Bedeutung der
Bezeichnung „fabrikneu“ beim Kauf eines Kfz, keine Verwirkung von
Gewährleistungsansprüchen durch Weiterbenutzung der Sache ("Fabrikneu II")
BGH, Urteil vom 15. Oktober
2003 - VIII ZR 227/02 - OLG Dresden
Fundstelle:
NJW 2004, 160
Zentrale Probleme:
S. dazu sowie zur unveränderten Problematik unter dem neuen Schuldrecht
die Anm. zu BGH NJW 2003, 2824 sowie
BGH v. 15.9.2010 - VIII ZR 61/09. Anders als im
dort entschiedenen Fall ging es nicht um das Problem des Modellwechsels,
sondern nur um die Frage, bis zu welcher Standzeit ein unbenutztes Fahrzeug
als „fabrikneu“ zu qualifizieren ist, auch wenn es keine standzeitbedingten
Mängel aufweist. Der BGH legt sich auf 12 Monate fest.
Der Fall war noch unter altem Schuldrecht zu entscheiden. Der Anspruch des
Käufers ergibt sich nach neuem Schuldrecht aus §§ 437 Nr. 2, 323 bzw. 326 V,
346 I BGB. Ob sich das Rücktrittsrecht aus § 323 BGB (Verzögerung) oder §
326 V BGB (Unmöglichkeit) ergibt, hängt davon ab, ob es sich um einen Stück-
oder Gattungskauf handelt und wie man zu dem str. Problem der Nacherfüllung
beim Stückkauf vertretbarer Sachen steht (s. dazu die Anm. zu
LG Ellwangen NJW 2003,
517,
OLG Braunschweig v.
4.2.2003 - 8 W 83/02 sowie umfassend
Canaris JZ 2003, 831 ff). Lag - wovon nach dem Sachverhalt auszugehen ist -
ein Gattungskauf vor, kann ohne weiteres durch Lieferung einer mangelfreien
Sache (§ 439 I Alt. 2 BGB) nacherfüllt werden, so daß dann kein unbehebbarer
Mangel (= Unmöglichkeit der Nacherfüllung) vorliegt. Das Rücktrittsrecht
ergibt sich dann aus § 323 BGB, so daß grundsätzlich eine
Nacherfüllungsfrist zu setzen ist (sofern nicht Entbehrlichkeit nach §§ 323
II, 440 BGB vorliegt). Liegt ein Stückkauf vor und war nach dem Parteiwillen
die Sache nicht „ersetzbar“, so liegt ein unbehebbarer Mangel vor. Das
Rücktrittsrecht ergibt sich dann – ohne Fristsetzungserfordernis – aus § 326
V BGB. Der Anspruch des Verkäufers auf Nutzungsersatz ergibt sich nach neuem
Recht aus §§ 346 I Alt. 2, II Nr. 1 BGB.
©sl 2003
Amtl. Leitsatz:
Ein unbenutztes
Kraftfahrzeug ist regelmäßig noch "fabrikneu", wenn und solange das Modell
dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch längere
Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des
Fahrzeugs und Abschluß des Kaufvertrages nicht mehr als 12 Monate liegen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages
über einen Personenkraftwagen.
Der Kläger bestellte am 30. Juni 2000 bei der Beklagten einen Pkw F. V 6 zu
einem Kaufpreis von 53.595 DM. Das von den Beklagten verwendete Formular
enthielt die Angabe "verbindliche Bestellung neuer Kraftfahrzeuge und
Anhänger". Am 9. August 2000 wurde dem Kläger von der Beklagten ein am 30.
