen seien. Er hat - u.a. -
vorgetragen, auf Anraten von Rechtsanwalt Be. habe er am 10. Juni 1996 mit
der Beklagten ein Telefongespräch geführt, in dem sie den Erhalt der
Darlehen bestätigt habe. Dieses Telefongespräch habe sein damaliger
Rechtsanwalt ohne Wissen der Beklagten über eine Mithöreinrichtung
verfolgt. Die Beklagte bestreitet, vom Kläger Geldbeträge erhalten und
darüber Darlehensvereinbarungen getroffen zu haben, und nimmt in Abrede,
mit dem Kläger ein Telefongespräch über die Rückzahlung von Darlehen
geführt zu haben.
Das Landgericht hat die Klage
abgewiesen. Das Berufungsgericht hat gegen den Widerspruch der Beklagten
Rechtsanwalt Be. zu dem behaupteten Telefongespräch vom 10. Juni 1996
vernommen, die Beklagte zur Zahlung von 87.942,20 EUR (= 172.000 DM) nebst
Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der -
zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat - soweit
für die Revision von Interesse - im wesentlichen ausgeführt:
Aufgrund in erster Linie der
Aussagen der Zeugen Be. und Ba. stehe zur Überzeugung des Senats fest, daß
der Kläger der Beklagten Geldbeträge in Höhe von insgesamt 172.000 DM als
Darlehen gewährt habe. Der Zeuge Be. habe das von ihm über eine
Mithöreinrichtung verfolgte Telefongespräch der Parteien vom 10. Juni 1996
bestätigt. Hierin habe der Kläger die Beklagte mit jedem einzelnen der von
ihm gewährten Darlehen konfrontiert; die Beklagte habe daraufhin geäußert,
sie würde dem Kläger alles zurückgeben, wenn sie jemanden hätte, der für
sie bürge.
Gegen die Verwertbarkeit der Aussage
des Zeugen Be. bestünden keine Bedenken. Lasse jemand ein Gespräch unter
vier Augen ohne Wissen seines Gesprächspartners von einem Dritten
belauschen, um sich ein Beweismittel zu verschaffen, so seien die
Zeugenvernehmung des Dritten und die Verwertung seiner Aussage zwar
unzulässig, wenn eine Güterabwägung im Einzelfall ergebe, daß dem
verletzten Persönlichkeitsrecht des Belauschten der Vorrang gegenüber dem
Beweisführungsinteresse des anderen gebühre. Vorliegend ergebe die
Interessenabwägung jedoch einen Vorrang des Beweisführungsinteresses des
Klägers gegenüber der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten. Hier
sei der Kläger darauf angewiesen gewesen, sich einen Beweis für seine
Rückzahlungsansprüche durch Belauschenlassen eines von ihm mit der
Beklagten geführten Telefongesprächs zu verschaffen. Ihm könne nicht
angelastet werden, daß er es versäumt habe, sich die Darlehenshingabe von
der Beklagten quittieren zu lassen, da die Parteien seinerzeit eng
miteinander befreundet gewesen seien. Eine Forderung des Klägers nach
schriftlicher Fixierung der Darlehenshingaben habe von der Beklagten als
Mißtrauensbekundung aufgefaßt werden und zu einer dem Kläger nicht
zumutbaren Beeinträchtigung des Freundschaftsverhältnisses führen können.
Die Beklagte habe dem Kläger auch Anlaß gegeben, sich ein Beweismittel auf
die geschehene Art und Weise zu verschaffen. Sie habe sich auf mündliche
und schriftliche Anfragen des Klägers nicht gemeldet. Er habe deshalb
davon ausgehen müssen, daß die Beklagte ihre
Darlehensrückzahlungsverpflichtung nicht freiwillig einräumen würde.
Da das zur Verschaffung eines
Beweismittels geführte Telefonat auf sachliche Angaben zu den von dem
Kläger behaupteten Darlehensrückzahlungsansprüchen beschränkt geblieben
und die Offenbarung persönlicher, in die Intimsphäre der Beklagten
hineinreichender Umstände weder beabsichtigt gewesen noch erfolgt sei,
komme der durch das Telefonat verursachten Persönlichkeitsrechtsverletzung
der Beklagten im Vergleich zu dem Beweisführungsinteresse des Klägers kein
größeres Gewicht zu.
