Bürgschaft auf erstes Anforderung: Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nach Zahlung des Bürgen an den Gläubiger 

BGH, Urteil v. 24.9.1998


Amtl. Leitsätze:

1. Ist in einer zur Sicherung der Erfüllungsansprüche aus einem Werkvertrag erteilten Bürgschaft vereinbart worden, daß die Verpflichtungen des Bürgen mit der Abnahme, spätestens jedoch dann erlöschen, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Endtermin in Anspruch genommen worden ist, so entfallen die Rechte des Gläubigers, der die Bürgenleistung fristgemäß und zu Recht angefordert hat, nicht schon dadurch, daß er später das Werk abnimmt.
2. Hat der Gläubiger die Leistung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern materiell zu Unrecht in Anspruch genommen und der Hauptschuldner dem Bürgen dessen Aufwendungen erstattet, so steht dem Hauptschuldner aus der Sicherungsabrede mit dem Gläubiger ein eigener Rückforderungsanspruch zu.
3. Die Sicherungsabrede über die Gewährung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist im allgemeinen so auszulegen, daß der Gläubiger gegenüber dem eigenen Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nicht mit streitigen Forderungen aufrechnen darf, die durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht gedeckt sind.
4. Das Aufrechnungsverbot aus der Sicherungsabrede zwischen Gläubiger und Hauptschuldner greift nicht durch, soweit dem Gläubiger dadurch ein Nachteil entstanden ist, daß der Hauptschuldner eine weitere vertraglich geschuldete Sicherheit nicht erbracht hat.


Fundstellen:

BGHZ 139, 325
NJW 1999, 55 ff
Anm. Pfeiffer LM H. 2/1999 § 765 BGB Nr. 130/131
S. auch die Anm. zu BGH NJW 2001, 282 ff sowie zu BGH NJW 2003, 352.
Zur Verjährung s. BGH v. 8.7.2008 - XI ZR 230/07.



Zentralprobleme des Falles:

Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verspricht der Bürge dem Hauptschuldner, auf dessen bloßes Anfordern zu zahlen, d.h. der Bürge muß bezahlen, wenn der Hauptschuldner den Eintritt des Sicherungsfalles behauptet.
Nur in sehr engem Maße hat der Bürge den sog. Mißbrauchseinwand: Er kann die Zahlung verweigern, wenn offensichtlich ist, daß der Gläubiger seine formale Rechtsstellung mißbraucht (vgl. hierzu BGH NJW 1997, 255).
Wenn der Sicherungsfall tatsächlich nicht eingetreten ist, bestand also tatsächlich keine Verpflichtung aus der Bürgschaft, da auch die Bürgschaft auf erstes Anfordern akzessorisch ist. Es kommt daher häufig zur Rückforderungsprozessen. Ein solcher kann sich zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger abspielen, da der Bürge bei Nichtbestehen der Hauptschuld (und damit nicht bestehender Bürgschaft) sine causa gezahlt hat: Die Verpflichtung, auf erstes Anfordern zunächst zu zahlen, stellt keinen Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen des gezahlten Betrages dar (anders ist dies bei einer - nichtakzessorischen - Bankgarantie auf erstes Anfordern, vgl. dazu jüngst BGH ZIP 1999, 18 ff). Der "Bürge" ist aber nicht auf diese Rückforderung vom Gläubiger beschränkt, weil er auch bei Nichtbestehen der Hauptforderung einen Erstattungsanspruch gegen den Hauptschuldner aus §§ 675, 670 BGB hat (er war ja beauftragt, auf erstes Anfordern unabhängig vom Bestehen der Hauptforderung zu bezahlen). Auch im vorliegenden Fall hatte sich die bürgende Bank auf diese Weise bei dem Hauptschuldner befriedigt.
Damit kommt es zu Rückforderungsprozessen meist zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger.
In diesem Verfahren liegt - in Auslegung des Bürgschaftsvertrags abweichend von allgemeinen Grundsätzen - die Beweislast für das Bestehen der Hauptforderung beim beklagten Gläubiger (vgl. BGH NJW 1996, 2869; 1997, 1435). Fraglich ist die Anspruchsgrundlage für einen solchen Rückforderungsprozeß. Ein Bereicherungsanspruch ist fraglich, weil die Zahlung des Bürgen primär eine Leistung des Bürgen an den Gläubiger ist, und daher eine Leistungskondiktion des Schuldners nicht in Betracht kommt. Es entfällt wegen des Vorrangs dieser Leistungsbeziehung auch eine Kondiktion "in sonstiger Weise".
Die vorliegende Entscheidung stellt klar, daß sich ein Zahlungsanspruch des Hauptschuldners aus der zwischen ihm und dem Gläubiger bestehenden Sicherungsabrede über die Beibringung der Bürgschaft ergibt (aus dieser kann sich übrigens auch die Verpflichtung ergeben, den Bürgen nicht in Anspruch zu nehmen, vgl. BGH NJW 1996, 2869 ff). Weiter wird klargestellt, daß der Gläubiger gegen diesen Rückzahlungsanspruch nicht mit anderen, ungesicherten Forderungen aufrechnen kann. Auch das ergibt sich in (ergänzender) Auslegung der Sicherungsabrede. Wäre dem nicht so, könnte der Gläubiger nämlich einseitig den Sicherungszweck der Bürgschaft erweitern, indem er sich beim Bürgen das Geld holt und gegenüber dem Schuldner aufrechnet.


