Bürgschaft auf erstes Anfordern: Rückforderungsanspruch des Bürgen und des Hauptschuldners bei Nichtbestehen der Hauptschuld; Bedeutung des Nichtvorliegens des formellen Bürgschaftsfalles

BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - IX ZR 355/00 -


Fundstellen:

NJW 2003, 352 ff
für BGHZ vorgesehen


Amtl. Leitsätze:

a) Der Bürge kann die aufgrund einer Bürgschaft auf erstes Anfordern geleistete Zahlung nur zurückfordern, wenn der Gläubiger die Leistung nach materiellem Bürgschaftsrecht nicht behalten darf; ob der Bürge die Anforderung hätte zurückweisen dürfen, ist unerheblich.
b) Ein Rückforderungsrecht des Hauptschuldners aus der Sicherungsabrede besteht nur, wenn der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, dagegen nicht schon wegen Verletzung der bei Anforderung der Bürgenleistung einzuhaltenden Förmlichkeiten.
c) Für den Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners gegen den Gläubiger aus der Sicherungsabrede gelten dieselben Darlegungs- und Beweislastgrundsätze wie im Rückforderungsprozeß des Bürgen.
d) Steht dem Gläubiger der Bürgschaftsbetrag nicht zu, weil der Sicherungsfall nicht eingetreten ist, so kann der Hauptschuldner Befreiung vom Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen selbst dann verlangen, wenn dieser zu Unrecht gegen ihn geltend gemacht wird.


Zentrale Probleme:

Der sehr komplizierte Sachverhalt läßt sich auf folgende klassische Situation einer Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinfachen: Die Kl., Bauunternehmerin, war gegenüber der Bekl. aus einem Werkvertrag verpflichtet. zur Sicherung evtl. Gewährleistungsansprüche hatte sie der Bekl. eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu besorgen. Diese Bürgschaft leistete - auf Veranlassung der Kl. - die Be. Vereinbart war, daß die Bekl. die Be. aus der Bürgschaft nur in Verbindung mit einer gutachterliche Stellungnahmen eines öffentlich vereidigten Sachverständigen  über Baumängel in Anspruch nehmen konnte. Die Bekl. forderte den Bürgschaftsbetrag ohne ein solches Gutachten an.
Die Kl. versuchte zunächst, der Bekl. die Inanspruchnahme zu untersagen. Nachdem die Zahlung von Be. an die Bekl. erfolgt war, fordert die Kl. den Bürgschaftsbetrag an sich zurück (zu diesen Ansprüchen sowie allgemein zur Bürgschaft auf Erstes Anfordern s. die Anm. zu
BGHZ 139, 325 [= NJW 1999, 55], BGH NJW 2001, 282 ff sowie BGH NJW 2003, 2605. Zur Verjährung s. BGH v. 8.7.2008 - XI ZR 230/07).:



Sinn der Bürgschaft auf erstes Anfordern ist, daß der Bürge auf bloßes Anfordern des Gl. zahlen muß und nicht einwenden kann, daß die Hauptschuld nicht besteht (er hat lediglich den sog. Mißbrauchseinwand, s. BGH NJW 1997, 255 sowie BGH NJW 2002, 1493). Der Gl. muß lediglich das behaupten, was Zahlungsbedingung der Bürgschaft war (sog. formeller Bürgschaftsfall, s. BGH NJW 1997, 1435). Die Behauptung, daß der (materielle) Bürgschaftsfall mangels Hauptschuld nicht bestand, kann nur im Rückforderungsprozeß (Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB) geführt werden, bei dem überdies der Gl. die Beweislast für dessen Bestehen trägt (s. BGH NJW 1999, 2361). Zahlt der Bürge, kann er auch im Falle des Nichtbestehens der Hauptschuld (die dann auch nicht nach § 774 I BGB auf ihn übergehen kann) nach § 670 BGB beim Hauptschuldner Regreß nehmen. Um dem zu entgehen, hat der Hauptschuldner ein Interesse, bei Nichtbestehen der gesicherten Schuld dem Gl. die Inanspruchnahme des Bürgen zu untersagen oder aber - nachdem der Bürge gezahlt hat und er dem Bürgen nach § 670 BGB Aufwendungsersatz geleistet hat- das Gezahlte an sich zurückzufordern (Anspruchsgrundlage ist jeweils der Sicherungsvertrag, durch den sich der Hauptschuldner ggü. dem Bürgen zur Beibringung einer Bürgschaft verpflichtet hatte, vgl.
BGHZ 139, 325 [= NJW 1999, 55] sowie die ausführliche Darstellung des Innenverhältnisses bei S. Lorenz JuS 1999, 1145 ff).
Über diese Erkenntnisse hinaus stellt die vorliegende Entscheidung klar,