II. Diese Beurteilung hält der
rechtlichen Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichtes, das die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes weitgehend
unberücksichtigt läßt, verletzen die Vernehmung des Zeugen Be. zum Inhalt
des angeblichen Telefongesprächs der Parteien am 10. Juni 1996 sowie die
Verwertung seiner Aussage die Beklagte in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG.
1. Das von Art. 2 Abs. 1 i.V. mit
Art. 1 Abs. 1 GG erfaßte allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt - u.a. -
auch das Recht am gesprochenen Wort. Das Recht am gesprochenen Wort
entspricht einem Grundbedürfnis für die Sicherung des Eigenwertes der
Persönlichkeit und ihrer freien Entfaltung in der Kommunikation mit dem
anderen und ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (vgl.
grundlegend BGHZ 27, 284, 286 f.; BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI
ZR 164/79, NJW 1982, 277 und vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988,
1016, 1017; BVerfGE 34, 238, 246 f.; 54, 148, 154 f.; BVerfG NJW 1992,
815; BVerfG WM 2002, 2290, 2292 f.). Zu diesem Grundrecht gehört auch die
Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem
Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit
zugänglich sein soll (BGHZ 27, 284, 286; BVerfG NJW 1992, aaO; WM 2002,
aaO; BAG NJW 1998, 1331, 1332).
a) Der Schutz des Rechts am
gesprochenen Wort beschränkt sich nicht auf bestimmte Inhalte, sondern
bezieht sich allein auf die Selbstbestimmung über die unmittelbare
Zugänglichkeit der Kommunikation, also etwa über die Teilhabe einer
dritten Person. Der Schutz des Rechts am gesprochenen Wort hängt auch
weder davon ab, ob es sich bei den ausgetauschten Informationen um
personale Kommunikationsinhalte oder gar um besonders
persönlichkeitssensible Daten handelt, noch kommt es auf die Vereinbarung
einer besonderen Vertraulichkeit des Gesprächs an (BVerfG WM 2002, 2290,
2293).
b) Außerhalb eines - hier erkennbar
nicht berührten - letzten unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung
des Bürgers (vgl. BVerfGE 34, 238, 245; 80, 367, 373 f.) ist das
allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet.
Nach Art. 2 Abs. 1 GG wird deshalb auch das Recht am eigenen Wort durch
die verfassungsmäßige Ordnung beschränkt. Hierzu gehören als Ausfluß des
u.a. in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips die
Gewährleistung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach
einer materiell richtigen Entscheidung (BVerfG WM 2002, 2290, 2295).
Ob eine Beweisaufnahme durch
Vernehmung eines Zeugen über ein von ihm heimlich mitgehörtes
Telefongespräch zulässig und verwertbar ist, richtet sich nach dem
Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden
allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen und einem für die
Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse auf der anderen
Seite (BGHZ 27, 284, 289 f.; BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR
164/79, NJW 1982, 277, 278; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988,
1016, 1017 f. und vom 3. Juni 1997 - VI ZR 133/96, NJW 1998, 155; BVerfG
WM 2002, aaO S. 2295).
2. Das Berufungsgericht hat diese
rechtlichen Maßstäbe zwar nicht grundsätzlich verkannt; die von ihm
vorgenommene Abwägung erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft.
a) Der Kläger war entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichtes keineswegs darauf "angewiesen", sich
einen Beweis für seine Rückzahlungsansprüche durch das Belauschenlassen
des von ihm angeblich mit der Beklagten geführten Telefongesprächs zu
verschaffen. Zwar mag die Erwägung, das Freundschaftsverhältnis zur
Beklagten nicht durch eine Forderung nach Quittungserteilung zu belasten,
menschlich nachvollziehbar sein; einen späteren Eingriff in grundrechtlich
geschützte Rechte der Beklagten vermag sie aber nicht zu rechtfertigen. Im
übrigen hätte der Kläger auch ohne Forderung einer Quittung geeignete
Schritte unternehmen können, um Beweise für eine Darlehenshingabe zu
sichern. So hätten etwa bei der Wahl unbarer Zahlungsweise die
Geldzahlungen sowie auch deren Zweck durch Kontounterlagen bzw. Auskünfte
der beteiligten Kreditinstitute belegt werden können. Wenn der Kläger es -
aus welchen Gründen auch immer - versäumt hat, sich die behaupteten
Darlehenshingaben von der Beklagten bestätigen zu lassen oder in anderer
Weise ihre Beweisbarkeit sicherzustellen, vermag das die Verschaffung
eines Beweismittels unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts der
Beklagten nicht zu rechtfertigen (vgl. Senat, Urteil vom 4. Dezember 1990
- XI ZR 310/89, WM 1991, 566, 568).