Zum Sachverhalt:

Durch Vertrag vom 15. 6. 1993 beauftragte die Bekl. die Kl. mit der Lieferung und Montage eines Lagerverwaltungssystems zum Preis von 1,75 Mio. DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Kl. hatte verschiedene Bürgschaften zu stellen, darunter am 1.10.1993 eine Fertigstellungsbürgschaft in Höhe von 30% der Auftragssumme, die zeitlich begrenzt bis zum Übergabetermin, spätestens bis zum 5.3.1994, gelten sollte. Die Bekl. erhielt fristgerecht eine Bürgschaft der S-AG (fortan: S-Bank) in Höhe von 619 620,72 DM "für die Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/ Leistungen". Weiter heißt es in der Urkunde:

3. Die Verpflichtungen der Bank aus dieser Bürgschaft erlöschen mit der Abnahme der vereinbarten Lieferung/Leistung oder mit der Rückgabe dieser Bürgschaftsurkunde, spätestens jedoch - insoweit abweichend von § 777 BGB-, wenn die Bank nicht bis zum 5.3.1994 aus  dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist.

Darüber hinaus bestätigte die S-Bank der Bekl., sie werde auf erstes schriftliches Anfordern zahlen, sofern die Bekl. ihr mitteile, daß die Kl. ihren vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen sei; der in der Bürgschaftsurkunde enthaltene Haftungsausschluß betreffend Ansprüche auf fristgerechte Erfüllung der Mängelgewährleistung sei gegenstandslos. Der in der Bürgschaft angegebene Endtermin wurde auf Bitten der Bekl. mehrfach verschoben, zuletzt bis zum 21.12.1994. Am 12.9.1994 schlossen die Parteien eine Vereinbarung zur Bereinigung aufgetretener Meinungsverschiedenheiten. Auch in der Folgezeit beanstandete die Bekl. verschiedene von der Kl. erbrachte Leistungen. Als ihrer Bitte, den Endtermin der Bürgschaft erneut zu verschieben, nicht entsprochen wurde, forderte sie bei der S-Bank die Bürgschaftssumme am 21.12.1994 an und erhielt sie ausbezahlt. Im Januar 1995 wurde der als Voraussetzung einer Abnahme vereinbarte Test der Anlage durchgeführt. In dem darüber aufgenommenen Protokoll heißt es: "Die Anlage ist somit betriebsbereit, bis auf die in der Anlage 1 vom 23.1.1995 aufgeführten Mängel und den damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen." Der Anwalt der Bekl. bestätigte mit Schreiben vom 7.2.1995, daß die Anlage abgenommen sei. Die S-Bank belastete die Kl. mit dem Bürgschaftsbetrag. Diese nimmt die Bekl. auf Rückzahlung der erhaltenen Leistung in Anspruch und verlangt zusätzlich restlichen Werklohn von 139 676,24 DM. Die Parteien streiten darüber, ob die Kl. die gerügten Mängel ordnungsgemäß beseitigt hat und etwa insoweit noch bestehende Ansprüche von der Bürgschaft gedeckt sind. Die Bekl. hat die Leistung der Kl. in zahlreichen Punkten beanstandet und vorsorglich mit Gegenforderungen aufgerechnet sowie ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht. Das LG hat durch Teilurteil dem auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme gerichteten Anspruch stattgegeben, das OLG die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