November 1998 hergestellter F. V 6 übergeben. Ein Modellwechsel bezüglich
dieses Pkw-Typs hatte in der Zeit vom 30. November 1998 bis zum Kauf nicht
stattgefunden. Mit Schreiben vom 5. September 2000 erklärte der Kläger die
Wandelung des Kaufvertrages. Die Beklagte lehnte die Wandelung mit Schreiben
vom 12. Oktober 2000 ab. Der Kläger war zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Berufungsinstanz am 27. Juni 2002 mit dem Pkw ca. 24.000
Kilometer gefahren.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es fehle eine zugesicherte
Eigenschaft, da ein 21 Monate alter Pkw nicht mehr als fabrikneu bezeichnet
werden könne; er sei deshalb berechtigt, von der Beklagten insgesamt
55.581,33 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Autos zu verlangen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der
Klage in Höhe von 44.976,92 DM stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom
Senat zugelassene Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat - soweit in der Revision noch von Interesse
- ausgeführt:
Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 44.976,92
DM Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Pkw aus §§ 459, 462,
465, 467, 346 f. BGB a.F. Im Verkauf eines Neuwagens durch einen Kfz-Händler
liege in der Regel die konkludente Zusicherung, daß das Fahrzeug fabrikneu
sei. Der von dem Kläger erworbene Pkw könne aufgrund seiner Standzeit von 19
Monaten zwischen Herstellung und Abschluß des Kaufvertrages und 20 Monaten
zwischen Herstellung und Übergabe nicht als fabrikneu angesehen werden. Ein
nicht benutztes Kraftfahrzeug sei, auch wenn es einige Zeit nach seiner
Herstellung verkauft werde, als fabrikneu anzusehen, wenn und solange das
Modell dieses Fahrzeuges unverändert weitergebaut werde, also keinerlei
Änderung in der Technik und Ausstattung aufweise, und durch das Stehen keine
Mängel entstanden seien. Ein Verkauf "einige Zeit nach
der Herstellung" liege zumindest dann nicht mehr vor, wenn der Pkw bereits
19 Monate auf Lager gestanden habe. Nach der Verkehrsanschauung sei und
bleibe die Lagerdauer für die Wertschätzung eines Kraftfahrzeugs von
ausschlaggebender Bedeutung. Es mache einen großen Unterschied, ob ein Auto
frisch vom Band oder erst nach längerer Standzeit verkauft werde. Eine
lange, selbst technisch unbedenkliche Standzeit sei für den Neuwagen immer
ein wertmindernder Faktor. Auf den zurückzugewährenden Kaufpreis von 53.595
DM müsse sich der Kläger aber die von ihm gezogenen und nach §§ 467, 347
Satz 2 BGB a.F. herauszugebenden Nutzungen anrechnen lassen. Da der Kläger
bis zur letzten mündlichen Verhandlung ca. 24.000 Kilometer mit dem Pkw
gefahren sei, ergebe sich ein Abzug von 8.618,08 DM.
II. Die zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vom Senat
zugelassene Revision hat keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen. Die
Ausführungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen
Nachprüfung stand.
1. Auf das vor dem 1. Januar 2002 entstandene Schuldverhältnis der Parteien
sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis zu diesem
Zeitpunkt geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 5 EGBGB). Zu Recht geht
das Berufungsgericht von einer Zusicherung der Beklagten aus, daß das von
ihr an den Kläger verkaufte Auto fabrikneu sei. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats liegt im Verkauf eines Neuwagens durch einen
Kfz-Händler grundsätzlich die Zusicherung, daß das verkaufte Fahrzeug die
Eigenschaft hat, "fabrikneu" zu sein (Urteil vom 22. März 2000 - VIII ZR
325/98, NJW 2000, 2018 unter II 2; Urteil vom 18. Juni 1980 - VIII ZR
185/79, NJW 1980, 2127 unter II 3; Urteil vom 16.
Juli 2003 - VIII ZR 243/02 = NJW 2003, 2824).
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist auch nicht zu beanstanden, daß
das Berufungsgericht den Pkw aufgrund seiner Standzeit von 19 Monaten
zwischen Herstellung und Abschluß des Kaufvertrages und 20 Monaten zwischen
Herstellung und Übergabe nicht als fabrikneu angesehen hat. Nach der
Rechtsprechung des erkennenden Senats ist ein unbenutztes Kraftfahrzeug
fabrikneu, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert
weitergebaut wird und wenn es keine durch eine längere Standzeit bedingte
Mängel aufweist; das gilt auch dann, wenn das Fahrzeug erst einige Zeit nach
seiner Herstellung verkauft wird (Urteil vom 22. März 2000 aaO; Urteil vom
18. Juni 1980 aaO unter II 1; Urteil vom 6. Februar 1980 - VIII ZR 275/78, NJW 1980, 1097 unter II 2 c).
Ohne Erfolg rügt die Revision, daß das Berufungsgericht allein auf die Länge
der Standzeit des Kraftfahrzeugs abgestellt habe und damit von der ständigen
Rechtsprechung des Senats abweiche. Der Senat hat in seinen Entscheidungen
zur Frage, wann ein Kraftfahrzeug "fabrikneu" ist, ausgeführt, daß diese
Rechtsprechung auch für den Fall gelte, daß das Fahrzeug "erst einige Zeit
nach seiner Herstellung verkauft" werde. In der Entscheidung vom 6. Februar
1980 (aaO unter II 2 c) hat der Senat die damalige, nach der Rechtsprechung
und im Schrifttum herrschende Meinung dahin wiedergegeben, daß ein
Kraftfahrzeug, das zehn bis zwölf Monate vor dem Verkauf hergestellt und
abgesehen von der Überführungsfahrt nicht benutzt worden sei, jedenfalls
dann als fabrikneu bezeichnet werden könne, wenn das Modell dieses
Kraftfahrzeugs weiterhin hergestellt werde und wenn das Kraftfahrzeug keine
Mängel aufweise.