  • daß ein Rückforderungsanspruch des Bürgen wie des Hauptschuldners nicht schon deshalb gegeben ist, weil der formelle Bürgschaftsfall nicht eingetreten war (also der Gl. bei der Anforderung der Bürgschaftssumme die vereinbarten Formalitäten - hier: die Vorlage eines Gutachtens - nicht eingehalten hatte). Ein solcher Anspruch setzt vielmehr auch in diesem Fall voraus, daß die gesicherte Hauptforderung nicht bestand.
  • daß die Beweislast für den Eintritt des materiellen Bürgschaftsfalls im Rückforderungsprozeß des Hauptschuldners ebenso beim Gl. liegt wie im Rückforderungsprozeß des Bürgen (s. dazu BGH NJW 1999, 2361).
  • der Hauptschuldner, der an den vom Gl. in Anspruch genommenen Bürgen Aufwendungsersatz geleistet hat, diesen selbst dann beim Gl. (aufgrund des Sicherungsvertrages) zurückfordern kann, wenn er den Bürgen gar nicht hätte freistellen müssen, weil dieser seinerseits den Mißbrauchseinwand gegen den Gl. hätte erheben können und daher keinen Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB gehabt hat (s. dazu BGH NJW 1997, 255 sowie BGH NJW 2002, 1493).

©sl 2003


Tatbestand:

Mit Generalunternehmervertrag vom 9. November 1995 (nachfolgend: GUV) beauftragte die Beklagte zu 1) (fortan: Beklagte) die Klägerin zu 1) (fortan: Klägerin) als Generalunternehmer mit der Errichtung eines größeren Bauwerks in Berlin. Gemäß § 10.1 dieses Vertrages hatte die Klägerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Höhe von 20 % der Auftragssumme zu erbringen. Der Schlußsatz dieser Bestimmung lautet: 

Der Grund für die Inanspruchnahme des AN durch den AG im Rahmen dieser Bürgschaft ist jeweils durch gutachterliche Stellungnahmen eines öffentlich vereidigten Sachverständigen zu belegen.