Aus den Gründen:

1. Das BerGer. ist der Auffassung, die Bekl. müsse der Kl. den aus der Bürgschaft erhaltenen Betrag erstatten, und hat dies wie folgt begründet:
Vereinbart und geleistet worden sei eine Vertragserfüllungsbürgschaft. Diese sichere nicht nur Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der Werkleistung, sondern auch etwaige Mängelrechte des Auftraggebers. Die Verpflichtungen aus der Bürgschaft seien jedoch mit der Abnahme des Werks am 23.1.1995 erloschen; das ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der Bürgschaftsurkunde. Wegen des durch die Abnahme bedingten Wegfalls des Sicherungszwecks sei die Bekl. verpflichtet, die Bürgschaftssumme zu erstatten. Dieser Anspruch sei nicht durch die Aufrechnung der Bekl. erloschen. Aus dem Zweck der Bürgschaft, lediglich die Ausführung des Werks bis zur Abnahme zu gewährleisten, folge, daß eine Aufrechnung stillschweigend ausgeschlossen sei. Der Bekl. stehe auch kein Zurückbehaltungsrecht zu, weil sie verpflichtet gewesen sei, die Erfüllungsbürgschaft zurückzugeben, bevor ihr die Kl. eine Gewährleistungsbürgschaft zur Ablösung des Sicherungseinbehalts habe aushändigen müssen.

