Erfüllungsort für den Nacherfüllungsanspruch nach § 439 BGB
AG Menden
(Sauerland), Urteil vom 3. 3. 2004 - 4 C 26/03
Fundstelle:
NJW 2004, 2171
s. auch OLG München NJW 2006, 449 sowie
BGH v. 8.1.2008 - X ZR 97/05.
(Eigener) Leitsatz:
Erfüllungsort für den
Nacherfüllungsanspruch ist der Ort, an dem sich der Kaufgegenstand nach dem
Vertragszweck befindet. Grenze der insoweit nach § 439 II BGB vom Verkäufer
zu tragenden Nacherfüllungskosten ist allein das Verweigerungsrecht wegen
Unverhältnismäßigkeit nach § 439 III BGB.
Zum
Sachverhalt:
Die Kl. kaufte bei der Bekl. in deren Filiale in D. am 5. 3. 2002 die
streitgegenständliche Couch-Garnitur. Da es sich bei der Bekl. um einen
Möbel-Abholmarkt handelt, hat die Kl. die Garnitur am 11. 4. 2002 bei der
Bekl. abgeholt und zu sich nach Hause gebracht. Dort musste die Kl. die
Couch-Garnitur von draußen mittels eines Hubwagens über den Balkon in ihre
im 1. Obergeschoss gelegene Wohnung schaffen, da das Treppenhaus und die
Wohnungseingangstür so schmal sind, dass ein Transport auf diesem Wege
unmöglich war. In der Folgezeit zeigten sich diverse Mängel an der
Couch-Garnitur. Der von der Bekl. beauftragte Kundendienst hat zweimal vor
Ort versucht, die Mängel zu beseitigen. Schließlich einigten sich die
Parteien auf eine Nacherfüllung in Form einer Neulieferung und Austausch der
Garnitur. Die von der Bekl. mit dem Austausch der Garnitur beauftragte
Spedition kam am 6. 9. 2002 ohne die erforderlichen Hilfsmittel (Hubwagen
o.ä.) bei der Kl. an und musste deswegen unverrichteter Dinge wieder
zurückfahren. Die Kl. hat dann mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten
vom 11. 9. und 14. 10. 2002 unter Hinweis auf die örtlichen Gegebenheiten
die Bekl. erneut zum Austausch der Couch-Garnitur aufgefordert. Die Bekl.
hat dies unter Hinweis auf die auf Grund der örtlichen Gegebenheiten
erhöhten Transportkosten (Hubwagen o.ä.) abgelehnt und ihrerseits die Kl.
aufgefordert, die mangelbehaftete Couch-Garnitur bei ihr in D. anzuliefern,
um dort den Austausch vorzunehmen. Die Kl. ist daraufhin mit Schreiben ihrer
Bevollmächtigten vom 6. 11. 2002 vom Vertrag zurückgetreten und hat die Bekl.
aufgefordert, die alte Garnitur bis zum 18. 11. 2002 zurückzuholen und
binnen gleicher Frist den Kaufpreis zurückzuzahlen. Nach fruchtlosem
Fristablauf hat sie entsprechende Zug um Zug-Verurteilung beantragt.
Die Klage hatte insoweit Erfolg, als das Gericht die Bekl. zur Rückzahlung
des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Couch-Garnitur und Zahlung
einer Nutzungsentschädigung von 560 € verurteilte.
Aus den Gründen:
Der
Kl. steht der Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe
von 1760 Euro gem. §§ 346, 348, 437 Nrn. 1 u. 2, 439, 440, 323 BGB zu.
Unstreitig hatten sich die Parteien auf eine Nacherfüllung i.S. des § 439
BGB durch Lieferung einer mangelfreien Sache geeinigt, so dass die weiteren
Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 1, 439 BGB nicht gesondert zu prüfen waren.
Maßgebliche Frage, auf deren Entscheidung es der Bekl. erklärtermaßen auch
ankommt, ist daher, ob im Rahmen des § 439 II BGB, wonach der Verkäufer die
zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen hat, der
Erfüllungsort für die Nacherfüllung der ursprüngliche Erfüllungsort oder der
momentane Belegenheitsort der Kaufsache ist. Ursprünglicher Erfüllungsort
ist bei einem Möbel-Abholmarkt wie der Bekl. das Abhollager, wo dem Käufer
die Ware übergeben wird. Momentaner Belegenheitsort der Kaufsache ist jedoch
die Wohnung der Klägerin, wohin die Kaufsache von der Kl. verbracht worden
ist.