Die italienische Muttergesellschaft der Klägerin, die frühere Klägerin zu 2, beantragte bei dem B. , dem früheren Beklagten zu 3, eine Bürgschaft über 5.971.000 DM zur Erfüllung dieser Verpflichtung. Beide Klägerinnen leisteten ihrerseits Bürgschaften zugunsten des B. . Dieser beauftragte die Be. , die der Beklagten geschuldete Bürgschaft zu überbringen. Mit Urkunde vom 24. Juli 1996 verbürgte sich die Be. selbstschuldnerisch und sicherte Zahlung auf erste schriftliche Anforderung zu.
Die S. GmbH & Co. KG, die ehemalige Beklagte zu 2 (nachfolgend: S. ), hatte ihrerseits mit der Beklagten einen notariellen Bauträger-, Generalübernehmer- und Generalmietvertrag geschlossen.
Die W. hatte Kredite zur Finanzierung des Projekts zur Verfügung gestellt. Am 7. März 1996 vereinbarten diese Bank, die S. und die Beklagte sowie die Klägerin unter anderem, daß die Beklagte alle ihre Ansprüche aus dem GUV vom 9. November 1995 sicherheitshalber an die Bank abtrat, jedoch bis auf Widerruf aus diesem Vertrag berechtigt und verpflichtet blieb.
Am 29. Oktober 1997 schloß die Klägerin zur Beseitigung zwischenzeitlich aufgetretener Meinungsverschiedenheiten eine Vereinbarung mit der Beklagten und der S. . Darin wurde u.a. die Vertragserfüllungsbürgschaft auf 10 % der Auftragssumme herabgesetzt; die Klägerin erkannte einen Schadensersatzanspruch der Beklagten sowie der S. in Höhe von 1,3 Mio. DM an.
Entsprechend dieser Regelung erteilte die Be. am 5. Dezember 1997 eine neue Bürgschaft auf erstes Anfordern in Höhe von 2.985.000 DM. Die Klägerin hat das Anerkenntnis später wegen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten. Die Beklagte ist der Anfechtung entgegengetreten.
Mit Schreiben vom 16. März 1998 nahmen die Beklagte und die S. gemeinsam die Be. aus der Bürgschaft in Höhe von 1.354.832,99 DM in Anspruch. Die Bank leistete diesen Betrag und stellte ihn auf dem bei ihr geführten "Nostro-Konto" des B. ins Soll. Die Klägerin sowie ihre italienische Muttergesellschaft erwirkten beim Landgericht Neapel eine einstweilige Verfügung, die dem B. verbietet, den genannten Betrag an die Bürgin auszuzahlen. Mit Schreiben vom 4. August 1998 nahmen die Beklagte und die S. wiederum gemeinsam die Be. auf Zahlung weiterer 1.576.397,42 DM in Anspruch. Auch dieser Betrag wurde geleistet. Beiden Zahlungsaufforderungen an die Bank war keine gutachterliche Stellungnahme eines Sachverständigen beigefügt.
Die Klägerin ist der Auffassung, schon die formellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern seien nicht gegeben gewesen. Im übrigen ständen weder der Beklagten noch der S. durch die Vertragserfüllungsbürgschaft gesicherte Ansprüche zu. Erstinstanzlich haben beide Klägerinnen u.a. begehrt, die Beklagte und die S. zu verurteilen, die Inanspruchnahmen der Bürgin für gegenstandslos zu erklären. Das Landgericht hat die Klagen insgesamt abgewiesen. Im Berufungsrechtszug haben die Klägerinnen die Anträge auf Abgabe der genannten Erklärungen weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, die Beklagte und die S. zu verpflichten, sie von der Inanspruchnahme durch den B. in Höhe von 1.354.832,99 DM und 1.576.397,42 DM, jeweils zuzüglich näher bezeichneter Zinsen, freizustellen. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Senat hat die Revision nur im Umfang des von der Klägerin gegen die Beklagte gestellten Hilfsantrags angenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt im Umfang der Annahme zur Zurückverweisung.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Freistellungsanspruch zu. Diese habe nicht dadurch gegen § 10.1 GUV verstoßen, daß sie der Inanspruchnahme der Bürgin keine Sachverständigengutachten beigefügt habe. Diese Gutachten seien nachträglich - am 10. April und 15. September 1998 - erstellt worden. Im übrigen habe die Vertragsklausel nur für Kosten der Mängelbeseitigung gegolten, worum es bei den von der Beklagten zu 1 erhobenen Ansprüchen weitestgehend nicht gegangen sei.
Die Bürgschaft auf erstes Anfordern sei nicht rechtsmißbräuchlich geltend gemacht worden; denn es könne nicht festgestellt werden, daß die materielle Berechtigung des Gläubigers offensichtlich gefehlt habe. Dieser für den Bürgschaftsvertrag geltende Grundsatz sei auf das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner zu übertragen.
Davon abgesehen habe die Klägerin bisher einen eigenen Vermögensschaden, der Voraussetzung für den geltend gemachten Freistellungsanspruch sei, nicht dargetan; denn sie behaupte nicht, vom B. in Anspruch genommen worden zu sein. Dagegen spreche auch, daß die frühere Klägerin zu 2 nach der Begründung der Entscheidung des Landgerichts Neapel sämtliche finanziellen Lasten übernommen habe.

II. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Die in § 10.1 GUV enthaltene Vereinbarung, wonach die Klägerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern beizubringen hat, ist wirksam.
Zwar verstößt eine entsprechende Verpflichtung des Bauunternehmers in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bestellers, wie der Bundesgerichtshof nunmehr entschieden hat, gegen § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 BGB), weil sie den Unternehmer unangemessen benachteiligt (BGH, Urt. v. 18. April 2002 - VII ZR 192/01, WM 2002, 1415; v. 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99, WM 2002, 1876, 1877).
Aus dem Vortrag der Klägerin, die für die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl.
BGHZ 118, 229, 238; 148, 283, 286), geht jedoch nicht hervor, daß ein für mehrfache Verwendung bestimmtes Vertragsformular benutzt worden ist.
2. Im Streitfall hat der Bürge die Leistung aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern erbracht. Nach Auffassung der Klägerin ist dies in doppeltem Sinne zu Unrecht geschehen, weil sowohl die formellen Anforderungen an die Fälligkeit der Verpflichtung aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht erfüllt gewesen als auch die materiellen Voraussetzungen des Bürgschaftsfalls nicht eingetreten seien.
Macht der Bürge, der die Zahlung geleistet hat, einen Rückforderungsanspruch geltend, ist es grundsätzlich unerheblich, ob im Zeitpunkt der Anforderung durch den Gläubiger die als Voraussetzung der Einstandspflicht vereinbarten formellen Merkmale gegeben waren oder das Begehren damals aus anderen Gründen als rechtsmißbräuchlich hätte zurückgewiesen werden können.
Wer eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erteilt hat, kann die erbrachte Zahlung nur zurückfordern, wenn und soweit der Gläubiger nach materiellem Bürgschaftsrecht (§§ 765 ff BGB) keinen Anspruch auf die erhaltene Leistung hat. Der Rückforderungsprozeß soll abschließend klären, ob dem Gläubiger ein vom Inhalt der Bürgschaft gedeckter Hauptanspruch zusteht (BGHZ 148, 283, 286). Dort sind alle vom Gläubiger erhobenen Einwendungen wie in einem gewöhnlichen Bürgschaftsprozeß zu prüfen, wobei den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für das Entstehen und die Fälligkeit der gesicherten Forderung trifft
(BGHZ 148, 283, 288; BGH, Urt. v. 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, WM 1997, 656, 658 f). Die Bürgschaft auf erstes Anfordern bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Sicherungsmittel eigener Art, sondern stellt lediglich eine den Gläubiger besonders privilegierende Form der Bürgschaftsverpflichtung dar (BGH, Urt. v. 25. Februar 1999 - IX ZR 24/98, WM 1999, 895, 899). Der rechtfertigende Grund für die erhaltene Leistung fehlt deshalb nur, sofern der Gläubiger nunmehr das Entstehen und die Fälligkeit des durch die Bürgschaft gesicherten Anspruchs nicht zu beweisen vermag oder die Einwendungen gegen den Anspruch durchgreifen. Der Bürge wird dadurch nicht unbillig benachteiligt, weil dieselben Darlegungs- und Beweislastregeln wie im gewöhnlichen Bürgschaftsprozeß gelten.
3. Diese für das Recht der Bürgschaft auf erstes Anfordern geltenden Grundsätze wirken auf den Inhalt und die Rechtsfolgen der zwischen den Parteien des Bauvertrages geschlossenen Sicherungsabrede ein. Diese begründet für den Hauptschuldner einen Rückgewähranspruch, soweit der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Voraussetzungen und Inhalt dieses Anspruchs müssen unter Beachtung von Sinn und Zweck der Bürgschaft auf erstes Anfordern näher bestimmt werden.
