Beschlagnahme der Kaufsache nach § 111b StPO (Sicherstellung) als
Rechtsmangel, maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Rechtsmangels
BGH, Urteil vom 18. Februar
2004 - VIII ZR 78/03
Fundstelle:
NJW 2004, 1802
Amtl. Leitsatz:
Eine auf der Grundlage von § 111 b StPO
rechtmäßig durchgeführte Beschlagnahme der Kaufsache in einem
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren begründet einen Rechtsmangel, der den
Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, sofern der Sachverhalt,
aufgrund dessen die Beschlagnahme erfolgte, bereits bei Gefahrübergang
bestand.
Zentrale Probleme:
Der Kl. hatte vom Bekl. einen Pkw
verkauft, der anschließend wegen Diebstahlsverdacht polizeilich
sichergestellt wurde. Der Kl. verlangt nun den Kaufpreis zurück. Der noch
nach bisherigem Kaufrecht entschiedene Fall ist auch unter neuem Kaufrecht
weiterhin relevant. Natürlich hätte der Kl. hier geltend machen können, daß
ihm der Bekl. kein Eigentum verschafft hat. Dieser Fall der (anfänglichen)
Unmöglichkeit würde nach neuem Recht vor Übergabe des Pkw zu einem zu einem
Rückzahlungsanspruch nach § 326 IV BGB führen. Nach Übergabe ist hingegen
zumindest nach neuem Recht das fehlende Eigentum als Rechtsmangel zu
qualifizieren (str.; wie hier Jauernig/Berger § 435 Rn. 5; Canaris JZ 2003,
831, 832; a.A. Palandt/Putzo § 435 Rn. 8 m.w.N.; zum bisherigen Recht s. die
Anm. zu BGH
NJW 2000, 2101 f), was den Käufer bei Unbehebbarkeit des
Mangels gem. §§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 BGB zum Rücktritt berechtigen.
Freilich dürfte man hier aus der bloßen Tatsache, daß der Bekl. nicht
Eigentümer des Pkw war, noch nicht auf Unmöglichkeit/Unbehebbarkeit
schließen. Sofern nämlich eine Chance bestand, den wahren Eigentümer etwa
zur Genehmigung der Verfügung nach § 185 II BGB zu bewegen, dürfte man nicht
von Unmöglichkeit nach § 275 I ausgehen. das hätte, sofern nicht §§ 275 II,
III BGB einschlägig wären, zur Folge, daß sich das Rücktrittsrecht nach §§
437 Nr. 2, 323 BGB grundsätzlich erst nach einer Fristsetzung ergäbe.
Jedenfalls aber hätte der Kl. dazu nachzuweisen, daß der Pkw gestohlen war
und der Bekl. ihm kein Eigentum verschafft hat.
Aus diesem Grund macht er hier geltend, daß bereits die Tatsache, daß die
Kaufsache (unabhängig vom Zeitpunkt der Beschlagnahme selbst) möglicher
Gegenstand einer solchen Beschlagnahme war, weil deren Voraussetzungen
vorlagen, einen Rechtsmangel darstellt. Der BGH bejaht dies und gibt dem
Käufer aus diesem Grund ein sofortiges Rücktrittsrecht aus §§ 440 I, 325 BGB
a.F. Nach neuem Recht würde sich ein solches Rücktrittsrecht mit im übrigen
der gleichen Begründung aus §§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 BGB ergeben.
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Rechtsmangels ist nach hM
– ohne daß dies in § 435 ausdrücklich geregelt ist – der Zeitpunkt, in
welchem der Käufer Eigentum erwirbt bzw. erworben hätte, i.d.R. also der
Zeitpunkt der Übergabe (Jauernig/Berger § 435 Rn. 4). Vgl. auch
BGH v. 18.1.2017 - VIII ZR
234/15.
