Sind in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern
"fällige" Hauptansprüche verbürgt, so genügt für
die Inanspruchnahme des Bürgen regelmäßig die Behauptung
der Fälligkeit durch den Gläubiger. Dieser handelt nicht schon
dann rechtsmißbräuchlich, wenn Zweifel bestehen, ob er mit dem
verbürgten Hauptanspruch in voller Höhe durchdringen wird.
NJW 1997, 255
ZIP 1996, 2062
BB 1996, 2586
WM 1996, 2228
ZfBR 1997, 38
DB 1997, 223
LM H. 2/1997 § 765 BGB Nr. 111
MDR 1997, 229
JA 1997, 89
S. Anm. zu BGH NJW 1999,
55 ff
Zum Sachverhalt:
Die Kl. führten aufgrund Werkvertrags für
die B-Bauunternehmen GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG oder Hauptschuldnerin)
Abbrucharbeiten an einer Autobahnbrücke aus. Vereinbarungsgemäß
übernahm die bekl. Sparkasse für die KG zugunsten der Kl. eine
Zahlungsbürgschaft mit im wesentlichen folgendem Wortlaut: "Es ist
vereinbart, daß der Auftraggeber dem Auftragnehmer zur Absicherung
seiner Werklohnforderungen eine Zahlungsbürgschaft in Höhe von
650000 DM stellt. Dies vorausgeschickt, übernehmen wir, die Kreissparkasse
..., hiermit gegenüber dem Auftragnehmer für fällige Werklohnforderungen
die selbstschuldnerische, auf erste Anforderung fällige Bürgschaft
bis zum Höchstbetrag von 650000 DM ..." Mit Datum vom 4. 11. 1991
erteilten die Kl. die "18. Abschlagsrechnung" über 239645,60 DM, die
auch Positionen über "Nachtragsarbeiten" enthielt. Die KG verweigerte
die Bezahlung mit der Begründung, daß die Kl. infolge Korrektur
von Massen, Streichungen von Rechnungspositionen sowie Aufrechnung mit
einer Gegenforderung schon überbezahlt seien. Wegen des Rechnungsbetrages
haben die Kl. die Bekl. aufgrund der Bürgschaft im Urkundenprozeß
in Anspruch genommen. Im Anforderungsschreiben vom 23. 1. 1992 hieß
es: "... da die Firma B-GmbH & Co. KG ... ihren Zahlungsverpflichtungen
nicht nachkommt, bitten wir 650000 DM umgehend auf unser Konto zu überweisen.
Als Anlage übersenden wir Ihnen das Original der Zahlungsbürgschaft
vom 11. 9. 1989."
Das LG hat der Klage durch Vorbehaltsurteil stattgegeben.
Das OLGhat die Berufung der Bekl. durch Teilurteil überwiegend zurückgewiesen,
jedoch durch Schlußurteil vom 14. 11. 1995 die Klage in Höhe
von 85867,99 DM abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur vollständigen
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat ausgeführt: Die Klage sei
unbegründet, soweit die Kl. Bezahlung wegen der Teilwerklohnforderung
zu Position 06.010 der 18. Abschlagsrechnung verlangten. Die Kl. hätten
nicht die Mindestanforderungen erfüllt, die sogar bei einer Bürgschaft
auf erstes Anfordern an einen Vortrag zur Hauptschuld zu stellen seien.
Sie hätten nicht hinreichend dargelegt, warum die Position 06.010
zusätzlich zu der Position 06.001 der Abschlagsrechnung aufgeführt
sei, die Arbeiten gleicher Art, Menge und Kostenhöhe ausweise. Da
die Kl. nicht in der Lage seien, ein Aufmaß zur Begründung der
Position 06.001 vorzulegen, mute die Behauptung einer bestimmten, aber
im angegebenen Umfang nicht nachvollziehbaren Menge als willkürlich
und damit rechtsmißbräuchlich an.
II. Diese Ausführungen verwechseln die Voraussetzungen
für eine schlüssige Begründung des Bürgschaftsanspruchs
auf erstes Anfordern (§ 765 BGB) einerseits sowie für einen Einwand
des Rechtsmißbrauchs andererseits. Dadurch wird zudem insbesondere
die Darlegungslast für den Mißbrauchseinwand verkannt.