Das Gericht beantwortet vorstehende Rechtsfrage eindeutig dahin, dass
Erfüllungsort für die Nacherfüllung i.S. des § 439 BGB der momentane
Belegenheitsort der Kaufsache ist und den Verkäufer - hier die Bekl. - die
Pflicht zur Ersatzlieferung bzw. zur Übergabe der Kaufsache zwecks Reparatur
auf jeden Fall als Bringschuld trifft. Die Nacherfüllung ist also am
jeweiligen Belegenheitsort der Kaufsache zu erbringen, und der Verkäufer
muss die Kosten des Transports etc. tragen. Allein diese Auslegung des § 439
II BGB entspricht der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und nur diese
Auslegung ist mit Art. 3 IV Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar (vgl.
Bamberger/Roth, BGB, § 439 Rdnr. 13 m.w. Nachw.; Huber, NJW 2002, 1006).
Daneben entspricht diese Auslegung Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach der
Käufer einer mangelhaften Sache durch die notwendige Nacherfüllung nicht
weiter belastet werden soll. Würde man ihm die Rückschaffung der
mangelhaften Sache zum Abholmarkt aufbürden, so hätte er in der Regel
zusätzliche, grundsätzlich nicht ersatzfähige eigene Mühewaltungen zu
erbringen, er trüge das Risiko von Beschädigungen während des
Rücktransports, er wäre gegebenenfalls Schuldner von Personen bzw.
Unternehmen, derer er sich zum Rücktransport bedient, und er müsste
schließlich der Bezahlung der Transportkosten etc. durch den Verkäufer
hinterherlaufen. All dies kann dem Käufer, der mit einer mangelhaften
Kaufsache belastet ist, grundsätzlich nicht zugemutet werden. Auf der
anderen Seite würde dem Verkäufer in diesem Fall die Möglichkeit genommen,
für ihn kostenmäßig günstigere Möglichkeiten der Nachlieferung (etwa durch
eigene Fahrzeuge und Mitarbeiter) in Anspruch zu nehmen. Er hätte
grundsätzlich die Kosten für eine vom Käufer beauftragte Spedition zu
übernehmen, während er selbst beim Einsatz eigener Fahrzeuge und Mitarbeiter
geringere Kosten gehabt hätte. Grundsätzlich muss es dem Verkäufer - wie
auch bei der Beseitigung des Mangels - aber überlassen bleiben, auf welche
Art und Weise er die Nacherfüllung bewerkstelligt.
Der Bekl. war somit grundsätzlich auch als Möbel-Abholmarkt verpflichtet,
die Nacherfüllung i.S. des § 439 BGB am momentanen Belegenheitsort der
Kaufsache auf eigene Kosten durchzuführen.
Die Bekl. war von dieser Pflicht auch nicht dadurch freigeworden, dass die
Austauschaktion am 6. 9. 2002 daran gescheitert ist, dass die beauftragte
Möbel-Spedition die erforderlichen Gerätschaften (z.B. Hubwagen) nicht
mitführte. Zum einen ist kaum nachvollziehbar, wieso die Kl. die
Speditionsmitarbeiter nicht auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten
hingewiesen haben sollte. Im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 16. 10.
2003 wird auch eingeräumt, die Kl. habe gegenüber den Mitarbeitern der
Spedition M mitgeteilt, dass es ihr nur gelungen ist, die Couch-Garnitur in
ihre Wohnung zu verbringen, indem sie die Garnitur mit einem Hubwagen auf
das Garagendach geschafft habe und vom Garagendach danach in die Wohnung.
Daneben war der Kundendienst der Bekl. vor dem 6. 9. 2002 zweimal vor Ort.
Der Kundendienst hätte erkennen können und müssen, dass ein Transport durch
das Treppenhaus unmöglich ist. Diese Kenntnis muss sich die Bekl. gem. § 278
BGB zurechnen lassen.
Schließlich ist nicht erkennbar, aus welchem anderen Grund der
Nacherfüllungsanspruch der Kl. deswegen entfallen sein sollte. Die Bekl. ist
durch die Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 11. 9. und 14. 10. 2002
noch mal ausdrücklich zur Nacherfüllung unter Hinweis auf die örtliche
Situation aufgefordert worden. Allenfalls können aus der vergeblichen
Austauschaktion vom 6. 9. 2002 Aufwendungs- bzw. Schadensersatzansprüche der
Bekl. erwachsen. Das Gericht hat bereits frühzeitig mit Verfügung vom 30. 9.
2003 auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen. Gleichwohl ist ein solcher
Anspruch erst mit Schriftsatz vom 2. 3. 2004 beziffert worden. Der Vortrag
ist jedoch unsubstanziiert, da kein der Bekl. tatsächlich entstandener
Schaden bzw. keine ihr entstandenen Aufwendungen geltend gemacht werden
(etwa Kosten, welche die Bekl. an die Spedition M für den Auftrag vom 6. 9.
