1. Verlangt der Schuldner, der zunächst
vom Gläubiger die Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde begehrt
hatte, nach Auszahlung der Bürgschaftssumme deren Rückzahlung,
ist die Änderung des Klageantrags regelmäßig nach §
264 Nr. 3 ZPO zulässig.
2. Ändert der Kläger seinen ursprünglichen
Antrag nach § 264 Nr. 3 ZPO und führt er zusätzlich einen
neuen Anspruch in den Rechtsstreit ein, ist nur dessen Zulässigkeit
und nicht die Umstellung des Antrags insgesamt nach § 263 ZPO zu beurteilen.
NJW 1996, 2869
LM H. 12/1996 § 264 ZPO 1976 Nr. 16
WM 1996, 1507
MDR 1997, 91
JA 1997, 89
S. Anm. zu BGH NJW 1999,
55 ff
Zum Sachverhalt:
Die Kl. beauftragte die Bekl. mit Vertrag vom 22./28.
3. 1990 als Generalunternehmerin mit der schlüsselfertigen Bebauung
zweier Grundstücke zum Pauschalpreis von 2,4 Mio DM. Vertragsgemäß
übergab sie der Bekl. eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft
bis zum Höchstbetrag von 240000 DM für die Vertragserfüllung;
Zahlung sollte auf erste schriftliche Anforderung des Generalunternehmers
erfolgen. Das Bauvorhaben wurde in der Folgezeit aus Gründen, die
zwischen den Parteien streitig sind, nicht ausgeführt. Unter dem 11.
2. 1991 übersandte die Bekl. der Kl. eine Rechnung über insgesamt
267538,61 DM. Abgerechnet wurden Kosten für ein geologisches Gutachten,
damit zusammenhängende Erdarbeiten, Rodungsarbeiten, allgemeine Nebenkosten
in Höhe von 7,5 % des Pauschalpreises und Preiserhöhungen von
6 %. Mit Schreiben vom 18. 2. 1991 kündigte die Kl. den Generalunternehmervertrag
aus wichtigem Grund; ihrer Aufforderung, die Bürgschaftsurkunde zurückzugeben,
kam die Bekl. nicht nach. Um eine Inanspruchnahme der Bürgin zu verhindern,
erhob die Kl. Klage auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Die Bekl.
erwirkte indessen gegen die Bürgin ein Urteil des LG Stuttgart, durch
das ihr der Bürgschaftsbetrag von 240000 DM zugesprochen wurde. Dieses
Urteil wurde im Berufungsverfahren abgeändert, vom BGH (NJW 1994,
380 = LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88) aber wiederhergestellt. Die Bürgin
zahlte daraufhin die Bürgschaftssumme an die Bekl. aus. Im vorliegenden
Rechtsstreit änderte die Kl. nunmehr ihren Antrag. Statt der Herausgabe
der Bürgschaftsurkunde verlangte sie die Rückzahlung der Bürgschaftssumme
abzüglich einer als berechtigt zugestandenen Forderung der Bekl. in
Höhe von 24047,87 DM (anteilige Kosten des geologischen Gutachtens)
sowie 200000 DM Schadensersatz, insgesamt also 415952,13 DM. Den ursprünglichen
Antrag erklärte sie hilfsweise in der Hauptsache für erledigt.
Zur Begründung der Schadensersatzforderung führte sie aus, daß
nach der von der Bekl. zu vertretenden Kündigung des Generalunternehmervertrags
die Bauausführung durch Dritte Mehrkosten von über 1,6 Mio. DM
verursacht habe; hiervon mache sie einen Teilbetrag von 200000 DM geltend.
Die Klage blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg.
Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung der angefochtenen Urteile
und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat - wie schon das LG - in der
Umstellung des Antrags eine unzulässige Klageänderung gesehen.