1. Der Gläubiger, der einen Bürgen aus
einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch nimmt, braucht nicht
im einzelnen vorzutragen, daß die gesicherte Hauptforderung besteht
(BGHZ 74, 244 (247f.) = NJW 1979, 1500 = § 765 BGB Nr. 27). Zur schlüssigen
Darlegung eines Anspruchs aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern
reicht es aus, wenn der Gläubiger das erklärt, was als Voraussetzung
der Zahlung in der Bürgschaft niedergelegt ist (Senat, NJW 1994, 380
(381) = LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88; vgl. auch Senat, NJW 1984,
823 = LM § 765 BGB Nr. 34 = WM 1984, 44). Zwar kann der Bürge
einwenden, die Bürgschaft sichere nicht die dem konkreten Zahlungsbegehren
des Gläubigers zugrundeliegende Hauptforderung (Senat, NJW 1996, 717
= LM H. 5/1996 § 765 BGB Nr. 103 = WM 1996, 193 (194)). Darum geht
es hier aber nicht. Statt dessen macht die Bekl. geltend, der Hinweis auf
"fällige Werklohnforderungen in der Bürgschaftserklärung
bedeute, daß der Gläubiger auch die Fälligkeit des verbürgten
Hauptanspruchs schon im Bürgschaftsprozeß im einzelnen dartun
müsse. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Eine solche Auslegung liegt bei einer Bürgschaft
auf erstes Anfordern von vornherein fern. Sie soll dazu dienen, anstelle
des früher gebräuchlichen Bardepots dem Gläubiger sofort
liquide Mittel zuzuführen. Dieser Zweck läßt sich nur erreichen,
wenn alle Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art, welche die
Begründetheit der Hauptforderung betreffen, in den Rückforderungsprozeß
verwiesen werden, sofern nicht ausnahmsweise klar auf der Hand liegt, daß
der Gläubiger schon formal nicht berechtigt ist. Insbesondere darf
nicht der Streit über die Berechtigung der Hauptforderung bereits
in den ersten Bürgschaftsprozeß verlagert werden (Senat, NJW-RR
1989, 1324 = LM § 765 BGB Nr. 69 = WM 1989, 1469 (1497f.); NJW 1994,
380 (381) = LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88). Muß der Gläubiger,
wie im vorliegenden Falle, mehr als vier Jahre um seine Forderung vor Gerichten
streiten, verliert die Bürgschaft auf erstes Anfordern ihren wirtschaftlichen
Sinn. Das ist auch für den Bürgen erkennbar. Zwar hat er aus
dem Geschäftsbesorgungsvertrag, aufgrund dessen er die Bürgschaft
übernommen hat, wenigstens ein Mindestmaß an Sorgfaltspflichten
gegen den Hauptschuldner als Auftraggeber (§ 765 BGB). Er darf nicht
sehenden Auges oder leichtfertig an einer Schädigung seines Kunden
durch den Bürgschaftsgläubiger mitwirken. Der Gläubiger
kann vom Bürgen nicht verlangen, daß dieser sich ernsthaft in
die Gefahr eines berechtigten Mißbrauchseinwands seines Auftraggebers
begibt. Um das zu gewährleisten, darf der Bürge aus seiner eigenen
Vertragsposition heraus die Schlüssigkeit der ersten Anforderung in
sehr eingeschränkter und formaler Weise prüfen. Maßstab
für den Prüfungsumfang ist, ob der Bürge die ernstzunehmende
Gefahr einginge, seinen Aufwendungsersatzanspruch gem. § 670 BGB gegen
den Hauptschuldner möglicherweise zu verlieren, falls auf die konkrete
Bürgschaftsanforderung geleistet würde. Weitergehenden Schutz
benötigt der Bürge selbst hingegen nicht. Insbesondere ist er
weder befugt noch verpflichtet, vor seiner Leistung den Streit zwischen
Gläubiger und Hauptschuldner über die Berechtigung der verbürgten
Forderung zu entscheiden. Entsprechende Weisungen des Auftraggebers (Hauptschuldners)
wären bei dieser Bürgschaftsart vertragswidrig und deshalb unverbindlich.
