Unternehmensbezogene Willenserklärung, (ergänzende) Haftung nach § 179 BGB


BGH, Urt. v. 18. 5. 1998 -II ZR 355/95

Leitsatz:

Zur Frage der Inanspruchnahme des wahren Unternehmensträgers aufgrund eines Vertragsabschlusses.



Fundstellen:

NJW 1998, 2897
NZG 1998, 636
GmbHR 98, 883
BB 1998, 1605
DB 1998, 1610
WM 1998, 1491
ZIP 1998, 1223



Zentralproblem des Falles:

Als (scheinbare) Ausnahme vom Grundsatz der Offenheit der Stellvertretung (§ 164 I, II BGB) wird bei einem sog. "unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft" selbst dann der Unternehmensträger berechtigt und verpflichtet, wenn er der Handelnde den Eindruck erweckt, selbst dieser Unternehmensträger zu sein oder der Unternehmensinhaber falsch bezeichnet wird. Dies ist - anders als das "Geschäft für den es angeht" dogmatisch keine Ausnahme vom Offenkundigkeitsgrundsatz, sondern Ergebnis einer Auslegung der Willenserklärung des Erklärenden. Eine Haftung des Erklärenden nach § 179 BGB kommt dann - wenn die Vertretungsmacht tatsächlich bestand - nicht in Betracht (vgl. etwa BGH NJW 1996, 1053). Erweckt der Erklärende freilich in zurechenbarer Weise den Eindruck, der Unternehmensträger hafte unbeschränkt für die Verbindlichkeit, kommt insoweit eine (die Verpflichtung des Unternehmensträgers ergänzende) Rechtsscheinhaftung des Erklärenden analog § 179 BGB in Betracht. Wenn allerdings - wie hier - der erzeugte Rechtsschein (Handeln für eine - beschränkt haftende - GmbH) hinter der wahren Lage zurückbleibt (der nach den Grundsätzen über das "unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft" verpflichtete Unternehmensträger ist eine - unbeschränkt haftende - natürliche Person), besteht kein Grund für eine solche ergänzende Haftung des Erklärenden.


Zum Sachverhalt:

Im November 1992 verhandelten der Bekl. und sein Vater im Namen einer "P-GmbH" mit der Kl. über den Kauf einer Zuschneidemaschine zum Preis von 450 000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Bekl. trat bei den Vertragsverhandlungen als ,,Geschäftsleitung", sein Vater als Geschäftsführer dieser Gesellschaft auf. Der Kl. war nicht bekannt, daß die Gesellschaft nicht existierte. Diese wurde von dem Bekl. und seinem Vater erst durch notariell beurkundeten Vertrag vom 18. 6. 1993 unter der Firma ,,G-GmbH" gegründet; sie wurde am 7. 12. 1993 in das Handelsregister eingetragen. Über das Vermögen der Gesellschaft ist bald darauf das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden. Die Kl. hat die Zuschneidemaschine Ende Januar 1993 geliefert und montiert. Auf den zum Teil in Raten zahlbaren Kaufpreis sind in der Zeit von Februar bis November 1993 insgesamt 231 000 DM bezahlt worden. Die Kl. nimmt den Bekl. mit der Behauptung, daß er zur Zeit des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Inhaber des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerks gewesen sei, aus dem Kaufvertrag in Anspruch. Der Bekl. hat demgegenüber geltend gemacht, daß sein Vater bis zur Gründung der GmbH alleiniger Inhaber des Bekleidungswerks gewesen sei. Mit der im Urkundenprozeß erhobenen Klage hat sie zunächst Zahlung des Restkaufpreises nebst Zinsen und Ersatz des Verzögerungsschadens verlangt. Nach Rücknahme und anderweiter Veräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Zuschneidemaschine hat sie in der Berufungsinstanz Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags und im übrigen Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache begehrt. Das LG hat der Klage in Höhe von 316 097,09 DM stattgegeben und sie in Höhe des Restbetrags von 5050,32 DM (weiterer Verzögerungsschaden) abgewiesen. Die Berufung des Bekl. hatte nur im Hinblick auf einen Teil der geltend gemachten Verzugszinsen Erfolg. Die Revision des Bekl. führte zur Abweisung der noch anhängigen Klage als im Urkundenprozeß unstatthaft (§ 597 II ZPO).

Aus den Gründen:

Mit Recht macht die Revision geltend, daß die Kl. nicht alle klagebegründenden Tatsachen durch Urkunden bewiesen hat.
1. Der Bekl. hat bestritten, zur Zeit des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Inhaber des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerks gewesen zu sein. Das BerGer. hat dazu ausgeführt, es stehe nicht fest, ob der Bekl. zusammen mit seinem Vater eine auf eine Gesellschaftsgründung zielende Bindung eingegangen sei. Er behaupte, den Entschluß zu einer Gesellschaftsgründung erst nach Abschluß des Kaufvertrags mit der Kl. gefaßt zu haben. In diesem Falle sei wahrer Unternehmensträger der Firma G lediglich der Vater des Bekl. als Einzelkaufmann gewesen, der Bekl. hingegen sei nur in abgeleiteter Funktion, z. B. als Handlungsbevollmächtigter oder als freier Mitarbeiter, in dem Unternehmen tätig geworden. Nach Ansicht des BerGer. haftet der Bekl. jedoch deswegen, weil er durch sein Auftreten als ,,Geschäftsleitung" den Eindruck erweckt habe, Gesellschafter der GmbH zu sein, mit der die Kl. zu kontrahieren glaubte. Da diese GmbH in Wahrheit noch nicht existiert habe, wirke sich der von dem Bekl. gesetzte Rechtsschein dahin aus, daß er wie ein Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft persönlich für die Kaufpreisschuld einzustehen habe. Das ist rechtsfehlerhaft.
2. a) Bei einem unternehmensbezogenen Geschäft geht der Wille der Beteiligten nach der vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewandten Auslegungsregel im Zweifel dahin, daß der Inhaber des Unternehmens Vertragspartei wird und nicht der für das Unternehmen Handelnde. Das gilt auch dann, wenn der Inhaber des Unternehmens falsch bezeichnet wird oder sonst Fehlvorstellungen über ihn bestehen (BGH, NJW 1990,2678 = LM § 164 BGB Nr. 67 m.w. Nachw.). Der Handelnde haftet nur dann nach § 179 BGB, wenn ein Unternehmensträger gar nicht existiert oder wenn er keine Vollmacht hatte, für den Unternehmensträger zu handeln (BGHZ 91, 148 [152] = NJW 1984, 2164 =LM§ 11 GmbHGNr. 33).
Im vorliegenden Fall existierte mit dem Vater des Bekl. unstreitig ein Unternehmensträger, der selbst an dem Vertragsschluß mitgewirkt hat.
b) Neben dem Grundsatz, daß der wahre Rechtsträger durch das unternehmensbezogene Geschäft berechtigt und verpflichtet wird, ist Raum für eine Rechtsscheinhaftung des Handelnden, wenn dieser in zurechenbarer Weise den Eindruck erweckt, daß der Unternehmensträger unbeschränkt für die Verbindlichkeit hafte. Ist der Unternehmensträger in Wahrheit eine Gesellschaft mit beschränkter Haftungsmasse, so ist der Handelnde dem gutgläubig auf den gesetzten Rechts-schein vertrauenden Vertragspartner gesamtschuldnerisch neben dieser verpflichtet (BGH, NJW 1990, 2678 [2679] = LM § 164 BGB Nr. 67). Hier liegt der Fall aber gerade umgekehrt. Die Kl. erwartete, eine GmbH als Vertragspartnerin zu erhalten. Nach den Grundsätzen über das unternehmensbezogene Geschäft erhielt sie mit dem Vater des Bekl. einen unbeschränkt haftenden Vertragspartner (vgl. zu dessen die Errichtung der GmbH überdauernden Haftung Senat, NJW 1998, 1645 = ZIP 1998, 646). Es gibt keinen Gesichtspunkt, der dafür spräche, neben dem Vater des Bekl. auch diesen selbst haften zu lassen. Denn mit zwei unbeschränkt haftenden Schuldnern konnte die Kl. ebensowenig rechnen wie mit einer persönlichen Haftung gerade des Bekl. Ob die Kl. den Bekl. auf Grund seines Auftretens bei den Vertragsverhandlungen für einen Gesellschafter der vermeintlichen GmbH gehalten hat und halten durfte, ist unerheblich. Denn als Gesellschafter der GmbH hätte der Bekl. gerade nicht für deren Verbindlichkeiten gehaftet. Die Rechtsscheinhaftung kann nicht.weitergehen als die Haftung ginge, wenn der Schein der wirklichen Rechtslage entspräche (BGHZ 17, 13 [17] = NJW 1955, 985 = LM § 105 HGB Nr. 9; BGHZ 69, 95 [99] = NJW 1977, 1683).
c) Die Klage wäre nur dann begründet, wenn der Bekl. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemeinsam mit seinem Vater Träger des im Aufbau befindlichen Bekleidungswerks war. Das steht - wie das BerGer. zutreffend annimmt - auf Grund der vorgelegten Schriftstücke, in denen der Bekl. als ,,Geschäftsleitung" der angeblichen GmbH gezeichnet hat, nicht fest. Da die Kl. den Beweis dies er klagebegründenden Tatsache nicht durch Urkunden geführt hat, ist die Klage im Urkunden-prozeß unstatthaft.
d) Entgegen der Ansicht der Revision kommt eine Zurückverweisung der Sache an das BerGer. wegen Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 139 I ZPO) nicht in Betracht. Der Bekl. hat die Gründe, mit denen das LG seine Geselischaftereigenschaft bejaht hat, mit umfangreichen Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift angegriffen. Unter diesen Umständen war es Sache der Kl., über ihre Stellungnahme zu diesen Ausführungen hinaus entweder weitere Urkunden vorzulegen, aus der sich die Gesellschaftereigenschaft des Bekl. ergab, oder vom Urkundenprozeß Abstand zu nehmen und den Rechtsstreit in das ordentliche Verfahren überzuleiten (§ 596 ZPO). Eines aufklärenden Hinweises dazu durch das BerGer. bedurfte es nicht.



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