©sl 2004
Tatbestand:
Der Kläger kaufte von dem Beklagten mit Vertrag vom 2. Mai 2000 einen PKW M.
zum Preis von 98.000 DM. Den Kaufpreis zahlte der Kläger noch am selben Tag
in bar und erhielt das Fahrzeug. Das Fahrzeug war am 7. Februar 2000 bei
einem Pariser Kommissariat als gestohlen gemeldet worden. Am 18. Mai 2000
wurde das Fahrzeug im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der
Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts der Hehlerei von der
Polizei in Frankfurt am Main bei einer vom Kläger beauftragten Spedition
sichergestellt. Diese Maßnahme wurde durch Beschluß des Amtsgerichts
Frankfurt am Main vom 15. August 2000 richterlich bestätigt. Zur Begründung
heißt es, die Beschuldigten, zu denen neben beiden Parteien weitere Personen
gehörten, ständen im Verdacht, das Fahrzeug im Inland verschoben zu haben.
Der sichergestellte PKW könne als Beweismittel von Bedeutung sein, auch die
Voraussetzungen des Verfalls lägen vor. Eine dagegen gerichtete Beschwerde
wurde durch Beschluß des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. September
2000 zurückgewiesen.
Bereits am 25. August 2000 hatte die Polizei das Fahrzeug an eine Firma I.
GmbH, M. , im Auftrag der mutmaßlichen Eigentümerin herausgegeben.
Der Kläger hat den Beklagten unter Anrechnung einer vorprozessualen Zahlung
von 10.000 DM auf Rückzahlung des restlichen Kaufpreises in Höhe von 88.000
DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Er hat in beiden Instanzen obsiegt.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der
Kläger beantragt, erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Kläger sei zu Recht nach §§ 440 Abs. 1, 325 Abs. 1 BGB a.F. vom
Kaufvertrag zurückgetreten und könne deshalb Rückzahlung des Kaufpreises
verlangen. Eine rechtmäßige Sicherstellung der Kaufsache in einem
Ermittlungsverfahren begründe einen Rechtsmangel, wenn diese Maßnahme auch
auf die §§ 111 b, 111 c StPO gestützt werde. Die Rechtsstellung des Käufers
sei durch die staatliche Befugnis, einzelne Gegenstände ihrem Besitzer auf
Dauer zu entziehen, beeinträchtigt. Eine Beschlagnahme des Fahrzeugs
lediglich zu Beweiszwecken nach § 94 StPO, die keinen Rechtsmangel
darstelle, liege nicht vor. Es könne dahinstehen, ob das Fahrzeug
tatsächlich gestohlen sei und der Beklagte deshalb dem Kläger das Eigentum
daran nicht habe verschaffen können.
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung
stand, so daß die Revision zurückzuweisen ist.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Sicherstellung
des Fahrzeugs durch polizeiliche Beschlagnahme am 18. Mai 2000, bestätigt
durch Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15. August 2000, einen
Rechtsmangel darstelle.
Eine auf der Grundlage von § 111 b StPO durchgeführte Beschlagnahme der
Kaufsache in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren begründet einen
Rechtsmangel, der den Käufer nach Maßgabe der §§ 440 Abs. 1, 325 Abs. 1 Satz
1, 327 Satz 1, 346 ff. BGB a.F. zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.
Nach § 434 BGB a.F., der hier noch anwendbar ist (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB), ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer den verkauften Gegenstand
frei von Rechten zu verschaffen, die von Dritten gegen den Käufer geltend
gemacht werden können. Unerheblich ist dabei, ob der Dritte sein Recht erst
nach Gefahrübergang ausübt. Der Verkäufer ist verpflichtet, schon die bloße
Gefahr der Inanspruchnahme zu beseitigen (RGZ 111, 86, 89;
Staudinger/Köhler, BGB, 13. Bearb., § 434 Rdnr. 5; Soegel/Huber, BGB, 12.