Danach ist dem Bürgen nach Treu und Glauben eine Auslegung zumutbar
(§ 157 BGB), die bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern auf
die Behauptung der Fälligkeit durch den Gläubiger abstellt, nicht
aber den Fälligkeitsnachweis voraussetzt.
b) Das BerGer. hat die Voraussetzung der Fälligkeit
in seinem rechtskräftigen Teilurteil vom 9. 3. 1993 mit folgender
Begründung bejaht:
"Daß darin auf die zu sichernde Forderung
Bezug genommen wird und die Bürgschaft für fällige Werklohnforderungen
übernommen wird, deutet nur deklaratorisch auf die Akzessorietät
hin, beinhaltet aber nicht eine von der Klägerseite besonders zu erbringende
Darlegung oder gar Beweisführung hinsichtlich der Hauptschuld."
In seinem jetzt angefochtenen Schlußurteil
hat es nicht zu erkennen gegeben, daß es von dieser Auslegung abweichen
wollte. Die Revisionserwiderung hält dem nur ihre eigene abweichende
Auslegung entgegen, wenn sie meint, aufgrund der Klausel müsse die
Kl. mit den im Urkundsverfahren zulässigen Beweismitteln das materielle
Bestehen des geltend gemachten Anspruchs beweisen.
Im übrigen vermag die Revisionserwiderung
keinen entscheidungserheblichen Rechtsfehler des BerGer. bei dieser Auslegung
aufzuzeigen. Denn auch hinsichtlich der Fälligkeitsvoraussetzungen
gilt der allgemeine Grundsatz, daß der Zahlungspflichtige die Schlüssigkeit
nur in bezug auf die vertragsgemäße Anforderungder Bürgenleistung,
nicht in bezug auf die verbürgte Hauptforderung selbst zu prüfen
hat. Die gegenteilige Auslegung der Revisionserwiderung, die Voraussetzung
"fälliger" Forderungen in der Bürgschaftsurkunde sei nicht nur
als formelle, sondern als materielle Bedingung zu verstehen, ist mit dem
Wesen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern typischerweise nicht zu
vereinbaren. Sie würde dieser Bürgschaft gerade diejenige leichte
Durchsetzbarkeit nehmen, die sie üblicherweise bezweckt. Damit braucht
kein Gläubiger als Erklärungsempfänger zu rechnen (§
157 BGB). Soweit die Bekl. in der Berufungsinstanz behauptet hatte, die
Parteien des Werkvertrages hätten Abweichendes vereinbart gehabt,
hat bereits das BerGer. in seinem Teilurteil vom 9. 7. 1993 zutreffend
und unangefochten darauf hingewiesen, daß dieses bestrittene Vorbringen
nicht durch im Urkundenprozeß zulässige Beweismittel unter Beweis
gestellt sei.
c) Im vorliegenden Fall haben die Kl. gegenüber
der Bekl. erklärt, die KG komme "ihren Zahlungsverpflichtungen nicht
nach". Darin liegt ersichtlich die Behauptung einer Fälligkeit dieser
Pflichten, zumal die Abschlagsrechnung vom 14. 11. 1991 unstreitig
erteilt war. Dementsprechend hat die Bekl. in ihrem Antwortschreiben vom
8. 2. 1992 auch nicht etwa die Fälligkeit der Forderung in Frage gestellt,
sondern lediglich aus anderen Gründen Mißbräuchlichkeit
geltend gemacht. Die Zweifel des BerGer., ob die Kl. die abgerechneten
Arbeiten tatsächlich in vollem Umfange ausgeführt haben, betreffen
weder die Fälligkeit noch allgemein die Schlüssigkeit der (formalisierten)
Anforderung. Vielmehr können sie allenfalls im Rahmen einer Mißbrauchsprüfung
erheblich sein (s.u. 2).
2. Der Bürge kann sich gegenüber einer
Bürgschaft auf erstes Anfordern ausnahmsweise auf die materielle Unbegründetheit
der Anforderung berufen, wenn es klar auf der Hand liegt, daß der
Gläubiger eine formale Rechtsstellung mißbraucht, § 242
BGB (Senat, NJW 1994, 380 = LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88). Ein solches
rechtsmißbräuchliches Vorgehen muß sich der Gläubiger,
der vereinbarungsgemäß seine materielle Berechtigung weder darzulegen
noch zu beweisen hat, nur dann entgegenhalten lassen, wenn es offensichtlich
oder mindestens liquide für jedermann beweisbar ist, daß trotz
Vorliegens der formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht
eingetreten ist, also nur eine formale Rechtsstellung mißbräuchlich
ausgenutzt wird (BGHZ 90, 287 (292f.) = NJW 1984, 2030 = LM § 305
BGB Nr. 27).
