(Keine) Sittenwidrigkeit von Bürgschaften eines
Minderheitsgesellschafters einer GmbH
BGH, Urteil vom 10. Dezember 2002 - XI ZR 82/02 - OLG Karlsruhe - LG
Baden-Baden
Fundstelle:
NJW 2003, 967
Zentrale Probleme:
s. die Verweise in BGH NJW 2002, 2634 sowie in
BGH NJW 2002, 1337
Amtl. Leitsatz:
Die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Wirksamkeit
ruinöser Gesellschafterbürgschaften gelten in der Regel auch für
Minderheitsgesellschafter der kreditsuchenden GmbH, und zwar auch dann,
wenn der Betroffene nicht mit der Geschäftsführung betraut ist. Nur bei
unbedeutenden Bagatell- und Splitterbeteiligungen kann nach dem
Schutzgedanken des § 138 Abs. 1 BGB eine andere rechtliche Beurteilung in
Betracht kommen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Bürgschaft. Dem liegt
folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Autohaus B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH) nahm im Jahre 1992 bei der
beklagten Bank einen Geschäftskredit auf. Zur Sicherung ihrer Ansprüche
übernahmen der Kläger und beide Mitgesellschafter eine
Höchstbetragsbürgschaft über 350.000 DM und erhöhten die Haftungssumme im
nächsten Jahr auf 400.000 DM. Als die Kreditlinie nochmals erweitert
wurde, schlossen die Beteiligten am 4. Mai 1995 einen Bürgschaftsvertrag
bis zum Höchstbetrag von 469.000 DM.
Der Kläger hatte im November 1992 an der B. GmbH, deren Stammkapital
50.000 DM betrug, einen nominellen Geschäftsanteil von 5.000 DM für 50.000
DM gekauft und war damals bei ihr als Kfz-Meister beschäftigt.
Geschäftsführer war der Mehrheitsgesellschafter H.. Außer der
Gesellschaftsbeteiligung besitzt der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau
ein Hausgrundstück.
Der Kläger, der den Bürgschaftsvertrag vom 4. Mai 1995 wegen krasser
finanzieller Überforderung für sittenwidrig erachtet und mit der Klage
dessen Unwirksamkeit festgestellt haben will, hat u.a. vorgetragen: Das
ihm und seiner Ehefrau jeweils zur Hälfte gehörende Hausgrundstück sei zum
damaligen Zeitpunkt erheblich belastet und höchstens 390.000 DM wert
gewesen. Mit dem von der B. GmbH bezogenen Gehalt habe er keinen
erheblichen Beitrag zur Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung leisten
können. Zur Unterzeichnung der Bürgschaft sei er durch den
geschäftsführenden Mitgesellschafter H. gedrängt und durch verharmlosende
Erklärungen veranlaßt worden.
Das Landgericht hat die Feststellungsklage des Klägers abgewiesen, das
Berufungsgericht ihr stattgegeben. Mit der - zugelassenen - Revision
erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Abweisung der
Klage.
I.
Das Berufungsgericht hat die Höchstbetragsbürgschaft des Klägers über
469.000 DM für sittenwidrig erachtet und zur Begründung im wesentlichen
ausgeführt:
Der Bürgschaftsvertrag vom 4. Mai 1995 überfordere den Kläger finanziell
in krasser Weise. Nach seinen Gehaltsbescheinigungen für das Jahr 1995
habe er bei der B. GmbH im Monat durchschnittlich 3.483,60 DM netto
verdient und infolgedessen die von den Darlehensvertragsparteien
festgelegte monatliche Zinslast von 3.419,79 DM nicht allein auf Dauer
tragen können. Die ihm gehörende Haushälfte sei unter Berücksichtigung der
nachgewiesenen dinglichen Belastungen nicht so wertvoll, daß ein
Verkaufserlös ihn dazu vermutlich in die Lage versetzen würde.
Außer der krassen finanziellen Überforderung lägen auch zusätzliche
erschwerende und der Beklagten zurechenbare Umstände vor. Nach der
Beweisaufnahme sei davon auszugehen, daß sie die Kreditlinie der B. GmbH
ohne die Bürgschaftserklärungen aller Gesellschafter nicht erweitert
hätte. Der Kläger habe daher keine andere Wahl gehabt, als entweder die
Vertragsurkunde auf Drängen des geschäftsführenden
Mehrheitsgesellschafters H. zu unterzeichnen oder den Verlust seiner
Arbeitsstelle in Kauf zu nehmen. Diese Zwangslage habe die Beklagte bewußt
ausgenutzt.
Daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Kreditinstitut
regelmäßig ein berechtigtes Interesse an einer Mithaftung aller maßgeblich
beteiligten Gesellschafter habe, entlaste die Beklagte nicht. Der Kläger
sei an der B. GmbH weder maßgeblich beteiligt noch für die entstehenden
Forderungen der Beklagten rechtlich und wirtschaftlich verantwortlich
gewesen. Ein besonderes Interesse des Klägers am Fortbestehen der
Gesellschaft sei nicht festzustellen, zumal er keine Gewinnausschüttung
erhalten habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im entscheidenden Punkt
nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes verstößt der
Bürgschaftsvertrag der Parteien vom 4. Mai 1995 nicht gegen die guten
Sitten.
1. Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des IX.
Zivilsenats und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes hängt die
Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf von Kreditinstituten mit privaten
Sicherungsgebern geschlossene Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge
regelmäßig entscheidend vom Grad des Mißverhältnisses zwischen dem
Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem
Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten ab
(BGHZ 125, 206, 211; 136, 347, 351; 137, 329, 333 f.;146,
37, 42;
Senatsurteile vom 4. Dezember 2001 - XI ZR 56/01, WM 2002, 223, 224; vom
14. Mai 2002 - XI ZR 50/01, WM 2002, 1347, 1348, für BGHZ vorgesehen; vom
14. Mai 2002 - XI ZR 81/01, WM 2002, 1350, 1351 und vom
28. Mai 2002 - XI
ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648 sowie XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1651).
2. Diese Grundsätze gelten jedoch abgesehen davon, daß es hier an einem
persönlichen Näheverhältnis des Klägers zu einem Mitgesellschafter fehlt,
grundsätzlich nicht für Bürgschaftserklärungen von GmbH-Gesellschaftern
für Verbindlichkeiten der GmbH.
a) Nach der Rechtsprechung des vormals für das Bürgschaftsrecht
zuständigen IX. Zivilsenats (BGHZ 137, 329, 336 ff.; BGH, Urteile vom 11.
Dezember 1997 - IX ZR 274/96, WM 1998, 235, 236, insoweit in BGHZ 137, 292
ff. nicht abgedruckt, und vom 18. September 2001 - IX ZR 183/00, WM 2001,
2156, 2157; BGH, Beschluß vom 28. Februar 2002 - IX ZR 153/00, WM 2002,
923; BGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - IX ZR 443/00, WM 2002, 2278 f.) und
des erkennenden Senats (Urteile vom 15. Januar 2002 - XI ZR 98/01, WM
2002, 436; vom 28. Mai 2002 - XI ZR 199/01, aaO S. 1648 und vom 17.
September 2002 - XI ZR 306/01, Umdr. S. 11 f.) hat - wie auch das
Berufungsgericht nicht verkannt hat - ein Kreditinstitut, das einer GmbH
oder KG ein Darlehen gewährt, grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an
der persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter. Die gängige Bankpraxis, bei
der Gewährung von Gesellschaftskrediten Bürgschaften der Gesellschafter zu
verlangen, ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann die Bank
im allgemeinen davon ausgehen, daß die Beteiligung an der Gesellschaft aus
eigenem finanziellen Interesse erfolgt und die Bürgschaft für den
betreffenden Gesellschafter kein unzumutbares Risiko darstellt.
b) Zwar hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in dem vom
Berufungsgericht herangezogenen Urteil vom 18. September 2001 (IX ZR
183/00, aaO S. 2157; vgl. ferner Urteil vom 11. Dezember 1997 - IX ZR
274/96, WM aaO S. 236) seine Rechtsprechung ohne nähere Begründung auf
"maßgeblich" beteiligte GmbH-Gesellschafter beschränkt, überdies ist an
gleicher Stelle von für die Gesellschaftsschulden "rechtlich und
wirtschaftlich verantwortlichen" Personen die Rede. Dies ist aber nicht
dahingehend zu verstehen, daß sich grundsätzlich nur Allein- bzw.
Mehrheitsgesellschafter oder Geschäftsführer-Gesellschafter für ihre
eigene finanzielle Leistungsfähigkeit weit übersteigende
Betriebsmittelkredite wirksam verbürgen könnten. Wie seinem Urteil vom 16.
Januar 1997 (IX ZR 250/97, WM 1997, 511, 513) zu entnehmen ist, ist dies
auch bei einer Beteiligung in Höhe von 10% an der darlehensnehmenden GmbH
möglich, ohne daß der betroffene Gesellschafter als Geschäftsführer für
deren Kreditaufnahmeverhalten verantwortlich sein muß. In Fortführung
dieser Rechtsprechung hat der erkennende Senat in dem erst nach der
angefochtenen Entscheidung veröffentlichten Urteil vom 15. Januar 2002 (XI
ZR 98/01, aaO S. 436) die beklagte Bürgin, die bei Vertragsschluß 25% der
Geschäftsanteile der Hauptschuldnerin (GmbH) hielt, ohne zur
Geschäftsführung befugt zu sein, als "maßgeblich" beteiligt angesehen.
c) Im vorliegenden Streitfall gilt nichts anderes. Mit dem Begriff der
"maßgeblichen Beteiligung" des Bürgen an der kreditsuchenden GmbH bzw. KG
oder ähnlichen Formulierungen sollen lediglich unbedeutende Bagatell- oder
Splitterbeteiligungen ausgeschieden werden. Nur bei ihnen kann es -
namentlich bei ertragsschwachen und auch über kein ins Gewicht fallendes
Eigenkapital verfügenden Gesellschaften - ausnahmsweise sachlich
gerechtfertigt sein, den unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht
nennenswert an der Kreditnehmerin beteiligten finanzschwachen Bürgen nach
dem Schutzgedanken des § 138 Abs. 1 BGB im Ergebnis wie einen bloßen
Strohmanngesellschafter ohne jedes Eigeninteresse an der treuhänderisch
gehaltenen Beteiligung zu behandeln (zum Strohmanngesellschafter vgl.