2002 zu zahlen hätte), sondern lediglich Pauschalkosten auf der Grundlage
des Sachverständigengutachtens ermittelt werden. Dies reicht aber für
entsprechende Zahlungsansprüche der Beklagten, welche sie zur Aufrechnung
stellen könnte, nicht aus.
Der Bekl. stand auch kein Verweigerungsrecht aus § 439 III BGB zu. Nach §
439 III BGB kann der Verkäufer die vom Käufer begehrte Form der
Nacherfüllung verweigern, wenn diese unverhältnismäßig ist. § 439 III BGB
stellt somit den einzigen Schutz des Verkäufers im Rahmen seiner
Verpflichtung zur Nacherfüllung am derzeitigen Belegenheitsort der Kaufsache
dar (vgl. Bamberger/Roth, BGB, § 439 Rdnr. 13; Huber, NJW 2002, 1006).
Die zwischen den Parteien vereinbarte Nacherfüllung ist nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme entgegen dem Vortrag der Bekl. nicht mit nur
unverhältnismäßigen Kosten möglich und erfordert keinen Aufwand i.S. des §
275 II BGB, auf welchen § 439 III BGB unter anderem Bezug nimmt, der unter
Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und
Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des
Gläubigers (Kl.) steht. Der Sachverständige A kommt in seinem überzeugenden
Gutachten, welchem sich das Gericht auf Grund eigener Meinungsbildung ohne
Einschränkungen anschließt und gegen das die Parteien Einwendungen nicht
vorgebracht haben, zu dem Ergebnis, dass der Transport der Möbelgarnitur aus
der Wohnung der Kl. über den Balkon keine ungewöhnliche Aufgabe für eine
Spedition darstellt und dabei Kosten zwischen 543,46 und 637,42 € maximal
entstehen können. Als Faustregel wird diesbezüglich in der Literatur
vorgeschlagen, dass Nacherfüllungskosten bis zu 100% des Werts der
mangelfreien Sache dem Verkäufer zumutbar sind (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 63.
Aufl., § 439 Rdnr. 16; Huber, NJW 2002, 1006 [1008]). Dass diese Grenze bei
einem Kaufpreis von 1760 € und Transportkosten von circa 600 € überschritten
ist, kann nicht erkannt werden. Auch aus anderen Gründen liegt eine
Unzumutbarkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit nicht vor, so dass die Bekl. zur
Nacherfüllung verpflichtet war. Die Kl. ist nunmehr, nachdem die von ihr mit
Schreiben vom 11. 9. und 14. 10. 2002 der Bekl. für die Nacherfüllung
gesetzten Fristen abgelaufen waren, zum Rücktritt vom Kaufvertrag gem. §§
437 Nr. 2, 440, 323, 346, 348 BGB berechtigt. Dabei hat die Bekl. den
Kaufpreis Zug um Zug gegen Rücknahme der Kaufsache zu erstatten. Die Bekl.
ist zur Rückholung der Kaufsache aus der Wohnung der Kl. heraus auf eigene
Kosten verpflichtet.
Die Kl. ist jedoch zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen in Form von
Wertersatz gem. § 346 I, II 1 Nr. 1 BGB verpflichtet. Der entsprechende
Anspruch der Bekl. steht im Rückabwicklungsverhältnis des § 346 BGB dem
Kaufpreis-Rückzahlungsanspruch der Kl. selbstständig gegenüber. Auch wenn
sich auf beiden Seiten Geldleistungen gegenüberstehen, richtet sich
allerdings der Anspruch nicht von vornherein nur auf die Differenz. Die
Forderungen können vielmehr gegeneinander aufgerechnet werden (vgl. Gaier,
in: MünchKomm, 4. Aufl., § 348 Rdnr. 4). Eine entsprechende
Aufrechnungserklärung hat die Bekl. noch nicht abgegeben, so dass eine
Verrechnung durch das Gericht nicht möglich ist.
Der Höhe nach schätzt das Gericht den Wertersatz unter Zugrundelegung der
Fotos in dem Sachverständigengutachten, wonach die Polstergarnitur noch
keine übermäßigen Abnutzungserscheinungen zeigt, gem. § 287 ZPO für den
Zeitraum von zwei Jahren auf 560 €. Dabei geht das Gericht von einer
Gesamtlebensdauer dieser im unteren Preis- und Qualitätssegment liegenden
Polstergarnitur von sieben bis acht Jahren aus. |