Umstände, die den Einwand des Rechtsmißbrauchs
begründen könnten, hat das BerGer. hier bei zutreffender rechtlicher
Wertung nicht festgestellt.
a) Das BerGer. hält es für nicht hinreichend
"substantiiert", daß die gesicherte Werklohnforderung in der fraglichen
Höhe den Kl. zustehe. Es hat also die Kl. mit der Darlegung belastet.
Voraussetzung für den Mißbrauchseinwand wäre aber umgekehrt,
daß das Nichtbestehen der abgerechneten Forderung aufgrund des Sach-
und Streitstandes für jedermann klar erkennbar ist. Dies ergeben die
eigenen Ausführungen des BerGer. nicht.
Bei umfangreichen Abbrucharbeiten wie im vorliegenden
Falle - Abbruch der Widerlager einer mehrspurigen Brücke - erscheint
es nicht ausgeschlossen, daß insgesamt zweimal die Menge von 700
cbm abgebrochen wird. Zwar vermögen die Kl. unstreitig kein Aufmaß
vorzulegen. Sie behaupten aber, insgesamt 2101 cbm Beton abgebrochen zu
haben. Ferner bestreiten die Kl., daß eine Niederschrift zutrifft,
welche die Hauptschuldnerin einseitig über eine Besprechung vom 18.
11. 1991 aufgenommen hat und in der es heißt: "Pos. 06.010 entfällt,
da diese Leistung noch nicht erbracht wurde." Der Geschäftsführer
einer der Kl., H, hat bei seiner mündlichen Anhörung durch das
BerGer. eine entsprechende Einigung bestritten. Das Gegenteil hat das BerGer.
- entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht - nicht
als im Prozeß unstreitig festgestellt; daß vorprozessual ein
Widerspruch unterblieb, begründet allenfalls ein Beweisanzeichen.
Endlich mag es zutreffen, daß der Sachverständige in einem von
den Kl. eingeleiteten Beweissicherungsverfahren zu dem Ergebnis gekommen
ist, aufgrund eines vom Straßenneubauamt geprüften Aufmaßes
seien insgesamt nur knapp 900 cbm Beton abgebrochen worden. Demgegenüber
rügen die Kl., daß der Sachverständige ein eigenes Aufmaß
nicht einmal versucht habe.
Der Senat verkennt nicht die Zweifel, die daran
bestehen, daß die Kl. mit einer entsprechenden Werklohnforderung
in vollem Umfange durchdringen werden. Solche Zweifel allein begründen
aber noch nicht den Mißbrauchseinwand, weil anderenfalls doch wieder
der Nachweis des verbürgten Hauptanspruchs zur Voraussetzung der Bürgschaft
auf erstes Anfordern erhoben würde. Eine fehlende materielle Berechtigung
der Kl. liegt hier jedenfalls nicht auf der Hand. Darüber ist vielmehr
erst im Rückforderungsprozeß - nicht in dem Nachverfahren des
gegenwärtigen Urkundsprozesses (vgl. dazu Senat, NJW 1994, 380 (382)
= LM H. 4/1994 § 765 BGB Nr. 88) - zu entscheiden.
b) Die Inanspruchnahme der Bekl. aus der Bürgschaft
würde auch dann keinen Rechtsmißbrauch darstellen, wenn der
zwischen den Kl. und der KG geschlossene Werkvertrag mittlerweile beendet
sein sollte. Zwar können die Kl. dann keine Abschlagszahlungen mehr
verlangen. Sie haben jedoch unwidersprochen behauptet, sie hätten
die Schlußrechnung erteilt, die mit einer noch höheren Forderung
abschließe. Auch eine derartige fällige Forderung ist verbürgt
und im gegenwärtigen Rechtsstreit geltend zu machen; ein möglicher
Streit über die Berechtigung ist ebenfalls im Rückforderungsprozeß
auszutragen (vgl. Senat, NJW 1994, 380 (382) = LM H. 4/1994 § 765
BGB Nr. 88).