a) Der Gläubiger, der in Erfüllung der mit dem Hauptschuldner getroffenen Vereinbarung eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten hat, ist aufgrund der getroffenen Sicherungsabrede dem Hauptschuldner gegenüber erst und nur dann berechtigt, den Bürgschaftsbetrag anzufordern, wenn die gesicherte Forderung fällig ist und auch im übrigen einredefrei besteht (BGH, Urt. v. 5. April 1984 - VII ZR 167/83, NJW 1984, 2456 f; v. 28. September 2000 - VII ZR 460/97, WM 2000, 2373, 2374). Verlangt der Gläubiger vom Bürgen Zahlung, obwohl diese Voraussetzungen nicht vorliegen, kommt ein Unterlassungsanspruch des Hauptschuldners in Betracht.
b) Hat der Gläubiger die Leistung erhalten, nach materiellem Bürgschaftsrecht jedoch zu Unrecht, so steht nicht nur dem Bürgen, sondern auch dem Hauptschuldner nach Inhalt und Zweck der mit dem Gläubiger getroffenen Sicherungsabrede ein eigener originärer Rückforderungsanspruch zu, der zunächst auf Zahlung an den Bürgen gerichtet ist. Hat der Bürge jedoch im Wege des Rückgriffs (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB; §§ 675, 670 BGB) schon vom Hauptschuldner Erstattung seiner Aufwendungen erhalten, kann der Hauptschuldner in Höhe der vertragswidrig angeforderten Bürgenleistungen Zahlung an sich verlangen (BGHZ 139, 325, 328). Da der Sicherungsgeber Anspruch darauf hat, den nach materiellem Recht gebotenen Zustand durchzusetzen, obliegt es auch dem vom Sicherungsgeber verklagten Gläubiger darzulegen und nachzuweisen, daß die Voraussetzungen für den Eintritt des Sicherungsfalls entstanden sind. Dem Hauptschuldner stehen in diesem Zusammenhang alle nach materiellem Recht in Betracht kommenden Einwendungen gegen den vom Gläubiger behaupteten Anspruch zur Verfügung. Auch der Hauptschuldner besitzt aber nicht schon deshalb ein Rückforderungsrecht, weil der Gläubiger die formellen Voraussetzungen bei Anforderung des Bürgschaftsbetrages nicht eingehalten hat. Vielmehr ist im Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Sicherungsnehmer ebenfalls allein darauf abzustellen, ob nach jetzigem Sach- und Streitstand der Sicherungsfall eingetreten ist, der Gläubiger also nunmehr einen Anspruch auf Verwertung der Bürgschaft besitzt (vgl. BGH, Urt. v. 28. September 2000, aaO S. 2375 a.E.). Ist dies zu bejahen, greift der Rückforderungsanspruch selbst dann nicht durch, wenn die gesicherte Forderung im Zeitpunkt der Leistung des Bürgen noch nicht entstanden oder fällig geworden war. Hat der Gläubiger die Bürgschaft verfrüht gezogen, kann das zwar Schadensersatzansprüche des Hauptschuldners (Sicherungsgebers) aus positiver Vertragsverletzung begründen, jedoch nicht dazu führen, daß der Gläubiger den Bürgschaftsbetrag zurückgewähren muß, wenn der Sicherungsfall bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten ist.
c) Da der aus der Sicherungsabrede folgende Rückforderungsanspruch entsteht, sobald der Gläubiger eine nach materiellem Recht ungerechtfertigte Zahlung erhalten hat, ist er nicht abhängig davon, daß der Hauptschuldner dem Bürgen dessen Aufwendungen erstattet hat.
