Internetauktion und Erklärungsirrtum, Schadensersatz statt der Leistung bei vollständiger Nichterfüllung

OLG Oldenburg; Urteil v. 30.10.2003 - 8 U 136/03


Fundstelle:

NJW 2004, 168


Zentrale Probleme:

Es geht - ähnlich wie in im "Ricardo"-Fall (BGH NJW 2002, 363) - um die Anfechtung einer Internet-"Auktion" (zu deren Charakter s. die Anm. zu  OLG Hamm v. 14.12.2000, 2 U 58/00 = NJW 2001, 1142 sowie BGH NJW 2002, 363: Verkauf zum Höchstgebot). Zutreffend ist dabei die Annahme eines relevanten Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB, wenn sich der Bekl. bei dem in seiner Offerte genannten Mindestpreis verschrieben hat. Die parallelen Vertragsverhandlungen "neben" der Auktion sind hierfür freilich irrelevant, denn hierin kann keine Rücknahme des unter bestimmten Voraussetzungen "freibleibend" erklärten Angebots im Rahmen der Internet-Auktion gesehen werden. Höchst bedenklich sind aber die Ausführungen zu Anfechtungsfrist. Es gibt angesichts der einfachen Struktur des Rechtsgeschäfts keinerlei Grund, ein Abwarten von 2 Wochen noch als "unverzügliche" Anfechtung i.S.v. § 121 BGB anzusehen.
Noch ein kurzer, im Ergebnis aber irrelevanter Hinweis zur Anspruchsgrundlage: Der Kläger macht Schadensersatz statt der Leistung wegen vollständiger Nichterbringung  der Leistung, nicht aber wegen eines Sachmangels geltend. Anspruchsgrundlage sind daher allein die §§ 280 I, III, 281 BGB. Der vom Gericht noch zitierte § 437 Nr. 3 BGB ist hier nicht heranzuziehen. Er gilt nur bei einer mangelhaften Leistung (mit der Folge der daran anknüpfenden Sonderregelung der Verjährung in § 438 BGB). Der hier geltend gemachte Anspruch verjährt hingegen nach §§ 195, 199 BGB!
S. auch BGH v. 26.1.2005 - VIII ZR 79/04.

©sl 2003


Leitsatz:

Zur Frage des Abschlusses eines Kaufvertrages im Rahmen einer Internetauktion, wenn die Vertragsparteien während der laufenden Bietzeit mit deutlich unterschiedlichen Preisvorstellungen erfolglos über einen Vertragsschluss verhandelt haben.


Zum Sachverhalt:

Der Kl. macht gegen die Bekl. in Höhe von 5.500,00 € einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht erbrachter Erfüllung aus einem Kaufvertrag über alte, handgeschnitzte chinesische Möbel geltend. Er beruft sich darauf, diese Möbel, die einen Wert von 6.000,00 € besitzen, als Meistbietender bei einer Online-Auktion auf der Grundlage der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Xy... International AG zum Mindestgebot von 100,00 € ersteigert zu haben. Die Bekl. macht geltend, von der Eigentümerin der Möbel mit der Versteigerung zu einem Mindestpreis von 1.000,00 EUR beauftragt worden zu sein. Bei der Eingabe des Kaufpreises sei ihr ein Fehler unterlaufen, so dass sie statt „1.000,00 €“ nur „100,00 €“ eingetippt habe. Sie hat den Vertrag angefochten. Während der Bietzeit hatten die Parteien per E-Mail mit deutlich unterschiedlichen Preisvorstellungen über den Abschluss eines Kaufvertrages über die Möbel verhandelt..
Das LG hat der Klage stattgegeben und die Bekl. zur Zahlung von 5.500,00 € nebst gesetzlichen Zinsen verurteilt. Die Berufung des Bekl. war erfolgreich.

Aus den Gründen:

...

II. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, mithin zulässige Berufung der Bekl. hat in der Sache Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung i.S. der §§ 513 I, 546 ZPO; die gemäss § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch (§§ 437 Nr. 3, 281 BGB) steht dem Kl. nicht zu.
1. Für die Entscheidung kann dahinstehen, ob die Parteien – wovon sie rechtlich ausgehen – auf Grund der Internetauktion (vgl. dazu BGH NJW 2002, 363 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 156 Rdnr. 3) einen Kaufvertrag über die Möbel zu einem Kaufpreis von 100,00 € geschlossen haben oder ob dies nicht der Fall ist. Denn auch wenn ein Vertragsschluss zu bejahen sein sollte, besteht ein Anspruch des Kl. infolge wirksamer Anfechtung seitens der Bekl. nicht.
a. Zum Abschluss eines Kaufvertrages im Wege der Internetauktion ist es deshalb nicht gekommen; weil die Parteien während der Bietzeit umfangreich per E-Mail verhandelt haben. Ein Vertragsschluss ist dabei gerade an den erheblich differierenden Preisvorstellungen der Parteien gescheitert. Die Bekl. hat unter Hinweis auf den ihr von der Eigentümerin der Möbel erteilten Auftrag einen Betrag von 1.500,00 € gefordert, der Kl. hat lediglich 150,00 € angeboten. Daraus ist nicht nur der Schluss zu ziehen, dass der Kl. wusste, dass die Bekl. nicht zu 100 € anbieten wollte; unter diesen Voraussetzungen konnte es weiterhin auch unter Beachtung der Besonderheiten einer Internetauktion nicht zu einem Vertragsschluss mit einem dem Gebot des Kl. entsprechenden Kaufpreis von 100,00 € kommen. Die Bekl. war nämlich nach den Bedingungen der Internetauktion berechtigt, ihr Angebot bei Vorhandensein anzuerkennender Gründe – was hier aus den sogleich folgenden Gründen zu b. der Fall ist - zurückzuziehen; das Einstellen eines Artikels auf die Xy...-Website beinhaltet nur grundsätzlich ein verbindliches Angebot. Die Bekl. hat zwar die Auktion nicht insgesamt abgebrochen; die Mitteilung an den Kl., 1.500 € als Kaufpreis zu fordern, bedeutet inhaltlich aber dasselbe. Es fehlt deshalb an einem übereinstimmende Willenserklärungen von Verkäufer und Käufer voraussetzenden Kaufvertrag.
b. Wird entsprechend der Rechtsauffassung der Parteien ein Vertragsschluss zu einem Kaufpreis von 100,00 € unterstellt, so scheitert ein Schadensersatzanspruch des Kl. an der von der Bekl. wirksam erklärten Anfechtung.
Dem neben und nach der Internetauktion geführten E-Mail-Wechsel der Parteien sind hinreichende Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Bekl. sich verschrieben hat und dass sie nicht 100,00 €, sondern 1.000,00 € als Mindestgebot eingeben wollte. Das ist insbesondere im Hinblick auf den zwischen den Parteien unstreitigen Marktwert der Möbel von 6.000,00 € plausibel. Bestätigt wird dies durch den Umstand, dass die Bekl. schon während der Laufzeit der Auktion auf die Frage des Kl. – der entgegen seinem Gebot nunmehr 150,00 € zahlen wollte - nach dem Preis der Möbel einen Betrag von 1.500,00 € gefordert hat. Die Voraussetzungen eines Irrtums in der Erklärungshandlung sind damit erfüllt.
Die Anfechtungserklärung i.S. des § 143 BGB ist in dem Telefaxschreiben vom 21. 12. 2002, das Umstände nennt, aus denen sich ein Willensmangel i.S. von § 119 I 2. Fall ergibt, enthalten und damit zwei Wochen nach dem mit dem Ende der Bietzeit zusammenfallenden Vertragsschluss erklärt worden. Den vorangegangenen E-Mails vom 10. und 18. 12. 2002 lässt sich inhaltlich nicht hinreichend entnehmen, dass die Bekl. das Rechtsgeschäft gerade wegen eines Willensmangels rückwirkend beseitigen wollte, so dass es auf die streitige Frage des Zugangs bei dem Kl. nicht ankommt.