II. Diese Erwägungen halten in wesentlichen Punkten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das BerGer. hat die von der S-Bank am 30.9.1993 erteilte Erklärung zutreffend als Erfüllungsbürgschaft gewertet. Die Bank hat dort die Haftung für die Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen übernommen. Eine derartige Bezeichnung der Leistungspflicht deutet in aller Regel auf eine Erfüllungsbürgschaft hin (BGH, NJW 1988, 907 = LM § 16 [B] VOB/B 1973 Nr. 7; Schmitz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb. II, § 91 Rdnr. 152). Die Auslegung des BerGer. stimmt zudem im Ergebnis überein mit der mündlichen Einigung der Parteien vor Abschluß des Vertrags, wie sie in dem Besuchsbericht des Angestellten der Kl. L vom 18. 5. 1993 niedergelegt ist. Danach hat die Kl. sich damit einverstanden erklärt, eine "Vertragserfüllungsgarantie" in Höhe von 30% des Lieferumfangs zu stellen. Die in Nr. 27 des Vertrags vom 15.6.1993 eingegangene Verpflichtung, bis zum 1.10.1993 eine Fertigstellungsbürgschaft in Höhe von 30% der Auftragssumme, zeitlich begrenzt bis zum Übergabetermin, beizubringen, bezog sich damit auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft und wurde durch die Erklärung der S-Bank vom 30.9.1993 realisiert.
2. Hat die Bekl. zu Unrecht die Bürgin in Anspruch genommen, steht der Kl., die ihrerseits von der Bank belastet worden ist, ein eigener Rückforderungsanspruch zu. Aus Inhalt und Zweck der Sicherungsabrede folgt die Verpflichtung des Gläubigers, die Sicherung zurückzugewähren, sobald feststeht, daß der Sicherungsfall nicht mehr eintreten kann (vgl. BGHZ 124, 371 [375 ff] = NJW 1994, 861 = LM H. 6/1994 § 9 [Cg] AGBG Nr. 18; BGHZ 124, 380 [384 ff.] = NJW 1994, 864 = LM H. 6/1994 § 9 [Gg] AGBG Nr. 19; BGH, NJW 1998, 671 = LM H. 5/1998 § 138 [Bb] BGB Nr. 86 = ZIP 1998, 235 [237], z. Veröff. bestimmt in BGHZ 137, 212). Hat die Bekl. die ihr als Sicherheit geleistete Bürgschaft zu Unrecht verwertet, hat sie folglich der Kl., die ihrerseits die Bürgin befriedigt hat, die erhaltene Zahlung zu erstatten.
3. Die Auffassung des BerGer., das Klagebegehren sei insoweit schon deshalb begründet, weil von der Bürgschaft gedeckte Forderungen der Bekl. infolge der Abnahme der Sache erloschen seien, beruht jedoch auf einem rechtlich unzutreffenden Verständnis der in Nr. 3 der Bürgschaft zur Vertragsbeendigung enthaltenen Klausel.
a) Die Vertragserfüllungsbürgschaft ist als Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) erteilt worden; denn die S-Bank hat die Verpflichtung daraus zeitlich begrenzt übernommen. Die Haftung der Bank unterscheidet sich von der gesetzlich vorgesehenen Form der Zeitbürgschaft nur dadurch, daß die Bürgin schon dann frei wird, wenn der Gläubiger sie nicht bis zu dem festgelegten Endtermin in Anspruch genommen hat. Deshalb erwähnt die Bürgschaftsurkunde in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Vorschrift des § 777 BGB. Die Haftung aus einer derartigen Zeitbürgschaft beschränkt sich auf solche Forderungen, die spätestens bis zum Ende der Bürgschaftszeit fällig geworden sind. Hat der Gläubiger dem Bürgen fristgerecht angezeigt, er nehme ihn in Anspruch, so hat er sich damit diese Rechte aus der Bürgschaft gesichert (BGHZ 91, 349 = NJW 1984, 2461 = LM § 777 BGB Nr. 6; BGH, NJW 1989, 1856 = LM § 777 BGB Nr. 10 = ZIP 1989, 627). Die Bekl. hat die Bürgin innerhalb der letztmals bis zum 21.12.1994 verlängerten Frist zur Leistung aufgefordert.