Hat der Bürge bei der Leistung an den Gläubiger die ihm dem Hauptschuldner als Auftraggeber gegenüber obliegenden Pflichten beachtet (vgl. dazu BGHZ 143, 381, 387), hat er also aus rechtlich vertretbaren Gründen angenommen, dem vom Gläubiger erhobenen Anspruch keine schon im Erstprozeß beachtlichen Einwände entgegensetzen zu können, steht ihm ein Aufwendungsersatzanspruch (§§ 675, 670 BGB) gegen den Hauptschuldner auch dann zu, wenn der Gläubiger mit der Anforderung des Bürgschaftsbetrages die ihm gegenüber dem Sicherungsgeber (Hauptschuldner) aufgrund der im Bauvertrag getroffenen Sicherungsabrede obliegenden Pflichten verletzt hat. In diesem Falle kann der Hauptschuldner vom Gläubiger die Freistellung von der dem Bürgen gegenüber bestehenden Verbindlichkeit verlangen. Dies wird in der Regel gerade durch Rückgewähr der materiell zu Unrecht erhaltenen Bürgschaftssumme vollzogen werden. Da die dem Hauptschuldner aus der Sicherungsabrede zustehenden Ansprüche - ebenso wie der Rückgewähranspruch des Bürgen - nur zur Voraussetzung haben, daß der Gläubiger die gewährte Leistung nach materiellem Recht objektiv zu Unrecht besitzt, ist ein solcher Freistellungsanspruch nicht von einem Verschulden des Gläubigers (Sicherungsnehmers) abhängig. In gleicher Weise ist es für diesen aus der Sicherungsabrede folgenden Anspruch unerheblich, ob der Bürge auf die Anforderung des Gläubigers hin zu Unrecht geleistet hat, weil er den Anspruch mit im Erstprozeß beachtlichen Einwendungen hätte abwehren können.
4. Die dargestellten Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet und daher versäumt, rechtlich erhebliche Tatsachen aufzuklären.
a) Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen zu den von der Beklagten behaupteten Ansprüchen, auf die sie die Anforderungen der von der Bürgin geleisteten Beträge gestützt hat. Die Klägerin hat diese Ansprüche in prozeßrechtlich beachtlicher Form bestritten. Das trifft auch für den Teil der Forderungen zu, der in der Vereinbarung vom 29. Oktober 1997 anerkannt wurde, weil die Klägerin dieses Anerkenntnis wegen angeblichen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten hat. Zwar ist die Klägerin auch im Rückforderungsprozeß beweispflichtig dafür, daß die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 123 BGB gegeben sind; zu den insoweit vorgetragenen Behauptungen gibt es jedoch ebenfalls keine tatrichterlichen Feststellungen. Der Umstand, daß die Beklagte ihre Ansprüche aus dem GUV an die W. abgetreten hat, ist unerheblich; denn durch die Abtretung kann sie sich ihrer vertraglichen Pflichten nicht entziehen.
b) Das Berufungsgericht meint, alle von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien von der Vertragserfüllungsbürgschaft gedeckt.
§ 10 GUV sei in dem Sinne zu verstehen, daß die Erfüllungsbürgschaft frühestens nach Abschluß der gesamten Arbeiten habe wegfallen und durch die Gewährleistungsbürgschaft habe ersetzt werden sollen. Das beanstandet die Revision mit Erfolg als rechtsfehlerhaft, weil die Auslegung des Tatrichters wesentliche Umstände außer Betracht läßt.
Zwar können die Vertragsparteien grundsätzlich frei vereinbaren, welche Forderungen von einer Vertragserfüllungsbürgschaft gesichert sind. Sie haben daher die Möglichkeit, ihr auch Gewährleistungsansprüche zu unterstellen.
Vereinbaren die Parteien eines Bauvertrages jedoch, daß die Vertragserfüllungsbürgschaft später durch eine Gewährleistungsbürgschaft ersetzt werden soll, spricht dies dafür, daß die Erfüllungsbürgschaft sich zumindest nicht auf die nach Abnahme entstandenen Gewährleistungsansprüche erstrecken soll (zur Abgrenzung vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 1997 - IX ZR 247/96, WM 1998, 333, 334). Das Berufungsgericht stellt für seine Auslegung darauf ab, daß die Parteien in § 10.2 GUV dem Wortlaut nach den "Abschluß der Arbeiten" als den für die Übergabe der Gewährleistungsbürgschaft maßgeblichen Zeitpunkt bezeichnet haben. Dabei hat es nicht berücksichtigt, daß die Parteien am 29. Oktober 1997 nach Festlegung einer Teilabnahme für die Häuser 3 und 4 die Vertragserfüllungsbürgschaft auf die Häuser 1 und 2 beschränkt