Die Anfechtung ist noch rechtzeitig gemäss § 121 I S. 1 BGB erfolgt. Der Anfechtende hat sie ohne schuldhaftes Zögern zu erklären, womit dem Interesse des Anfechtungsgegners an Klarstellung des durch die Anfechtung in Frage gestellten Rechtsverhältnisses Rechnung getragen wird. Sie braucht aber nicht „sofort“ zu erfolgen; dem Anfechtungsberechtigten ist vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und gegebenenfalls zur Einholung des Rates eines Rechtskundigen zuzubilligen (vgl. Palandt/Heinrichs a. a. O., § 121 Rdnr. 3). Die Bekl. durfte deshalb und nach den Umständen dieses Einzelfalles eine gewisse Überlegungszeit in Anspruch nehmen und mit der Abgabe der Anfechtungserklärung noch etwas zuwarten, um das Für und Wider einer Anfechtung abzuwägen. Auf das anwaltliche Aufforderungsschreiben vom 16. 12. 2002 hat sie sodann umgehend die Anfechtung erklärt und begründet.
Die dem Anfechtenden regelmässig – wenn auch als Obergrenze - zur Verfügung stehende Frist von etwa 2 Wochen ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes, die mit dem Ende der Bietzeit zu laufen beginnt, ist damit gewahrt.
2. Ein Anspruch aus § 122 I BGB auf den Ersatz des Vertrauensschadens steht dem Kl. nicht zu. Aus dem während der Bietzeit geführten E-Mail-Wechsel wusste der Kl., dass das auf der Xy...-Website genannte Mindestgebot von 100,00 € auf einem Irrtum der Bekl. beruhte. Mindestens konnte er diesen Irrtum auf Grund der auf 1.500,00 € lautenden Kaufpreisforderung der Bekl. erkennen. Das erfüllt die Voraussetzungen für den Ausschluss der Schadensersatzpflicht gemäss § 122 II BGB.
Dass ein Schaden in der von dem Kl. geltend gemachten Höhe besteht, kann im Übrigen ohnehin nicht festgestellt werden. Die vom Kl. herangezogenen Grundsätze des kaufmännischen Deckungskaufs greifen hier nicht ein, weil er ausdrücklich für sich in Anspruch nimmt, kein professioneller Antiquitätenaufkäufer zu sein. Es käme deshalb, auch wenn dem Kl. ein Anspruch auf den Ersatz des entgangenen Gewinns zustünde, nicht auf den Marktwert der Möbel im Antiquitätenhandel an. Zum negativen Interesse, also zu Aufwendungen im Vertrauen auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts, fehlt Vorbringen des Kl..
3. Hingegen ist der – unterstellte - Kaufvertrag entgegen der Auffassung der Bekl. trotz des gravierendes Missverhältnisses zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Verkehrswert der Möbel nicht wegen Wuchers oder Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Es fehlt jeweils am Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen in Form einer verwerflichen Gesinnung. Anhaltspunkte dafür, dass der Kl. bewusst die Unerfahrenheit der Bekl. ausgebeutet hat, bestehen nicht. Selbst wenn dem Kl. während der Bietzeit und der Vertragsverhadlungen der Verkehrswert der Möbel bekannt und ihm die erhebliche Wertdifferenz bewusst gewesen sein sollte, ist nicht davon auszugehen, dass er die von der Bekl. für sich reklamierte Unerfahrenheit der Bekl. auf dem Gebiet der Internetauktionen kannte. Die Auktion verlief anonym. Auch das sehr niedrige Mindestgebot musste ihm nicht ohne weiteres die Kenntnis verschaffen, es mit einem unerfahrenen „Laien“ zu tun zu haben. Da sich die Gebühren für das Einstellen eines Artikels auf die Xy...-Website nach dem Mindestgebot richten und bei einer Versteigerung immer die Möglichkeit besteht, dass der Erlös letztendlich deutlich über dem Mindestgebot liegt, konnte das Vorgehen der Bekl. aus der Sicht des Kl. durchaus den Eindruck einer – besonders riskanten – Taktik erwecken. Die Unerfahrenheit der Bekl. ist hierdurch jedenfalls nicht derart offenkundig geworden, dass davon auszugehen wäre, der Kl. habe diese erkannt und sich zunutze gemacht.
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