Auch zukünftige Ansprüche können den Anlaß für eine wirksame formularmäßige Höchstbetragsbürgschaft geben, sofern der Bürge bei Übernahme der Haftung weiß, aus welchem Grund und bis zu welcher Höhe diese Forderungen entstehen werden.
NJW 1996, 2369
LM H. 10/1996 § 765 BGB Nr. 109
MDR 1996, 922
BB 1996, 1578
DB 1996, 1871
WM 1996, 1391
ZIP 1996, 1289
KTS 1996, 440
Vgl. Anm. zu BGHZ 130, 19 sowie zu BGH NJW 1998, 3708 ff.
Der Ehemann der Bekl. betrieb ein Werbestudio als Einzelkaufmann. Seit 1988 verhandelte er mit der Kl. wegen der Übernahme der bis dahin bei einem anderen Kreditinstitut laufenden Darlehensverträge und gründete als weiteres Unternehmen die C-Werbung GmbH. Die Kl. erklärte sich schließlich zu einer Gesamtfinanzierung bereit, verlangte jedoch als Sicherheiten Bürgschaften beider Eheleute. Am 17. 4. 1989 unterzeichnete die Bekl. eine formularmäßig gestaltete Urkunde, in der sie die Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Kl. aus der Geschäftsverbindung gegen die C-Werbung GmbH sowie den einzelkaufmännischen Betrieb ihres Ehemanns bis zum Betrag von 150000 DM zzgl. Zinsen und Kosten übernahm. Dies geschah in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluß des Kreditvertrags Nr. 26026700. In der Folgezeit gewährte die Kl. eine Reihe weiterer Kredite, u.a. einen privaten Kontokorrentkredit über 20000 DM (Nr. 25575900)an den Ehemann der Bekl. am 19. 4. 1989, ein geschäftliches Darlehen zu Festkonditionen von 32500 DM (Nr. 25200530) ebenfalls an den Ehemann am 14. 7. 1989 und einen Kredit von 197968,99 DM (Nr. 25200533) an "Firma C-Werbung J H" am 12. 10. 1989. Im März 1992 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Die Kl. stellte alle Kredite fällig und errechnete offene Forderungen gegen die GmbH und den Ehemann der Bekl. von insgesamt über 675000 DM, darin eingeschlossen auf dem Privatkono Nr. 25575900 19773,43 DM, auf dem Konto Nr. 25200530 21000 DM, auf dem Konto Nr. 25200533 178674,52 DM. Die Kl. hat beide Eheleute aus ihren Bürgschaften in Anspruch genommen und gegen den Ehemann ein rechtskräftiges Versäumnisurteil in Höhe von 250000 DM erwirkt. Ihren Anspruch aus der Bürgschaft der Bekl. stützt die Kl. auf die Forderung aus dem Konto mit der End-Nr. 533 sowie hilfsweise auf die Salden der Konten mit End-Nrn. 900 und 530. Das LG hat die Klage abgewiesen, das BerGer. die Bekl. antragsgemäß verurteilt. Diese erstrebte mit der Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Nach der Auffassung des BerGer. steht der Kl.
der geltend gemachte Anspruch zu. Sie habe in der mündlichen Verhandlung
klargestellt, worauf sich die Inanspruchnahme der Bekl. aus der Bürgschaft
beziehe. Diese bestimme die Haftung hinsichtlich der maßgeblichen
Hauptforderung inhaltlich in genügender Weise. Die Ausdehnung auf
alle bestehenden und künftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung
sei jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn die Haftung des Bürgen
auf einen Höchstbetrag begrenzt werde. Der Bürgschaftsvertrag
sei nicht gem. § 138 I BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Es fehle
schon an einem besonders groben Mißverhältnis zwischen dem Umfang
der Verpflichtung und der Leistungsfähigkeit der Bekl.; diese sei
aufgrund ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung sowie der Mitarbeit im
Betrieb ihres Ehemanns zudem nicht geschäftsunerfahren gewesen. Zusätzliche
die Entscheidungsfreiheit der Bürgin beeinträchtigende Umstände,
die die Kl. sich zurechnen lassen müsse, hätten nicht vorgelegen.
Da die Bürgschaft nicht nur dem Schutz vor Vermögensverschiebungen
gedient habe, sondern auch die Haftungsmasse habe erweitern sollen, sei
die Kl. nicht nach § 242 BGB gehindert, ihren Anspruch durchzusetzen.