Es hat hierzu ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Kl. sei die
Klageänderung nicht hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs nach
§ 264 Nr. 3 ZPO und hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs nach
§ 264 Nr. 2 ZPO zu beurteilen. Mit der Schadensersatzforderung habe
die Kl. den Klageantrag nicht i.S. von § 264 Nr. 2 ZPO erweitert,
da das ursprüngliche Herausgabeverlangen nicht aufrechterhalten und
der Rückzahlungsanspruch erst zusammen mit dem Schadensersatzanspruch
erhoben worden sei. Für den Übergang vom Herausgabe- zum Rückzahlungsantrag
könne nicht § 264 Nr. 3 ZPO gelten, weil die Änderung des
Klageantrags in einen Zahlungsantrag prozessual einheitlich beurteilt werden
müsse und der Klagegrund insgesamt nicht identisch geblieben sei.
Die Zulässigkeit der Klageänderung richte sich deshalb einheitlich
nach § 263 ZPO, setze also mangels Einwilligung der Bekl. Sachdienlichkeit
voraus. Die Entscheidung des LG zur Sachdienlichkeit liege im Rahmen des
dem Gericht eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es habe zu Recht
darauf abgestellt, daß der ursprüngliche Klagantrag abweisungsreif
gewesen und daß zur Begründung der Schadensersatzforderung völlig
neuer Prozeßstoff eingeführt worden sei, während der bisherige
nicht zu verwerten gewesen wäre. Der Gedanke der Prozeßwirtschaftlichkeit
spreche nicht zwingend für die Sachdienlichkeit der Klageänderung.
Im übrigen werde der Kl. nicht mehr zugemutet als jedem anderen Schuldner,
der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gestellt habe und deshalb
Einwendungen regelmäßig erst in einem Rückforderungsprozeß
geltend machen könne. Der hilfsweise gestellte Erledigungsantrag sei
unbegründet, weil die Kl. nicht hinreichend dargelegt habe,
daß der Sicherungszweck der Bürgschaft entweder nicht zur Entstehung
gelangen konnte oder nachträglich endgültig weggefallen sei;
die Herausgabeklage sei deshalb von Anfang an unbegründet gewesen.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ergebnis zutreffend nimmt das BerGer. allerdings
an, daß die Umstellung der Klage vom Herausgabe- auf den Zahlungsantrag
insoweit, als erstmals ein Schadensersatzanspruch erhoben wurde, keine
Klageerweiterung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO ist. Dies wird auch
von der Revision hingenommen. Sämtliche Fallgruppen des § 264
ZPO setzen voraus, daß der Klagegrund, also der zur Begründung
des Klageantrags vorgetragene Lebenssachverhalt (BGHZ 117, 1 (5) = NJW
1992, 1172 = LM H. 4/1992 § 322 ZPO Nr. 133 m.w.Nachw.; BGH, NJW 1994,
460 = LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88) unverändert bleibt; dies
war aber hier nicht der Fall.
Zur Begründung des Herausgabeanspruchs hatte
die Kl. vorgetragen, der Bekl. stünden keine durch die Bürgschaft
gesicherten Forderungen zu, abgesehen von den Kosten des geologischen Gutachtens
in Höhe von 24074,87 DM. Weitere von der Bürgschaft erfaßte
Leistungen habe sie nicht erbracht. Da die Bekl. einen wichtigen Grund
zur Kündigung gegeben habe und bei Ausführung des Auftrags Verlust
gemacht hätte, komme auch ein Vergütungsanspruch der Bekl. nach
§ 649 BGB nicht in Betracht. Den Schadensersatzanspruch hatte die
Kl. demgegenüber darauf gestützt, daß sie infolge der Pflichtverletzungen
der Bekl. Dritte mit der Ausführung der Bauvorhaben habe beauftragen
müssen, wodurch ihr beträchtliche Mehrkosten entstanden seien.
Das ist ein anderer Lebenssachverhalt. Mit der Schadensersatzforderung
führte die Kl. somit einen neuen prozessualen Anspruch ein. Darin
lag eine nachträgliche objektive Klagehäufung, die wie eine Klageänderung
nach § 263 ZPO nur zulässig war, wenn die Bekl. in die Änderung
einwilligte oder das Gericht sie für sachdienlich erachtete (vgl.
BGH, NJW-RR 1990, 318 = WM 1989, 1546 (1548) m.w. Nachw.).