b) Im Rahmen der so zu bestimmenden Leistungspflicht haben die Parteien des Bürgschaftsvertrags der Abnahme nicht die Funktion zugewiesen, das Erlöschen aller bis dahin schon fällig gewordenen Ansprüche zu bewirken. Vielmehr hat die Abnahme insoweit lediglich die Bedeutung eines im Verhältnis zu dem datumsmäßig bestimmten Tag alternativen Endtermins. Dies geht schon aus dem Wortlaut von Nr. 3 der Bürgschaftsurkunde hervor. Diese Bestimmung befaßt sich allein mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Verpflichtungen aus der Bürgschaft enden, und nennt dafür drei Ereignisse: die Abnahme, die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde, den Ablauf des vorgesehenen Endtermins. Sobald eine dieser drei Voraussetzungen erfüllt war, sollte die Haftungsperiode, die die Zeitbürgschaft abzudecken hatte, beendet sein. Die Gläubigerin konnte die Bürgin nur wegen solcher Ansprüche haftbar machen, die bei Eintritt einer dieser Voraussetzungen schon fällig waren, und mußte der Bürgin bis dahin die Inanspruchnahme angezeigt haben. Eine solche Regelung entspricht dem Sinn und Zweck der von der Bürgin übernommenen Verpflichtung. Für die mit der Abnahme beginnende Garantielaufzeit war in Nr. 27 des Vertrags der Parteien eine Gewährleistungsbürgschaft vorgesehen, die die während dieses Zeitraums fällig werdenden Gewährleistungsrechte sichern sollte. Aus diesem Grunde begrenzten die Parteien die Fertigstellungsbürgschaft "bis zum Übergabetermin", also der Abnahme des von der Kl. zu erstellenden Werks.
Weder die Bürgschaftsurkunde noch die schriftlichen Vereinbarungen der Parteien oder ihr Prozeßvortrag liefern einen Hinweis dafür, daß der Abnahme eine über die oben beschriebene Bedeutung hinausgehende Wirkung nach dem Willen der Parteien zukommen sollte. Hätte es den gemeinsamen Vorstellungen der Bekl. und der Bürgin entsprochen, die Haftung der S-Bank allein infolge der Abnahme entfallen zu lassen, obwohl der Gläubiger zu diesem Zeitpunkt die Bürgin fristgerecht in Anspruch genommen hatte und fällige Mängelbeseitigungsansprüche besaß, so hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich zu regeln; denn eine solche Rechtsfolge widerspricht dem typischen Inhalt einer als Zeitbürgschaft gegebenen Erfüllungsbürgschaft. Diese bezweckt gerade bei fristgerechter Inanspruchnahme eine umfassende und bleibende Sicherung des Gläubigers für während ihrer Geltung fällig gewordene vertragliche Ansprüche (vgl. BGH, WM 1977, 290; NJW 1989, 1856 = LM § 777 BGB Nr. 10). Ohne eine entsprechende Klarstellung war für die Bekl. eine Wirkung der Abnahme, wie sie das BerGer. der Bürgschaft entnehmen will - wodurch die Interessen des Bürgschaftsgläubigers erheblich beeinträchtigt würden -, aus dem von der Bürgin entworfenen Vertragstext nicht zu ersehen.
Die Auslegung des BerGer., die die vorstehend aufgezeigten Gesichtspunkte nicht beachtet hat, ist daher für den Senat nicht bindend. Da es insoweit keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen. Nichts deutet darauf hin, daß die Erfüllungsbürgschaft nach dem Willen der Parteien wesentlich von dem im Geschäftsverkehr allgemein üblichen Sinn und Zweck einer solchen Verpflichtung abweichen sollte. Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung enthält auch die von den Parteien am 12.9.1994 getroffene Vereinbarung keine entsprechende Regelung. Sie diente lediglich dazu, die bis dahin aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. Dagegen wurden, soweit es um die hier behaupteten Ansprüche geht, die Rechte der Bekl. aus der Bürgschaft nicht eingeschränkt. Diese ist in dem Sinne auszulegen, daß der Bekl. die Ansprüche erhalten blieben, die bei Inanspruchnahme der Bürgin am 21.12.1994 gegenüber der Kl. bereits fällig waren, soweit diese Rechte später nicht kraft Gesetzes oder einer nachträglich getroffenen Vereinbarung entfallen sind.