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht
der Auffassung, die Beklagte habe dem Kläger "Anlaß" gegeben, sich ein
Beweismittel auf die hier in Rede stehende Art und Weise zu verschaffen;
da sie sich auf Anfragen des Klägers nicht gemeldet habe, habe dieser
davon ausgehen müssen, daß sie ihre Darlehensrückzahlungsverpflichtungen
nicht freiwillig einräumen würde. Diese Ausführungen sind bereits deshalb
rechtsirrig, weil sie voraussetzen, was erst noch zu beweisen war, nämlich
die Hingabe von Geld als Darlehen.
b) Von Rechtsirrtum ist auch die
Auffassung des Berufungsgerichtes beeinflußt, der
Persönlichkeitsrechtsverletzung der Beklagten komme deshalb kein größeres
Gewicht zu, weil das von dem Zeugen Be. abgehörte Telefonat auf sachliche
Angaben zu den von dem Kläger behaupteten Darlehensrückzahlungsansprüchen
beschränkt geblieben sei und die Offenbarung persönlicher oder in die
Intimsphäre der Beklagten hineinreichender Umstände weder beabsichtigt
gewesen noch erfolgt sei. Wie bereits ausgeführt (1. a) hängt der Schutz
des Rechts am gesprochenen Wort nicht davon ab, ob es sich bei den
ausgetauschten Informationen um personale Kommunikationsinhalte oder gar
besonders persönlichkeitssensible Daten handelt.
c) Das Ergebnis der vom
Berufungsgericht vorgenommenen Abwägung erweist sich auch nicht deshalb
als zutreffend, weil dem allgemeinen Interesse an einer funktionstüchtigen
Zivilrechtspflege stets ein gleiches oder gar höheres Gewicht zukommt als
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das ist nicht der Fall; vielmehr
müssen weitere Gesichtspunkte hinzutreten, die das Interesse an der
Beweiserhebung trotz der Verletzung des Persönlichkeitsrechts als
schutzbedürftig erscheinen lassen (BVerfG WM 2002, aaO S. 2295). Das kann
etwa der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation
oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (vgl. BGHZ 27, 284, 289 f.).
Allein das nach dem Vortrag des Klägers überraschende Bestreiten des
Darlehenserhalts durch die Beklagte reicht hierfür jedoch nicht aus. Damit
verbleibt auf seiten des Klägers lediglich das für den beweisbelasteten
Anspruchsteller stets bestehende schlichte Beweisinteresse. Allein das
Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern,
reicht jedoch nicht aus, um die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der
anderen Prozeßpartei zu rechtfertigen (BGHZ 27, 284, 290; BGH, Urteile vom
24. November 1981 - VI ZR 164/79, aaO S. 278; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR
83/87, aaO, S. 1018; BVerfG WM 2002, aaO). Ob der Kläger aufgrund der
Angaben seines damaligen Rechtsanwalts von der Zulässigkeit des
verabredeten Vorgehens ausging, ist entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang ohne Belang.
3. Erweist sich somit die Vernehmung
des Zeugen Be. über das von ihm belauschte Telefonat der Parteien als
Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten, kommt eine
Verwertung seiner Aussage als Beweismittel im vorliegenden Verfahren nicht
in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 24. November 1981 - VI ZR 164/79, NJW
1982, 277; vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87, NJW 1988, 1016 f.; Senat,
Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, WM 1991, 566, 567 f.; BGH,
Urteil vom 3. Juni 1997 - VI ZR 133/96, NJW 1998, 155; BVerfG NJW 1992,
815, 816; BAG NJW 1998, 1331, 1332).
III. Das angefochtene Urteil war daher
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur anderweiten Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz
2 ZPO Gebrauch gemacht.
Das Berufungsgericht wird, da die
Verwertung der Aussage des Zeugen Be. unzulässig ist, das Ergebnis der
Beweisaufnahme ohne Berücksichtigung der Aussage dieses Zeugen über den
Inhalt des Telefongesprächs vom 10. Juni 1996 sowie der von ihm darüber
gefertigten Aktennotiz neu zu bewerten haben. Das Berufungsgericht wird
auch zu prüfen haben, ob Anlaß besteht, den Sachverhalt - wie vom Kläger
bereits angeregt - durch eine Anhörung der Parteien (§ 141 ZPO) oder durch
eine Vernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) näher aufzuklären. |