2. Zu Unrecht hat das BerGer. jedoch den neuen
Zahlungsantrag insgesamt und nicht nur den auf den Schadensersatzanspruch
entfallenden Teil nach § 263 ZPO beurteilt. Der Übergang vom
Antrag auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde zum Zahlungsantrag war
gem. § 264 Nr. 3 ZPO zulässig, soweit die Kl. nun die Rückzahlung
der Bürgschaftssumme verlangte.
a) Nach § 264 Nr. 3 ZPO ist es nicht als
eine Änderung der Klage anzusehen, wenn statt des ursprünglich
geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung
ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird. Das war hier
der Fall.
aa) Wie auch das BerGer. nicht verkannt hat, änderte
sich der Klagegrund durch die Umstellung vom Herausgabeanspruch auf den
Rückzahlungsanspruch nicht. Sowohl der Anspruch auf Herausgabe der
Bürgschaftsurkunde, der sich grundsätzlich aus der Sicherungsabrede
im Generalunternehmervertrag ergeben konnte (vgl. BGH, NJW 1989, 1482 =
LM § 765 BGB Nr. 64 = WM 1989, 521 (524) m.w.Nachw.), als auch der
Anspruch auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme wegen ungerechtfertigter
Bereicherung (vgl. BGH, NJW 1992, 1881 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr.
80 = WM 1992, 773 (776)) setzten voraus, daß die Bekl. nach der Kündigung
des Generalunternehmervertrags keine durch die Bürgschaft gesicherten
Forderungen hatte; dann hatte die Bekl. kein Recht mehr zum Besitz der
Bürgschaftsurkunde und keinen Anspruch auf den Bürgschaftsbetrag.
Dementsprechend bezog sich die Kl. zur Begründung des Rückzahlungsanspruchs
im wesentlichen auf den Vortrag, auf den sie bereits den Herausgabeanspruch
gestützt hatte.
bb) Auch die besonderen Voraussetzungen des §
264 Nr. 3 ZPO sind erfüllt. Durch die im Laufe des erstinstanzlichen
Verfahrens erfolgte Auszahlung des Bürgschaftsbetrags an die Bekl.
war eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten.
Aus diesem Grund verlangte die Kl. nicht mehr, wie ursprünglich gefordert,
die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde, sondern deren Surrogat, die
Bürgschaftssumme.
b) Entgegen der Auffassung des BerGer. muß
die Umstellung des Klageantrags vom Herausgabe- auf den Zahlungsanspruch
nicht prozessual einheitlich beurteilt werden. Die gesetzliche Regelung
der eingeschränkten Zulässigkeit der Klageänderung in den
§§ 263ff. ZPO dient zunächst dem Schutz des Bekl.; er hat
grundsätzlich einen Anspruch auf eine sachliche Entscheidung über
den ursprünglichen Antrag des Kl. und soll sich in einem laufenden
Verfahren nicht gegen einen geänderten Angriff verteidigen müssen.
Andererseits haben der Kl. und das Gericht ein berechtigtes Interesse an
einer alsbaldigen, prozeßwirtschaftlichen Erledigung des Streitstoffs.
Den sich daraus ergebenden Konflikt entscheidet § 264 ZPO für
die dort geregelten Fälle zugunsten des Kl. Er soll berechtigt sein,
unter bestimmten Voraussetzungen seinen Antrag zu ändern, sofern nur
der Klagegrund unverändert bleibt. Diese Entscheidung des Gesetzgebers
ist auch dann zu respektieren, wenn der Kl. zusätzlich einen neuen
prozessualen Anspruch erhebt. Über ihn kann, wie auch sonst bei Klagehäufungen
nach § 260 ZPO, unabhängig vom anderen Anspruch entschieden werden,
auch wenn die verschiedenen Ansprüche zu einem einheitlichen Antrag
zusammengefaßt sind. An der Interessenlage ändert eine solche
Zusammenfassung nichts. Es besteht kein Grund, dem Kl. die gesetzlich vorgesehene
Möglichkeit, die Klage nach § 264 ZPO umzustellen, zu nehmen,
nur weil er neben dieser Umstellung einen zusätzlichen Streitgegenstand
in den Prozeß einführt.