II. Die Revision greift die Ausführungen
des BerGer. zu §§ 138 I, 242 BerGer. Die Ansicht des BerGer.,
daß der Bürgschaftsvertrag im Streitfall nicht gegen die guten
Sitten verstoße, steht indessen im Einklang mit der neueren Rechtsprechung
des Senats (vgl. BGHZ 128, 230 (232ff.) = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995
§ 765 BGB Nr. 98; BGH, NJW 1996, 513 = LM H. 4/1996 § 138 (Bc)
BGB Nr. 85 = WM 1996, 53; NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB
Nr. 104 = WM 1996, 519; NJW 1996, 2096, z. Veröff. bestimmt in BGHZ).
Ob die Kl. dagegen mit der Durchsetzung des Anspruchs aus der Bürgschaft
rechtsmißbräuchlich handelt, braucht nicht entschieden zu werden.
Die Revision hat schon deshalb Erfolg, weil die den Umfang der Bürgenhaftung
betreffende Formularklausel die Kreditforderungen nicht wirksam einbezogen
hat, die die Grundlage des erhobenen Anspruchs bilden.
1. Die formularmäßige Ausdehnung der
Haftung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten aus der
Geschäftsbeziehung zum Hauptschuldner benachteiligt trotz der Begrenzung
auf einen Höchstbetrag den Bürgen entgegen den Grundsätzen
von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 I AGBG).
a) Der Senat hat im Urteil vom 18. 5. 1995 (BGHZ
130, 19 = NJW 1995, 2553 = LM H. 11/1995 § 765 BGB Nr. 99/100/101
= WM 1995, 1397 (1401)) - das noch nicht veröffentlicht war, als das
Berufungsurteil erging - die weite Zweckerklärung der Haftung in AGB
beanstandet, weil sie mit der gesetzlichen Bestimmung des § 767 I
3 BGB nicht zu vereinbaren ist. Diese schützt den Bürgen davor,
für neue Schulden einzustehen, deren Entstehung und ordnungsgemäße
Tilgung er nicht beeinflussen kann. Die Vorschrift soll verhindern, daß
der Bürge durch Maßnahmen des Hauptschuldners und des Gläubigers,
an denen er nicht mitwirkt, in eine für ihn unübersehbare Haftung
gerät. Wegen dieses Verbots der Fremddisposition über die Bürgenschuld
ist eine formularmäßige Ausdehnung der Verpflichtung auf alle
bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus
der bankmäßigen Geschäftsverbindung grundsätzlich
nach § 9 AGBG unwirksam, soweit sie Forderungen aus künftigen
Verträgen und nachträglichen Vertragsänderungen betrifft.
Der Bürge wird lediglich dann nicht unbillig benachteiligt, wenn er
selbst in der Lage ist, Erweiterungen der Hauptschuld zu verhindern (Senat,
NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104, z. Veröff. bestimmt
in BGHZ).
b) Wäre die umfassende Haftungsklausel bei
Höchstbetragsbürgschaften zulässig, könnten Gläubiger
und Hauptschuldner nach Erteilung der Bürgschaft in unbeschränktem
Umfang neue Verbindlichkeiten begründen, die alle in Höhe der
vereinbarten Haftungssumme von der Bürgschaft gedeckt wären.
Für den Bürgen wäre demzufolge das Risiko, anstelle des
Hauptschuldners leisten zu müssen, im Zeitpunkt der Begründung
seiner Verbindlichkeit nicht abschätzbar. Es könnte selbst bei
zwischenzeitlicher Tilgung aller Gläubigeransprüche jederzeit
wieder aufleben, solange der Bürge den Vertrag nicht kündigt.
Eine so geartete Regelung ist mit Inhalt und Ziel des § 767 BGB nicht
zu vereinbaren. Nach der gesetzlichen Regelung hat der Bürge eine
Erhöhung der ursprünglichen Hauptforderung mit Wirkung gegen
seine Person nur hinzunehmen, soweit sie auf einem Verschulden des Hauptschuldners
gegenüber dem Gläubiger beruht oder bestimmte Kosten der Rechtsverfolgung
betrifft (§ 767 I 2, II BGB). Darüber hinaus kann eine Erweiterung
der Verpflichtung des Bürgen ohne seine Zustimmung grundsätzlich
nicht begründet werden. Auf diese Weise wird der Schutz seiner Privatautonomie
sichergestellt (zutr. Horn, in: Festschr. f. Merz, S. 217 (225)). Eine
Bestimmung, die im Gegensatz dazu es dem Gläubiger gestattet, innerhalb
eines Haftungshöchstbetrags unbeschränkt zukünftige Forderungen
der Haftung des Bürgen zu unterlegen, entfernt sich von dem gesetzlichen
Leitbild so weit, daß sie mit dem Grundgedanken der im BGB getroffenen
Regelung nicht mehr vereinbar ist (§ 9 II Nr. 1 AGBG). Aus diesen
Gründen ist - wie der Senat bereits mit Urteil vom 7. 3. 1996 (NJW
1996, 1470 = LM H. 8/1996 § 767 BGB Nr. 31/32 = WM 1996, 766) entschieden
hat - die formularmäßige Erstreckung der Bürgenhaftung
über diejenigen Forderungen hinaus, die Anlaß zur Verbürgung
gaben, auf zukünftige Ansprüche des Gläubigers unwirksam.