c) Nach dem Vorbringen der Bekl., zu dem das BerGer. keine entgegenstehenden Feststellungen getroffen hat und das demnach der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist, standen ihr im maßgeblichen Zeitpunkt fällige Mängelbeseitigungsansprüche (§ 633 II 1 BGB) gegen die Kl. zu. Diese sind durch die Abnahme nicht entfallen; sie beschränken sich nunmehr lediglich auf das abgenommene Werk. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bezeichnet sie als modifizierte Erfüllungsansprüche, die infolgedessen auch dazu berechtigen, die Einrede des nichterfüllten Vertrags nach § 320 BGB zu erheben (BGHZ 61, 42 [45] = NJW 1973, 1792 = LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 47a; BGHZ 96, 111 [116, 118] = NJW 1986 711 - LM § 633 BGB Nr. 57). Das Mängelbeseitigungsrecht besteht also nach der Abnahme fort. Damit entzieht das Gesetz dem Auftraggeber mit der Abnahme nicht den Schutz, den er aufgrund einer Erfüllungsbürgschaft bereits für die vorher fällig gewordenen Nachbesserungsansprüche erworben hat.
d) Die Bekl. hat somit die Bürgschaft zu Recht in Anspruch genommen, soweit ihr schon damals fällige Ansprüche auf Mängelbeseitigung (Nachbesserung) zustanden. Maßgeblich sind insoweit die voraussichtlichen Kosten der Mängelbeseitigung; denn die Haftung des Erfüllungsbürgen erstreckt sich auch auf Zahlung des dafür benötigten Vorschusses (BGH, NJW 1984, 2456 = LM § 633 BGB Nr. 50; BGH, NJW 1992, 1881 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr. 80 = ZIP 1992, 466 [467]). Diese Ansprüche bedürfen nach Grund und Höhe noch der tatrichterlichen Feststellung.
4. Der Anspruch, über den das LG durch Teilurteil erkannt hat, ist selbst dann nicht im Sinne der Klage entscheidungsreif, wenn die Bekl. am 21.12.1994 keine fälligen Erfüllungsansprüche besaß, die Bürgschaft also objektiv zu Unrecht in Anspruch genommen hat. In diesem Falle kommt die erklärte Aufrechnung mit Gegenforderungen, die in den Vertragsbeziehungen der Parteien begründet sind, in Betracht. Entgegen der Meinung des BerGer. ist eine solche Aufrechnung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen.
a) Allerdings ist einer Partei die Aufrechnung über die gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus versagt, wenn dies nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien begründeten Schuldverhältnisses als stillschweigend vereinbart angesehen werden muß (§ 157 BGB) oder die Natur der Rechtsbeziehung oder der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen (BGHZ 95, 109 [113] = NJW 1985, 2820 = LM § 398 BGB Nr. 54; BGHZ 113, 90 [93] = NJW 1991, 839 = LM § 1629 BGB Nr. 16; BGH, NJW 1993, 2041 = LM H. 7/1993 § 242 [Cd] BGB Nr. 330 = ZIP 1993, 602 [604]). Der Senat hat es demgemäß einem Sicherungsnehmer, welcher eine ihm zur Sicherung übereignete Sache verwertet hatte, versagt, gegenüber dem Anspruch auf Auskehrung des Mehrerlöses mit anderen, ungesicherten Forderungen aufzurechnen, weil er auf diese Weise die ursprüngliche Sicherungsabrede in ihrer Wirkung durch einseitige Erklärung erweitern würde (BGH, NJW 1994, 2885 [2886] = LM H. 1/1995 § 139 BGB Nr. 82). Entsprechende Erwägungen gewinnen erst recht Bedeutung bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern wegen der besonderen Funktion dieses Rechtsinstituts, das Einwendungen gegen die Hauptforderung im Erstprozeß grundsätzlich ausschließt und sich deshalb für Bürgen und Hauptschuldner als besonders risikoreich erweist. Könnte der Gläubiger, der sich aus der Sicherung zu Unrecht befriedigt hat, dem deshalb begründeten Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners aus der Sicherungsabrede solche Forderungen entgegenhalten, die nicht durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern gedeckt sind, stände ihm dieses Sicherungsmittel im wirtschaftlichen Ergebnis zur Befriedigung aller Ansprüche gegen den Hauptschuldner zur Verfügung. Die materiell unberechtigte Anforderung der Bürgschaft auf erstes Anfordern könnte für ihn dann dem Hauptschuldner gegenüber in aller Regel keine nachteiligen Rechtsfolgen auslösen, sofern