Im Rahmen der weiteren Gründe hat der Senat sich dieser herrschenden Meinung
ausdrücklich angeschlossen. Entgegen der Auffassung der Revision weicht
deshalb das Berufungsurteil nicht von der Rechtsprechung des Senats ab. Zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf es aber nunmehr der
Festlegung einer maximalen Standzeit, bis zu deren Ablauf ein Kraftfahrzeug
im Regelfall noch als "fabrikneu" angesehen werden kann, da in der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte die Frage des Höchstalters
"fabrikneuer" Kraftfahrzeuge ganz unterschiedlich beantwortet wird (nicht
mehr fabrikneu: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 57 nach 8 Monaten, OLG
Frankfurt am Main, NJW-RR 1998, 1213 und OLG Hamm, DAR 1995, 353 nach 12
Monaten; noch fabrikneu: OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2001, 166 nach 16
Monaten; OLG Celle, OLGR Celle 2001, 223 nach 14 Monaten; OLG Schleswig,
OLGR Schleswig 1999, 412 nach 30 Monaten).
3. Der Senat präzisiert seine Rechtsprechung nunmehr dahin, daß ein
unbenutztes Kraftfahrzeug regelmäßig noch "fabrikneu" ist, wenn und solange
das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine
durch längere Standzeit bedingte Mängel aufweist und wenn zwischen
Herstellung des Fahrzeugs und Abschluß des Kaufvertrages nicht mehr als
zwölf Monate liegen.
Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, daß die Meinung, welche dem
Verkäufer eine unbegrenzte Lagerhaltung zubilligt, sofern keine Standschäden
eingetreten sind oder das Modell sich verändert hat, schützenswerte
Interessen des Käufers verletzt (vgl. auch Knippel, DAR 1981, 141 f.;
Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., 2003, Rdnr. 207). Nach der
Verkehrsanschauung ist die Lagerdauer für die Wertschätzung eines
Kraftfahrzeugs von wesentlicher Bedeutung. Eine lange Standdauer ist für
einen Neuwagenkäufer ein wertmindernder Faktor. Jedes Kraftfahrzeug
unterliegt einem Alterungsprozeß, der mit dem Verlassen des
Herstellungsbetriebes einsetzt. Grundsätzlich verschlechtert sich der
Zustand des Fahrzeugs durch Zeitablauf aufgrund von Materialermüdung,
Oxydation und anderen physikalischen Veränderungen. Selbst eine Aufbewahrung
unter optimalen Bedingungen vermag dies nur zu
verlangsamen, aber nicht zu verhindern. Im Regelfall ist deshalb davon
auszugehen, daß eine Lagerzeit von mehr als 12 Monaten die Fabrikneuheit
eines Neuwagens beseitigt.
4. Die Lagerzeit von 19 Monaten im vorliegenden Fall führt deshalb, wie das
Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, dazu, daß dem Fahrzeug die
zugesicherte Eigenschaft (fabrikneu) bei Übergabe gefehlt hat. Umstände, die
eine Abweichung vom Regelfall gebieten, hat die Beklagte nicht dargelegt.
Allein der Umstand, daß es sich um ein aus den Vereinigten Staaten von
Amerika importiertes Auto handelt, genügt hierfür nicht.
5. Ohne Erfolg rügt die Revision schließlich, das Berufungsgericht habe
nicht berücksichtigt, daß der Kläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 27. Juni 2002 mit dem Pkw ca. 24.000
Kilometer gefahren war.
Daß der Kläger den Gebrauch des Fahrzeugs fortgesetzt hat, führt nicht zu
einer Verwirkung seiner Gewährleistungsrechte. Nach der Rechtsprechung des
Senats kommt es in solchen Fällen auf eine Abwägung der Interessen beider
Vertragsparteien an. In aller Regel wird dem Käufer die bloße, den Rahmen
des Üblichen nicht überschreitende Weiterbenutzung des Wagens nicht als
illoyales, widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden können, weil dies
für ihn günstiger als die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges sein wird. Die
Interessen des Verkäufers werden dadurch gewahrt, daß er Anspruch auf
Wertersatz für die vom Käufer genossenen Gebrauchsvorteile erheben kann
(Senat, Urteil vom 16. Oktober 1991 - VIII ZR 140/90, NJW 1992, 170 unter II
2 f.; Senat, Urteil vom 2. Februar 1994 - VIII ZR 262/92, NJW 1994, 1004
unter II 2 b).
Wenn der Kläger in etwas weniger als zwei Jahren mit dem Fahrzeug ca. 24.000
Kilometer zurückgelegt hat, ist dies, worauf die Revisionserwiderung zu
Recht hinweist, eine den Rahmen des Üblichen nicht überschreitende
Weiterbenutzung des Wagens.
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