Aufl., § 434 Rdnr. 81; MünchKomm/Westermann, BGB, 3. Aufl., § 434 Rdnr. 10;
Erman/Grunewald, BGB, 10. Aufl., § 434 Rdnr. 1). Maßgebend ist allein, daß
der Sachverhalt, der Rechte Dritter entstehen ließ, bereits bei
Gefahrübergang bestand. Unter die Rechte Dritter im Sinne des § 434 BGB a.F.
fallen öffentlichrechtliche Befugnisse wie eine staatliche Beschlagnahme,
sofern diese tatsächlich ausgeübt wird, zu Recht erfolgt und den Verfall
oder die Einziehung der Sache zur Folge haben kann (RGZ aaO,
Staudinger/Köhler, aaO, § 434 Rdnr. 26; Soergel/Huber, aaO, § 434 Rdnr. 69;
MünchKomm Westermann, aaO, § 434 Rdnr. 10; Erman/Grunewald, aaO, § 434 Rdnr.
5). Darunter ist auch eine Beschlagnahme in einem strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren nach §§ 111 b, 111 c StPO zu verstehen. Diese ist nach
§ 111 b Abs. 1 StPO zulässig, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind,
daß die Voraussetzungen für den Verfall oder die Einziehung des
sicherzustellenden Gegenstandes nach §§ 73, 74 StGB vorliegen. Für den
Käufer besteht die Gefahr, daß ihm die Kaufsache durch den staatlichen
Eingriff entzogen wird und das Eigentum an der Sache auf den Staat nach § 73
e Abs. 1 Satz 1 StGB übergeht. Gleiches gilt nach § 111 b Abs. 5 StPO, wenn
die Beschlagnahme der Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche des durch die
Tat Verletzten dienen soll. Auch in diesem Fall läuft der Käufer Gefahr,
seine Rechtsstellung zu verlieren. Es ist daher gerechtfertigt, eine
staatliche Beschlagnahme der Sache nach § 111 b StPO als Ausübung des Rechts
eines Dritten im Sinne des § 434 BGB a. F. anzusehen. Dies gilt jedenfalls
dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Käufer durch die Beschlagnahme seine
Rechte an der Sache nicht nur vorübergehend, sondern endgültig verliert.
Zwar wurde das Fahrzeug durch die Polizei in Frankfurt am Main bereits am
25. August 2000 ohne Absprache mit der Staatsanwaltschaft oder dem
Ermittlungsrichter freigegeben. Die Aufhebung erfolgte jedoch nicht zu
Gunsten des Klägers, sondern einer Firma I. GmbH, M. , die das Fahrzeug auch
unverzüglich im Auftrag einer französischen Versicherung abholte und nach
Frankreich verbrachte. Es kann dahinstehen, ob die Freigabe zu Recht
erfolgte. Jedenfalls ist dem Kläger durch die Beschlagnahme der PKW entzogen
worden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß es dem Kläger im
weiteren Verlauf des Verfahrens tatsächlich möglich gewesen wäre, das
Fahrzeug wieder in Besitz zu nehmen.