er gegen diesen nur irgendwelche Forderungen besitzt. Eine solche zusätzliche Verbesserung der ohnehin starken Rechtsposition des Gläubigers, welcher als Sicherheit eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten hat, würde einen angemessenen Interessenausgleich verfehlen. Sie kann demzufolge nach Treu und Glauben nicht gewollt sein. Die Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger über die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist danach grundsätzlich in dem Sinne auszulegen, daß der Gläubiger gegenüber dem eigenen Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nicht mit Forderungen aufrechnen darf, die von der Bürgschaft nicht gedeckt sind, es sei denn, sie seien unstreitig oder rechtskräftig festgestellt (vgl. auch OLG Düsseldorf, WM 1996, 1856).
b) Im Einzelfall können jedoch Umstände vorliegen, die die Berufung auf den Ausschluß der Aufrechnung als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) erscheinen lassen. Hatte der Hauptschuldner dem Gläubiger, der zu Unrecht die Leistung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern abgerufen hat, für andere, davon nicht gedeckte Ansprüche Sicherheit zu leisten und hat er diese Verpflichtung nicht erfüllt, so kann es treuwidrig sein, sich gegenüber der Aufrechnung mit solchen vertragswidrig nicht gesicherten Ansprüchen auf das Aufrechnungsverbot zu berufen. In einem solchen Falle steht der unberechtigten Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern durch den Gläubiger eine die Sicherheitengewährung betreffende Vertragsverletzung des Hauptschuldners gegenüber. Das Aufrechnungsverbot greift allerdings nur dann nicht durch, wenn der Gläubiger die fehlende Sicherheit nicht auf andere Weise, etwa durch Einbehaltung eines Teils der dem Hauptschuldner zustehenden Forderung, ausgeglichen hat. Die Aufrechnungsbefugnis beschränkt sich also auf den Betrag, in dessen Höhe der Gläubiger durch das Fehlen der vereinbarten Sicherheit benachteiligt ist. Hier hat die Kl., weil die Parteien im Zusammenhang mit der Verwertung der Erfüllungsbürgschaft in Streit gerieten, die vertraglich vereinbarte Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 10% der Auftragssumme nicht mehr zur Verfügung gestellt. Inzwischen ist die Garantiezeit, für die diese Bürgschaft gelten sollte, abgelaufen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kommt eine zusätzliche Aufrechnungsbefugnis der Bekl. in Betracht, weil sie lediglich einen Betrag einbehalten hat, der weniger als 10% der Auftragssumme ausmacht.
III. 1. Demzufolge ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 564 1 ZPO). Zugleich steht fest, daß das LG zu Unrecht ein Teilurteil erlassen hat, weil über diesen Anspruch nicht ohne Berücksichtigung der Aufrechnung sowie die Beantwortung der Fragen entschieden werden kann, die für den noch erstinstanzlich anhängigen Werklohnanspruch ebenfalls von Bedeutung sind. Da das BerGer. aus diesem Grunde bei richtiger Sachbehandlung das Teilurteil hätte aufheben und die Sache an das LG zurückverweisen müssen, ist dies vom Senat nachzuholen (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 379 = LM H. 6/1994 § 565 Abs. 3 ZPO Nr. 18 = WM 1994, 865 [867] m. w. Nachw.).
2. Für die weitere Sachbehandlung wird darauf hingewiesen, daß nunmehr zunächst festzustellen ist, in welchem Umfang der Bekl. Ansprüche zustehen, die durch die Erfüllungsbürgschaft gedeckt sind. Erreichen sie nicht die Höhe der geleisteten Bürgschaftssumme, ist zu prüfen, in welchem Umfang die Bekl. mit Ansprüchen aufrechnen darf, die durch die Gewährleistungsbürgschaft hätten gesichert werden sollen. Erst danach kann sich erneut die Frage stellen, ob ein Teilurteil rechtlich möglich und auch zweckmäßig erscheint.



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