und zugleich die sofortige Beibringung einer Gewährleistungsbürgschaft für das Bauvorhaben vereinbart haben. Zudem gehen etwa verbleibende Zweifel über den Sicherungsumfang der Bürgschaft zu Lasten des Gläubigers (BGH, Urt. v. 4. Dezember 1997, aaO; v. 25. Februar 1999 - IX ZR 24/98, WM 1999, 895, 897). Es bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Würdigung der Frage, welche Forderungen durch die gemäß § 10 GUV beizubringende Vertragserfüllungsbürgschaft nach dem Willen der Parteien gesichert sein sollen. Dabei wird auch zu erwägen sein, ob Rechte der Beklagten dadurch entstanden sind, daß eine vereinbarte Gewährleistungsbürgschaft nicht beigebracht worden ist.
c) Die Annahme des Berufungsgerichts, auch Ansprüche der früheren Beklagten zu 2 seien von der Vertragserfüllungsbürgschaft gedeckt, findet im Inhalt der Bürgschaftsurkunde keine Stütze und läßt sich auch nicht aus § 9.4, § 12.10 GUV herleiten. Diesen Bestimmungen kann lediglich entnommen werden, daß für die Beklagte zu 1 eigene Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung auch daraus erwachsen können, daß sie von Dritten in Anspruch genommen wird, weil von der Klägerin zu vertretende Mängel entstanden sind.
d) War die Inanspruchnahme des Bürgen objektiv nicht durch die Sicherungsabrede gedeckt, so braucht der Hauptschuldner nicht abzuwarten, bis der Bürge ihn in Anspruch nimmt. Infolge der Zuwiderhandlung gegen die Sicherungsabrede hat der Gläubiger dem Hauptschuldner von den Aufwendungsersatzansprüchen freizustellen, die dem Bürgen infolge seiner Zahlung zustehen.
Nach dem für die revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Vorbringen der Klägerin ist sie wegen der Bürgenleistung Ersatzansprüchen des B. ausgesetzt. Daß dieser nicht unmittelbar an die Beklagte geleistet hat, sondern sich als verpflichtet ansieht, aufgrund der mit der Bürgin getroffenen Vereinbarung diese zu befriedigen, ist rechtlich unerheblich. Der Freistellungsanspruch entfällt nicht einmal dann, wenn ein Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen wegen Verletzung der vertraglichen Schutzpflichten aus dem Avalvertrag (vgl. dazu BGHZ 143, 381, 386 ff) nicht entstanden ist.
Das wäre dann anzunehmen, wenn die Bürgin es schuldhaft versäumt haben sollte, die aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern erhobenen Ansprüche mit liquiden Einwendungen abzuwehren und die Leistung auch nach materiellem Bürgschaftsrecht zu Unrecht erbracht worden ist (vgl. BGHZ 143, 381, 384; 147, 99, 102 ff). In diesem Falle hat die Beklagte mit ihrem Begehren die Pflichten aus der Sicherungsabrede verletzt und dadurch bewirkt, daß der Bürge geleistet hat und nunmehr unberechtigte Erstattungsansprüche an die Klägerin als Hauptschuldner stellt. Die aus einer Vertragsverletzung herrührende Verbindlichkeit, den anderen Teil freizustellen, umfaßt grundsätzlich auch die Verpflichtung, unbegründete Ansprüche Dritter vom Berechtigten abzuwehren (BGH, Urt. v. 19. April 2002 - V ZR 3/01, WM 2002, 1358). Der Hauptschuldner hat ein auf der eigenen vertraglichen Rechtsbeziehung zum Gläubiger beruhendes berechtigtes Interesse daran, daß dieser durch Rückzahlung der dem Bürgen wegen Nichteintritt des Sicherungsfalls ohnehin geschuldeten Summe ihn von der Abwehr der unbegründeten Ansprüche des Bürgen befreit.

III. Da die Entscheidung somit in jedem Falle davon abhängt, ob und in welchem Umfang der Beklagten Ansprüche gegen die Klägerin zustehen, die von der Vertragserfüllungsbürgschaft gedeckt sind, wird das Berufungsgericht nunmehr die insoweit erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.