Senatsurteile vom 15. Januar 2002 - XI ZR 98/01, aaO S. 437;
vom 28. Mai
2002 - XI ZR 199/01, aaO S. 1648 f. und vom 17. September 2002 - XI ZR
306/01, Umdr. S. 12 f. m.w.Nachw.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber
nicht gegeben.
Eine Beteiligung in Höhe von 10% an einer werbenden GmbH, wie sie der
Kläger bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen an der B. GmbH hielt, stellt
gewöhnlich einen erheblichen Vermögenswert dar. Außerdem repräsentiert sie
nach der allgemeinen Verkehrsanschauung einen nennenswerten Anteil am
Gesellschaftskapital. Dies ist auch die Vorstellung des Gesetzgebers. § 50
GmbHG läßt einen Anteil von 10% am Stammkapital der Gesellschaft zur
Ausübung der bedeutsamen Minderheitsrechte genügen. Daß sich ein solcher
Minderheitsgesellschafter - ähnlich wie ein Strohmann ohne jedes eigene
wirtschaftliche Interesse - von den Wünschen des ihm persönlich besonders
nahe stehenden und die Geschäftspolitik bestimmenden
Mehrheitsgesellschafters oder Dritten leiten läßt und weitgehend
fremdbestimmte Bürgschaftserklärungen abgibt, ist bei lebensnaher
Betrachtung nicht zu erwarten. Die Beklagte durfte deshalb annehmen, dem
Kläger sei es im Hinblick auf seine Beteiligung an der Hauptschuldnerin
und nicht nur aus Sorge um seinen Arbeitsplatz persönlich wichtig, daß
diese ihren Geschäftsbetrieb weiter führen konnte und nicht insolvent
wurde. Es wäre daher verfehlt, wollte man der Beklagten vorwerfen, sich
mit seiner finanziellen Leistungsfähigkeit nicht befaßt und von ihr die
Kreditvergabe abhängig gemacht zu haben.
Eine andere Betrachtungsweise läge im übrigen auch nicht im Interesse der
Gesellschafter, die das Bürgenrisiko im Innenverhältnis ohne Rücksicht auf
die Größe des jeweiligen Anteilsbesitzes verteilen wollen. Überdies kann
nicht ausgeschlossen werden, daß der Anteilsbesitz auf zahlreiche
Gesellschafter gleichmäßig verteilt ist und es wechselnde Mehrheiten gibt.
Daß auch Gesellschaften mit derartigen Beteiligungsverhältnissen
grundsätzlich in der Lage sein müssen, sich das zur Betriebsführung
notwendige Fremdkapital mit Hilfe von Bürgschaften ihrer mehr oder weniger
finanzkräftigen Gesellschafter zu verschaffen, liegt auf der Hand.
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes wird die
Nichtigkeitssanktion des § 138 Abs. 1 BGB auch nicht durch den Kläger
besonders belastende und der Beklagten zurechenbare Umstände oder
Verhältnisse ausgelöst.
Die Tatsache, daß ein Gesellschafter der Hauptschuldnerin von der
kreditgebenden Bank vor die Alternative gestellt wird, entweder eine ihn
wirtschaftlich ruinierende Bürgschaft zu übernehmen oder aber die
Nichtgewährung eines Geschäftskredits und die sich daraus ergebenden
rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile hinzunehmen, stellt für sich
genommen keine unzulässige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit dar
(vgl. Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 15). Daß der geschäftsführende
Mehrheitsgesellschafter der B. GmbH, der Zeuge H., die Grenze des
rechtlich Zulässigen überschritten und den Kläger zur Abgabe der
streitgegenständlichen Bürgschaftserklärung widerrechtlich genötigt hat,
hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch dem Sachvortrag
des Klägers nicht zu entnehmen. Sein weiterer Vorwurf, über die rechtliche
Bedeutung und Tragweite der streitgegenständlichen Bürgschaft arglistig
getäuscht worden zu sein, ist vor dem Hintergrund der vorher im Auftrag
der Gesellschaft abgegebenen Bürgschaftserklärungen sowie der als
Gesellschafter und Kfz-Meister gewonnenen geschäftlichen Erfahrungen ohne
Substanz. Überdies ist nicht ersichtlich, daß H. als Vertreter oder
Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) der Beklagten tätig geworden ist oder sie
sich sein Handeln aus anderen Gründen zurechnen lassen müßte.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere
Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst
entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die landgerichtliche Entscheidung
wiederherstellen.
|