2. Ohne Erfolg rügt die Revision, daß die Beschlagnahme tatsächlich nicht
auf § 111 b Abs. 5 StPO gestützt worden, sondern die Maßnahme nur zur
Sicherung von Beweismitteln nach § 94 StPO erfolgt sei. Vorliegend ist die
Sicherstellung jedenfalls auch aus § 111 b StPO begründet worden, so daß
dahinstehen kann, ob eine lediglich nach § 94 StPO durchgeführte
Sicherstellung der verkauften Sache als Beweismittel einen Rechtsmangel
darstellen kann (verneinend OLG Köln, OLGR Köln 2002, 169; OLG Hamm, OLGR
Hamm 2000, 67, 68; LG Bonn, NJW 1977, 1822, 1823; Staudinger/Köhler, § 434
Rdnr. 26; Soergel/Huber, § 434 Rdnr. 69; anderer Ansicht Erman/Grunewald, §
434 Rdnr. 5).
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die maßgebliche
Beschlagnahmeanordnung, die durch den Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt am
Main vom 18. Mai 2000 und den Beschluß des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 9. September 2000 bestätigt wurde, eine Sicherstellung nach § 111 b StPO
umfaßte. Die Beschlagnahme am 18. Mai 2000 und der dabei ausgefüllte
"Nachweis über sichergestellte/beschlagnahmte Gegenstände" läßt unmittelbar
keinen sicheren Schluß auf die Rechtsgrundlage dieser Maßnahme zu. Aus dem
Stand des Ermittlungsverfahrens ergibt sich jedoch eindeutig, daß wegen des
Verdachts der Hehlerei unter anderem an dem verkauften Fahrzeug ermittelt
wurde. Insofern lag es auf der Hand, daß eine Beschlagnahme des Fahrzeugs
nicht nur zu Beweiszwecken erfolgte, sondern auch, um den Gegenstand für den
Staat oder den Verletzten zu sichern. Ist der Zweck der Maßnahme jedoch
offensichtlich, so ist eine nähere Bezeichnung entbehrlich (BGH, Beschluß
vom 25. Februar 1985 - 1 StE 4/85, NStZ 1985, 262 unter 1. b aa; KK-Nack,
StPO, 5. Aufl., § 111 b Rdnr. 14).
Darüber hinaus wird der Sicherungscharakter der Beschlagnahme nach § 111 b
Abs. 1 StPO im Beschluß des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15. August
2000 ausdrücklich genannt. Die richterliche Bestätigung erwähnt die
Vorschriften der §§ 111 b, 111 c, 111 e StPO in Verbindung mit § 73 StGB und
führt aus, die Voraussetzungen des Verfalls lägen vor. Unschädlich ist, daß
zusätzlich auch die Voraussetzungen einer Sicherstellung nach § 94 Abs. 1
stopp zu Beweiszwecken als erfüllt angesehen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO, 46. Aufl., § 94 Rdnr. 2). Gleiches gilt für den bestätigenden Beschluß
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. September 2000. Weiterhin ist
unerheblich, daß die Beschlagnahme nicht ausdrücklich § 111 b Abs. 5 StPO
benennt. Diese Vorschrift enthält eine Erweiterung der Befugnisse lediglich
für den Fall, daß aufgrund § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB die Sicherung der
Interessen möglicher Verletzter Vorrang vor dem möglichen Verfall des
Gegenstandes zu Gunsten des Staates genießt. Ist aufgrund der Verdachtslage
noch offen, ob der Verfall nach § 73 StGB zu sichern ist oder ob es sich um
eine Sicherstellung nach § 111 b Abs. 5 StPO handelt, so kann die Anordnung
wahlweise auf beide Vorschriften gestützt werden (KMR-Mayer, StPO, 7. Aufl.,
§ 111 b Rdnr. 28; SK-StPO-Rudolphi, § 111 b Rdnr. 11; KK-Nack, § 111 b Rdnr.
20; weitergehend Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 111 b Rdnr. 7). Die
ausdrückliche Angabe der Normen ist entbehrlich, da in beiden gerichtlichen
Beschlüssen Sicherungsgegenstand und Sicherungszweck so konkret angegeben
sind, daß für die von der Beschlagnahme Betroffenen Anlaß und Zielrichtung
der Sicherstellung klar erkennbar waren.
3. Zum Zeitpunkt der Übergabe am 2. Mai 2000 war das Fahrzeug bereits in
Paris als gestohlen gemeldet, so daß ein entsprechender Diebstahlsverdacht
und die Voraussetzungen einer Sicherstellung nach § 111 b StPO bereits bei
Gefahrübergang vorlagen.
Nach diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob sich das
Rücktrittsrecht des Klägers auch aus dem von ihm behaupteten Diebstahl des
Fahrzeuges im Februar 2000 und einem deshalb möglicherweise gescheiterten
Eigentumsübergang ergibt.
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