3. War sonach die Änderung des Klageantrags
vom Herausgabe- auf den Rückzahlungsanspruch zulässig, stellt
sich die Beurteilung der Zulässigkeit der Klageänderung durch
das BerGer. auch hinsichtlich des neu eingeführten Schadensersatzanspruchs
als rechtsfehlerhaft dar. Maßstab ist insoweit - wie unter II 1 ausgeführt
wurde - § 263 ZPO; da die Bekl. nicht einwilligte, kam es darauf an,
ob das Vorgehen der Kl. sachdienlich war. Die diesbezügliche Beurteilung
eröffnet dem Tatrichter einen Ermessensspielraum und kann im Revisionsverfahren
nur daraufhin überprüft werden, ob der Begriff der Sachdienlichkeit
verkannt und damit die Grenzen des Ermessens überschritten wurden
(st.Rspr., vgl. etwa BGHZ 123, 132 (137) = NJW 1993, 3072 = LM H. 2/1994
§ 51 ZPO Nr. 27; BGH, NJW-RR 1990, 505 = LM § 263 ZPO 1976 Nr.
15 = WM 1990, 657 (658); jew. m.w.Nachw.).
Beide Tatsacheninstanzen haben von ihrem Ermessen
einen fehlerhaften Gebrauch gemacht, indem sie den neuen Zahlungsantrag
als ganzen auf seine Sachdienlichkeit hin prüften. Statt dessen hätten
sie berücksichtigen müssen, daß der neue Antrag hinsichtlich
des Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 215952,13 DM nach §
264 Nr. 3 ZPO zulässig war und deshalb ohnehin sachlich über
ihn entschieden werden mußte. Dem Umstand, daß der Rechtsstreit
deshalb in jedem Falle wegen des Rückzahlungsanspruchs fortzusetzen
war, kam unter dem Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit auch
für die Beurteilung der Sachdienlichkeit einer Einbeziehung der Schadensersatzforderung
in den laufenden Prozeß Bedeutung zu. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, daß die Tatrichter dabei zu einem anderen Ergebnis gekommen
wären, wenn sie die Rechtslage bezüglich des Rückzahlungsanspruchs
zutreffend berücksichtigt hätten.
III. 1. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben
und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Da nicht nur das BerGer., sondern schon das LG verkannt hat, daß
die Klageänderung teilweise nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässig
war, und deshalb auch sein Ermessen bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit
nach § 263 ZPO fehlerhaft ausgeübt hat, litt bereits das Verfahren
des ersen Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel. Dieser hätte das
BerGer. nach § 539 ZPO zu einer Zurückverweisung der Sache an
das LG veranlassen müssen. Diese Entscheidung kann das RevGer. nachholen
(vgl. BGH, NJW 1992, 2099 (2100) = LM H. 1/1993 § 565 Abs. 3 ZPO Nr.
17; NJW-RR 1994, 379 = LM H. 6/1994 § 565 Abs. 3 ZPO Nr. 18 = WM 1994,
865 (868)).
2. Bei der Beruteilung der Sachdienlichkeit des
neu erhobenen Schadensersatzanspruchs wird der Tatrichter zu berücksichtigen
haben, daß es gegen die Sachdienlichkeit sprechen kann, wenn der
Rechtsstreit im übrigen entscheidungsreif ist; maßgeblich ist
hier aber nicht der ursprüngliche Herausgabeantrag, sondern wegen
der insoweit zulässigen Klageänderung der Antrag auf Rückzahlung
der Bürgschaftssumme. Dieser ist begründet, soweit die Bekl.
- abgesehen von dem zugestandenen Anspruch von 24047,87 DM - keine durch
die Bürgschaft gesicherte Forderung gegen die Kl. hat. Die Darlegungs-
und Beweislast für das Bestehen solcher Forderungen liegt allerdings
bei der Bekl. Nach Zahlung auf eine Bürgschaft auf erstes Anfordern
ist im Rückforderungsprozeß ungeachtet der vertauschten Parteirollen
die Darlegungs- und Beweislast so verteilt, wie wenn der Gläubiger
den Bürgen in Anspruch nähme (BGH, NJW-RR 1989, 1324 = LM §
765 BGB Nr. 69 = WM 1989, 1496 (1498) m.w.Nachw.).