2. Für die Kreditforderungen, die der Klage
zugrunde liegen, hat die Bekl. nicht einzustehen. a) Die Kl. hat in der
Berufungsinstanz vorgetragen, die Bürgschaft sei zusammen mit der
Unterzeichnung des Kreditvertrags Nr. 26026700 - der offenbar die neu gegründete
GmbH betraf - erteilt worden. Daraus allein ergibt sich kein Zusammenhang
mit den hier geltend gemachten Forderungen aus Geschäftskrediten,
die erst erhebliche Zeit nach Erteilung der Bürgschaft begründet
wurden. Dies gilt sowohl für den Darlehensvertrag mit der End-Nr.
533, welcher nicht mit der GmbH, sondern dem Ehemann der Bekl. als Inhaber
des einzelkaufmännischen Unternehmens am 12. 10. 1989 geschlossen
wurde, als auch für die Forderung aus dem Vertrag vom 14. 7. 1989
(End-Nr. 530). Auf Ansprüche aus dem Vertrag vom 19. 4. 1989 (End-Nr.
900) erstreckt sich die Bürgschaft ohnehin nicht, weil sie nur Geschäftskredite
und keine privaten Verbindlichkeiten des Ehemanns der Bekl. sichert.
b) Die Kl. hat in der Revisionsverhandlung erklärt,
sie hätte, wenn ihr die inzwischen vollzogene Änderung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung in der mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter bekannt
gewesen wäre, bereits dort dargelegt, daß die im Jahre 1989
vollzogene Umschuldung Anlaß für die Bürgschaft gewesen
sei und die Bekl. dies gewußt habe. Mit dem Vertrag vom 14. 7. 1989
(End-Nr. 530) sei ein Teil des Kreditengagements bei der Sparkasse übernommen
worden. Dieses Vorbringen vermag indessen eine Haftung der Bekl. auch für
diese Forderung nicht zu begründen. § 9 AGBG schließt allerdings
nicht generell aus, daß eine formularmäßig auf alle Forderungen
aus einer Geschäftsverbindung bezogene Bürgschaft auch einen
zukünftigen Anspruch wirksam erfaßt. Das berechtigte Interesse
des Bürgen, nicht für Forderungen einstehen zu müssen, deren
Inhalt und Umfang er bei Erteilung seiner Willenserklärung nicht absehen
kann, ist bei zukünftigen Ansprüchen dann gewahrt, wenn der Kreis
der Hauptschulden, auf die sich seine Verpflichtung bezieht, nach Grund
und Umfang von Anfang an klar und übersichtlich abgesteckt ist. Der
Bürge muß aufgrund der Erklärungen der Bank oder aus eigener
Kenntnis wissen, welche nach Gegenstand und Grund individualisierten Forderungen
in die Haftung einbezogen werden sollen, damit er genau erkennen kann,
welches Risiko er in dieser Hinsicht auf sich nimmt. Dazu hätte die
Kl. im Streitfall die Bekl. vor Unterzeichnung der Bürgschaft darauf
hinweisen müssen, daß zur Umschuldung die Gewährung des
Darlehens gehörte, das dann am 13. 7. 1989 gewährt wurde. Eine
solche Erläuterung war nur dann entbehrlich, wenn der Bekl. dieser
Sachverhalt aus eigener Kenntnis der Geschäftsvorgänge bekannt
war. Da die Revisionserwiderung entsprechende Voraussetzungen nicht dargetan
hat, ist dieses Darlehen nicht von der formularmäßig gegebenen
Bürgschaft gedeckt.
3. Die eingeschränkte Wirksamkeit der den
Haftungsumfang betreffenden Formularklausel gilt bereits im Streitfall,
obwohl der Senat die Bestimmung früher in weiterem Umfang als gültig
angesehen hat. Der mit der Entscheidung verbundenen Rückwirkung auf
einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt
stehen verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Das hat der Senat
im Urteil vom 18. 1. 1996 (NJW 1996, 924 = LM H. 6/1996 § 765 BGB
Nr. 105 = WM 1996, 436 (437f.); vgl. auch NJW 1996, 1467 = LM H. 9/1996
§ 765 BGB Nr. 107 = WM 1996, 762 (765f.)), im einzelnen begründet;
die dortigen Erwägungen gelten hier entsprechend.